Bordellsystem der Wehrmacht

Hallo Lili, hallo silesia,

also der Hintergrund dieses Themas war, daß ich beim schauen einer TV-Dokumentation über das Leben der Deutschen u.a. über die Problematik der Prostitutionskontrolle durch Wehrmachtsärzte aufmerksam wurde.

Dabei kam mir die Überlegung, daß es doch gerade bei solch einer Ideologie, wie der des Nazionalsozialismus, die geförderte und durch staatliche Organe kontrollierte Prostitution ein Widerspruch darstellt. Man bedenke dabei nur die von den Nazis erlassenen Nürnberger Rassengesetze.

Das machte mich neugierig und ich schaute im Internet nach, wobei ich auf diese von mir o.g. Quelle gestoßen bin, sowie den Link der PM.

Um etwas mehr über diese Problematik zu erfahren habe ich dieses Thema hier eröffnet, als Aufhänger natürlich dieses Buch benutzt.

Die Frage, die sich mir nun immernoch stellt, ist, wie passt staatlich gelengte Prostitution mit dem Nationalsozialismus zusammen, oder hat hier die Heeresleitung nur auf die niederen Instinkte ihrer Soldaten reagiert und die Ideologie und Rassenlehre ausgeblendet?
 
Dabei kam mir die Überlegung, daß es doch gerade bei solch einer Ideologie, wie der des Nazionalsozialismus, die geförderte und durch staatliche Organe kontrollierte Prostitution ein Widerspruch darstellt. Man bedenke dabei nur die von den Nazis erlassenen Nürnberger Rassengesetze.
Die Rassegesetze dienten ja dem "Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre", waren also im Hinblick auf die Fortpflanzung entstanden. Prostitution ist ja erst mal nicht auf Fortpflanzung ausgerichtet, sondern dient schlicht der Triebbefriedigung. Nachdem die Nationalsozialisten offensichtlich ein Problem mit "wilder Prostitution" hatten (wobei ich hier weniger die Verbreitung von Krankheiten im Vordergrund sehen würde, sondern vielmehr das nicht in den Griff bekommen im Sinne eines Vorbots), haben sie eben auch das horizontale Gewerbe gleichgeschaltet, entsprechend reglementiert und mit Zugangsvoraussetzungen versehen. So widersprüchlich sehe ich die beiden Sachverhalte also nicht unbedingt.

Die Frage, die sich mir nun immernoch stellt, ist, wie passt staatlich gelengte Prostitution mit dem Nationalsozialismus zusammen, oder hat hier die Heeresleitung nur auf die niederen Instinkte ihrer Soldaten reagiert und die Ideologie und Rassenlehre ausgeblendet?
Eine entsprechend simple Vorstellung zur männlichen Sexualität spielte natürlich auch eine Rolle. Ich habe vor einiger Zeit in einem Buch ("Das Geschlechtsleben bestimmen wir" von Anna Sigmund) einiges dazu gelesen, ich schlage heute Abend mal nach und fasse kurz zusammen. Und weils mir grade noch einfällt und schon mal die Tendenz der Vorstellung zur männlichen Sexualität im 3. Reich wiederspiegelt: die Darfscheine, die Soldaten zum Bordellbesuch ausgehändigt wurden, hießen "Sanierschein". Irgendwo hab ich auch noch ein Bildchen, wenn ich es finde, scanne ich auch direkt noch.
 
Die Frage, die sich mir nun immernoch stellt, ist, wie passt staatlich gelengte Prostitution mit dem Nationalsozialismus zusammen, oder hat hier die Heeresleitung nur auf die niederen Instinkte ihrer Soldaten reagiert und die Ideologie und Rassenlehre ausgeblendet?
So widersprüchlich sehe ich die beiden Sachverhalte also nicht unbedingt. Eine entsprechend simple Vorstellung zur männlichen Sexualität spielte natürlich auch eine Rolle.
Da stimme ich Lili zu. Was den Mann betrifft, so steht im Hintergrund wieder ein sog. "Dampfkesselmodell": Im Manne als solchem brodelt es vernehmlich, und damit es ihn nicht zerreißt, braucht's ein Ventil - natürlich mit ausführlicher bürokratischer Gebrauchsanweisung (siehe unten).

Das Frauenbild hierbei hat auch ein ehrwürdiges Alter: Es gibt "Heilige" und "Huren", wobei im Nationalsozialismus die rassische Komponente alle anderen überwiegt und letztlich auch für die Behandlung der Frauen ausschlaggebend ist.

Im Übrigen war Prostitution zwischen 1933 und 1945 keineswegs generell verboten, wurde freilich - wegen der teilweise pathologischen Angst der Nazis vor Geschlechtskrankheiten - sehr stark kontrolliert. "Das ärztlich kontrollierte Bordell galt als 'Patentlösung gegen die Geschlechtskrankheiten'." [2]

die Darfscheine, die Soldaten zum Bordellbesuch ausgehändigt wurden, hießen "Sanierschein". Irgendwo hab ich auch noch ein Bildchen, wenn ich es finde, scanne ich auch direkt noch.
Die Soldaten erhielten dreiteilige Laufzettel: [1]
A. Berechtigung zum Eintritt in Wehrmachtbordell [mit Datum und Kontrollbuch-Br.]
B. Bordell [mit Name der Lokalität und der "Partnerin" [sic]]
C. Bescheinigung über erfolgte Sanierung [mit Erkennungsmarken-Nr., Feldpost-Nr. und Sanierungsdatum]
[1] Abgedruckt z.B. in Aquila u.a., Sittengeschichte des Zweiten Weltkrieges. Hanau o.J. - ohne Quellennachweise, deshalb wissenschaftlich weitgehend unbrauchbar.
[2] Krankheit, Sexualität, Gesellschaft ... - Google Bücher
 
Die Angst vor Geschlechtskrankheiten war ja auch nicht unberechtigt. Es sind bei der Wehrmacht zeitweise erstaunlich hohe Ausfälle auf Grund solcher Infektionen verzeichnet worden, so dass man irgendwann auch Soldaten die sich einen Tripper holten, unterstellte sie würden dieses mit Absicht tun und sie deshalb belangte.

Es gab auch Witze bei den Westallierten dazu, dass der Hauptbeitrag der französischen Resistance darin bestand, die deutschen Landser mit Gonokokken zu infizieren.
 
...erstaunlich hohe Ausfälle auf Grund solcher Infektionen...
"Die Lazarette für Geschlechtskranke", so berichtet der britische Offizier und Schriftsteller Robert Graves aus dem Ersten Weltkrieg, waren "in der Etappe stets überfüllt. ... Das 'Drapeau blanc' rettete vielen von ihnen das Leben, indem es sie für den Dienst im Schützengraben unfähig machte." [1]

Eine Milchmädchenrechnung sozusagen - dafür starben halt andere...


[1] Good-bye to all that: an autobiography. 5th Ed. New York/Oxford 1995, S. 210 (eig. Übers.). - Das Drapeau blanc war ein Mannschaftsbordell in Rouen.
 
Da stimme ich Lili zu. Was den Mann betrifft, so steht im Hintergrund wieder ein sog. "Dampfkesselmodell": Im Manne als solchem brodelt es vernehmlich, und damit es ihn nicht zerreißt, braucht's ein Ventil

Erinnert ihr Euch? Die gleiche Diskussion hatten wir beim Thema Homosexualität in militärischen Gesellschaften. Und vermutlich auch dieselben diskursiven "Frontstellungen".
 
Und vermutlich auch dieselben diskursiven "Frontstellungen".
Das bliebe abzuwarten. Spannend ist sicher die Frage, wo im Zweiten Weltkrieg die "Front" verlief.

Im Ersten Weltkrieg jedenfalls gab es durchaus einen Streit unter Wissenschaftlern, der "einen großen Umfang" annahm, für und gegen Militärbordelle mit z.T. radikalen Forderungen: "Und schon im November 1914 mehrten sich die Stimmen besonders auf seiten der einberufenen Ärzte für ein möglichst weitgehendes Verbot des Geschlechtsverkehrs für Soldaten. In einer Sitzung der Kriegsärzte in Lille empfahl Professor Flesch aus Frankfurt unter anderem 'geschlechtliche Enthaltsamkeit als Pflicht für das gesamte Feldheer, Mannschaften und Vorgesetzte für die Dauer des Feldzuges und Schließung aller Bordelle, Animierkneipen usw. an Orten, an denen sich Feldtruppen aufhalten'." [1]

Diese Stimmen, die das "Dampfkesselmodell" damit implizit zurückwiesen, konnten sich jedoch nicht durchsetzen - gegen das Militär selbst! "Man wollte in diesen [Militär-]Kreisen ein Verbot des Geschlechtsverkehrs gar nicht ernstlich in Erwägung ziehen, weniger weil das dem gesunden Gefühl widersprochen hätte, als aus Gründen militärischer Tradition [sic]. Gegen alle von Wissenschaftlern ins Treffen geführten Argumente wurde immer wieder darauf verwiesen, daß ein solches Verbot 'dem soldatischen Empfinden widerspräche' [sic]". [2]


[1] Bericht in der Liller Kriegszeitung, Jg. 1915, H. 31 - zitiert nach Gaspar u.a., Sittengeschichte des Ersten Weltkrieges, Hanau o.J., S. 232
[2] Gaspar u.a., S. 233
 
Es gab auch Witze bei den Westallierten dazu, dass der Hauptbeitrag der französischen Resistance darin bestand, die deutschen Landser mit Gonokokken zu infizieren.
Die Quelle würde mich interessieren!

Ich nehme an, dass die "Grundidee" - Feind kämpft mit allen Mitteln - schon älter ist. Wiederum für den Ersten Weltkrieg lässt sie sich exakt nachweisen z.B. anhand des Aufsatzes von Walter Brack über Frauen und Krankheiten als Kampfmittel [1].

Verfasser berichtet u. a. auf Eindringlichste über das Schicksal des Oberleutnants R., der im Brüsseler Nachtlokal "Gaité" in die Fänge einer wunderschönen Frau namens Ellen gerät und schon 24 Stunden, nachdem er "hochbefriedigt" Abschied genommen, "die unangenehme Entdeckung (machte), daß sein Liebesverkehr mit Ellen nicht ohne Folgen geblieben war." Er schaltete sofort die Kriminalpolizei ein, deren Verhöre schließlich ein Geständnis aus Ellen herausbrachten: "Mehr als zweihundert beste deutsche Offiziere haben die Nacht mit mir teuer bezahlen müssen, und meinem Vaterlande habe ich gedient."

Diese Untat ward noch übertroffen von einer Frau aus Ostende, "die ihre verderbliche Liebesgunst höchst ungeteilt Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften zuwandte und bis zu ihrer Verhaftung im ganzen fünfhundert Männer angesteckt hatte", sowie von einer Frau aus Leipzig, die gar "mehrere Tausend Mann" auf dem Gewissen gehabt haben soll.

Der Autor zieht folgende Lehre daraus: "Jede humane Regung ... [in Bezug auf solche Frauen und die Leute, in deren Dienst sie stehen] erweist sich hier als selbstmörderisch und kommt einer unverzeihlichen Schwäche gleich, die den Feind stärkt und seinem Siege in die Hände arbeitet..."


[1] in: Weltkriegsspionage, hg. v. Lettow-Vorbeck. München 1931, S. 413-418 (im Abschnitt "Der ewige Köder").
 
Bdaian schrieb:
Es gab auch Witze bei den Westallierten dazu, dass der Hauptbeitrag der französischen Resistance darin bestand, die deutschen Landser mit Gonokokken zu infizieren.



Die Quelle würde mich interessieren!

....

Oh Gott! Das habe ich vor ewigen Zeiten irgendwo aufgeschnappt. M.E. war das jedoch eher ein böswilliger Seitenhieb eines Briten oder US-Amerikaner auf die Franzosen als eine ernsthafte Beschreibung subversiver Aktivitäten.
 
Eine entsprechend simple Vorstellung zur männlichen Sexualität spielte natürlich auch eine Rolle. Ich habe vor einiger Zeit in einem Buch ("Das Geschlechtsleben bestimmen wir" von Anna Sigmund) einiges dazu gelesen, ich schlage heute Abend mal nach und fasse kurz zusammen.
Während der Woche habe ich es leider nicht mehr geschafft, daher erst jetzt. Nachdem sich Sigmund an den entsprechenden Stellen auf die "Monologe im Führerhauptquartier" bezieht, habe ich entsprechende Stellen direkt dort nachgeschlagen. Allerdings beschreibt er sein Männerbild leider nicht so expizit wie er es mit seinem Frauenbild tut, vielmehr muss man mehr oder weniger aus dem Zusammenhang schließen. So teilt er beispielsweise die Meinung Nietzsches indem er den Philosophen mit seiner Aussage "einen Mann gering schätzen, wenn man annimmt, dass es nur eines Mädchens bedürfe, um ihn glücklich zu machen" zitiert. Weiterhin führt er aus, dass Frauen emotional tiefer lieben als Männer, weswegen es seiner Meinung nach in der Natur der Sache liege, dass sich Frauen in eine Abhängigkeit vom Mann begeben und Männer Frauen damit auch notwendigerweise durch sexuelle Anbindung unterdrücken müssen. Im Gegensatz zu Männern brauchen Frauen auch keine sexuelle Befriedigung, sondern haben lediglich das Bedürfnis Kinder zu bekommen. Diese Vorstellungen schildert Hitler nicht nur in seinen Monologen, sondern versucht quasi durch die Hintertür, sein Bild von Frau und Mann sowie deren Zusammenleben auch in der öffentlichen Wahrnehmung zu etablieren. So werden beispielsweise zeitgenössische sexualkundliche Veröffentlichungen verboten. Stattdessen wird die "Hygiene des Geschlechtslebens" des Hygienikers Max von Gruber, die er ebenfalls desöfteren in den Monologen zitiert, als das Standardwerk propagiert. Schließlich teilt von Gruber die Meinung des Führers zu großen und v.a. in den wesentlichen Teilen. (zum Nachlesen: Max von Gruber - Hygiene des Geschlechtslebens)

Im Übrigen war Prostitution zwischen 1933 und 1945 keineswegs generell verboten, wurde freilich - wegen der teilweise pathologischen Angst der Nazis vor Geschlechtskrankheiten - sehr stark kontrolliert. "Das ärztlich kontrollierte Bordell galt als 'Patentlösung gegen die Geschlechtskrankheiten'." [2]
Stimmt, vorboten war Prostitution im Dritten Reich zu keiner Zeit. Insbesondere Hitler scheint aber eine extreme Angst vor der Syphillis gehabt zu haben. In "Mein Kampf" beschreibt er sehr überspitzt die Auswirkungen der Syphillis durch die "Prostituierung der Liebe". Er geht sogar soweit und benennt die "französische Krankheit" in die "jüdische Krankheit" um, da er auch die Prostitution für eine jüdische Erscheinung hält: "Die Verjudung unseres Seelenlebens und die Mammonisierung unseres Paarungstriebes werden früher oder später unseren ganzen Nachwuchs verderben, denn anstelle kraftvoller Kinder eines natürlichen Gefühls, werden nur mehr die Jammererscheinungen finanzieller Zweckmäßigkeit treten." ("Mein Kampf", zitiert nach Sigmund)

Die Soldaten erhielten dreiteilige Laufzettel: [1]
A. Berechtigung zum Eintritt in Wehrmachtbordell [mit Datum und Kontrollbuch-Br.]
B. Bordell [mit Name der Lokalität und der "Partnerin" [sic]]
C. Bescheinigung über erfolgte Sanierung [mit Erkennungsmarken-Nr., Feldpost-Nr. und Sanierungsdatum]​

Der versprochene Sanierschein (aus: Gaspar "Sittengeschichte des 2. Weltkriegs"):
Sanierschein.jpg

Die Angst vor Geschlechtskrankheiten war ja auch nicht unberechtigt. Es sind bei der Wehrmacht zeitweise erstaunlich hohe Ausfälle auf Grund solcher Infektionen verzeichnet worden, so dass man irgendwann auch Soldaten die sich einen Tripper holten, unterstellte sie würden dieses mit Absicht tun und sie deshalb belangte.
Wie du ebenfalls bereits anführst, würde ich das auch in die stereotypgesteuerte Gerüchteketegorie einordnen. Sowohl im 1. als auch im 2. Weltkrieg bekamen Soldaten bereits entsprechende Monatsrationen an Kondomen und selbst wenn die nicht gereicht hätten, so hätten sich die Soldaten des 2. Weltkriegs quasi an jeder Straßenecke zumindest in den ersten Kriegsjahren mit Nachschub versorgen können. Abgesehen von absichtlicher Ansteckung wäre dieses Infektionsrisiko durch geeignete Prävention also gar nicht gegeben gewesen.

Erinnert ihr Euch? Die gleiche Diskussion hatten wir beim Thema Homosexualität in militärischen Gesellschaften. Und vermutlich auch dieselben diskursiven "Frontstellungen".
Wie darf/muss/soll ich das jetzt wieder verstehen?​
 
Erinnert ihr Euch? Die gleiche Diskussion hatten wir beim Thema Homosexualität in militärischen Gesellschaften. Und vermutlich auch dieselben diskursiven "Frontstellungen".

Naja, hier geht es um staatlich geförderte Prostitution, vor allem beim Militär.
Das ist doch etwas anderes, als die Problematik der Homosexualität im Militär.
Die ein oder andere Anmerkung kann sich da natürlich überschneiden, da es hier auch um Sexualität geht, sollte aber die Ausnahme sein.

Und ich glaube kaum, daß es von der Wehrmacht gelenkte Bordelle für Homosexuelle gegeben hat. Wenn ja, dann falle ich vom historischen Glauben ab.:scheinheilig:

Und Danke Lili, für den tollen Beitrag.
 
Ich habe mir das von köbis17 anfangs erwähnte Buch mal besorgt und kann es empfehlen. Hinweis: Die Autorin instistiert streng auf dem Frankreich-Bezug; die Verhältnisse im Osten etwa oder in den KZ-Bordellen bezeichnet sie - zu Recht - als nicht vergleichbar. (Auch über die Genese im Ersten Weltkrieg schreibt sie nix, leider.)

Zu den Fragen aus #1 ist ja einiges Beachtliche gesagt worden, insbesondere in #6, #13, #23 und #39; ich bitte allfällige Redundanzen zu entschuldigen.

1. Menschenbild

Hitler wird mit der Auffassung zitiert, Männer bräuchten - von Natur aus - sexuelle Befriedigung. Wie ich schon in #24 mit Bezug auf ein simples Triebmodell angedeutet habe, wusste er sich darin einig mit hohen und höchsten Militärs, welche [#35] auf die "militärische Tradition" und das "soldatische Empfinden" verwiesen. Die Autorin bestätigt, dass dies auch bei den Spitzen der Wehrmacht so gesehen wurde. - Trägt man dem nicht Rechnung, so die implizite Argumentation, drohen weit größere Übel, etwa dass zucht-lose Kameraden gewaltsam über Frauen herfallen oder gar übereinander.

Zwei Beispiele zur dennoch anhaltenden Diskussion: Ein leitender Sanitätsoffizier klagte 1942 über "einzelne Kommandeure und Offiziere", die "immer noch glauben, aus einer mißverstandenen Moralanschauung heraus gegen die Einrichtung der Bordelle Sturm laufen zu müssen. Damit ist den Bedürfnissen des Mannes nicht gedient". Und Heeres-OB von Brauchitsch verwies im Juli 1940 darauf, dass "auf sexuellem Gebiete da und dort Spannungen und Nöte auftreten, denen gegenüber man die Augen nicht verschließen kann". [1] (Ich komme in Ziffer 4 darauf zurück.)

2. Frankreichbild

Es dürfte "kein anderes Land gegeben haben, das so flächendeckend mit Wehrmachtbordellen überzogen wurde wie Frankreich" [2]. Dafür gibt es mehrere Gründe, u.a. auch diesen mentalitätsgeschichtlichen:

"Frankreich galt den Deutschen nicht nur als Metropole des sexuellen Amüsements, sondern ebenso als ein Land der Seuchen, der massenhaften unkontrollierten Prostitution und der Ansteckungsgefahr, in dem zahllose geschlechtskranke Französinnen die Gesundheit der deutschen Soldaten gefährdeten." [3] In einem 1940 erschienenen Frankreich-Buch hiess es, das Land sei "von unzählig vielen Bordellen überschwemmt, in denen hemmungslose Genußsucht ihre giftigsten Blüten treibt". Das OKH nahm in seinen grundlegenden Erlassen vom Juli 1940 diese Darstellung auf; der Generalquartiermeister selbst behauptete darüber hinaus, "ein großer Teil der nicht unter ärztlicher Kontrolle stehenden Prostituierten [in Frankreich und Belgien!] ist geschlechtskrank." [4]

Woher kommt das? Besagtes Buch verweist auf die historisch erwiesene "Frivolität" in der französischen Gesellschaft, die sich gesteigert habe durch "die republikanische Staatsform und 'die Bejahung einer ungehemmten Freiheit des Individuums'"...

3. Mädchenhandel, Geschlechtskrankheiten, Rassenbiologie

Im typischen, in den 20er Jahren stark aufkommenden Klischee des "jüdischen Mädchenhändlers", das auch Hitler selbst benutzte, flossen nationalistische, rassistische und insbesondere antisemitische Ressentiments zusammen, und "selbstverständlich" wurde hier auch ein Grund gesucht, warum die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten so schwierig sei. Eine wichtige Rolle spielte hierbei die im späten 19. Jh. aufkommende (wissenschaftlich unhaltbare) Lehre von der "erblichen Syphilis", welche die Völker "vergifte" und für die Hitler und andere fanatische Nazis natürlich auch die Juden (mit) verantwortlich machten (siehe Lilis #39).

Zur "jüdischen Gefahr" kommt noch der Verdacht des "Widerstands per Infizierung". Ich hatte ja bereits angeführt, dass auch in Ersten Weltkrieg, der den Befehlshabern des Zweiten sehr präsent war, die wildesten Gerüchte über diese Art von "biologischer Kriegführung" verbreitet wurden. [5] Infolgedessen wurde dann ab 1941 auch verbreitet, dass "die französische Résistance die Ansteckung der Besatzer mit Geschlechtskrankheiten als Kampfinstrument einsetze und gezielt organisiere." [6]

4. "Rest and recreation"

Sehr wichtig finde ich den Gedanken, das Thema auch und gerade unter dem Aspekt der "Belohnung" zu betrachten! [7]

Gesundheitsfürsorge war das eine Motiv, aber die Wehrmachtbordelle waren auch "als ein Angebot des OKH an die Truppe zu begreifen, mit dem Kriegsteilnahme und Loyalität belohnt worden. Als Bestandteil der Truippenführung gewertet, war das Bordellsystem ein Gegenstück zu den massenhaften Exekutionen, mit denen die deutschen Führungsstäbe auf Desertionen reagierten. Denn der wehrmachteigene Bordellbetrieb demonstrierte den deutschen Soldaten, daß sie als Angehörige der Wehrmacht mit sexuellen Dienstleistungen versorgt wurden und daß man keinen Aufwand scheute, um ihnen ein Zusammensein mit französischen Frauen zu ermöglichen, das persönliche Risiken oder Unannehmlichkeiten weitgehend ausschloß, da für militärischen und präventivmedizinischen Schutz ebenso gesorgt war wie für einheitliche Tarife."

Der emigrierte Thomas Mann schrieb in Doktor Faustus "mit Blick auf die deutsche Okkupation Frankreichs, daß der französischen Hauptstadt 'in der neuen [Nazi-] Ordnung die Rolle des europäischen Lunaparks und Freudenhauses zugedacht war'", und tatsächlich nutzte die Wehrmacht "das besetzte französische Territorium - über die eigentliche Okkupation und die damit verbundenen wirtschaftlichen und militärischen Zielsetzungen hinaus - als Hinterland zur Ausbildung, Erholung und Neuzusammenstellung von Verbänden, die im Osten eingesetzt wurden. Ab 1942 verlegte man immer wieder dezimierte und demoralisierte Einheiten von der Ostfront nach Frankreich. Dabei spielte der von den Sanitätsoffizieren organisierte sexuelle Dienstleistungsbereich eine wichtige Rolle." [8]

[1] zitiert bei Meinen, aaO, S. 73, 74. - Brauchitsch persönlich scheint sich sehr intensiv gerade mit dem Bordell-Problem und der Gefahr der "wilden Prostitution" (S. 55) auseinandergesetzt zu haben.
[2] S. 214
[3] S. 10
[4] zitiert S. 53, das folgende S. 50
[5] Ich hatte es in #36 für überflüssig gehalten, darauf hinzuweisen, dass alle einschlägigen Geschichten aus jenem "Spionage"-Werk unbewiesen sind - wichtig ist nur: sie wurden geglaubt!
[6] Meinen, S. 55
[7] Man kann hier durchaus eine Parallele zur Argumentation im Aly'schen Volksstaat ziehen; das folgende Zitat bei Meinen, S. 75
[8] S. 75, 76
 
Gestern sah ich zufällig (im Supermarkt) en passant Ausschnitte aus einer Dokumentation auf N24, das zumindest teilweise diesen Thread betrifft:

Liebe, Sex und Nazis - Deutsche Besatzer in FrankreichAnhand von bislang unbekannten Filmaufnahmen und Interviews widmet sich die französische Dokumentation dem oft tabuisierten Thema der sexuellen Beziehungen zwischen Einheimischen und deutschen Soldaten im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs. Wirtschaftliche Not trieb viele auf sich gestellte Französinnen in die Prostitution oder in die Arme eines Deutschen. Am Ende des Krieges zahlten einige dafür einen hohen Preis und wurden öffentlich gebrandmarkt.

Auf der Homepage von n24 unter Dokumentation ist dieser Beitrag zu finden:

N24 Dokumentationen online ansehen - N24.de
 
Gestern sah ich zufällig (im Supermarkt) en passant Ausschnitte aus einer Dokumentation auf N24, das zumindest teilweise diesen Thread betrifft:



Auf der Homepage von n24 unter Dokumentation ist dieser Beitrag zu finden:

N24 Dokumentationen online ansehen - N24.de

Ich habe mir die Dokumentation angeschaut.

Die Doku baut auf den Thesen von Patrick Buisson auf, der auch zu Wort kommt. Eigentlich ist es seine Doku. Patrick Buisson ist Journalist, Politologe und Berater von Sarkozy.

Hier der Deutsche Wiki-Artikel über ihn:

Patrick Buisson ? Wikipedia

Und hier der französische Eintrag:

Patrick Buisson - Wikipédia

Die Grundlage der Doku auf N24 ist das Buch von Buisson: "1940-1945: Années érotiques: Vichy ou les infortunes de la vertu". Erschienen ist es 2008.

Dessen Veröffentlichung für einigen Wirbel in Frankreich gesorgt hat. Aber so wirklich mit dem Bordellsystem der Wehrmacht hat es eher nichts zu tun.

Hier ein Hinweis darauf:

Erotische Invasion der Wehrmacht - Der französische Politologe Patrick Buisson | Kultur heute | Deutschlandfunk
 
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