Hallo Octavian,
ich versuche es einmal mit einer kürzestmöglichen Antwort...
Octavian schrieb:
Ich habe zu diesem Thema mal eine Frage:
Hatte wirklich jeder Ritter eine Burg? Mein Geschichtlehrer behauptete nämlich, dass jeder Ritter eine eigene Burg besessen hatte. Aber ich habe gelesen, dass nicht jeder Ritter sofort nach seiner Ausbildung eine Burg bekam, sondern oftmals erst als "fahrender Ritter" durch das Land zog. Dies traf doch sehr häufig bei 2.geborenen Söhnen zu, da die Burg und das dazugehörige Lehen schon an den 1.geborenen Sohn fiel.
Doch muss man gleichzeitig bedenken, dass der Bau und die Unterhaltskosten einer Burg mit den dazugehörigen Angestellten Unsummen von Geld verschlang, so dass sich nur Hochadel und ein paar reich gewordene Ministeriale so etwas leisten konnten, ganz abgesehen davon, dass der Burgenbau ein Regal war und somit nur dem König vorbehalten war, was den Adel aber nicht großartig interessierte.
Wenn man der Aussage meines Lehrers Glauben schenkt, muss es doch in Europa hunderttausende von Burgen gegeben haben!
Zunächst zu der Annahme, daß es ja in Europa so viele Burgen gegeben haben müßte: hier darf man zwei Dinge nicht übersehen. Erstens gab es eine beträchtliche Anzahl mehr an Burgen als jene, die heute noch erhalten sind - in Deutschland findet man bspw. abseits heutiger Ortslagen scheinbar "mitten in der Landschaft" Fundamente solcher Anlagen. Zum anderen gab es gar nicht so viele Ritter, wie oftmals (fälschlicherweise) angenommen wird: dazu sollte man sich vor Augen halten, daß bspw. ein Herzog oder Bischof, welcher 1000 Ritter oder mehr (also nicht eingeschlossen die ebenfalls gepanzerten Reiterkrieger der Sergenten) ins Feld schicken konnte, bereits ein mächtiger Fürst und damit schon außergewöhnlich war - zumindest gilt diese Abschätzung fürs Hochmittelalter (also etwa 1100 - 1300)!
Lassen wir mal den für Deutschland typischen Ministerialen außen vor (der übrigens ein Lehen und damit eine Burg haben konnte oder auch nicht) und konzentrieren uns auf den "richtigen" ritterlichen Adel. Außerdem bezieht sich meine Schilderung wieder aufs hohe Mittelalter...
Nehmen wir den quasi Normalfall eines Ritters: er hat 2 Söhne, und nur der erste erbt das Lehen und damit die väterliche Burg - d.h. auch er ist wieder Ritter mit Burg. Der zweitgeborene wird gewöhnlich aber nicht Ritter, sondern dem geistlichen Stand zugeführt (Mönch, Priester, ...) - das ist aber nicht als "Abschiebung" des Nachgeborenen mißzuverstehen, sondern bedeutet ja, daß man damit einen Gelehrten bzw. Mann von Bildung in der Familie hat. Unabhängig davon haben wir in diesem Fall das JA: Ritter mit Burg!
Der Fall, daß ein oder auch mehrere nachgeborene Söhne nicht in den geistlichen Stand kommen, ist seltener und tritt meines Wissens dann ein, wenn betreffender zweiter, dritter, ... Sohn nicht zum Mönch oder Priester oder dergleichen "taugt", d.h., oftmals zu ungesittet und/oder zu ungebildet ist. Wird ein solcher Nachgeborener nun auch Ritter, so handelt es sich - vereinfacht gesagt - oftmals um einen sog. Einschildritter: er bringt sich selbst, seine Ausrüstung (Waffen, Schild, Rüstung, Pferde, Waffenknechte) und damit seine ganze Kampfkraft ein, um bei einem anderen Herren (oft Grafen, Herzog, Abt, Bischof o.ä.) in Dienst zu treten. Hier haben wir dann ein NEIN: Ritter ohne Burg!
Noch einmal zur Verdeutlichung: der zweite Fall ist seltener, tritt aber nicht nur in Einzelfällen auf!
Der dritte Fall ergibt sich im Umfeld der Kreuzzüge und dem Entstehen der Ritterorden: hier sammeln sich nachgeborene Söhne des (oft ritterlichen) Adels und treten einem solchen Orden bei. Also faktisch so etwas wie die Verbindung aus den beiden zuvor genannten Fällen - auch wenn das jetzt wieder vereinfacht gesagt ist. Der Nachgeborene tritt in eine klösterliche Ordensgemeinschaft ein, und er bringt dabei sich selbst, seine Ausrüstung (Waffen, Schild, Rüstung, Pferde - damit wieder seine Kampfkraft) sowie eine Schenkung/Mitgift an den Orden ein. Und obgleich die Orden über sehr gut ausgebaute Burgen verfügen, haben wir auch hier wieder den Fall eines Ritters ohne Burg, wenngleich dieser einen Spezialfall darstellt.
In jener Zeit (12./13.Jh.) übrigens ist dieser "Karriereweg" - der letztgenannte - gerade für die nachgeborenen Söhne des ritterlichen Adels äußerst lukrativ.
Ich hoffe, dies hilft Dir wenigstens etwas zur Beantwortung Deiner Frage.
In diesem Sinne
Timo