Nagut, offensichtlich kommt da nichts mehr und "Geschi123" hätte auch die vielen Beiträge zu dem Thema im Forum lesen können, um sich ein differenziertes Wissen anzueigenen.
Deshalb doch eine kurze Anmerkung zu Kriegszielen, ideologische Prämissen und historische Erfahrungen, die bei der Formulierung des VV - auch!! - eine Rolle gespielt haben. Auch deshalb, weil man auch in diesem Forum gerne übersieht wie heterogen, widersprüchlich und zufällig die inhaltlichen Positionen der beteiligten Verhandlungsführer waren (vgl. dazu beispielswese die Einleitung durch Boemeke, Feldman, und Gläser)
Grundsätzlich: Man kann das Thema so behandeln, dass man die alldeutsche radikale, nationalistische Kritik nach 1918 reproduziert oder sich dem Thema ein wenig kritischer und analytischer nähern. Und damit auch die Erkenntnis verarbeiten, daß nach 1918 in der Weimarer Republik gezielt die Ereignisse um den WW1 in der Öffentlichkeit manipuliert worden sind, angefangen vom Kriegsbeginn, der Dolchstoßlegende und der Bewertung des VV (vgl. dazu Herwig)
Und methodisch betrachtet, vor allem nicht die Analyse auf Zitate basieren, die im Kontext der dubiosen Thesen eines Schultze-Rhonhoff prominent auch zu finden sind. Und damit stellt sich auch die methodische Frage wie Zitate immanent und analytisch in ihrem historischen Kontext eigentlich einzuschätzen waren. Und sie nicht aus dem Zusammenhang gerissen für die eigene Argumentation sinnentstellend zu instrumentalisieren wie beispielsweise Schultze-Rhonhoff u.a. es gerne tun.
Es ist zutreffend, die USA / Wilson und Teile der englischen Eliten wollten einen Systemwechsel in Deutschland als Ergebnis der Krieges erreichen. Damit deckte sich dieser Anspruch mit der Sicht vor allem in der deutschen Sozialdemokratie und deshalb begrüßte vor allem sie die Vorschläge von Wilson.
Der Motivation lagen ein Geflecht unterschiedlicher Aspekte zugrunde. Ging es Wilson auch um die zukunftsorientierte Vision einer Völkergemeinschaft, die ihre Konflikte durch Moderation statt durch Krieg löst, war die ähnlich gelagerte Perspektive der Briten pragmatischer. Sie wollte die bellizistische Motivation eines potentiellen Rivalen – in diesem Fall Deutschlands - „dämpfen“.
Das dieser Vorstellung zugrundeliegende zentrale ideologische Konstrukt war dabei die – begründete – Annahme, dass parlamentarische Demokratien deutlich höhere Hürden per demokratischer Entscheidung implementiert haben wie autokratische politische Systeme. Und deswegen sollte ein politisches Regime in Deutschland installiert werden, in dem der preußische Militarismus durch demokratische parlamentarische Mechanismen unter Kontrolle gehalten werden sollte.
Dieses vor dem Hintergrund, dass weder Frankreich, noch GB oder die USA aufgrund innenpolitischer Restriktionen fähig gewesen wären, einen „Angriffskrieg“ im Jahr 1914 zu beschließen. Es bot sich lediglich die Option des „Defensivkrieges“ an, um die Öffentlichkeit für einen Krieg zu mobilisieren. Und erst der Einmarsch beispielsweise der Deutschen Armee via Belgien in Frankreich einigte die antagonistischen politischen Organisationen in Frankreich und machte sie kriegsbereit.
Eine Erkenntnis, die durch vielfältige Studien zwischenzeitlich belegt ist, dass „Demokratien“ untereinander keine Kriege führen (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Betrachtet man zusätzliche einen weiteren wichtigen Punkt, der als historischer Benchmark zur Beurteilung der Angemessenheit der Bedingungen des VV dienen kann, dann hilft ein kurzer Blick in die Historie der Art der „Friedensschlüsse“ , die Preußen bzw. das „kleindeutsche Reich“ abgeschlossen hatte bis 1918. Diese Art der Friedensabkommen waren „maßlos“ und „maßvoll“ gleichermaßen. Stark abhängig davon, welche Optionen dem ursprünglichen Gegner in der Zukunft zur Verfügung standen und welche welche die deutsche Außenpolitik ihm für die Zukunft zudachte.
In diesem Sinne waren die „Friedensabkommen“ mit Dänemark von 1864, das ca 30 Prozent seines ursprünglichen Staatsgebiets verlor und damit auch 2/5 tel seiner Bevölkerung und der Vertrag von Brest Litowsk mit der neu gegründeten Sowjetunion und harten Bedingungen, sehr harte und sicherlich nicht maßvolle Vertragsabschlüsse.
Eine mittlere Position nahm der Friedensvertrag mit Frankreich von 1871 ein, der harte Bedingungen enthielt, aber dennoch als maßvoll eingestuft werden kann, um die Verbitterung in Frankreich nicht auf die Spitze zu treiben.
Den maßvollsten Friedensvertrag schloß Preußen nach dem Krieg mit Österreich 1866 ab, da ihm bereits für die Zukunft die Rolle eines potentiellen Verbündeten zufiel.
Auch vor diesem Kontext sollte man die Bedingungen bewerten, die dem Deutschen Reich bzw. der Weimarer Republik aufgebürdet worden sind.
Und in diesem Kontext darf man erwähnen, dass es nicht glaubwürdig ist, wenn man als Vertragspartner harte Verträge aus einer Position der Stärke – wie gegen Dänemark oder die Sowjetunion – aushandelt und dann kindisch rumheult, wenn man selber das Objekt einer harten Verhandlungsführung wird.
Das Deutsche Reich hätte im neunzehnten Jahrhundert die Möglichkeit gehabt, „weise“ Friedensabschlüsse zu formulieren, wie mit Österreich-Ungarn und damit ein richtungsweisendes Beispiel geben. Hat man aber nicht, sondern vielmehr das Recht des Stärkeren noch im WW1 betont. Wie drastisch im Fall der Nichtachtung der belgischen Neutralität von KW II. deutlich betont.
Diese Betrachtungen bzw. der Widerspruch zu den beiden bisherigen Äußerungen in diesem Thread lassen die komplexen Bedingungen der Verhandlungsführung im Rahmen der Friedensverhandlungen außen vor, wie sie von Boemeke, Feldmann und Glaser in der Einführung zu einem Standardwerk zum VV deutlich machen.
Boemeke, Manfred F.; Feldman, Gerald D.; Gläser, Elisabeth (Hg.) (1998): The Treaty of Versailles. A reassessment after 75 years. Washington, D.C., Cambridge, UK, New York, NY: German Historical Institute; Cambridge University Press (Publications of the German Historical Institute).
Herwig, Holger W. (1996): Clio deceived: Patriotic self-censorship in Germany after the Great War. In: Keith Wilson (Hg.): Forging the Collective Memory. Government and International Historians through Two World Wars. New York, NY: Berghahn Books, S. 87–127.