Galgenpapst
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Mich interessieren sehr die Köpfstätten und Galgenanlagen des ausklingenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit bis etwa 1800 in Europa (besonders in Deutschland), die regelhaft vor den Stadtmauern und an den Amtsgrenzen deutlich sichtbar und zur Abschreckung aufgestellt waren; insbesondere interessieren mich diejenigen dieser Anlagen, die von Archäologen (Rechtsarchäologie) untersucht oder an denen bei anderen Tätigkeiten Knochenfunde oder Fundamente zu Tage getreten sind. Unten ein kleiner Text von mir zum Phänomen; für Hinweise auf ergrabene Richtstätten, die ihr vielleicht kennt, wäre ich dankbar!
Richtstätten des ausklingenden Mittelalters und der frühen Neuzeit im Fokus moderner Archäologie
Zu den eher seltenen archäologischen Befunden und Funden sind die Relikte von Richtstätten aus dem hohen und späten Mittelalter und der Frühneuzeit zu rechnen. Sie fanden bislang im gesamten mitteleuropäischen Raum kaum Beachtung. Diese Miszelle möchte das Augenmerk auf dieses Thema lenken und das Interesse aufmerksamer Laien wecken.
Topographie
Die Richtstätten wurden regelmäßig an exponierten Stellen, etwa in Sichtweite vor den Stadtmauern, an Wegekreuzungen oder Ausfallstraßen, auf Anhöhen wie etwa dem "Galgenwald" bei Ellwangen oder künstlichen Aufschüttungen wie vor dem Obertor von Neuss angelegt. Oftmals kamen zu dieser Standortwahl weitere Kriterien hinzu: Die Nähe zu Leprosorien wie z.B. bei Interlaken und Aachen-Melaten, jüdischen Friedhöfen oder ähnliche Faktoren. Diese Standorte sollten - weithin sichtbar - die Blutsgerichtsbarkeit demonstrieren und eine abschreckende Wirkung auf potentielle Straftäter - im damaligen Verständnis der Menschen - haben. Oftmals wurden dabei aus arbeitsökonomischen Gründen vorgeschichtliche Grabhügel wie z. B. im südlichen Münster oder bei Hundisburg erneut genutzt. Kleinere Anlagen, etwa zweischläfrige oder dreipfostige Hochgerichte aus Holz, demonstrierten dabei ebenso Herrschafts- und Machtansprüche wie auch größere steinerne Anlagen oder gar raumgreifende, komplexe Bauten mit gemauerten Baufundierungen, sekundären Funktionsanlagen und Rechtsbezirken wie etwa in Emmenbrücke bei Luzern.
Typologie und Datierung
Grundsätzlich sind Richtstätten zu unterscheiden, die primär den Hinrichtungen mit dem Schwert und Beil (Dekapitationen) dienten, sogenannte Rondelle oder Rabensteine, und solche, an denen die Delinquenten mit der Kette oder dem Seil durch Erhängen vom Leben zum Tode befördert wurden. Unter anderem aus diesem Grunde verfügten größere Städte zumeist über zwei Richtstätten. Größere Gemeinwesen, besonders wenn sie über spezielle Rechte oder Funktionen verfügten, unterhielten eher längerlebige und komplexe Richtstätten aus Stein, kleinere errichteten wohl ausschließlich hölzerne Einrichtungen. Innerhalb dieser groben Einteilung, die - abgesehen von regionalen Ausprägungen - sicher für ganz Mitteleuropa Gültigkeit besitzt, existierte eine große Bandbreite an Varietäten in Größe und Gestalt. An beiden Arten von Richtstätten wurden noch weitere Todesarten - zu denken ist an Rädern, Verbrennen, Pfählen usw. - und Leibesstrafen wie Verstümmeln usw. vollstreckt.
Die absolute Datierung von ergrabenen Richtstätten ist recht problematisch und muss - sofern sie mit archäologischen Mitteln erfolgt - oftmals vage bleiben: Die Fundamente und Pfostengruben sind überhaupt nur durch mitgefundene Scherben oder Ähnliches zeitlich anzusprechen. Die Skelette sind in den hier behandelten Jahrhunderten natürlich beigabenlos; geborgene Bestandteile der Kleidung wie Schnallen aus Metall oder Kleinfunde wie eiserne Messer sind typologisch nicht näher einzugrenzen. Erfolg versprechend sind dagegen naturwissenschaftliche Datierungsverfahren - ein bemerkenswerter singulärer Skelettbefund aus Hessen konnte so in die 2. Hälfte des 11. bis in die 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert werden - und historisch überlieferte Daten. Relative chronologische Aspekte dagegen erschließen die Abfolge der Bestattungen wie die Belegungsabfolge an solchen Fundplätzen bzw. der baulichen Ensemble wie etwa Erneuerungen oder Reparaturen an den Hochgerichten.
Überlieferung - Art und Umfang
Neben Schriftquellen und erhaltenen Ruinen solcher Lokalitäten - als eindrucksvolles Beispiel sei der dreischläfrige Steingalgen von Beerfelden im Odenwald genannt - zeugen historische Karten, Einzeldarstellungen und Flurnamen von der einstigen Existenz solcher Stätten. Kleinräumige Untersuchungen zeigen u.a. ihre Quantität: Es müssen Zehntausende in Mitteleuropa gewesen sein! Wissenschaftlich befriedigend ergraben wurden jedoch nur ausgesprochen wenige von ihnen, angegraben und aus heutiger Sicht nur völlig unzureichend dokumentiert einige weitere dieser Bodenurkunden. Dem Verfasser sind mittlerweile mehr als fünfzig Plätze dieser Art im deutschsprachigen Raum und den angrenzenden Ländern bekannt, die archäologische Befunde oder Funde geliefert haben.
Es liegen aber auch räumlich isolierte Befunde früher Strafrechtspflege - als Beispiele seien Rellinghausen, Friedland oder Buttisholz genannt - und für den hier zu betrachtenden Kontext zweifelhafte Beobachtungen wie beispielsweise aus Bremen vor. Auch Moorleichenfunde mögen teilweise in dem hier zu behandelnden Zusammenhang der Rechtsarchäologie zu sehen sein; auf sie wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.
Forschungsgeschichte und Übersicht
Schon früh stieß man gelegentlich auf die Fundamente von Richtstätten und/oder zugehörigen Skelettbefunden. Die hierüber angefertigten Notizen sind oftmals für die heutige Wissenschaft nur noch von forschungsgeschichtlichem Wert; allenfalls vermögen sie Anregungen zu Nachgrabungen geben. Wenige Beispiele mögen dies belegen: Als im Jahre 1471 in Augsburg die Gruben unter dem Galgen geöffnet wurden, fand man 250 Schädel von Gehenkten, während gleichzeitig noch 32 Diebe am Galgen hingen! Im Jahre 1901 stieß man bei der Planierung des Essener Richtplatzes an der Steeler Straße auf die Reste des einstigen Galgens und auf fünf Skelette. Bereits Jahre zuvor, anno 1874, hatte man ebendort beim Einebnen einer Wiese mehrere Skelette gefunden; überliefert sind diese Fakten nur durch zwei Jahre später angefertigte Zeitungsartikel. Wohl um eine gezielte "Nachgrabung" handelte es sich, die Otto von Uechtritz "im und am Galgen" von Goldentraum durchführte, "wobei Knochenreste der dort verscharrten Uebeltäter zu Tage gefördert wurden". Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden nahe Querfurt bei Grockstedt mehrere prähistorische Grabhügel geöffnet; in einem fand sich "ein männliches Skelett", dessen "Kopf ... neben dem Skelette lag, mit grosser Wahrscheinlichkeit die Ueberreste eines Geköpften. Am ... Rande des Hügels wurden noch zwei sehr wohlerhaltene Skelette aufgedeckt: ein weibliches, auf dem Antlitz liegendes, mit schön geformtem Schädel: die auf dem Rücken gekreuzten Arme liessen vermuthen, dass eine Gehängte hier ihre Ruhestatt gefunden hatte, ..." . Diese Auflistung könnte beliebig fortgesetzt werden. Ziel dieser frühen archäologischen Bodeneingriffe (19. Jahrhundert) waren prähistorische Bestattungen in Grabhügeln: man grub nach Urnen als anschaulichen Ausstellungsstücken für kleine lokale Museen und stieß bei diesem Vorgehen zuerst auf diese jüngeren Spuren aus dem Mittelalter und der Neuzeit. Nicht immer barg man zur damaligen Zeit diese unerwarteten und wohl auch unerwünschten Funde, und nur selten dokumentierte man die Auffindungssituation; ins Detail gehende Beschreibungen kamen gar nicht vor. Auch eine Aufarbeitung der Ergebnisse unterblieb zumeist.
1940 machte dann H. Schwieger auf einen Richtstättenbefund bei Steyerberg in "Die Kunde" aufmerksam. Seine Notbergung hatte einen hölzernen Galgenfuß und ein humanes Skelett freigelegt, bei dem der Schädel zwischen den Oberschenkeln liegend angetroffen wurde. 1945/46 wurde durch den Archäologen P. V. Glob in Slots Bjærgby / DK eine Richtstätte mit Resten der Fundamentierung, Hinrichtungsopfern und Sonderbefunden umfassend ergraben und wenig später vorbildlich publiziert. Beide Ausgräber hatten die angetroffenen Befunde richtig erkannt und ebenso zügig als auch vorbildlich veröffentlicht; ihre Erkenntnisse blieben dennoch weithin unbeachtet. Ein Vierteljahrhundert später (1970/71) wurden in Salzhausen zahlreiche Verlochungen einer Richtstätte freigelegt; auch hier stieß man auf Hinweise auf ein Hochgericht. Diese aufschlussreichen Erkenntnisse blieben allerdings unveröffentlicht. 1991 wurden dort dann erneut Untersuchungen durchgeführt; eine Vorlage der Ergebnisse erfolgte allerdings erst Jahre später. In Spiez gelang 1984 auf archäologischem Wege erneut ein skelettaler Befund einer historischen Enthauptung. Ein weiterer interessanter Befund von der Insel Seeland konnte 1985 bei Næstved/DK untersucht werden; auch hier harrte die Dokumentation lange Jahre ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung. Aufgedeckt worden war neben weiteren Befunden eine große Grabgrube, die vier Skelette enthielt, die mit zeitlicher Verzögerung nach den erfolgten Dekapitationen in dieser entsorgt wurden.
Die Fachwelt wurde auf die Fundgattung der Richtplätze dann durch die vorbildliche Ausgrabung der Anlage Emmen bei Luzern ab 1987 aufmerksam. Großflächig freigelegt wurden die große Hochgerichtsanlage mit Rechtsbezirk usw., zahllose Verlochungen der Gerichteten, sowie Befunde, die die Lokalität zudem als Wasenplatz - also Abdeckerei - auswiesen. Die Publikationen zu diesem Platz setzten europaweit Maßstäbe und interdisziplinäre Beiträge führten zu äußerst beachtenswerten Erkenntnissen. Spätestens mit dieser Fachveröffentlichung war die Fachwelt sensibilisiert und auch die interessierte Öffentlichkeit nahm über zahlreiche Medienberichte von dieser vielleicht makaberen archäologischen Fundgattung Kenntnis. In Matten bei Interlaken konnten dann zu Beginn der 1990er Jahre zwei Pfeilerfundamente der Richtstätte, bauliche Relikte der Umfassungsmauer und unter dem Galgen ein verlochtes Skelett freigelegt werden. Auf dem Galgenberg in Ellwangen wurden etwa zur gleichen Zeit drei massive Bruchsteinfundamente freigelegt, die zu einem dreipfostigen Galgen mit einer Seitenlänge von 4,50 m gehörten. In diesem begrenzten Bereich wurden mehrere Ganzkörperbestattungen, teils in Bauchlage in die Gruben eingebracht, sowie Teilskelette in vier Knochengruben entdeckt.
Befunde und Funde
Im folgenden Abschnitt werden exemplarisch einige Fundorte genauer vorgestellt, um aufzuzeigen, mit welchen Arten von Befunden und Funden zu rechnen ist. Der "Galgenberg" bei Hundisburg im Ohrekreis bezeichnet einen sandigen Höhenrücken, der ein Hügelgräberfeld birgt und wohl ab dem 13./14. Jahrhundert als Richtstätte diente. Historische Quellen hierzu liegen nicht vor. Grabungen fanden 1981 und zwischen 1983 und 1987 statt: Gesucht wurden urgeschichtliche Gräber, gefunden wurden mindestens vierzehn beigabenlose Skelette und Baureste der Richtstätte. Ältere Befunde waren in mehreren Fällen von runden Gruben, die teilweise Keilsteine enthielten, gestört; dabei handelte es sich um die Pfostengruben des einstigen hölzernen Galgens. Jeweils zwei Gruppen solcher Befunde verschiedener Größe konnten dokumentiert werden, die sich in einigem Abstand gegenüber liegen; sie lassen eine zweipfostige oder - unwahrscheinlicher - eine ungleichschenklig dreischläfrige Holzanlage als Rekonstruktion möglich sein. In beiden Fällen ist auf jeden Fall von einer Mehrphasigkeit auszugehen. Die Gräber lagen zum Teil unter dem so (rekonstruierten) Hochgericht. Die dort lieblos verlochten Leichname waren teilweise in Bauchlage in die Grube eingebracht worden; teilweise fehlten schon zu diesem Zeitpunkt Teile der Gliedmaßen. Die Ausrichtung der - schlecht erhaltenen - Skelette und die Orientierung der Kopflage in diesem ungeweihten Boden war willkürlich gewählt worden; von einer regelhaften und geordneten Lage kann keine Rede sein. Es dürfte sich um Hinrichtungsopfer des Galgens handeln; der Nachweis dieser Todesart ist anthropologisch nur schwer zu erbringen. Ähnliche Strukturen, die ebenfalls auf ein Hochgericht dieser Art schließen lassen, sind aus Salzhausen bekannt. Einige Gräber jedoch lassen auf die Strafe der Enthauptung schließen: Bei Grab 6 - der Leichnam war in Bauchlage verscharrt worden - lag der Schädel unter dem linken Arm; bei Grab 8 fand sich der Schädel zwischen beiden Armen in Höhe des Beckens.
Sogenannte Sonderbefunde lassen ebenfalls auf das einstige Geschehen an solchen Stätten schließen; zu denken beispielsweise ist an Beobachtungen, die als Reste von Scheiterhaufen anzusprechen sind und die von mehreren Grabungsorten mitgeteilt wurden. Ein seltener Befund stammt aus Langenfeld: Durch das Kalvarium einer grazilen Frau aus dem 16. - 18. Jahrhundert war - wohl mit einem Schlag - ein etwa 48 cm langer Eisennagel vom Scheitel bis in die Halsregion getrieben worden. Hier liegt ein Fall von Pfählung eines Schädels vor; ein Parallelfund ist seit 1931 aus Schlesien bekannt.
Fazit und Ausblick
Die vorstehende Miszelle hatte zum Ziel, auf Richtstätten des Mittelalters und der Neuzeit aufmerksam zu machen, die nur angegraben oder mit archäologischen Mitteln ausgiebig erforscht worden sind. Bis vor wenigen Jahrzehnten (etwa 1940) war Ersteres die Regel; zielgerichtete Untersuchungen solcher Fundstätten sind erst jüngeren Datums. Es sollte die Vielfältigkeit solcher Fundstätten dargestellt werden; dabei hat der Verfasser teilweise bisher unveröffentlichte Daten vorgelegt. Auch auf Sonderbefunde, die auf den ersten Blick nicht dieser Fundgattung der Rechtsarchäologie zuzuordnen sind, wurde verwiesen. Es sollte darüber hinaus deutlich gemacht werden, dass nur eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Rechtsgeschichte und -medizin, Anthropologie und anderen Fächern der Naturwissenschaften ergiebige Ergebnisse liefern kann.
Richtstätten des ausklingenden Mittelalters und der frühen Neuzeit im Fokus moderner Archäologie
Zu den eher seltenen archäologischen Befunden und Funden sind die Relikte von Richtstätten aus dem hohen und späten Mittelalter und der Frühneuzeit zu rechnen. Sie fanden bislang im gesamten mitteleuropäischen Raum kaum Beachtung. Diese Miszelle möchte das Augenmerk auf dieses Thema lenken und das Interesse aufmerksamer Laien wecken.
Topographie
Die Richtstätten wurden regelmäßig an exponierten Stellen, etwa in Sichtweite vor den Stadtmauern, an Wegekreuzungen oder Ausfallstraßen, auf Anhöhen wie etwa dem "Galgenwald" bei Ellwangen oder künstlichen Aufschüttungen wie vor dem Obertor von Neuss angelegt. Oftmals kamen zu dieser Standortwahl weitere Kriterien hinzu: Die Nähe zu Leprosorien wie z.B. bei Interlaken und Aachen-Melaten, jüdischen Friedhöfen oder ähnliche Faktoren. Diese Standorte sollten - weithin sichtbar - die Blutsgerichtsbarkeit demonstrieren und eine abschreckende Wirkung auf potentielle Straftäter - im damaligen Verständnis der Menschen - haben. Oftmals wurden dabei aus arbeitsökonomischen Gründen vorgeschichtliche Grabhügel wie z. B. im südlichen Münster oder bei Hundisburg erneut genutzt. Kleinere Anlagen, etwa zweischläfrige oder dreipfostige Hochgerichte aus Holz, demonstrierten dabei ebenso Herrschafts- und Machtansprüche wie auch größere steinerne Anlagen oder gar raumgreifende, komplexe Bauten mit gemauerten Baufundierungen, sekundären Funktionsanlagen und Rechtsbezirken wie etwa in Emmenbrücke bei Luzern.
Typologie und Datierung
Grundsätzlich sind Richtstätten zu unterscheiden, die primär den Hinrichtungen mit dem Schwert und Beil (Dekapitationen) dienten, sogenannte Rondelle oder Rabensteine, und solche, an denen die Delinquenten mit der Kette oder dem Seil durch Erhängen vom Leben zum Tode befördert wurden. Unter anderem aus diesem Grunde verfügten größere Städte zumeist über zwei Richtstätten. Größere Gemeinwesen, besonders wenn sie über spezielle Rechte oder Funktionen verfügten, unterhielten eher längerlebige und komplexe Richtstätten aus Stein, kleinere errichteten wohl ausschließlich hölzerne Einrichtungen. Innerhalb dieser groben Einteilung, die - abgesehen von regionalen Ausprägungen - sicher für ganz Mitteleuropa Gültigkeit besitzt, existierte eine große Bandbreite an Varietäten in Größe und Gestalt. An beiden Arten von Richtstätten wurden noch weitere Todesarten - zu denken ist an Rädern, Verbrennen, Pfählen usw. - und Leibesstrafen wie Verstümmeln usw. vollstreckt.
Die absolute Datierung von ergrabenen Richtstätten ist recht problematisch und muss - sofern sie mit archäologischen Mitteln erfolgt - oftmals vage bleiben: Die Fundamente und Pfostengruben sind überhaupt nur durch mitgefundene Scherben oder Ähnliches zeitlich anzusprechen. Die Skelette sind in den hier behandelten Jahrhunderten natürlich beigabenlos; geborgene Bestandteile der Kleidung wie Schnallen aus Metall oder Kleinfunde wie eiserne Messer sind typologisch nicht näher einzugrenzen. Erfolg versprechend sind dagegen naturwissenschaftliche Datierungsverfahren - ein bemerkenswerter singulärer Skelettbefund aus Hessen konnte so in die 2. Hälfte des 11. bis in die 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert werden - und historisch überlieferte Daten. Relative chronologische Aspekte dagegen erschließen die Abfolge der Bestattungen wie die Belegungsabfolge an solchen Fundplätzen bzw. der baulichen Ensemble wie etwa Erneuerungen oder Reparaturen an den Hochgerichten.
Überlieferung - Art und Umfang
Neben Schriftquellen und erhaltenen Ruinen solcher Lokalitäten - als eindrucksvolles Beispiel sei der dreischläfrige Steingalgen von Beerfelden im Odenwald genannt - zeugen historische Karten, Einzeldarstellungen und Flurnamen von der einstigen Existenz solcher Stätten. Kleinräumige Untersuchungen zeigen u.a. ihre Quantität: Es müssen Zehntausende in Mitteleuropa gewesen sein! Wissenschaftlich befriedigend ergraben wurden jedoch nur ausgesprochen wenige von ihnen, angegraben und aus heutiger Sicht nur völlig unzureichend dokumentiert einige weitere dieser Bodenurkunden. Dem Verfasser sind mittlerweile mehr als fünfzig Plätze dieser Art im deutschsprachigen Raum und den angrenzenden Ländern bekannt, die archäologische Befunde oder Funde geliefert haben.
Es liegen aber auch räumlich isolierte Befunde früher Strafrechtspflege - als Beispiele seien Rellinghausen, Friedland oder Buttisholz genannt - und für den hier zu betrachtenden Kontext zweifelhafte Beobachtungen wie beispielsweise aus Bremen vor. Auch Moorleichenfunde mögen teilweise in dem hier zu behandelnden Zusammenhang der Rechtsarchäologie zu sehen sein; auf sie wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.
Forschungsgeschichte und Übersicht
Schon früh stieß man gelegentlich auf die Fundamente von Richtstätten und/oder zugehörigen Skelettbefunden. Die hierüber angefertigten Notizen sind oftmals für die heutige Wissenschaft nur noch von forschungsgeschichtlichem Wert; allenfalls vermögen sie Anregungen zu Nachgrabungen geben. Wenige Beispiele mögen dies belegen: Als im Jahre 1471 in Augsburg die Gruben unter dem Galgen geöffnet wurden, fand man 250 Schädel von Gehenkten, während gleichzeitig noch 32 Diebe am Galgen hingen! Im Jahre 1901 stieß man bei der Planierung des Essener Richtplatzes an der Steeler Straße auf die Reste des einstigen Galgens und auf fünf Skelette. Bereits Jahre zuvor, anno 1874, hatte man ebendort beim Einebnen einer Wiese mehrere Skelette gefunden; überliefert sind diese Fakten nur durch zwei Jahre später angefertigte Zeitungsartikel. Wohl um eine gezielte "Nachgrabung" handelte es sich, die Otto von Uechtritz "im und am Galgen" von Goldentraum durchführte, "wobei Knochenreste der dort verscharrten Uebeltäter zu Tage gefördert wurden". Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden nahe Querfurt bei Grockstedt mehrere prähistorische Grabhügel geöffnet; in einem fand sich "ein männliches Skelett", dessen "Kopf ... neben dem Skelette lag, mit grosser Wahrscheinlichkeit die Ueberreste eines Geköpften. Am ... Rande des Hügels wurden noch zwei sehr wohlerhaltene Skelette aufgedeckt: ein weibliches, auf dem Antlitz liegendes, mit schön geformtem Schädel: die auf dem Rücken gekreuzten Arme liessen vermuthen, dass eine Gehängte hier ihre Ruhestatt gefunden hatte, ..." . Diese Auflistung könnte beliebig fortgesetzt werden. Ziel dieser frühen archäologischen Bodeneingriffe (19. Jahrhundert) waren prähistorische Bestattungen in Grabhügeln: man grub nach Urnen als anschaulichen Ausstellungsstücken für kleine lokale Museen und stieß bei diesem Vorgehen zuerst auf diese jüngeren Spuren aus dem Mittelalter und der Neuzeit. Nicht immer barg man zur damaligen Zeit diese unerwarteten und wohl auch unerwünschten Funde, und nur selten dokumentierte man die Auffindungssituation; ins Detail gehende Beschreibungen kamen gar nicht vor. Auch eine Aufarbeitung der Ergebnisse unterblieb zumeist.
1940 machte dann H. Schwieger auf einen Richtstättenbefund bei Steyerberg in "Die Kunde" aufmerksam. Seine Notbergung hatte einen hölzernen Galgenfuß und ein humanes Skelett freigelegt, bei dem der Schädel zwischen den Oberschenkeln liegend angetroffen wurde. 1945/46 wurde durch den Archäologen P. V. Glob in Slots Bjærgby / DK eine Richtstätte mit Resten der Fundamentierung, Hinrichtungsopfern und Sonderbefunden umfassend ergraben und wenig später vorbildlich publiziert. Beide Ausgräber hatten die angetroffenen Befunde richtig erkannt und ebenso zügig als auch vorbildlich veröffentlicht; ihre Erkenntnisse blieben dennoch weithin unbeachtet. Ein Vierteljahrhundert später (1970/71) wurden in Salzhausen zahlreiche Verlochungen einer Richtstätte freigelegt; auch hier stieß man auf Hinweise auf ein Hochgericht. Diese aufschlussreichen Erkenntnisse blieben allerdings unveröffentlicht. 1991 wurden dort dann erneut Untersuchungen durchgeführt; eine Vorlage der Ergebnisse erfolgte allerdings erst Jahre später. In Spiez gelang 1984 auf archäologischem Wege erneut ein skelettaler Befund einer historischen Enthauptung. Ein weiterer interessanter Befund von der Insel Seeland konnte 1985 bei Næstved/DK untersucht werden; auch hier harrte die Dokumentation lange Jahre ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung. Aufgedeckt worden war neben weiteren Befunden eine große Grabgrube, die vier Skelette enthielt, die mit zeitlicher Verzögerung nach den erfolgten Dekapitationen in dieser entsorgt wurden.
Die Fachwelt wurde auf die Fundgattung der Richtplätze dann durch die vorbildliche Ausgrabung der Anlage Emmen bei Luzern ab 1987 aufmerksam. Großflächig freigelegt wurden die große Hochgerichtsanlage mit Rechtsbezirk usw., zahllose Verlochungen der Gerichteten, sowie Befunde, die die Lokalität zudem als Wasenplatz - also Abdeckerei - auswiesen. Die Publikationen zu diesem Platz setzten europaweit Maßstäbe und interdisziplinäre Beiträge führten zu äußerst beachtenswerten Erkenntnissen. Spätestens mit dieser Fachveröffentlichung war die Fachwelt sensibilisiert und auch die interessierte Öffentlichkeit nahm über zahlreiche Medienberichte von dieser vielleicht makaberen archäologischen Fundgattung Kenntnis. In Matten bei Interlaken konnten dann zu Beginn der 1990er Jahre zwei Pfeilerfundamente der Richtstätte, bauliche Relikte der Umfassungsmauer und unter dem Galgen ein verlochtes Skelett freigelegt werden. Auf dem Galgenberg in Ellwangen wurden etwa zur gleichen Zeit drei massive Bruchsteinfundamente freigelegt, die zu einem dreipfostigen Galgen mit einer Seitenlänge von 4,50 m gehörten. In diesem begrenzten Bereich wurden mehrere Ganzkörperbestattungen, teils in Bauchlage in die Gruben eingebracht, sowie Teilskelette in vier Knochengruben entdeckt.
Befunde und Funde
Im folgenden Abschnitt werden exemplarisch einige Fundorte genauer vorgestellt, um aufzuzeigen, mit welchen Arten von Befunden und Funden zu rechnen ist. Der "Galgenberg" bei Hundisburg im Ohrekreis bezeichnet einen sandigen Höhenrücken, der ein Hügelgräberfeld birgt und wohl ab dem 13./14. Jahrhundert als Richtstätte diente. Historische Quellen hierzu liegen nicht vor. Grabungen fanden 1981 und zwischen 1983 und 1987 statt: Gesucht wurden urgeschichtliche Gräber, gefunden wurden mindestens vierzehn beigabenlose Skelette und Baureste der Richtstätte. Ältere Befunde waren in mehreren Fällen von runden Gruben, die teilweise Keilsteine enthielten, gestört; dabei handelte es sich um die Pfostengruben des einstigen hölzernen Galgens. Jeweils zwei Gruppen solcher Befunde verschiedener Größe konnten dokumentiert werden, die sich in einigem Abstand gegenüber liegen; sie lassen eine zweipfostige oder - unwahrscheinlicher - eine ungleichschenklig dreischläfrige Holzanlage als Rekonstruktion möglich sein. In beiden Fällen ist auf jeden Fall von einer Mehrphasigkeit auszugehen. Die Gräber lagen zum Teil unter dem so (rekonstruierten) Hochgericht. Die dort lieblos verlochten Leichname waren teilweise in Bauchlage in die Grube eingebracht worden; teilweise fehlten schon zu diesem Zeitpunkt Teile der Gliedmaßen. Die Ausrichtung der - schlecht erhaltenen - Skelette und die Orientierung der Kopflage in diesem ungeweihten Boden war willkürlich gewählt worden; von einer regelhaften und geordneten Lage kann keine Rede sein. Es dürfte sich um Hinrichtungsopfer des Galgens handeln; der Nachweis dieser Todesart ist anthropologisch nur schwer zu erbringen. Ähnliche Strukturen, die ebenfalls auf ein Hochgericht dieser Art schließen lassen, sind aus Salzhausen bekannt. Einige Gräber jedoch lassen auf die Strafe der Enthauptung schließen: Bei Grab 6 - der Leichnam war in Bauchlage verscharrt worden - lag der Schädel unter dem linken Arm; bei Grab 8 fand sich der Schädel zwischen beiden Armen in Höhe des Beckens.
Sogenannte Sonderbefunde lassen ebenfalls auf das einstige Geschehen an solchen Stätten schließen; zu denken beispielsweise ist an Beobachtungen, die als Reste von Scheiterhaufen anzusprechen sind und die von mehreren Grabungsorten mitgeteilt wurden. Ein seltener Befund stammt aus Langenfeld: Durch das Kalvarium einer grazilen Frau aus dem 16. - 18. Jahrhundert war - wohl mit einem Schlag - ein etwa 48 cm langer Eisennagel vom Scheitel bis in die Halsregion getrieben worden. Hier liegt ein Fall von Pfählung eines Schädels vor; ein Parallelfund ist seit 1931 aus Schlesien bekannt.
Fazit und Ausblick
Die vorstehende Miszelle hatte zum Ziel, auf Richtstätten des Mittelalters und der Neuzeit aufmerksam zu machen, die nur angegraben oder mit archäologischen Mitteln ausgiebig erforscht worden sind. Bis vor wenigen Jahrzehnten (etwa 1940) war Ersteres die Regel; zielgerichtete Untersuchungen solcher Fundstätten sind erst jüngeren Datums. Es sollte die Vielfältigkeit solcher Fundstätten dargestellt werden; dabei hat der Verfasser teilweise bisher unveröffentlichte Daten vorgelegt. Auch auf Sonderbefunde, die auf den ersten Blick nicht dieser Fundgattung der Rechtsarchäologie zuzuordnen sind, wurde verwiesen. Es sollte darüber hinaus deutlich gemacht werden, dass nur eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Rechtsgeschichte und -medizin, Anthropologie und anderen Fächern der Naturwissenschaften ergiebige Ergebnisse liefern kann.