Aber was ich beim Lesen der Biographie immer mitdenken musste: Verzichtet Brechtken nicht, um die Botschaft so klar wie möglich zu lassen, auf ein genaues Psychogramm der Figur? Müsste ein solches Psychogramm nicht vermitteln, dass Speer zwar nicht besser oder weniger schuldbeladen als die anderen Spitzen des Regimes war, aber doch anders?
Warum sollte es Aufgabe von Historikern sein sich in Spekulationen über psychologische Ferndiagnosen zu ergehen?
Es gibt, etwa was die psychische Verfasstheit Hitlers angeht, mittlerweile wie viele Werke, die das eine oder das andere spekulativ in den Raum stellen? Hat es aber zu irgendeiner Erkenntnis verholfen?
MMn zu umstritten und zu wenig gesichert um wirklich von Nutzen zu sein. Wenn ein zeitgenössisches psychologisches Gutachten vorläge, könnte man das sicherlich in einem Abriss präsentieren, müsste sich dann aber auch damit befassen, ob das gemessen am Stand heutiger Methodik so überhaupt noch zu halten wäre.
Es ist ja kein Zufall, dass er es wie kein anderer Täter geschafft hat, in der Nachkriegszeit wieder eine Art Reputation aufzubauen.
Das würde ich vor allem aber seinen verschiedenen Tätigkeitsbereichen zuschreiben. "Rüstungsminister", dürfte im Gegensatz zum Stararchitekten d. Böhmischen Gefreiten, für einen weiten Teil des Nachkriegs-Publikums erstmal eine Abstraktion gewesen sein, zumal sicherlich nicht jeder die Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie als besonders furchtbar empfunden haben mag, daran gemessen, dass eben Krieg war.
Sieht man heute, wenn man Bilder vor Augen hat, wie die Gefangenen da behandelt wurden, natürlich etwas anders, aber da die Verantwortlichkeiten nachzuvollziehen und das alles aufzuarbeiten, dauerte naturgemäß seine Zeit, bis dahin hatte Speer Gelegenheit seinen Mythos zu schaffen.
Auch wenn Speer da propagandistisch sicherlich viel auf die Beine gestellt hat, aber das haben, meine ich, auch andere hinbekommen, wenn ich da etwa an Manstein denke
Beispiel Antisemitismus: Irgendwo steht in der Biographie, dass Speer behauptete, nie Antisemit gewesen zu sein. Brechtken kennzeichnet das als absurd, weil Speer am Schicksal der Juden sehr direkt mitgewirkt hat.
Warum genau musste man Antisemit sein um daran mitzuwirken? Zum einen ist es ja nicht so, als hätte sich seine Verantwortlichkeit auf Verbrechen an Juden als einzelne Gruppe beschränkt, wenn man an die diversen anderen Gruppen von KZ-Insassen und Kriegsgefangenen denkt, die unter seiner Fuchte verheizt wurden.
Zum anderen, warum muss man speziell Antisemit sein um den Tod von Juden oder als jüdisch betrachteter Personen mindestens mal billigend in Kauf zu nehmen? Ich würde ja meinen, eine technokratisch-amoralische Haltung, die es dem Inhaber erlaubt für seine Projekte jeden Sklaven zu verheizen, den er bekommen kann, gleich um wen es sich dabei handelte, täte da auch hinreichen.
Unter Berücksichtigung dessen, dass unter Speers Verantwortung die billigende Inkaufnahme des Todes jüdischer Zwangsarbeiter, eine Verantwortung neben Anderen, gegenüber anderen Gruppen ist, bei denen er dazu ebenfalls bereit war, ist dies ungeeignet daraus eine antisemitische Haltung ablesen zu wollen, meine ich jedenfalls.
Wenn das Verüben von Verbrechen an einer bestimmten Gruppe, neben anderer ohne nähere Formulierung eines ablehnenden Hintergrunds, demnächst für rassistisch/antisemisch/anti-was-auch-immer gelten soll, müssten wir uns auch etwa über den Antisemitismus Kaiser Vespasians unterhalten, unter dem bekanntlich im Zuge des "Jüdischen Krieges" zigtausend einwohner Judäas in die Sklaverei verschleppt wurden, während auch in römischen Steinbrüchen und auf römischen Galleren der Tod der eingesetzten Sklaven billigend in Kauf genommen wurde.
Ich denke, dass sollte den Unsinn der ganzen Angelegenheit klar machen.
Wären in den KZs und unter der Fuchtel der von Speer geleiteten Rüstungswirtschaft ausschließlich Juden bis zum Tod ausgebeutet worden, könnte man vielleicht noch diskutieren, ob dieser Schluss ohne den Nachweis antisemitischer Äußerungen etc. zulässig ist, so wie die Sache aber einmal stand, ist er das ohne näheren Nachweis in dieser Hinsicht nicht, jedenfalls nicht, so wie ich das sehe.
Ich denke: Das zeigt das Buch zwar deutlich, andererseits halte ich es für wahrscheinlich , dass antisemitische Vorurteile für Speer tatsächlich keine große Rolle gespielt haben, dass es ihm aber einfach persönlich vorteilhaft schien, bei der Politik der Vernichtung mitzumachen.
Vielleicht sibd solche Überlegungen aus etwas weiterer Perspektive gar nicht so wichtig. Andererseits hätte die Biographie meines Erachtens eine noch größere Überzeugungskraft, wenn die Eigenheiten des SpeersChen Charakters deutlicher würden. Sympathischer würde die Figur dadurch nicht.
Ich denke, wenn man in solchen Zusammenhängen als Biograph dezidierten Antisemitismus postulliert, sollte man den an Hand entsprechender überleiferter Äußerungen oder Schriftstücke nachweisen können.
Hinsichtlich der Wichtigkeit, ist es für eine Biographie, meine ich, schon bedeutsam, wenn sich ein persönlicher Antisemitismus denn nachweisen ließe weil dass dann die Frage aufwerfen würde, ob Speer mit irgendwelchen Maßnahmen, die dann möglicherweise auch die Effizienz der Rüstungswirtschaft tangiert hätten (Stichwort Fluktuation und Arbeitsroutine) die Existenzbedingungen der jüdischen Zwangsarbeiter noch künstlich zu verschlechtern um deren Leiden zu verschlimmern und/oder ihr früheres Ableben herbei zu führen.
Wenn ein persönlicher Antisemitismus im Sinne des NS nachweisbar ist, müsste das also in Konsequenz dahin führen, sich die Maßnahmen Speers näher anzuschauen und diese auf einen Doppelcharakter zu untersuchen, demnach damit nicht nur auf die Effizienz der Rüstung und Bauprojekte, sondern auch dezidiert auf eine Beschleunigung der "rassischen Süuberung" hingearbeitet worden sein könnte.