American Dream

Und woher kam der Pauperismus? Wenn zu viele in einem Land leben, das sie nicht alle ernähren kann. Und genau das habe ich gesagt, aber auch Bähr, wenn er von Bevölkerungsdruck spricht – ich zitiere ihn noch einmal:
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Das Land konnte ja doch seine Bewohner ernähren. Die Zeit der alteuropäischen Hungerkatstrophen war zuende. Selbst noch das geschundene Irland währen der Great Famine hätte alle seine Bewohner mühelos ernähren können. Während der ganzen Zeit, als in Irland die Menschen in ihrer Not anfingen, Gras und Moos auszukochen, exportierte Irland in großem Stil Agrarprodukte nach GB und den USA.

Die Ressourcen der Grünen Insel hätten locker ausgereicht, seine Bewohner zu ernähren. Erst als es schon zu spät war, versuchte die britische Regierung gegenzusteuern. Die Great Famine brach nicht wie ein biblisches Strafgericht über Irland herein. Es war vielmehr die Folge einer fatalen wirtschaftsliberalen laissez faire-Politik.
 
Unfug.

Ich wiederhole mich nochmal: bis weit ins ausgehende 19. Jahrhundert ist Deutschland, bzw. sind die deutschen Staaten ein großer Exporteur von Agrarerzeugnissen.

Pfister, Economic Growth in Germany, 1500–1850, Journal of Economic History, Vol. 82, No. 4 (December 2022):
At their probable historical maximum in the 1850s and early 1860s, German grain exports amounted to about 3 percent of domestic consumption. Thus, fluctuations in the ratio of agricultural production to food consumption have a negligible impact on the estimate of agricultural output.

So groß waren die Agrarexporte also nicht.
 
An der unten stehenden Grafik (ebenfalls Pfister 2022, Economic Growth in Germany, 1500–1850, Journal of Economic History) kann man sehen, dass der Nahrungsmittelkonsum pro Kopf in der ersten Hälte des 19. Jahrhunderts aus säkularer Perspektive ausgesprochen niedrig war, trotz gestiegener Produktivität des Agrarsektors (bis auf den Einbruch um 1848). Das dürfte auch mit der Bevölkerungszunahme zusammenhängen, ein malthusianischer Aspekt spielte da schon eine Rolle. Übrigens ist nach Schätzungen Pfisters das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf damals durchaus etwas gestiegen, also schon vor der Hochindustrialisierung nach 1850.
Pfister.png
 
Selbst noch das geschundene Irland währen der Great Famine hätte alle seine Bewohner mühelos ernähren können.
Ja, hätte – hatte es aber nicht.

Es ist völlig unwichtig, aus welchen Gründen es zu Pauperismus kam, wichtig ist allein, dass er in Irland zwischen 1845 und 1849 so stark verbreitet war, dass 1 Million Menschen starben und 2 Millionen auswanderten.

Grundsätzlich: Menschen, denen es gut geht*, wandern normalerweise nicht aus. Und wenn doch, dann aus Abenteuerlust.

* Denjenigen, die aus politischen oder religiösen Gründen auswanderten, ging es nicht gut, sonst wären sie im Land geblieben. Aber die Zahlen dieser Auswanderer waren im Verhältnis zu jenen, die aus wirtschaftlichen Gründen auswanderten, gering.
 
Wie du sicher gesehen hast, war das eine Antwort an @Scorpio, der gesagt hat, Irland wäre in der Zeit 1845-49 in der Lage gewesen, seine Bewohner zu ernähren, aber die damalige Politik hat die Ausfuhr von Getreide erlaubt und damit die Bevölkerung hungern, sterben oder auswandern lassen.
 
Pfister, Economic Growth in Germany, 1500–1850, Journal of Economic History, Vol. 82, No. 4 (December 2022):
At their probable historical maximum in the 1850s and early 1860s, German grain exports amounted to about 3 percent of domestic consumption. Thus, fluctuations in the ratio of agricultural production to food consumption have a negligible impact on the estimate of agricultural output.

So groß waren die Agrarexporte also nicht.

Wir müssen uns über die Größe von Exporten im Einzelnen überhaupt nicht weiter streiten, Tatsache ist, es hat sie gegeben, womit die Behauptung eines überbevölkerten Gebietes, dass seine Einwohner nicht hätte ernähren können, vom Tisch ist.
Allenfalls hätte man es mit Verteilungsproblemen zu tun, aber ganz sicher nicht mit "Überbevölkerung" wie Dion das behauptet.
Im Übrigen, ich darf dich freundlich darauf hinweisen, in dem Zitat ist nicht von "Agrarexporten", sondern von "grain exports", also von "Getreidexporten" die Rede ist.
Zu den Agrarexporten würden dann aber selbstrendend z.B. auch Kartoffeln und andere Produkte zählen.

An der unten stehenden Grafik (ebenfalls Pfister 2022, Economic Growth in Germany, 1500–1850, Journal of Economic History) kann man sehen, dass der Nahrungsmittelkonsum pro Kopf in der ersten Hälte des 19. Jahrhunderts aus säkularer Perspektive ausgesprochen niedrig war, trotz gestiegener Produktivität des Agrarsektors (bis auf den Einbruch um 1848). Das dürfte auch mit der Bevölkerungszunahme zusammenhängen, ein malthusianischer Aspekt spielte da schon eine Rolle. Übrigens ist nach Schätzungen Pfisters das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf damals durchaus etwas gestiegen, also schon vor der Hochindustrialisierung nach 1850.

Das würde ich anders interpretieren.

Die Vergleichsgröße ist ja "agricultural output per agricultural population"
Also gemessen an in der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung, nicht an der Bevölkerung an und für sich.

Ich würde meinen der sich wenig verändernde Konsum bei steigender Produktivität pro in der Landwirtschaft beschäftigten Person hat weniger etwas mit einem allgemeine Bevölkerungswachstum zu tun, sondern damit, dass sich die Gesamtzahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen durch die Proletarisierung der Kleinbauern und deren Abwanderung in die allmählich wachsenden Städte und Industriestadorte kontinuierlich verringerte.

Das bei stärkerer Arbeitseffizienz bei zeitglich stetiger Abnahme der Anzahl der in einem bestimmten Sektor beschäftigten Personen, die Menge der produzierten Güter sich nur wenig verändert und dementsprechend pro Kopf auch nicht mehr verkonsumiert werden kann, erscheint jedenfalls nicht abwegig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bemühe dich nicht, @Shinigami, mich noch weiter in eine Diskussion verwicklen zu wollen. Es war mein Fehler, wider besseres Wissen, auf deine Beiträge hier reagiert zu haben. Sorry.
 
Bitte beendet diese Nebendiskussion und beachtet, dass Mimi77 nach dem American Dream gefragt hatte. Ich habe keine Ahnung, ob sie hier noch reinliest, aber gebt ihr Informationen, oder besser stellt ihr Fragen, die sie in ihrem Erkenntnisprozess leiten.

Zum Thema Migration und sich wandelnden Migrationsgründen (wandelnde Push- und Pullfaktoren) könnt ihr ein eigenes Thema aufmachen.
 
Im Übrigen, ich darf dich freundlich darauf hinweisen, in dem Zitat ist nicht von "Agrarexporten", sondern von "grain exports", also von "Getreidexporten" die Rede ist. Zu den Agrarexporten würden dann aber selbstrendend z.B. auch Kartoffeln und andere Produkte zählen.
Dass der Hinweis freundlich gemeint ist, davon gehe ich aus. Es war sicher schwieriger, Kartoffeln über weite Strecken zu transportieren als Getreide. Aus Irland wurde beispielsweise Getreide nach England exportiert, von der Kartoffel ernährte sich die heimische Bevölkerung.

Ich würde meinen der sich wenig verändernde Konsum bei steigender Produktivität pro in der Landwirtschaft beschäftigten Person hat weniger etwas mit einem allgemeine Bevölkerungswachstum zu tun, sondern damit, dass sich die Gesamtzahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen durch die Proletarisierung der Kleinbauern und deren Abwanderung in die allmählich wachsenden Städte und Industriestadorte kontinuierlich verringerte.
In der Grafik erkennt man halt, dass der durchschnittliche Nahrungsmittelkonsum pro Kopf in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (bei großen Schwankungen) niedriger war als zumeist in den Jahrhunderten zuvor.
 
Bitte beendet diese Nebendiskussion und beachtet, dass Mimi77 nach dem American Dream gefragt hatte. Ich habe keine Ahnung, ob sie hier noch reinliest, aber gebt ihr Informationen, oder besser stellt ihr Fragen, die sie in ihrem Erkenntnisprozess leiten.

Zum Thema Migration und sich wandelnden Migrationsgründen (wandelnde Push- und Pullfaktoren) könnt ihr ein eigenes Thema aufmachen.
Sorry, habe das erst jetzt gelesen.
 
Bitte beendet diese Nebendiskussion und beachtet, dass Mimi77 nach dem American Dream gefragt hatte. Ich habe keine Ahnung, ob sie hier noch reinliest, aber gebt ihr Informationen, oder besser stellt ihr Fragen, die sie in ihrem Erkenntnisprozess leiten.

Hinweis zur Kenntnis genommen.

Wäre es möglich die Beiträge, die in Richtung Entwicklung der Agrarwirtschaft gehen ab #22 abzutrennen und in einen anderen Faden auszulagern? Ich würde das gerne weiter diskutieren, scheint mir ein interessates Thema zu sein.
 
Dann zurück zur Frage
Der "American Dream" ist eine Facette des Selbstverständnisses, des Selbstbildes und damit des Image der USA. Das hat inneramerikanisch Wirkungen auf die US-Amerikaner selbst (und damit logischerweise auch auf ihre Kultur), auf das Handeln ihrer Repräsentanten (in Diplomatie/Politik) aber auch auf das Bild anderer auf die USA (Immigrationsfrage udgl.)
Natürlich ist das auch wieder ein "Henne-Ei"-Problem in dem Sinne, dass der "American Dream" ja nicht im luftreeren Raum "herbeiphantasiert" wurde, sondern sich aufgrund der realen Gegebenheiten erst als Vorstellung entwickelte/verfestigte.
 
Nahrungsmittelkonsum pro Kopf 1500 Index 100. Lange Zeit bei 80, um 1850 kurz bei 60.
Wie ist das zu interpretieren ? Pflanzennahrung statt Fleisch/Fisch oder Hunger ?
Die Schätzmethode ist ziemlich indirekt: Es wird aus einigen Nahrungsmittelpreisen (für Brot, Bohnen, Butter, Fleisch, Eier, Bier) ein Presindex für Lebensmittel berechnet, und auch einer für andere Güter. Dann errechnet Pfister einen Durchschnittslohn. Diese Daten gehen in eine Nachfragefunktion nach Lebensmitteln ein, von der man weiß, dass sie vernünftige Ergebnisse liefert. Das Ergebnis ist dann der Pro-Kopf-Verbrauch an Lebensmitteln. Wenn da ein niedriger Wert herauskommt, ist zu vermuten, dass weniger teures Fleisch gekauft wurde, stattdessen mehr pflanzliche Lebensmittel.
 
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