Bismarcks Friedenspolitik

Ja, dann wäre die Rückfrage ob man sich so gut als Befreier der Polen darstellen kann, wenn man im seinem eigenen Teil des geteilten Polens die Polen nach Strich und Faden schickaniert, die 1815 garantierten Rechte und Gesetze Kongresspolens mit Füßen getreten hatte etc.?
Wer hätte an solches Schmierentheater glauben sollen?
Mal davon abgesehen, dass man in der Folge mit den Gebieten und auch mit dem Ende des Teilungskonsens hätte umgehen müssen.
Das hätte zu ziemlich gravierenden Änderungen der Innenpolitik führen müssen, oder eben zur nächsten Serie polnischer Aufstände, nur dann eben unterstützt durch Deutschland und Österreich.

Es kommt nicht darauf an, ob jemand den Russen die Sorge um die Polen abnimmt.

Inwiefern hätte der Verlust der polnischsprachigen Landesteile Deutschland als Machtfaktor ausgeschaltet?

Dieses Szenario geht eben davon aus, dass Russland erst auf dem Balkan die Vormachtstellung errungen und dabei Österreich-Ungarn als Machtfaktor ausgeschaltet hat und es dann zum Krieg gegen Deutschland gekommen ist, den Deutschland offensichtlich verloren hat, denn sonst hätte sie die Gebiete nicht an Russland abgetreten. Es bleibt natürlich Spekulation, in welchem Zustand Deutschland nach einem solchen Krieg gewesen wäre, aber sicher nicht in einem guten.

Ja, in Deutschland wäre aber auch kein Mensch auf die Idee gekommen zwecks Erwerbung Kameruns einen Weltkrieg loszutreten ;-).
Der Wert dieser Gebiete war überschaubar, aber der militärische und finanzielle Aufwand um sie sich anzueignen ebenso.

Tatsächlich? Manche meinen, Deutschlands streben nach dem "Platz an der Sonne" hätte durchaus zur Isolierung Deutschlands und damit zu der Situation, die schließlich zum Weltkrieg führte, beigetragen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es kommt nicht darauf an, ob jemand den Russen die Sorge um die Polen abnimmt.

Du meinst also, dass es in Russlands Interesse gewesen wäre, sich Hals über Kopf in einen Krieg zu stürzen ohne über die Folgen nachzudenken?
Halte ich für eine gewagte Ansicht.

Dieses Szenario geht eben davon aus, dass Russland erst auf dem Balkan die Vormachtstellung errungen und dabei Österreich-Ungarn als Machtfaktor ausgeschaltet hat und es dann zum Krieg gegen Deutschland gekommen ist, den Deutschland offensichtlich verloren hat, denn sonst hätte sie die Gebiete nicht an Russland abgetreten. Es bleibt natürlich Spekulation, in welchem Zustand Deutschland nach einem solchen Krieg gewesen wäre, aber sicher nicht in einem guten.

Ja, da gehst du nur im kontrafaktischen Szenario sehr weit, denn letztendlich wäre ja bei der Lage nicht einmal klar, ob die Russen überhaupt in der Lage gewesen wären die Balkanstaaten in den Griff zu bekommen.

Auf welche Weise hätten sie dafür sorgen wollen, die dortigen Interessenskonflikte in den Griff zu bekommen und ihre eigene Stellung zu konsolidieren?

Tatsächlich? Manche meinen, Deutschlands streben nach dem "Platz an der Sonne" hätte durchaus zur Isolierung Deutschlands und damit zu der Situation, die schließlich zum Weltkrieg führte, beigetragen.

Die Juli-Krise und der daraus resultierende Weltkrieg, waren der klare Versuch die Entente unter Einbeziehung des Risikos eines Krieges diplomatisch zu sprengen.
Was hatte das mit irgendwelchen Kolonialinteressen zu tun?

Es hat Reibereien wegen der Kolonien gegeben, Marokko, Philippinen, Baghdad-Bahn, etc. aber kein verantwortlicher Politiker in Deutschland war bereit dafür einen allgemeinen europäischen Krieg loszutreten.
 
Ja, da gehst du nur im kontrafaktischen Szenario sehr weit,

Ja, denn es geht eben darum, was Deutschland langfristig hätte drohen können, wenn Russland auf dem Balkan expandiert und Österreich-Ungarn als Machtfaktor ausschaltet, nicht darum, ob Russland in ein oder zwei oder fünf Jahren nach Auflösung des Dreibundes angegriffen hätte.

denn letztendlich wäre ja bei der Lage nicht einmal klar, ob die Russen überhaupt in der Lage gewesen wären die Balkanstaaten in den Griff zu bekommen.

Auf welche Weise hätten sie dafür sorgen wollen, die dortigen Interessenskonflikte in den Griff zu bekommen und ihre eigene Stellung zu konsolidieren?

Das weiß nicht, da wir ja mehr und mehr hypothetisch werden und uns immer weiter von der historischen Zeitlinie entfernen.

Ich halte es jedenfalls für naiv zu glauben, dass Russland nach der Expansion auf dem Balkan sich durch interne Konflikte schon irgendwie selbst neutralisiert hätte. Vielleicht wäre es so gekommen, aber verlassen konnte man sich darauf nicht.

Die Juli-Krise und der daraus resultierende Weltkrieg, waren der klare Versuch die Entente unter Einbeziehung des Risikos eines Krieges diplomatisch zu sprengen.
Was hatte das mit irgendwelchen Kolonialinteressen zu tun?

Es hat Reibereien wegen der Kolonien gegeben, Marokko, Philippinen, Baghdad-Bahn, etc. aber kein verantwortlicher Politiker in Deutschland war bereit dafür einen allgemeinen europäischen Krieg loszutreten.

Die Julikrise selbst hatte natürlich nichts mit Kolonialinteressen zu tun, aber das Deutschland in der historischen Situation war, dass man nur noch einen zuverlässigen Bündnispartner hatte, den man nicht im Stich lassen konnte, womöglich schon. Man muss ja auch die Flottenpolitik, die Deutschland in Gegensatz zum UK brachte, in diesem Zusammenhang sehen. Das ist hier im Forum aber sicher schon ausführlich diskutiert worden.
 
Es wäre eben nicht im deutschen Interesse gewesen, einen erheblichen Machtzuwachs Russlands zuzulassen

Nur wäre aus Zugewinnen am Balkan ja kein erheblicher Machtzuwachs Russlands resultiert.
Das hätte einfach nur dazu geführt, dass die Russen ihre Enerigen darauf verwendet hätten, sich in den dortigen, nicht zu lösenden Konflikten die Zähne auszubeißen.

Hätten aber jetzt nur jeweils Russland und Frankreich Abkommen mit dem UK, aber nicht miteinander, hätte für Russland immer die Gefahr bestanden, dass das UK das Abkommen irgendwann gekündigt, wenn es geglaubt hätte, dass es mit Russland in Asien notfalls schon fertig wird und der Ausgleich mit Frankreich ausreicht.

Die Gefahr, dass die britisch-russischen Absprachen nicht auf dauer halten würden, bestand immer.

Als diese Abkommen ausverhandelt wurden, hatte GB den kräftezehrenden 2. Burenkrieg hinter sich und Russland hatte sich gerade in Japan eine blutige Nase geholt.
Das Bündel von Abkommen ist vor allem Reultat der Erkenntnis beider Seiten, dass sie eine Pause benötigten um die jeweils eigene Position zu konsolidieren.
Das konnte natürlich jederzeit wieder zum Konflikt fühlen, wenn sich eine Seite stark genug fühlte, sich darüber hinweg zu setzen.
Möglicherweise hässte sich die Entente, wenn man nur zugewartet hätte auch über diese Dinge von selbst wieder erledigt.

Es ist eine Sache, irgendeinen Vertrag zu brechen und eine ganz andere, seinen engsten Bündnispartner im Stich zu lassen, ohne jede Not, ohne wirklichen Grund.

Inwiefern im Stich lassen?
Österreichs Balkanabenteuer waren nie Bestandteil irgendeiner deutsch-österreichischen Abmachung.

Deutschland hatte sich auf ein Defensivbündnis verpflichtet, mehr nicht.
Und wenn Österreich eine Politik betrieb, die durch das Reizen Russlands zu einer erhöhten Kriegsgefahr führte, hätte man in Berlin mit Fug und Recht sagen können, dass man sich in Wien nicht im Geiste der Abmachungen verhielt und man sie deswegen zurückziehen müsse, da man sich darauf verpflichtet hatte im Falle eines defensiven Krieges Österreich zur Seite zu stehen, aber nicht dazu, sich von Österreich als Drohkulisse gegen Russland zur Durchsetzung von Wiener Sonderinteressen.
 
Ja, denn es geht eben darum, was Deutschland langfristig hätte drohen können, wenn Russland auf dem Balkan expandiert und Österreich-Ungarn als Machtfaktor ausschaltet, nicht darum, ob Russland in ein oder zwei oder fünf Jahren nach Auflösung des Dreibundes angegriffen hätte.

Joa. Und woran machst du langfristige Entwicklungen dieser Art fest?

Ich beschwere mich ja grundsätzlich nicht über kontrafaktische Erwägungen, die betreibe ich ja selbst.
Allerdings in einem Maß, dass sie sich noch einigermaßen an den gegebenen Situationen orientieren.

Man könnte natürlich mutmaßen, was dann irgendwann im Jahr 1950 oder sonstwann gewesen wäre, wenn Russland seine Macht gefestigt hätte etc.
Nur dann bewegen wir uns im völlig luftleeren Raum.

Das macht wenig Sinn.

Ich halte es jedenfalls für naiv zu glauben, dass Russland nach der Expansion auf dem Balkan sich durch interne Konflikte schon irgendwie selbst neutralisiert hätte. Vielleicht wäre es so gekommen, aber verlassen konnte man sich darauf nicht.

Ich halte es für naiv zu glauben, dass Russland aus einer strukturschwachen Region mit reichlich politischen, religiösen und sozialen Problemen und Konflikten kurz oder mittelfristig Kapital hätte schlagen können, weil da vernunftgemäß so ziemlich alles gegen spricht.

Und ich denke wenn ich für die Unfähigkeit Russlands die Balkanstaaten tatsächlich zu kontrollieren und die Streitigkeiten unter Kontrolle zu bringen die historischen Erfahrungen mit dem Balkan-Bund und den beiden Balkan-Kriegen anführe, bewege ich mich durchaus nicht so sehr von den Tatsachen weg. ;-)
 
Nur wäre aus Zugewinnen am Balkan ja kein erheblicher Machtzuwachs Russlands resultiert.
Das hätte einfach nur dazu geführt, dass die Russen ihre Enerigen darauf verwendet hätten, sich in den dortigen, nicht zu lösenden Konflikten die Zähne auszubeißen.

Das sehe ich anders. Sieh Dir doch mal Österreich bzw. Österreich-Ungarn als Vergleich an. Die Habsburgermonarchie war lange Zeit eine der dominierenden Mächte Europas. Und das war sie nur aufgrund des Reiches mit von ihr kontrollierten nicht-deutschsprachigen Völkern. Sie hatten auch ihre Probleme damit, die ganzen Völker unter Kontrolle zu halten, aber dennoch waren sie nur deshalb Großmacht. Hätte Österreich sich auf die deutschsprachigen Gebiete beschränkt, also im wesentlichen das heutige Österreich, plus Südtirol, plus die deutschsprachigen Gebiete Böhmens und Mährens, dann wäre es nur eine Mittelmacht gewesen. Und ja, irgendwann musste man dann doch den Ausgleich mit Ungarn anstreben, um die Machtbasis zu verbreitern.

Da wäre Russland aber in einer anderen Lage gewesen, da die ethnischen Russen eben wesentlich zahlreicher waren als die ethnischen Deutschen in der Habsburger Monarchie, sowohl in absoluten Zahlen, als auch im Verhältnis zu den anderen Völkern.

Inwiefern im Stich lassen?
Österreichs Balkanabenteuer waren nie Bestandteil irgendeiner deutsch-österreichischen Abmachung.

Deutschland hatte sich auf ein Defensivbündnis verpflichtet, mehr nicht.
Und wenn Österreich eine Politik betrieb, die durch das Reizen Russlands zu einer erhöhten Kriegsgefahr führte, hätte man in Berlin mit Fug und Recht sagen können, dass man sich in Wien nicht im Geiste der Abmachungen verhielt und man sie deswegen zurückziehen müsse, da man sich darauf verpflichtet hatte im Falle eines defensiven Krieges Österreich zur Seite zu stehen, aber nicht dazu, sich von Österreich als Drohkulisse gegen Russland zur Durchsetzung von Wiener Sonderinteressen.

Da kommen wir jetzt wieder in Fragen, inwieweit Russland denn durch die österreichische Politik zurecht gereizt war oder nicht. Und selbst wenn wäre das wohl kein besonders guter Grund für die Auflösung des Bündnisses gewesen, da damals alle Großmächte eine aggressive Außenpolitik betrieben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Joa. Und woran machst du langfristige Entwicklungen dieser Art fest?

Ich beschwere mich ja grundsätzlich nicht über kontrafaktische Erwägungen, die betreibe ich ja selbst.
Allerdings in einem Maß, dass sie sich noch einigermaßen an den gegebenen Situationen orientieren.

Man könnte natürlich mutmaßen, was dann irgendwann im Jahr 1950 oder sonstwann gewesen wäre, wenn Russland seine Macht gefestigt hätte etc.
Nur dann bewegen wir uns im völlig luftleeren Raum.

Natürlich weiß ich nicht, was passiert wäre, wenn Deutschland den Dreibund aufgelöst hätte. Das weißt Du auch nicht. Wir können darüber nur spekulieren. Ich sehe die Folgen halt wesentlich pessimistischer als Du.

Die handelnden Politiker wussten damals aber auch nicht, was passieren würde. Sie mussten eben auch negative Szenarien berücksichtigen und konnten nicht davon ausgehen, dass sich mit der Auflösung des Bundes einfach alle Probleme zwischen Deutschland und anderen Großmächten quasi von selbst erledigen würden, weil niemand mehr Deutschland als Gefahr sieht.
 
Das hatten wir aber alles schon. Wir drehen uns im Kreis. Letzten Endes kann niemand beweisen, wie Russland und Frankreich sich verhalten hätten, wenn Deutschland den Dreibund aufgelöst hätte.

Mein Reden.

shingami schrieb:
Ich halte es für naiv zu glauben, dass Russland aus einer strukturschwachen Region mit reichlich politischen, religiösen und sozialen Problemen und Konflikten kurz oder mittelfristig Kapital hätte schlagen können, weil da vernunftgemäß so ziemlich alles gegen spricht.

Und ich denke wenn ich für die Unfähigkeit Russlands die Balkanstaaten tatsächlich zu kontrollieren und die Streitigkeiten unter Kontrolle zu bringen die historischen Erfahrungen mit dem Balkan-Bund und den beiden Balkan-Kriegen anführe, bewege ich mich durchaus nicht so sehr von den Tatsachen weg. ;-)


Einer der Antriebsmotoren war sicher der Panslawismus.
 
Das sehe ich anders. Sieh Dir doch mal Österreich bzw. Österreich-Ungarn als Vergleich an. Die Habsburgermonarchie war lange Zeit eine der dominierenden Mächte Europas. Und das war sie nur aufgrund des Reiches mit von ihr kontrollierten nicht-deutschsprachigen Völkern

Eigentlich nicht. Schon deswegen nicht, weil es überhaupt gar keine gemeinsame Verwaltung gab, Steuereinnahmen und gestellte Truppen lange Zeit von den den Ständevertretungen der Einzelnen Länder abhängig waren, die damit naturgemäß eher geizten.
Das ändert sich eigentlich erst allmählich unter Maria Theresia, als es im Zuge der Schlesischen Kriege durch die Haugwitz'schen Reformen gelingt zumindest eine gemeinsame Verwaltung für die Erblande und die verbliebenen Länder der Böhmischen Kronz zu schaffen.

Und mit dem Österreichisch-Ungarischen Ausgleich 1867 wird das mehr oder weniger rückabgewickelt.

Was dem Haus Habsburg, in der österreichischen Linie immer sehr zu gute gekommen ist, waren Zuwendungen und Unterstützungen aus Spanien, bis zum Ende der spanischen Habsburger und bis 1806 eben auch die Mittel, die die Reichsstände zu weilen aufzubieten hatten, in Form von Truppen und Sondersteuern für Reichs- und Türkenkriege.

Das die die nicht deutschen Territorien, wenn man die böhmischen Länder hier außer acht lässt hier einen gleichwertigen Beitrag geleistet haben, lässt sich vielleicht für die Zeit zwischen 1815 und 1867 sagen.
Allerdings dann auch mit der Folge, dass das in Italien und Ungarn zu notorischen Unruhen führte, die mitunter sogar die Außenpolitik maßgeblich beeinflussten.

De facto brach man etwa sen Krieg 1859/1860 gegen Frankreich unter Verlust der Lobardei sehr hastig ab, unter anderem weil man die Befürchtung hatte, dass sich da in Ungarn ein Aufstand zusammenbraute
Der Ausgleich von 1867 regelte dann, dass Ungarn lediglich 30% der gemeinsamen Ausgaben der K.u.K.-Monarchie zu bestreiten habe, den Rest musste Cialeithanien aufbringen.

Hätte Österreich sich auf die deutschsprachigen Gebiete beschränkt, also im wesentlichen das heutige Österreich, plus Südtirol, plus die deutschsprachigen Gebiete Böhmens und Mährens, dann wäre es nur eine Mittelmacht gewesen.

De facto war die österreichische Linie der Habsburger über weite Strecken der Geschichte nicht mehr als eine Mittelmacht.
Als der 30 Jährige Krieg ausbricht, müssen sich die österreichischen Habsburger von der spanischen Linie und Bayern massiv Geld und Truppen leihen (wofür sogar zeitweise Oberösterreich an Bayern verpfändet werden musste, wenn ich mich nicht täusche).

Ein großteil der österreichischen Kriege gegen Frankreich wurde de facto von der Spanischen Linie, von Großbritannien und den Reichsständen mit finanziert und in Teilen durch Truppen unterstützt.
Gleiches gilt für die Koalitionskriege in der napoléonischen Zeit, auch da ist Österreich zeitweise eher Juniorpartner Russlands und auf englische Subsidien angewiesen.

So weit her war es mit der Habsburger Herrlichkeit nicht, sofern das alles aus dem eigenen Machtbereich bestritten werden musste.
Man war nur sehr häufig Nutznießer von Situationen, die Auswärtige Unterstützung, sei es durch andere europäische Mächte oder die Reichsstände ermöglichte.
 
Da wäre Russland aber in einer anderen Lage gewesen, da die ethnischen Russen eben wesentlich zahlreicher waren als die ethnischen Deutschen in der Habsburger Monarchie, sowohl in absoluten Zahlen, als auch im Verhältnis zu den anderen Völkern.

Das der Anteil der ethnischen Russen in Russland höher war, als der der deutschsprachigen Österreicher in der Habsburger Monarchie hätte die Probleme auf dem Balkan auch nicht aus der Welt geschafft.

Hinzu kommt, dass es neben ethnisch-nationalen Differenzen ja noch ganz andere Problemfelder gab.

Österreich hatte viele Nationalitäten, die waren aber zu weit überwiegenden Teilen, ab dem 17.-18. Jahrundert Katholiken.
Da waren vielleicht ein paar Prozent Lutheraner und Juden dazwischen, in den balkanesischen Randgebieten ein paar Orthodoxe und ab 1908 in Bosnien einige Muslime, aber unter religiösen Asprekten betrachtet, war das Habsburgerreich im 19. und beginnenen 20. Jahrhundert eingentlich eine einigermaßen homogene Veranstaltung.

Das sieht z.B. in Russland anders aus. Sicher, da hat man das große orthodoxe Zentrum, bei den nationalen Minderheiten kommt in Russland aber auch fast überall dazu, dass sie eine andere Religion haben.

Die Polen und Litauer sind katholisch, die Finnen, Letten, Esten und Deutschen meist evangelisch, und an der ganzen südlichen Peripherie sitzen die Muslime, außerdem hat man relativ große jüdische Gemeinden.

Russland hatte vielleicht weniger nationale Minderheiten als Österreich, dafür mit dieden Minderheiten aber mitunter Felder die zu Differenzen und Problemen führen konnten, die es in dieser Form in der Habsburger Monarchie nicht gab.
 
.. dass sich Russland von allen Teilungsmächten in Polen damals am schlimmsten verhielt.
Da wäre man von niemandem als Befreier betrachtet worden und das wusste man in St. Petersburg auch.

Ich denke auch, aber gerade das ist schwer zu ermitteln. (Was heißt, "das wusste man"? Man hätte es vielleicht wissen müssen.)
Durnovo jedenfalls schreibt in seinem Memorandum an den Zaren:
„Doch selbst vom Standpunkt neuer Eroberungen, was können wir durch einen Sieg gegen Deutschland gewinnen? Posen, oder Ostpreußen?
Aber warum benötigen wir diese Regionen, so dicht wie sie von Polen bevölkert sind, wenn es
uns doch schwierig genug erscheint mit unseren eigenen russischen Polen fertig zu werden. Warum
zentrifugalen Tendenzen Vorschub leisten, die im Weichsel-Gebiet bis zum heutigen Tage nicht nachgelassen haben, indem man dem Russischen Staat die ruhelosen Polen von Posen und Ostpreußen hinzufügt, deren nationale Ansprüche selbst die deutsche Regierung, die weit gefestigter ist als die russische, nicht ersticken kann?
Und genau das Gleiche trifft auf Galizien zu.“

(Übersetzung durch mich aus http://novaonline.nvcc.edu/eli/evans/his242/Documents/Durnovo.pdf)
Immerhin findet er es wert den Zaren darauf hinzuweisen.

.. da sind wir aber schon im Feb. 1914.
Das Problem dürfte aber ähnlich sein. Auch während Japankrieg nebst Revolution 1905 sah sich die Regierung des Zaren veranlasst 250.000 plus Soldaten in Polen zu halten (Kappeler – Russland als Vielvölkerreich; S. 269) , um mindestens als Teilaufgabe die aufmüpfigen Polen in Schach zu halten.

Weiter zurück komm ich grad nicht...
@Turgot, ist es so, dass die Polen auch schon zu Bismarcks Zeiten problematisch für Russland waren? Oder ab dem Wiener Kongress?

Es war nur als ein Beispiel gemeint, weshalb Russland Interesse an Ostpreussen, Posen und Westpreussen hätte haben können.

Ich vermute, dass ein solches Ansinnen wenig rational war.
(die Regierenden waren es aber auch nicht immer. :))
 
@Turgot, ist es so, dass die Polen auch schon zu Bismarcks Zeiten problematisch für Russland waren? Oder ab dem Wiener Kongress?

Schon vorher.

Die Polen hatten bereits 1794, 1830 und 1863 den Aufstand geprobt.

Kościuszko-Aufstand – Wikipedia

Novemberaufstand – Wikipedia

Januaraufstand – Wikipedia

In diesen Fällen hatten insbesondere Preußen und Russland bei der Niederschlagung immer hübsch zusammengearbeitet.

Die Zusammenabreit bei der Niederschlagung 1863 war sogar in der "Alvensleben'schen Konvention" vertraglich fixiert.

Alvenslebensche Konvention – Wikipedia

Polen war schon das ganze 19. Jahrhundert lang für Russland ein Pulverfass.
 
Österreich hatte viele Nationalitäten, die waren aber zu weit überwiegenden Teilen, ab dem 17.-18. Jahrundert Katholiken.
Da waren vielleicht ein paar Prozent Lutheraner und Juden dazwischen, in den balkanesischen Randgebieten ein paar Orthodoxe und ab 1908 in Bosnien einige Muslime, aber unter religiösen Asprekten betrachtet, war das Habsburgerreich im 19. und beginnenen 20. Jahrhundert eingentlich eine einigermaßen homogene Veranstaltung.

Das sieht z.B. in Russland anders aus. Sicher, da hat man das große orthodoxe Zentrum, bei den nationalen Minderheiten kommt in Russland aber auch fast überall dazu, dass sie eine andere Religion haben.

Das sieht schon etwas anders aus, aber so gravierend sind die Unterschiede nicht:

Österreich-Ungarn 1910:
76.6% Katholiken
8.9% Protestanten
8.7% Orthodoxe
4.4% Juden
1.3% Muslime
Austria-Hungary - Wikipedia


Russland (anscheinend 1897):
71.10% Orthodoxe
11.07% Muslime
9.16% Katholiken
4.16% Juden
3.00% Protestanten
0.94% armenische Christen
0.56% sonstige
Russian Empire - Wikipedia

Hier genauer aufgeschlüsselt; hinter dem Komma ergeben sich manchmal etwas andere Werte:
Демоскоп Weekly - Приложение. Справочник статистических показателей.
 
Die Zusammenabreit bei der Niederschlagung 1863 war sogar in der "Alvensleben'schen Konvention" vertraglich fixiert.

Wobei es für Bismarck gar nicht so sehr um die Polen ging; auch wenn er null Symapthie für diese und hatte. Das Zarenreich war 1863 durch sein grobes Vorgehen in Europa isoliert. Nur Preußen hielt den Russen die Stange und darum ging es Bismarck tatsächlich.
Napoleon III. hatte sich seine Sympathien in Petersburg mit seinen Eintreten für die polnischen Wünsche verscherzt gehabt.
 
Was genau hätten die Russen auf dem Balkan gewinnen können?

Beispielsweise den Zugang zum Mittelmeer. Die "slawischen Brüder" von der Vormundschaft der Türken befreien, der Sultan verfügte eh nicht mehr über die Machtmittel, um den Balkan effizient zu beherrschen. Petersburg hätte auf diesem versuchen können sich neue "Vasallenstaaten" zu schaffen und schließlich das Einflussgebiet Österreich-Ungarns reduzieren.
 
Es geht mir darum, welche Möglichkeiten die Deutsche Seite möglicherweise gehabt hätte effektiv auf einen Abbau der Triple-Entente hinzuarbeiten.

Geduldig abwarten wäre auch eine Option gewesen. Die Zeit arbeitete für Berlin. Die Reibungen zwischen dem Zarenreich und London, erwähnt sei hier Persien, nahmen immer mehr zu und es war nicht sicher, ob der Vertrag verlängert werden würde. Nebenbei London die Hand reichen, eine Einigung in Sachenflottenbau vereinbaren, alles Möglichkeiten.
 
^^
Und vergesst nicht den Aufstieg Amerikas. In dem Zeitpunkt wo Amerika als Akteur auftritt, wurden auch die Missstimmungen unter den Europäern unwichtiger.
Colonel House hatte ja vorgefühlt, ob eine amerikanisch-britische-deutsch-Japanische Allianz möglich ist.
Edward M. House: Der Mann, der die Welt retten wollte

Auch Wilhelm hatte ja damals Roosevelt über den Vertrag von Björko als ersten informieren wollen. Daran sieht man,
dass auch damals derartige Entwicklungen bedacht wurden und man auch in Deutschland auf den Aufstieg Amerikas setzte.
 
Die USA spielten aber für die fragliche Zeit in Europa noch nicht die Rolle. Das kam erst später.
 
Die Aussage bezog sich auf deinen Satz: Die Zeit spielte für Deutschland.
Nur haben dies damals die Verantwortlichen noch nicht erkannt. Bzw. eine andere Gewichtung vorgenommen.
 
Das sieht schon etwas anders aus, aber so gravierend sind die Unterschiede nicht:

Österreich-Ungarn 1910:
76.6% Katholiken
8.9% Protestanten
8.7% Orthodoxe
4.4% Juden
1.3% Muslime
Austria-Hungary - Wikipedia


Russland (anscheinend 1897):
71.10% Orthodoxe
11.07% Muslime
9.16% Katholiken
4.16% Juden
3.00% Protestanten
0.94% armenische Christen
0.56% sonstige
Russian Empire - Wikipedia

Hier genauer aufgeschlüsselt; hinter dem Komma ergeben sich manchmal etwas andere Werte:
Демоскоп Weekly - Приложение. Справочник статистических показателей.

Sie sind nicht so gravierend, wenn man sich die reinen Zahlen anschaut, aber sie sind sehr gravierend, wenn man sich anschaut wer welche Religion hatte.

Die meisten nationalen Minderheiten in Österreich-Ungarn waren überwiegend Katholiken.

Ausnahme hier sicherlich die Serben und die Ukrainer, bei den Rumänen bin ich mir nicht so ganz sicher.

Das betrifft also auch flächenmäßig lediglich die Regionen Banat-Vojvodina, Ostgalizien und Siebenbürgern.

Während es in Russland so aussieht, dass die die gesamte Peripherie und deutlich mehr Minderheiten andere religiöse Auffassungen haben.

Insofern Russland hatte sicherlich einen geringeren Anteil nicht ethnisch russischer Einwohner als vergleichbar in Österreich-Ungarn.
Dafür hatten die nationalen Minderheiten in Russland aber in der Regel auf religiösem Gebiet ein höheres Maß an Sonderinteressen, was sehr leicht zur Verschmelzung nationaler mit religiösen Konflikten führen konnte.
Diese Problematik gibt es in Österreich weit weniger.
 
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