August 1944: Vergleich der Aufstände in Paris und Warschau gegen die dt. Besatzung

Wäre es in der Kürze der Zeit überhaupt technisch möglich gewesen Paris großflächig zu zerstören und hätte das vom militärischen Standpunkt her irgendeinen Sinn ergeben,

Vom militärischen Standpunkt hätte es keinen Sinn gegeben, da der Rückzug durch diese Region von Paris erschwert worden wäre.

Es war allerdings durchaus ein Potential vorhanden, einen massiven Terrorangriff auf Paris zu fliegen. Dessloch, der OB der 3. Luftflotte hatte in 150 km Entfernung von Paris ca. 150 Bomber zur Verfügung. Und er hatte Choltitz angeboten, die Bomber einzusetzen. Und Choltitzt hatte dieses Angebot ignoriert.

Jeder Bomber hätte in einer Nacht ca. 10 Flüge machen können, sodass insgesamt 1500 "Einsätze" über dem Ziel vorhanden gewesen wären. Damit hätte man den nordöstlichen Teil von Paris nachhaltig zerstört und ein "kleines Hamburg" veranstaltet.

Von Choltitz wollte seine Zukunft als zukünftiger Gefangener verschonen, sonst hätte er in Paris wie in Rotterdam Zerstörungen durchgeführt.

Kommen wir zu den Fakten: "Since 1944, the reason behind Choltitz`s willingness to negotiate have been subject of debate. Did he wish to spare the lives of innocent women and children, or was he afraid that he no longer had the strength to crush the Resistance? Choltitz`s later said that both were true." (Mitchham, S. 187)

Ergänzen sollte man, dass seine Biographie ihn als "tapferen" und im Stadt- bzw. Festungskampf erfahrenen Kommandeur kennzeichnet. Und es ist zu ergänzen, dass er als früherer "Page" der sächsischen König durchaus als ein "kultivierter" Soldat beschrieben wird, dem die glänzende Geschichte von Paris durchaus etwas bedeutete.

Im Hinterkopf muss man zudem behalten, dass es zu einem "verstörenden" Auftritt des "Führer" in Rastenburg kam und zu dem Ergebnis führte, dass Choltitz an ihm zu zweifeln begann. Verstärkt durch ein - zufälliges - Treffen mit Ley, der Choltitzt die Einführung der "Sippenhaftung" erzählte. (Mitchham, S. 183-184)

Ich denke jedoch, dass Paris für die Deutschen kein interessantes militärisches Ziel war und dass sie sich besser zurückziehen sollten, um eine neue Verteidigungslinie zu etablieren.

Die Fakten sind ein wenig anders. Bis zum 21. August hatte Speidel im Bericht der Armeegruppe festgestellt, dass die Alliierten lediglich im Südosten von Paris mit Aufklrungseinheiten aufgeklärt worden sind. (Wood, S. 192). Die Stadt hatte als "Festung" und als zentrale Logistikdrehscheibe für Frankreich eine hohe Bedeutung. Zudem waren die ca. 70 Übergänge - alleine in Paris - über die Seine für den Rückzug der WM von hoher Bedeutung und gleichzeitig mußte den US-Streikräften der Übergang über die Brücken erschwert werden.

Unabhängig davon gab es zwei Positionen. Model war vor dem 23.08. zur Einsicht gekommen, dass Paris nicht gegen einen äußeren militärischen Angriff und gegen eine innere Revolution gehalten werden kann und hatte den Aufbau einer östlicheren Verteidigungslinie beabsichtigt. Den 42 Panzern der 5. Panzer Armee standen dabei ca. 3900 Tanks der Alliierten (ca. 20:1) gegenüber. In der Luft verfügte die 3. Luftflotte ca. 573 Flugzeuge, denen ca. 14.000 Flugzeuge gegenüber standen. (Wood, S. 196)

Die Bedeutung und die Gefahr von Brücken während des Rückzugs kann man daran erkennen, dass Dietrich nach dem Krieg behauptete, dass an den dichtgedrängten Kolonen beim Übergang über die Seine durch Fliegerbeschuss ähnlich viele Fahrzeuge verloren gegangen sind wie im Kessel von Falaise.

Dieser Sicht widersprach der Hitler am 23.08 mit dem ausdrücklichen Befehl die Großzone Paris zu halten. (Mitchham, S. 189)

Die zentrale militärische Bedeutung von Paris für die Verteidigung des "Reichs" wird an dem Berich von Model an Keitel vom 24.08 deutlich, in der er Paris zum Ausgangspunkt für weitere offensive Aktionen der Allierten in nahezu alle Richtungen zum "Reich" für wahrscheinlich hielt. (Wood, S. 205ff)

Der Fall von Paris war für die einen ein psychologischer Gewinn und für die anderen ein Verlust. Neben dieser psychologischen Ebene war jedoch die logistische Konsequenz für die Alliierten im negativen Sinne sehr nachhaltig. Die ohnehin angespannte Lage bei der Versorgung mit Kraftstoff für die kämpfenden Verbände - vor allem für Patton - wurde deutlich verschärft, da Paris mit 3,5 Mio Zivilisten zusätzlich versorgt werden mußte.

In diesem Sinne war der Verlust von Paris für den Rückzug der WM ein Zeitgewinn und erklärt auch das "Wunder im Westen".

Mitcham, Samuel W. (2007): Retreat to the Reich. The German defeat in France. 1st ed. Mechanicsburg, PA.: Stackpole Books
Wood, James Allen (op. 2007): Army of the West. The weekly reports of German Army Group B from Normandy to the West Wall. Mechanicsbourg: Stackpole Books
 
Ihre Präsentation ist sehr interessant und hat mir einige Fakten beigebracht, die ich nicht kannte. Ich bezweifle jedoch immer noch viele Erklärungen, die deutsche Generäle nach dem Krieg gegeben haben.
 
Ihre Präsentation ist sehr interessant und hat mir einige Fakten beigebracht, die ich nicht kannte. Ich bezweifle jedoch immer noch viele Erklärungen, die deutsche Generäle nach dem Krieg gegeben haben.

Die bezweifle ich auch (vgl. die erste kritische Sicht bei Liddell Hart). Und das sicherlich ein Commonsense im Forum. Und deswegen ist es hilfreich, möglichst viele unterschiedliche Sichten und Interpretationen des Verhaltens zu kennen.

Allerdings habe ich bisher keinen Autor gefunden, der Choltitzt der Lüge bezichtigt und ihn auch überführt hätte. Einschränkend ist natürlich zu sagen, dass mein Kenntnisstand auch nur begrenzt ist. Ansonsten: Seine Verhaltensweise und das, was er sagt, paßt zu den bekannten Fakten.

Liddell Hart, Basil Henry (1965): Deutsche Generale des Zweiten Weltkriegs. Aussagen, Aufzeichnungen u. Gespräche. München: Heyne (Heyne-Bücher 19 Heyne-Sachbuch, 32).
 
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Mein Wissensstand ist ebenfalls begrenzt, aber ich weiß, dass Von Choltiz nach dem Krieg sagte, er habe Paris nicht zerstört, weil er diese Stadt und ihre Menschen sehr mochte. Diese Erklärung erscheint mir nicht glaubwürdig.
 
Diese Erklärung erscheint mir nicht glaubwürdig.

Gut. Wie wäre es, wenn Du Deine kritische Sicht auf die Glaubwürdigkeit von Choltitz heranziehst und Deine eigene subjektive Meinung ebenso kritisch hinterfragst. Oder Dich um weitere Fakten, sprich Literatur bemühst.

Wiki sagt in Anlehnung an Neitzel, der ausführlich hier im Forum diskutiert wurde, über Choltitz folgendes:
"Außerdem war Choltitz einer der wenigen Generäle, die sich zu ihrer persönlichen Verantwortung bekannten. FN 17"
17. Sönke Neitzel: Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942–1945. S. 54.
 
Er gibt auch zu, an der Ausrottung der Juden während des russischen Feldzugs teilgenommen zu haben. Aber ich werde wahrscheinlich weiterlesen müssen.
 
Der General Choltitz ist als POW in Trent Park gewesen und wurde heimlich abgehört. Aus dieser Zeit sind eine Reihe von Äußerungen vorhanden, die er gegenüber befreundeten oder vertrauten Mit-Gefangenen gemacht hat, wie beispielsweise Eberbach.

Dass Choltitz kritisch gegenüber dem Regime war und seine Rolle im Verlauf des Krieges zunehmend kritisch reflektiert hatte, darauf wurde mit Bezug auf Neitzel hingewiesen. (vgl. z.B. S. 54 oder 59)

Die Person wird in Welzer u.a. - "Dietrich von Choltitz. ein typischer Wehrmachtsgeneral? - von Treutlein und Neitzel (S. 171-195) anhand der Abhörprotokolle beschrieben. Er wird als reflektierte Person geschildert und als Soldat, der militärische Zweckmäßigkeit über ethische Überlegungen gestellt hatte.

Er stand dem Widerstand nahe, wußte über die Pläne Bescheid und lehnte eine Beteiligung als aktiver Soldat ab. Gleichzeitig setzte er sich in Frankreich für eine korrekte Behandlung der Zivilsten ein, um sie davon abzuhalten zur Resistance zu gehen. Und hatte eine hohe Distanz zum NS-System, deren Vertreter er als "Kotzpillen" bezeichnete.

Insgesamt waren seine Äußerungen - so Neitzel und Welzer - offen, selbstkritisch, systemkritisch und er wurde dafür von anderen Soldaten angefeindet.

Vor diesem Hintergrund kann man in der Motivation bei Choltitz ein Bündel von Gründen erkennen, warum er Paris nicht in ein Stalingrad verwandeln wollte. Aus rationalen militärischen Gründen (Model hatte Paris ebenfalls schon "abgeschrieben"), aus ethischen Überlegungen und aus persönlichen Zweckmäßigkeitsüberlegungen.

Aber seinen Äußerungen wird man insgesamt in ihrer Ehrlichkeit ein relativ hohes Maß an Vertrauen schenken dürfen im Gegensatz zu anderen NS-Generalen oder Personen wie Speer, die erst sehr spät an entscheidender Position zum "NS-Gegner" konvertierten. Und deren Selbstzeugnisse deutlich den Versuch einer Rechtfertigung bzw. Exkulpation aufweisen.

Neitzel, Sönke (2018): Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942-1945. Unter Mitarbeit von Ian Kershaw. Erweiterte und überarbeitete Ausgabe im List Taschenbuch, 7. Auflage. Berlin: List Taschenbuch
Welzer, Harald; Neitzel, Sönke; Gudehus, Christian (Hg.) (2011): "Der Führer war wieder viel zu human, viel zu gefühlvoll". Der Zweite Weltkrieg aus der Sicht deutscher und italienischer Soldaten. . Frankfurt, M.: Fischer-Taschenbuch-Verl.
 
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Vielen Dank für Ihre Informationen, die zu zeigen scheinen, dass Von Choltitz 'Persönlichkeit komplexer war, als man gedacht hätte.
 
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