Akzent der lateinische Sprache dynamisch oder melodisch?

vindus

Aktives Mitglied
Hatte das Lateinische nun einen dynamischen oder einen melodischen Akzent? Was spricht eher für den melodischen und was für den dynamischen Akzent. So weit ich weiß ist sich die Forschung da bisher uneinig.
Für den tonalen Akzent spricht ja die Metrik während die Vokalabschwächungen eher für einen dynamischen Akzent sprechen.
 
Dieses entweder-oder dürfte zu kurz gesprungen sein. Man muss das klassische - hochsprachliche - Latein, die goldene und silberne Latinität und insbesondere die Poesie vom Alltagslatein (Vulgärlatein) unterscheiden. Wenn lateinische Poesie sich metrisch an der griechischen orientierte (melodischer Akzent), dann war das eine Kunstform (und zwar im doppelten Sinne: künstlerisch und künstlich).
 
Dieses entweder-oder dürfte zu kurz gesprungen sein. Man muss das klassische - hochsprachliche - Latein, die goldene und silberne Latinität und insbesondere die Poesie vom Alltagslatein (Vulgärlatein) unterscheiden. Wenn lateinische Poesie sich metrisch an der griechischen orientierte (melodischer Akzent), dann war das eine Kunstform (und zwar im doppelten Sinne: künstlerisch und künstlich).
Ich halte diese weit verbreitete Denkweise für äußerst gewagt. Das Lateinische wird in der Dichtung nicht auf einmal tonal gewesen sein nur weil das Griechische tonal war. Wenn überhaupt dürfte das nur den allerwenigsten gelingen als Muttersprachler einer dynamisch akzentuierten Sprache auf einmal in einen melodischen Akzent zu wechseln nur weil es irgendjemand in einer anderen Sprache so tat. Man vergleiche das nur mal mit einem deutschen Muttersprachler welcher, nur um ein deutsches Gedicht nach japanischen oder chinesichen Regeln aufzusagen, einen tonalen Akzent der jeweligen Sprache nachahmen soll. Das wird absurd. Das erscheint mir doch ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt. Ist es nicht einfach möglich dass das Ganze mit dem melodischen Akzent einfach eine Missinterpretation ist? Und in wie weit sind quantitierende Metrik und Druckakzent miteinander vereinbar? Im Finnischen scheint beides zu existieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wäre es auch denkbar dass sowohl der dynamische als auch ein melodischer Akzent in gewissem Maße gleichzeitig existierten?
 
Wäre es auch denkbar dass sowohl der dynamische als auch ein melodischer Akzent in gewissem Maße gleichzeitig existierten?

Darauf hatte ich Dich doch schon mal hingewiesen:

Das ist nicht das einzige Argument, auch Äußerungen klassischer Autoren deuten auf einen melodischen Akzent. Argumente pro und contra finden sich z. B. hier:
https://digilib.phil.muni.cz/bitstr...ecoLatinaBrunensia_18-2013-1_2.pdf?sequence=1

Adamik tendiert für die klassische Zeit zum melodischen Akzent, wobei er zu Recht betont, dass sich melodischer Akzent und Druckakzent nicht ausschließen.
 
Ich habe mir das jetzt noch mal durchgelesen. Im Prinzip hätte es eventuell gereicht wenn neben dem dynamischen Primärakzent auch ein ausreichend starker tonaler Sekundärakzent vorhanden ist um eine quantitierende Metrik zu rechtfertigen. Das passt zum Ungarischen und zu Urdu gleichermaßen. Denn auch im urdu hat man durch Experimente festgestellt dass es einen tonalen Aspekt gibt welcher die Quantität rechtfertigt.
 
Ich halte die Behauptung dass die Römer „wie Sklaven“ die griechische Metrik nachgeahmt und ihrer Sprache aufgezwungen hätten für hinreichend absurd. Das Lateinische könnte durchaus einen melodischen Akzent in der klassischen Zeit gehabt haben und ich halte das sogar für sehr wahrscheinlich.
 
Ich halte die Behauptung dass die Römer „wie Sklaven“ die griechische Metrik nachgeahmt und ihrer Sprache aufgezwungen hätten für hinreichend absurd.
Übersetze das ganz doch mal in einen Satz ohne wertendes Vokabular, dann kann man sich bei der Diskussion auf die Fakten konzentrieren.
Ist dir aufgefallen, dass unsere ganzen Versfüße latinisierte griechische Namen haben? Jambus (iambos), Trochäus (trochaios), Daktylus (daktylos)... Manche heißen sogar nach griechischen Regionen: Creticus, Ionicus....
 
Übersetze das ganz doch mal in einen Satz ohne wertendes Vokabular, dann kann man sich bei der Diskussion auf die Fakten konzentrieren.
Ist dir aufgefallen, dass unsere ganzen Versfüße latinisierte griechische Namen haben? Jambus (iambos), Trochäus (trochaios), Daktylus (daktylos)... Manche heißen sogar nach griechischen Regionen: Creticus, Ionicus....
Ja, richtig. Auch Tonleitern haben griechische Namen. Aber was genau möchtest du damit sagen? Und was hat das mit wertendem Vokabular zu tun? Ich zitiere lediglich die Literatur welche mir begegnet ist und dort ist die Rede davon dass die Römer quasi fast zwanghaft versucht hätten ihre Sprache zu „hellenisieren“ was ich für völligen Blödsinn halte.
 
Ja, richtig. Auch Tonleitern haben griechische Namen. Aber was genau möchtest du damit sagen?
Die Frage war doch, ob die Römer ihre Versfüße von den Griechen übernommen haben. Ihre Versfüße haben griechische Namen. Namen übernimmt man in der Regel mit dem Konzept.

Und was hat das mit wertendem Vokabular zu tun?
Das hat mit dem wertenden Vokabular gar nichts zu tun.

Ich zitiere lediglich die Literatur welche mir begegnet ist und dort ist die Rede davon dass die Römer quasi fast zwanghaft versucht hätten ihre Sprache zu „hellenisieren“ was ich für völligen Blödsinn halte.
Du wirst in der Literatur sicher Argumente dafür finden, wenn das so dargestellt ist und wirst sicherlich auch Argumente haben, warum du das "für völligen Blödsinn" hältst. Mir wäre es lieber, wenn du uns mal mit Fakten zuschmeißen würdest und nicht mit deinem Unbehagen darüber, dass die Römer die Griechen kopiert haben. Wir wollen doch hier tatsachen- und nicht gefühlsbasiert diskutieren.
 
Die Frage war doch, ob die Römer ihre Versfüße von den Griechen übernommen haben. Ihre Versfüße haben griechische Namen. Namen übernimmt man in der Regel mit dem Konzept.


Das hat mit dem wertenden Vokabular gar nichts zu tun.


Du wirst in der Literatur sicher Argumente dafür finden, wenn das so dargestellt ist und wirst sicherlich auch Argumente haben, warum du das "für völligen Blödsinn" hältst. Mir wäre es lieber, wenn du uns mal mit Fakten zuschmeißen würdest und nicht mit deinem Unbehagen darüber, dass die Römer die Griechen kopiert haben. Wir wollen doch hier tatsachen- und nicht gefühlsbasiert diskutieren.

Fakt 1. Sprachen mit quantitierender Metrik haben praktisch nie einen starken oder dominanten dynamischen Akzent.

Fakt 2. Für Sprachen welche einen höheren Grad an Betonungsmelodik haben funktioniert eine akzentuierende Metrik nicht.

Fakt 3. Für Sprachen mit überwiegend dynamischen Akzent eignet sich eine quantitierende Metrik nicht.

Fakt 4. Alle Autoren der klassischen Zeit beschreiben sowohl direkt als auch indirekt einen melodischen Akzent für die lateinische Sprache.

Fakt 5. die Quellen beschreiben auch Diskrepanzen zwischen der attischen und lateinischen Sprache und wie diese eine Übertragung aller von den Griechen entwickelten Prinzipien auf Grund der Eigenheiten der lateinischen Sprache unmöglich machen.

Also quasi eine Bestätigung dafür dass das Lateinische so weit griechische Inventionen übernommen hat, wie sie von Natur aus im Lateinischen anwendbar sind. Offensichtlich muss der „melodische“ Akzent im Lateinischen ein trotzdem ein anderer gewesen sein als im Attischen. Denn das Lateinische scheint einen deutlich schwächeren Akzent besessen zu haben und eine (jedoch sehr nicht dominante) aber hörbare Dynamik, welche wohl im Griechischen nicht so stark ausgeprägt war. Auch die Komplexität des Lateinischen dürfte dahingehend so weit ich das recherchieren konnte deutlich geringer gewesen sein als im Griechischen. Vielleicht ein Grund warum man sich insgeheim oft mehr rühmte das Griechische zu beherrschen als das Lateinische. Erst Mitte des 1. Jhd. finden sich Hinweise dafür dass die Dynamik vor allem im Alltagslatein graduell verstärkt. Erst ab der spätlateinischen Periode zeigt sich ein deutlicher dynamischer Akzent und eine durchgehend akzentuierende Metrik. Und auch bei den Schriftstellern ist von einer Sprachmelodik in der Betonung des Lateinischen keine Rede mehr. Jede Behauptung das Lateinische hätte seit jeher einen dynamischen Akzent gehabt und wäre durch römische Autoren falsch beschrieben worden entbehrt daher m.E. jeglichen Beleges und jeder Logik.
Oder man glaubt daran dass die dummen Römer zu blöd waren ihre Sprache richtig zu beschreiben weil sie sich einer griechischen Sprechweise bedienten und leht dann konsequenterweise und aus Prinzip jegliche Beschreibung des Lateinischen durch die zeitgenössischen Schriftsteller zur Gänze kategorisch ab. Entweder man glaubt den Quellen oder man glaubt ihnen nicht.
 
Ich darf als interessierter Ahnungsloser dazu mal was fragen: Wer an lebenden Sprachen nur Deutsch, Englisch und ein bisschen romanische Sprachen versteht, wie kann der sich vorstellen, wie ein melodischer Akzent klingt?

Vor Urzeiten habe ich mal in einem Proseminar Neuere Deutsche Literatur die Dozentin davon zu überzeugen versucht, dass man deutsche Hexameter als Wechsel nicht von langen und kurzen, sondern nur von betonten und unbetonten Silben lesen kann. Oder geht es beim melodischen Akzent nicht um Länge, sondern um Tonhöhe oder so was?
 
Ich darf als interessierter Ahnungsloser dazu mal was fragen: Wer an lebenden Sprachen nur Deutsch, Englisch und ein bisschen romanische Sprachen versteht, wie kann der sich vorstellen, wie ein melodischer Akzent klingt?

Vor Urzeiten habe ich mal in einem Proseminar Neuere Deutsche Literatur die Dozentin davon zu überzeugen versucht, dass man deutsche Hexameter als Wechsel nicht von langen und kurzen, sondern nur von betonten und unbetonten Silben lesen kann. Oder geht es beim melodischen Akzent nicht um Länge, sondern um Tonhöhe oder so was?
Es gibt heute noch einige Sprachen die einen melodischen Akzent besitzen. Das Altgriechische besaß einen melodischen Akzent.
Bei melodischen Akzent geht es darum dass die betonte Silbe durch eine Veränderung der Tonhöhe gekennzeichnet wird. Mit einem melodischen Akzent bekommt man eine quantitierende Metrik in welcher die Länge der Silben (die Silbenquantität) entscheidend ist. Das Wort „Róma“ wäre dann nicht nur mit längerem sondern auch mit höherem „ó“ ausgesprochen worden. Die Lautstärke dagegen hat sich im Lateinischen vermutlich, der Literatur zur Folge welche ich finden konnte, eine untergeordnete wenn auch nicht unbedeutende Rolle gespielt. Vermutlich war die Dynamik im Latein stärker als im Griechischen, aber deutlich schwächer als in den modernen romanischen Sprachen und die Melodik stand im Vordergrund. Ab dem 3./4. Jhd. fällt der melodische Akzent zurück und auch die quantitierende Metrik wird nun von einer akzentuierenden abgelöst. Man kann auch umgekehrt sagen dass die Silbenquantität einen Rhythmus erzeugt welcher mehr zu einer Melodie passt, wie in der Musik, während die dynamische Akzentuierung einen reinen durch Lautstärkeänderung bedingten Rhythmus vorgibt.
 
Wenn ab dem 3./4. Jhd. das Lateinische hauptsächlich einen dynamischen Akzent hatte, waren die alten melodischen Versmaße dann überhaupt noch genießbar? Vielleicht hörte sich die Aeneis dann so an wie..

In Weimar und Jena macht man Hexameter wie der,
Aber die Pentameter sind doch noch exzellenter.
 
Wenn ab dem 3./4. Jhd. das Lateinische hauptsächlich einen dynamischen Akzent hatte, waren die alten melodischen Versmaße dann überhaupt noch genießbar? Vielleicht hörte sich die Aeneis dann so an wie..

In Weimar und Jena macht man Hexameter wie der,
Aber die Pentameter sind doch noch exzellenter.
Das weiß ich nicht ie die gelesen wurden. Ich denke dass die alten klassischen Gedichte tatsächlich irgendwann, so wie es heute der Fall ist nach der damals aktuellen Form gelesen wurden. Ich meine heute hat auch keiner Angst Latein in einer Form vorzulesen über die ein antiker Römer nur die Stirn gerunzelt hätte. VENES DIRUM DILIBE GETUNTUDO ch nichts von ihr verstehst!
 
Ich denke eher umgekehrt: Für uns ist es kein Problem,
Árma virúmque canó, Troiaé usw..
zu lesen, weil Latein für uns sowieso ein Kunstprodukt ist. Wer aber um 400 täglich vírum sagte (wenn das denn so war), für den muss virúm schräg geklungen haben.
 
Ich denke eher umgekehrt: Für uns ist es kein Problem,
Árma virúmque canó, Troiaé usw..
zu lesen, weil Latein für uns sowieso ein Kunstprodukt ist. Wer aber um 400 täglich vírum sagte (wenn das denn so war), für den muss virúm schräg geklungen haben.
Ja, eben. Das meinte ich auch. Heute stört es keinen mehr deshalb lesen wir es einfach, mit oder ohne Mühe es richtig zu betonen, und klingen dabei, in antiken Ohren, sehr schief. Um 400 wird man die alte Metrik einfach mit den richtigen alten vorgegeben Quantitäten ohne die korrekte Akzentuierung nach der Tonhöhe gelesen haben. Zumindest wenn man die richtige Betonung da nicht mehr kannte. Also nichts anderes als heute. Zudem dürften zu der Zeit eher nur gebildete Menschen klassische Gedichte gelesen und phonologisch richtig gedeutet haben. Ich muss auch sagen dass selbst die beste Nachahmung klassichen Lateins in meinen Ohren etwas befremdlich klingt obwohl ich zu der Zeit nicht gelebt habe. :D Das klang für die Menschen sicherlich nicht anders als für uns heute Alt- oder Mittelhochdeutsch.
Am besten finde ich die Rekonstruktion von Scorpio Martianus. Auf IVTVBE.
 
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