Es regt sich wieder der Advocatus Diaboli in mir, der im Rahmen einer Diskussion stets die Gegenseite vertritt:devil:
(also bitte nicht als Sturheit missverstehen)
silesia:
zu (1) hängt vom Zustand der Südfront/Südwestfront im August 1941 ab. Der war desaströs.
zu (2) Führung sicher, aber keine Kräfte, siehe oben.
wäre der Zustand dieser Truppen auch dann noch so desaströs gewesen, wenn man sie monatelang weitgehend in Ruhe gelassen hätte?
Wie Du schreibst, wurden doch signifikante Verstärkungen von Kiev zur Verteidigung Moskaus abgezogen. Und das,
obwohl die Südwestfront von einer deutschen Heeresgruppe bedrängt wurde. Wie hätte es
ohne diesen Druck ausgesehen?
Die Argumente gegen einen
unter anderen Voraussetzungen möglichen Flankenangriff aus Süden basieren, so habe ich den Eindruck, irgendwie alle auf der
tatsächlichen Lage im Spätsommer 41. Das passt nicht zusammen.
Es geht ja gerade darum, was geschehen hätte können, wenn man aufgrund anderer Planung eben
nicht den tatsächlichen Verlauf des Feldzuges erhalten hätte.
Wenn man den beiden Heeresgruppen Nord und Süd falschen strategischen Ansatz bescheinigt, dann darf man auch nicht die gerade durch diesen Ansatz errungene Wirkung weiterhin als gegeben vorraussetzen.
@elysian
Das Problem ist m.E. das gleiche, das ich eben schon erwähnt habe:
Wären die entsprechenden russischen Armeen unbehelligt geblieben, dann wären sie eben nicht so durcheinander, konfus und abgenutzt gewesen. Und auch nicht unbedingt eingekesselt. Siehe oben: Die bei Kiev vernichteten russischen Truppen waren freilich nicht mehr in der Lage, einen Gegenangriff zu führen. Hätte man sie aber nicht vernichtet, hätte die Sache schon anders ausgesehen.
Mir ist klar, dass Du nicht davon ausgehst, man hätte die Nordwest und Südwestfront(en) von Anfang an in Ruhe lassen sollen. Du meinst, dass nach einem überraschenden Anfangsschlag die dann maßgeblich geschwächten Fronten eine Zeit lang keine ernstzunehmende Gefahr mehr dargestellt hätten. Während dieser Zeit hätten die benachbarten Heeresgruppen sich dann darauf konzentrieren können, den Hauptstoß der Gruppe Mitte zu unterstützen und nach Norden und Süden nur deckend tätig zu sein. Hätten die Russen dann angegriffen, hätte man diese Truppen durch geschickte Führung der Verteidigung halt nicht etwa vor Kiev, sondern - sagen wir mal beispielsweise - bei Brjansk oder Orel erwischt. Das lässt einerseits außer Acht, dass dann die Russen die örtliche Initiative besessen hätten (Gerade russische Gegenagriffe brachten die Wehrmacht immer wieder in prekäre Situationen), andererseits hat aber ja in späteren Kriegsjahren (Frühjahr 43, wenn ich mich recht entsinne: Unternehmen Rochade) Manstein vorexerziert, dass dies sehr wohl erfolgreich sein konnte.
Fazit: Es hätte den Russen nicht gelingen müssen. Es hätte aber auch für die Wehrmacht kräftig in die Hose gehen können. Zumindest wäre das Endergebnis wohl dasselbe gewesen: Die flankierenden Heeresgruppen wären beschäftigt gewesen und hätten der Mitte nicht helfen können. Ob zu diesem Zweck nun 600.000 Russen bei Kiev oder bei Orel gefangengenommen werden, ist leidlich egal.
Die 3 zu 1 Geschichte ist mir bekannt. Die wurde sogar noch vertreten, als ich bei der Bundeswehr war. Warum diese Faustregel sich so hartnäckig hält, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft, denn die moderne Militärgeschichte belegt reihenweise, dass man diese Überlegenheit eben gerade
nicht unbedingt braucht, weder taktisch noch strategisch. Das haben die Deutschen, wenngleich vielleicht nicht unbedingt in Polen, dann auf jeden Fall in Frankreich, Nordafrika und auch bei der Eröffnung von Barbarossa bewiesen. Unmittelbar nach mehreren Gegenbeweisen kann ich nicht glauben, dass man sich vor Moskau auf diese Faustregel verlassen hätten. Wenn man wirklich von der 3:1 Regel überzeugt gewesen wäre, hätte man keinen einzigen der Feldzüge überhaupt begonnen.
Zitat:
Weil man keinen anderen Plan hatte. Zur Eroberung Moskaus gab es keine Alternative. Man musste dieses einzige Ziel, welches man hatte
Das ist meines Erachtens falsch, denn daß Moskau gerade nicht das einzige Ziel war, sondern mit Sankt Petersburg, Moskau und Sewastopol gleich drei Ziele vorgegeben worden waren, die auch noch alle gleichzeitig bis Jahresende erobert werden sollten, kann nicht ernsthaft bestritten werden und ist der eigentliche Fehler in den Planungen des Feldzuges.
Ich korrigiere mein Formulierung:
[...]Man musste dieses einzige Ziel, welches man
noch hatte[...],da die beiden anderen ja nicht gelungen waren.
Dass es sich bei der Aufteilung der strategischen Ziele (3) um eine Fehlplanung gehandelt haben mag, ist einer der Punkte, bei denen wir uns weitgehen einig sind. Ich gebe aber zu bedenken, dass, hätte man von vornherein
ausschließlich Moskau als strategisches Ziel verfolgt, ich weiterhin Bedenken hege, ob ein einziges Schlüsselziel selbst bei seiner Erreichung ausreichend psychologische Wirkung gehabt hätte.