Befragung einer Schulklasse durch das "Institut für Marktforschung der DDR".
Institut: Ihr werdet an der Ausgestaltung der "Entwickelten Sozialistischen Gesellschaft" mitarbeiten. Euer Lehrer ist jetzt nicht im Klassenzimmer; was wünscht ihr euch so. "Frei von der Leber weg", wir schreiben auch keine Namen auf.
M: Jeans von Levis.
S1: Meine Mutti meint, Vitamine sind sehr wichtig, die Äpfel aus dem Werderland schmecken aber nicht, vllt. Bananen und Orangen.
S2: Urlaub in Bulgarien, am Schwarzen Meer.
S3: Mein Vati wartet schon seit fast 15 Jahren auf einen Wartburg, wäre urst wenn es schneller gehen würde.
S3: Die neusten LP's, der Empfang von Radio Luxemburg und RIAS 2 ist sehr schlecht.
S4: Die Bravo *großes Gelächter*
S5: Nicht solange vor Diskos stehen.
S6: So schnell als möglich eine eigene Wohnung.
S7: Bücher, z.B. "1984".
S8: CocaCola.
S9: Filme mit John Travolta.
Institut: Abbruch der Befragung.
Institut: Weitergabe der Ergebnisse der Erhebung an die Genossen des MfS, Befragungsergebnisse werden als GVS eingestuft.
MfS: Einleitung operativer Personenkontrollen gegen die Schüler/Eltern und die Lehrer im Rahmen des OV "Klasse".
Kreisschulleitung: Auflösung der Klasse und Verteilung der Schüler auf andere POS. Entscheidung; kein Schüler dieser Klasse erhält einen Platz an einer EOS bzw. Berufsausbildung mit Abitur.
SED-Kreisleitung: Überprüfung der Eltern die in der Partei sind, auf "klassenmäßige" Zuverlässigkeit, eventuell Einleitung von Parteiverfahren durch die PKK.*
M.
*Parteikontrollkommission
Also dieser Beitrag verwundert mich sehr.
Melchior, ist das eine Fantasiedarstellung deinerseits, über einen eventuellen Ablauf einer Marktforschung in der DDR?
Kann ich garnicht glauben, schon allein eine Marktforschung in der DDR steht zur Planwirtschaft im Widerspruch. In der der DDR gab es doch gar keinen Markt im wirtschaftlichen Sinn.
Aber dafür bin ich im Thema Volkswirtschaft nicht Sattelfest genug um es zu belegen, ich glaube wir haben andere User hier, die sich damit besser auskennen.
Was ich für interessanter halte, ist der menschliche Aspekt deiner Darstellung. Wenn die Befragung in einer Schule stattgefunden haben soll, dann würde ich diese Schule regional eingrenzen auf den Osten der DDR. Denn hier war die Informationslage über den Westen weniger verbreitet, als in Gebieten angrenzend an die Deutsch-Deutsche Grenze, ausgenommen natürlich die Regionen um West-Berlin.
Begründen möchte ich es damit, daß nur Schüler/Kinder von einem Elternhaus der Parteimitglieder oder ohne jegliche Westkontakte naiv genug waren, solche Wünsche in aller Öffentlichkeit zu äußern.
Kinder, die in einem Elternhaus aufwuchsen, wo im Abendprogramm nicht die aktuelle Kamera lief, sondern die Tagesschau und durch Konsum aus dem Westen durch Verwandtschaft oder Freunde ein anderes Verhältnis zu dem westlichen Dingen hatten, wurden schon von Klein auf von den Eltern geistig geimpft, daß alles was in den Vier Wänden passiert oder gesprochen wird, nicht nach außen dringen darf. Vor allem aber, gegenüber neugierigen Fremden und staatlichen Organen war besondere Obacht geboten, was man als Kind sagte. Auch wenn daß schwer war, den Kindern darzulegen, warum es so wichtig war, nicht über das Abendprogramm von Tom & Jerry in der Schule zu erzählen.
Sicherlich lockerte sich das Informationsverhalten in den späten 80igern, aber keiner wusste bis zuletzt über den Anderen, welche Position er eigentlich im Staate einnimmt.
Daher können nur naive Kinder, solche Äußerungen über Wünsche zu „Westartikeln“ bei solche einer Befragung in der Schule dargelegt haben.
Melchior, ich denke deine Überlegungen dazu sind viel zu überzogen und gehen komplett an der Wahrheit vorbei, vor allem im Bezug auf die Konsequenzen, wie z.B. die Auflösung einer Schulklasse. M.E. total unrealistisch.
Die Aktivitäten der Stasi könnte ich da noch nachvollziehen, aber wenn es wirklich so die Praktik des Staates war, dann ist es ja noch verdorbener Gewesen, als ich mir vorgestellt habe.
Und glaub mir, ich habe die Abgründe dieses Staates kennengelernt, mehr als mir wirklich lieb war, als Jugendlicher.