Ja das Mittelalter war sehr stark von Religiösität geprägt, so stark wie wir es uns heute in unserer aufgeklärten Zeit nicht mehr vorstellen können.
Grundsätzlich hast du nicht Unrecht. Trotzdem würde ich das inzwischen wieder relativieren wollen, wenn ich mir den Nahen Osten [nicht Mittlerer Osten – so ein Quatsch von Amerikanismus] und die Unruhe im Islam ansehe. Die Versuche der „Kreationisten“ zeigen mir, dass m.E. Religion dabei ist, eine wichtige Rolle auch im europäischen Leben wieder einzunehmen. Das braucht hoffentlich nicht so düster zu werden wie das meine Stichpunkte implizieren mögen.
Erm, die Französische Revolution als Ende des Mittelalters? Klar das Franzosen das gerne so sehen, leiden sie ja meist sehr selten an Unterstatement für ihre nationalen Leistungen…
Okay, ich werde wieder Ernst. Es gibt viele interessante Daten die man als Fixpunkte annehmen könnte. Dazu gehört auch die Entstehung des Islam, die Entdeckung Amerikas, die kirchliche Spaltung durch die gescheiterte Reformation und vieles mehr.
Ich persönlich ordne das Mittelalter ein zwischen zwei Eckpunkten die beide mit dem Römischen Reich zu tun hatten, nämlich mit dem Jahre 378 (Adrianopel/Hunnen) und dem Untergang – beziehungsweise dem endgültigen Scheitern seiner „Nachfolgereiche“. Der Untergang wäre 1453 (Byzantinisch/Oströmisches Reich) und das Scheitern eines universellen Reichsgedanken im Westen. Der westliche Reichsgedanke ist die ideologische Basis für das Heilige Römische Reich mit seinen Wurzeln bis mindestens Karl dem Großen. M.E. scheiterte er mit dem Abdanken des letzten „universellen Kaisers“ Karl V. im Jahre 1556.
Muss ich das Datum 1453 nicht kommentieren, so doch die beiden anderen Daten?
Das Heilige Römische Reich befand sich seit langer Zeit in einer Phase in der die Territorialfürsten sich in jeder Beziehung von dem Reich emanzipierten. Dazu kam die Kirchenspaltung, ausgelöst durch die Reformationsbestrebungen Martin Luthers, denn die gemeinsame Religion war sehr wichtig für ein Reich in dem die Kirche an vielen Orten auch selbst eine Territorialmacht war. Dazu der Bauernkrieg, wo ebenfalls zwar meist der Kaiser ideologisch akzeptiert wurde, aber nicht die „Pfaffen“ und die Territorialfürsten. Dann der durch von Hutten mit entsprechender intellektueller Spannkraft angereicherte „Ritteraufstand“ um Franz von Sickingen (mit dem Ziel zwischen Kaiser und Ritterschaft keine Territorialfürsten mehr zu dulden) und dergleichen mehr. Karl V. hatte mit seiner Dynastie eine Basis und den festen Willen wieder ein gemeinsames Fundament für das Heilige Römische Reich zu Begründen und die „Missentwicklungen“ der letzten Jahrzehnte zurückzudrängen. Im Gegensatz zu seinen Vorfahren und Nachfolgern hatte er vielleicht als Einziger auch das Potential dieses Reich wieder zu festigen. Sein Versuch scheiterte, nicht zuletzt auch an seinem Idealismus und den weit gespannten Zielen die auch in seiner Basis gewaltig die Unruhen anheizten (Niederlande).
Warum Adrianopel? Erst vor wenigen Tagen habe ich geschrieben, man könne vielleicht auch mit dem Jahre 711 (Untergang des Westgotischen Reiches gegen die islamischen Mauren) die Spätantike enden lassen. Adrianopel ist ein Sinnbild für das Scheitern des Römischen Reiches. Seit Jahrhunderten dominierte es nicht nur Europa, seine Staatsphilosophie hatte es groß werden lassen, weit über den Horizont der kleinen mittelitalischen Stammesgruppen hinaus die Latein gesprochen hatten. Indem ihr Reich immer weder nur auf Dynastien, noch auf einem „Volk“ im Sinne einer Gens basierte, sondern auf einem immateriellen, übernationalen Reichsgedanken mit einer Rechtsgemeinschaft der sich andere Gruppen anschließen konnten! Was ist dann also die Zäsur von Adrianopel? Wie gesagt ist es für mich ein Sinnbild, ein Symbol das gegen das Reichsmythos steht, den ich gerade aufgezeigt habe.
Seit 375 waren die Hunnen in Europa eingefallen und schoben andere Völker vor sich her. Völker, die gelernt hatten mit dem Römischen Reich zu leben und auch zu kämpfen! Ein Römisches Reich, das sich gerade erst sein einigen Jahrzehnten auch dem Christentum geöffnet hatte und dieses heranzog das Reich weiter zu stabilisieren. Als eine der ersten großen Völkerschaften schoben die Hunnen die späteren Westgoten vor sich her. Die Westgoten glaubten an das Römische Reich, sie baten darum aufgenommen zu werden und römische Verbündete zu werden. Kaiser Valens stimmte zu, aber unfähige oder gierige römische Machthaber scheiterten bei dem schwierigen Vorhaben die ankommenden Volksmassen wie versprochen zu versorgen. Die Goten griffen zu den Waffen und vernichteten an einem einzigen Tage das gesamte Hofheer und die westlichen Provinzheere mitsamt dem oströmischen Kaiser! Das Reich hatte versagt einmal mehr zu integrieren. Einem Kaiser Theodosius gelang noch einmal das Kunststück die Goten noch mal zu befrieden, ja sie sogar als Reichsangehörige aufzunehmen. Viel mehr noch: Er setzte das Christentum endgültig als bevorzugte Staatsreligion durch, vereinigte ein letztes Mal die beiden römischen Reichshälften… Triumphe, die letztlich doch nur das spätere Scheitern herauszögerten. Die aufgenommenen Goten wurden keine vollwertigen Römer, sie behielten Eigenständigkeit. Es lag nicht einfach nur an ihnen das dieses Modell scheiterte und – auf weitere Völkerschaften übertragen - zur Basis des mittelalterlichen Europas mit seinen vielen Völkern anstelle des einen Reiches wurde. Das Reich wurde mit seinem Tode wieder geteilt, wie sich auch das Christentum Europas in 2 oftmals unversöhnliche Blöcke (die römisch-„orthodox/katholischen“ Christen und die „barbarisch/Arianischen“ Christen gespalten hatte. Den Hunnen gelang es sogar bis hin zu Attila ein Großreich im „Barbaricum“ zu errichten in dem unzählige Gentes verbündet/unterworfen/konföderiert zusammen lebten. Es war schien fast schon zum Gegenmodell der römischen Reichsidee auswachsen zu können? Mit dem Scheitern der Hunnen nach Attilas Tod konnten sich die Völker wieder frei entfalten. Der Gegensatz zu Völkern und vor allem der durch römische Institutionen gestützten Adelsgeschlechter der „Barbaren“ ermöglichte ein Mittelalter, das die antike Großstaatlichkeit gegen Feudalismus; unantastbare Institutionen (wie Kaisertum oder vielleicht der Senat) durch von „Königsheil“ durchdrungenen Dynastien austauschte. Natürlich war 378 keine absolute Zäsur, sie ist aber der Beginn dieser Wirkmechanismen für das Römische Reich. Auch dieses Reich hatte noch Kraft, ja hätte noch das Potential gehabt diese Entwicklung anders verlaufen zu lassen? Und doch scheiterte es. Das Unvermögen des Reiches gentile Großverbände nachhaltig und erfolgreich zu integrieren wurde ein Problem für den Bestand des Römischen Reiches. Dabei waren es nur diese gentilen Großverbände die nach Ansicht der Zeit das Schicksal zugunsten Roms hätte wenden können - Gedanken die ich teile!
Die Zukunft gehörte der christlichen Kirche, vorerst noch den gentilen Gruppen, die aber nur Steigbügelhalter von Dynastien werden sollten und den Feudalismus einleiteten. Beide Punkte: Religion und Feudalismus sind die Basis für das Mittelalter wie ich es verstehe.