Bismarcks Abdankung und die Rolle der Berichte des Konsuls zu Kiew

Wilhelm II. warf hingegen Bismarck eine unzureichende Berichterstattung auf selbigen Feld vor und zwar soll Bismarck Berichte des deutschen Konsuls in Kiew nicht an Wilhelm II. weitergeleitet haben.

Aus Sicht Wilhelms II. war das wohl eher nicht der Grund. Er hatte zwar auf die Berichte vollkommen überreagiert, und zwar in zweifacher Hinsicht:
- Zum einen machte er Bismarck den Vorwurf, ihn zu spät und unzureichend über die vermeintlichen russischen Kriegsvorbereitungen informiert zu haben.
- Zum zweiten drängte er darauf, Österreich zu alarmieren und "Gegenmaßnahmen" einzuleiten:
"Die Berichte lassen auf das klarste erkennen, daß die Russen im vollsten strategischen Aufmarsch sind, um zum Kriege zu schreiten. Und muß ich es sehr bedauern, daß ich so wenig von den Kiewer Berichten erhalten habe. Sie hätten mich schon längst auf die furchtbar drohende Gefahr aufmerksam machen können! Es ist die höchste Zeit, die Oesterreicher zu warnen, und Gegenmaßnahmen zu treffen."

Bismarck reagierte umgehend, indem er
- einerseits darauf hinwies, dass die Militärberichte dem Kaiser unverzüglich vorgelegt worden seien
- andererseits davon abriet, die Kiewer Berichte überzubewerten und sich in überstürzte Aktionen zu verrennen:
"Unsere Beziehungen zu Rußland sind [...] bisher so gute und klare, daß sie ein Mißtrauen in höchstdessen Absichten nicht rechtfertigen: In Österreich wird man aber über russische militärische Maßnahmen sicherere Nachrichten haben, als sie die Informationen des Konsuls in Kiew zu geben vermögen."

Wilhelm II, der öfters mal spontan überreagiert hat, hätte sich wieder einkriegen können, damit wäre die Sache erledigt gewesen.

Bismarck hat in seinem Entlassungsgesuch diejenigen Gründe vorgebracht, die aus seiner Sicht geeignet waren, die Schuld an dem Zerwürfnis dem Kaiser anzuhängen. Und dazu gehörte offensichtlich Wilhelms Reaktion auf die Berichte aus Kiew:
"... so würde ich doch nach den jüngsten Entscheidungen Euerer Majestät über die Richtung unserer auswärtigen Politik, wie sie in dem Allerhöchsten Handschreiben zusammengefaßt sind, mit der Euere Majestät die Berichte des Konsuls in Kiew gestern begleiteten, in der Unmöglichkeit sein, die Ausführung der darin vorgeschriebenen Anordnungen bezüglich der auswärtigen Politik zu übernehmen. Ich würde damit alle für das Deutsche Reich wichtigen Erfolge in Frage stellen, welche unsere auswärtige Politik seit Jahrzehnten im Sinne der beiden hochseligen Vorgänger Euerer Majestät in unseren Beziehungen zu Rußland unter ungünstigen Verhältnissen erlangt hat, und deren über Erwarten große Bedeutung mir . . . nach seiner Rückkehr aus P. bestätigt hat. Es ist mir bei meiner Anhänglichkeit an den Dienst des Königlichen Hauses und an Euere Majestät und bei der langjährigen Einlebung in Verhältnisse, welche ich bisher für dauernd gehalten hatte, sehr schmerzlich, aus der gewohnten Beziehung zu Allerhöchstdenselben und zu der Gesammtpolitik des Reichs und Preußens auszuscheiden; aber nach gewissenhafter Erwägung der Allerhöchsten Intentionen, zu deren Ausführung ich bereit sein müßte, wenn ich im Dienst bliebe, kann ich nicht anders, als Euere Majestät unterthänigst bitten, mich aus dem Amt des Reichskanzlers, des Ministerpräsidenten und des Preußischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten in Gnade und mit der gesetzlichen Pension entlassen zu wollen."
Bismarck

Digi20 | Band | Bismarcks Sturz und die Preisgabe des Rückversicherungsvertrages / Groepper, Horst
 
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