Minos

alenga schrieb:
Lieber Bender, du nennst recht detailierte Eckdaten über den Ausbruch und die Auswirkungen auf Kreta, die mir in dieser Form unbekannt sind. Was sind deine Quellen? Das würde mich sehr interessieren.

Meines Wissens gilt der Vulkanausbruch in der heutigen Forschung nachweislich NICHT als Untergang der Minoer. Insofern ist deine Frage natürlich umso interessanter, wenn die Ausmaße des Ausbruchs wirklich derart schwerwiegend wie von dir angedeutet gewesen sein sollten.
Meine Quelle ist ein Artikel der "New York Times" von 21. Oktober 2003, siehe auch hier.
Darin wird der Thera-Ausbruch als "womöglich stärker als Tambora" bezeichnet. Dass es eine Flutwelle gab, kann ich mir denken, da Thera eine Insel ist. Man kann dafür ja auch den Vergleich mit dem Krakatau-Ausbruch von 1883 bemühen.
Klimatische Veränderungen ergeben sich nach jedem Vulkan-Ausbruch, doch erst nach einem Ausbruch der Stärke 7 (also Format Tambora anno 1815) werden sie bedrohlich. Siehe den Wikipedia-Artikel "Jahr ohne Sommer" zu den Folgen des Tambora-Ausbruchs. Ähnliches müsste die Minoer überkommen sein. Wie haben sie es bloß überstanden?

Hänsel schrieb:
Nunja die daten und funde sprechen ja wohl auch ganz klar gegen eine solche gewaltige katastrophe
Eben nicht. Die "Daten und Befunde" sprechen dafür. Sie sprechen lediglich gegen einen Untergang der Minoer im 17. Jhdt. v. Chr.
 
Ja aber wurden die Tempel nach dem vulkanausbruch nicht sogar noch prächtiger wieder aufgebaut?? das wäre doch bei einer so gewaltigen Katastrophe nahezu unmöglich, oder ?
 
Hänsel schrieb:
Ja aber wurden die Tempel nach dem vulkanausbruch nicht sogar noch prächtiger wieder aufgebaut?? das wäre doch bei einer so gewaltigen Katastrophe nahezu unmöglich, oder ?
Also von neu aufgebauten Tempeln weiß ich nichts. Mir ist lediglich bekannt, dass die Minoer Thera einige Zeit nach dem Ausbruch wieder besiedelten.
Auf Kreta werden die Gebäude nach der Katastrophe sicherlich wieder erneuert worden sein. Die Minoer gingen ja wie gesagt nicht im 17. sondern erst im 15. Jhdt. v. Chr. unter. Ich sehe aber nicht wo das gegen einen katastrophalen Ausbruch des Thera-Vulkans spricht. Es spricht eher für die Überlebenskünste der Minoer, und genau die geben mir ja Rätsel auf.
 
Mit Interesse habe ich eure Diskussion verfolgt.

H.G. Wunderlich wirft in seinem Buch "Wohin der Stier Europa trug" Zweifel auf, das es sich bei den minoischen Bauten um Paläste handelte. Er nennt interessante Gründe, wonach diese Prunkbauten Zeugen eines Totenkultes waren. Gerade wenn man den Palast von Zakros gesehen hat mit besonders vielen dieser "Grabzimmer", kommt man schon ins grübeln.
Gruß Karin
 
Kannst du vielleicht nochmehr dazu schreiben, weil das hört sich ja interessant an (auch wenn ich das nicht glaube^^)
 
Dem Geologen H.G. Wunderlich kommen beim Gang durch das "Labyrinth" Zweifel, ob es sich wirklich um die Ruinen eines Herrscherpalastes handelt. Ihm fallen Treppenstufen auf, die offenbar selten betreten worden waren (Gips), Türöffnungen, die durch Steinplatten verschlossen waren, Badewannen mit Abflußloch aber ohne Abflußleitung, Königsgemächer im dumpfigen Souterrain, riesige Vorratsgefäße - aber keine Küche u.a. Wunderlich sieht sich durch solche Widersprüche und unbezweifelbare naturwissenschaftliche Indizien gezwungen, die bisherige Deutung radikal in Frage zu stellen. Er erkennt in den minoischen Funden die Zeugen eines Totenkultes.

Bei meinen Besuchen der minoischen Ausgrabungen habe ich besonders auf die Ausführungen Wunderlichs geachtet. Und bin zu dem Schluß gelangt, seine Ansätze sind nicht von der Hand zu weisen.
Evans hat sich alles schön zurechtgelegt, die Reste der Wandmalereien hingerückt, wie er es brauchte, Beton gezogen usw., die Wissenschaft hat über Jahrzehnte fast alles komentarlos übernommen. Ich halte nicht viel davon.
Karin
 
Ey das ist echt erstaunlich...

Auf solche details hab ich (dummerweise) bisher au nich geachtet...un das stimmt wirklich alles so?? okay Küche kann man ja erklärn..die lagen einfach in einem oberen Stockwerk ,aber Türen?? die Badewannen?
Kann nich auch durch die Ausgrabearbeiten etwas wichtiges zerstört worden sein?
 
Ich kenne diese Hypothese "Paläste = Totenstädte", die vereinzelt auftaucht, halte davon aber wenig.

Zunächst muss man sich klar machen, dass die Bauten keine Paläste im eigentlichen Sinn waren, sondern dass es sich um Gebäude handelte, die Warenspreicher, handwerkliche Produktionsstätten und Kulträume enthielten. Es handelte sich also um Handels- und Verteilerzentrem, d.h. typische Palastwirtschaften mit zahlreichen verschachtelten Gebäuden. Daher auch die Sage vom "Labyrinth"!

Die kretischen Fürsten hatten vermutlich keine gottgleiche, herausgehobene Stellung wie z.B. der Pharao, sondern waren möglicherweise nur hochadelige Handelsherren, d.h. es herrschte eine Adelsaristokratie. Der König oder erste Fürst war vielleicht nur "erster unter gleichen". Das würde das Fehlen gewaltiger Standbilder oder herrscherlicher Abbildungen erklären. Vielleicht muss man sich Knossos oder Hagia Triada eher wie autonome sumerische Städte vorstellen.

Der Vulkanausbruch auf Santorin erfolgte wohl um 1700 v. Chr., doch sind seine Folgen zweifelhaft. Eine Reihe von Forschern glaubt nicht, dass die Auswirkungen auf Kreta vernichtend waren. Fakt ist aber, dass die Paläste um 1700 zerstört, danach jedoch noch größer aufgebaut wurden. Das endgültige Ende kam dann um 1400 v. Chr., wobei bis heute umstritten ist, ob ein Erdbeben, eine Invasion aus Mykene, Bürgerkriege oder eine Mischung dieser Faktoren die Ursache war.
 
Ich muss mich korrigieren: Der Vulkanausbruch auf Santorin erfolgte um 1500 v. Chr. und nicht um 1700. Ob das die Ursache für Kretas UNtergang war, ist - wie bereits gesagt - umstritten. Bürgerkrieg und Invasion durch Mykene werden heute ebenso genannt.
 
Sicher war der Ausbruch von Santorin, wenn er denn um 1500 v. Ch. stattgefunden hat, nicht der Grund des Untergangs der minoischen Kultur.

Auf Kreta wurden keine nennenswerten Ablagerungen von Asche, Schlamm o.ä. gefunden, die z.B. die Ernährung der Bevölkerung in Frage gestellt hätte.
Der sog. Kamaresstil, der zeitlich jüngste, wurde nur auf Kreta gefunden, alle anderen Stilrichtungen in Kreta und Santorin. Was heißt, Santorin´s Kultur ging unter zum Zeitpunkt des Vulkanausbruchs, Kreta´s nicht.

Der Ausdruck "Labyrinth" ist durch ein Fehlinterpretation eines Wortes entstanden, nämlich Labrys und das bedeutet die Doppelaxt der Minoer.

Wunderlichs Buch muß ich mir nochmal vornehmen, ich hab nur mehr wenig davon im Kopf.

Gruß Karin
 
Dieter schrieb:
Ich muss mich korrigieren: Der Vulkanausbruch auf Santorin erfolgte um 1500 v. Chr. und nicht um 1700. Ob das die Ursache für Kretas UNtergang war, ist - wie bereits gesagt - umstritten.
Die Mehrheit der Forscher datiert die große Thera-Eruption ins 17. vorchristliche Jahrhundert, und zwar ziemlich exakt auf 1628 vor Christus. Für dieses Datum gibt es eine Vielzahl von Indizien. Der Untergang der Minoer war diese Katastrophe aber wohl nicht, wenn gleich sie sie schwer traf und womöglich auf lange Sicht die Schwächung herbei führte.
 
*thread ausbuddel*

Wie ist das jetzt mit den Thesen von H.G. Wunderlich? In der wikipedia steht, sie seien "größtenteils widerlegt". Aber ich hab noch nie irgendwo irgendetwas gesehen, wo jemand auf seine ganzen Kritikpunkte eingeht. Hat sich die Geschichtswissenschaft tatsächlich mit diesem Außenseiter auseinandergesetzt, oder wurde er einfach irgendwie ignoriert?

Mir erschienen seine Thesen ja recht logisch, nur wie will man das bewerten, wenn die Gegenseite nicht antwortet?
Ich hab das Buch jetzt nicht da, aber was ich aus dem Kopf noch weiß:

Wunderlich geht davon aus, daß die minoischen Paläste nicht für die Lebenden, sondern für die Toten gebaut seien, und daß das, was wir als minoische Kultur kennen, größtenteils ein Abbild der Totenriten sei.
- Türschwellen (oder wie oben genannt Treppenstufen?) aus Gips. Die Dinger sind zwar sehr einfach zu machen, aber wenn sie nur halbwegs regelmäßig verwendet werden, darf man sie jedes Jahr auswechseln.
- angebliche Vorratsgefäße (mannshohe pithoi), die so eingemauert sind, daß man sie nie im Leben sinnvoll befüllen oder entleeren könnte.
- eine "Badewanne" mit Abfluß, in einem Raum ohne Abfluß. Was bringt mir das, wenn ich es dann doch wieder leerschöpfen muß?
- die schönsten Räume liegen am weitesten unterirdisch. Nicht gerade eine bevorzugte Wohnlage, aber für Tote, besonders wenn das Totenreich als unterirdisch angesehen wird, durchaus logisch
- die Fresken von den barbusigen Frauen. So weit ich weiß gibt es kein Volk der Antike, bei dem es üblich war, daß Frauen barbusig herumliefen. Daß Klageweiber aber ihre Brüste entblößten, war im Mittelmeerraum weit verbreitet.
- Wenn ich mich recht erinnere, behauptet er auch, daß es keine direkten Wege gibt. Egal, wo man hin will, man muß um zig Ecken rum und ziemliche Umwege machen. Das ist für einen Palast, und ganz besondere für einen mit Lagerräumen und Werkstätten, extrem unpraktisch. Aber viele Völker glauben, daß durch so etwas böse Geister verwirrt werden können.
- Evans(?) ging davon aus, daß der Palast von Knossos durch Feuer zerstört wurde, denn an den Wänden wurden Brandspuren gefunden. Wunderlich dagegen behauptet, daß die Temperaturen, die da erreicht wurden, nie groß genug für eine Feuersbrunst gewesen sein können, da eine bestimmte Phasenumwandlung im Baumaterial (wenn ich mich recht erinnere im Gips) nicht eingetreten ist. Es müssen also kleinere Feuer gewesen sein.
- die minoischen Paläste liegen großteils außerhalb der fruchtbaren Gegenden, und vor allem haben sie keine gesicherte Wasserversorgung.

Weiß da irgendjemand, wie denn die Lehrmeinung diese Dinge erklärt?
 
Mythologie/Sagenkreise um Kreta

Hallo,
mich würde ja die Mythologie um die minoische Kultur brennend interessieren.

Da gibt es mindestens vier Mythen-/Sagenkreise (je nach dem, wie man abteilt):

a) König Minos, Unterweltsrichter, Dädalus, Angriff auf Sizilien.
b) Theseus, Minotaurus, Labyrinth, Ariadne, Athen.
c) Poseidon wird in Athen durch Athene verdrängt, und bringt Erdbeben und Flut.
d) Herakles fängt auf Kreta einen Stier.

Mich würde interessieren, ob jemand eine gute Aufbereitung und Interpretation dieser Mythen/Sagen kennt? Bei Kerenyi ist alles verstreut und nicht zentral auf Kreta hin interpretiert.

Vielen Dank!:)
Thorwald
 
Theseus vs Minotauros und Daidalos gehören teilweise zusammen, da das Labyrinth von Daidalos ersonnen wurde. Herakles Kampf mit dem Stier weist dadurch eine Verbindung dazu auf, weil jener Bulle der Vater des Minotauros ist.
Du vergasst die Geschichte von Europa.
wieso rechnest du den Streit von Athene und Poseidon zum Sagenkreis um Kreta?
 
Die Ablösung von Poseidon durch Athene in Athen könnte auf einen Machtkampf um kretischen Einfluss hinweisen. Ist nur eine Spekulation.
Da folge ich dir nicht. Es sei denn, jemand beweist mir, dass Poseidon eindeuig für Kreta steht*. Ich kann eher eine Rechtfertigung des Olivenanbaus und der Atheneverehrung sehen.

*War er nicht auch Schutzgott von Atlantis, mit dem Athen vor langer Zeit Krieg führte?:grübel:
 
Man kann hier weder Poseidon, noch Athene oder irgendeine andere griechische Gottheit ins Spiel bringen. Wir bewegen uns in einer Zeit, die etwa von 2300-1400 v. Chr. reicht, also in der Epoche der minoischen Hochkultur. Es ist auszuschließen, dass die mykenischen Frühgriechen bereits den klassischen hellenischen Götterhimmel konstruiert hatten. Und die nichtindogermanischen Minoer verehrten bestimmt viele Göttinnen und Götter, aber gewiss keine indogermanischen vom griechischen Festland, das sie kulturell dominierten.

Die "Einwanderung" griechischer Götter auf Kreta erfolgte erst nach Besetzung der Insel durch mykenische Griechen um 1350 v. Chr., vor allem aber im Zuge der griechischen Kolonisation ab 700 v. Chr. und der Besetzung Kretas durch das dorische Bevölkerungselement.

Der Name "Minos" wird von Forschern heute unterschiedlich gedeutet. Einige sind der Meinung, dass es sich nicht um den Namen einer bestimmten Person handelt, sondern um die Titulatur kretischer Fürsten, wie z.B. "Pharao" für die ägyptischen Könige. Das berühmte "Labyrinth" könnte ein Nachhall der ungemein verschachtelten kretischen Paläste sein. Sie waren zugleich Warenspeicher, Heimstätte von Handwerkern, Kultstätte und Sitz des Fürsten, also eher ein Handels- und Kultzentrum. Die Bezeichnung "Palast" weckt somit falsche Vorstellungen.

Die Hypothese, die "Paläste" seien eigentlich Begräbnisstätten gewesen, hat sich nicht durchgesetzt, und wird von kaum einem Wissenschaftler vertreten. Es ergibt sich dann nämlich die Frage, wo die Wohnstätten von Fürsten, Handelsherren und Bevölkerung eigentlich zu suchen sind, da neben den bekannten Plätzen Knossos, Phaistos, Malia, Zakro usw. keine weiteren Ansiedlungen ergraben werden konnten. Wenn all diese Orte "Grabanlagen" sein sollen, so hätten wir eine "Toteninsel" vor uns.
 
Und die nichtindogermanischen Minoer verehrten bestimmt viele Göttinnen und Götter, aber gewiss keine indogermanischen vom griechischen Festland, das sie kulturell dominierten.

Wer kann denn mit Sicherheit sagen, ob die Minoer eine indogermanische oder eine nicht-indogermanische Sprache gesprochen haben? Ist es etwa gelungen, die Linear-A-Schrift zu entziffern?

Von den Hethitern hätte auch niemand gedacht, sie den Indogermanen zuzuordnen - bis es Hrozný gelungen ist, die hethitischen Inschriften zu entziffern.
 
Wer kann denn mit Sicherheit sagen, ob die Minoer eine indogermanische oder eine nicht-indogermanische Sprache gesprochen haben? Ist es etwa gelungen, die Linear-A-Schrift zu entziffern?

Das nicht, und ich bin auch kein Fachmann in dieser Frage, aber die Nachkommen der Minoer, die Eteokreter, waren angeblich Nicht-Indogermanen. Da von den Eteokretern meines Wissens Inschriften in Alphabetschrift aus der Zeit ab ca. 700 v.Chr. erhalten sind, wird diese Zuordnung doch wohl auf der Auswertung dieser Inschriften beruhen und damit gesichert sein. Und demnach wären dann doch wohl auch die Minoer Nicht-Indogermanen.
 
Da von den Eteokretern meines Wissens Inschriften in Alphabetschrift aus der Zeit ab ca. 700 v.Chr. erhalten sind, wird diese Zuordnung doch wohl auf der Auswertung dieser Inschriften beruhen und damit gesichert sein.

Dabei handelt es sich m. W. um sehr kurze Fragmente, die keine Zuordnung erlauben.
 
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