Die USA wird man als anders gelagerten Fall betrachten können, weil es in den USA historisch im Gegensatz zu Russland immer an billigen Arbeitskräften fehlte.Diese Frage wurde trotz der vielen Worte von dir nicht befriedigend beantwortet. Es wurden zwar die Weite des Landes, die geringe Bevölkerungsdichte und die schwierige physische Erreichbarkeit und damit schwierige Kontrolle durch den Staat genannt, aber mit diesem Problem haben auch andere Staaten zu kämpfen gehabt – siehe z.B. USA – und haben dennoch den Weg in die Moderne gefunden. Die USA haben diesen Weg Ende des 18. Jahrhundert sogar initiiert und wurden damit ein Vorbild für Europa.
Die Ureinwohner wurden zumeist vertrieben und im Gegensatz zu Russland gab es kein zum Teil leibeigenes Agrarproletariat.
Wer von Europa in die Kolonien rüber ging, tat das ja nicht um dort abhängiger Landarbeiter zu werden, sondern Landbesitzer und wirtschaftlich sein eigener Herr.
Wenn sich infolgedessen aber das Angebot an menschlicher Arbeitskraft für die Aufgaben, die Europa traditionell dem Agrarproletariat zufielen, in Grenzen hielt und Beschäftigung von freien Arbeitern dementsprechend relativ teuer war, gab es zwei Auswege:
1. Heranschaffen unfreier Arbeiter, die sich dagegen nicht wehren konnten (Sklaverei)
2. Hervorbringen technischer Lösungen um teure menschliche Arbeitskraft zu ersetzen.
In den Gebieten des Nordens, die sich schon Ende des 18. Jahrhunderts oder in den ersten 2 Dekaden des 19. Jahrhunderts gegen die Sklaverei entschieden, blieb dann vor dem Beginn der Masseneinwanderung Mitte des 19. Jahrhunderts eben nur noch der Weg technischer Lösungen.
Im Übrigen wenn man sich damit rein auf die staatlichen Strukturen bezieht, würde ich bei den USA durchaus Diskussionspotential dahingehend sehen, ob sie eine vergleichbare Entwicklung wie Europa hingelegt haben.
Wenn man sich z.B. anschaut, dass da z.B. Teile des Strafvollzugs in den Händen privater Unternehmer liegt, was in den meisten Ländern Europas völlig undenkbar wäre und bei anderen Dingen, wie etwa dem Umstand, dass es in USA weitgehend verpöhnt ist, eine Sozialpolitik, die diesen Namen auch verdient als öffentliche Aufgabe betrachten zu wollen, mit der Konsquenz, dass das so gut wie nicht stattfindet, dann scheint in den USA an vielen Stellen durchaus noch die Vormoderne durch.
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Gehe ich ganz explizit nicht mit.Auch Japan war noch Mitte des 19. Jahrhunderts ein rückständiger Staat
Japan fehlte die innustrielle Produktionsweise, aber das Land an und für sich war durchaus gut entwickelt und für einen vormodernen Agrarstaat auch recht gut verwaltet.
Das Land hätte wenn die Grundlagen nicht vorhanden gewesen wären, niemals die Aufholjagt ab den 1870er Jahren hinlegen können, die es Japan innerhalb von 50 Jahren ermöglichte halb Europa zu überflügeln und sich durchaus mit den Großmächten der Zeit zu messen.
Naja, das ist, was Japan betrifft nicht so ganz richtig.In Russland dagegen wird gesagt, das Land würde seine Identität verlieren, würde es sich nach westlichem Muster organisieren. Das klingt ganz nach japanischen Einwänden bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Doch Japaner sagten das, bevor sie eine Modernisierung des Staates starteten, Russen aber haben diese Modernisierungen schon mehrfach versucht durchzuführen - und scheiterten jedes Mal, zuletzt unter Gorbatschow, Jelzin und Putin.
Ablehnung der westlichen Kultur bedeutet ja durchaus nicht Ablehnung westlicher Institutionen und Organisationsformen.
Der Höhepunkt der Ablehnung der westlichen Kultur in Japan dürfte in den 1930er und 1940er Jahren gewesen sein.
Man übernahm im ausgehenden 19. Jahrhundert sehr viel an Europäischen Techniken und im Übrigen auch Institutionen und Gesetzen.
Das passierte aber nicht unbedingt im Zusammenhang mit dem Wunsch sich irgendwie in den Westen zu integrieren, sondern als Abwehrmittel gegen den westlichen Imperialismus und als Mittel um eine eigene Großmacht begründen zu können
Was nun Russland betrifft, ergibt sich gegenüber Japan einfach auch der Unterschied, dass Russland in seiner Geschichte immer ein multiethnisches Imperium war, was natürlich auch Konsequenzen zeitigte, im Besonderen auch deswegen, weil in der Russischen Geschichte viele bedeutende Funktionsträger eben immer wieder auch keine Russen waren, sondern Personen aus den Randgebieten des Imperiums.
Historisch hat das immer wieder zu Befürchtungen unter Teilen der ethnisch-russischen Bevölkerung geführt, dass sich das Verhältnis von imperialem Zentrum und der Peripherie umkehren könnte.
Historisch korrespondierte die Frage einer Westausrichtung oder deren Vermeidung im alten russischen Imperium auch immer mit der Frage der innenpolitischen Machtverhältnisse zwischen den Volksgruppen.
Wann immer das alte zarische Russland gesteigerten Wert auf eine Modernisierung und Ausrichtung nach Westen legte, waren natürlich in Entscheidungspositionen Personen gefragt, die das vermitteln konnten und das waren im alten Zarenreich sehr oft Polen und Deutschbalten, die eben die Kontakte nach Westen hatten, häufig auch außerhalb Russlands studiert hatten etc.
Das aber bedeutete, dass bei einer Hinwendung nach Westen, für die man eben entsprechende Experten brauchte ethnische und religiöse Minderheiten innerhalb Russlands zum Teil Machtpositionen deutlich überproportional zum Anteil an der Bevölkerung bekleiden konnten.
Blätter vielleicht mal die einschlägigen Wikipedia-Listen zu den Ministern, zu den Mitgliedern des Staatsrates im Zarischen Russland und zu den Generälen der Armee durch und schau dir mal an, wie viele deutsche Namen du darunter findest.
Allein die Deutschbalten stellten im 19. Jahrhundert im Zarenreich eine Anzahl von Eliten, die proportiolan ihren Anteil an der Bevölkerung wahrscheinlich locker um das 10-Fache übertraf und sowas führt dann eben sehr oft zum Gefühl von Überfremdung.
Würde es wahrscheinlich selbst in einer modernen, sehr viel mobileren Gesellschaft tun.
Vor diesem Probleem stand Japan in dieser Form im 19. Jahrhundert nicht, weil es nicht in dem Maße wie Russland ein multinationales Imperium war, in dem die innenpolitischen Machtverhältnisse zwischen den Volksgruppen austariert werden mussten.
Insofern hat, jedenfalls historisch der Widerstreit zwischen Slawophilen und Westlern durchaus nicht nur etwas mit grundsätzlichen Idealvorstellungen zu tun, sondern ganz praktisch auch mit der Frage, wie hoch die Bereitschaft war, Personen mit einer anderen Kultur einen Großen Anteil an politischen Machtpositionen zu überlassen und das ist ein heikles Thema.
Ich denke, was Putin betrifft, ist das vor allem ein Legitimationsproblem.Das Land scheint außerstande, die eigenen Defizite zu erkennen, oder es erkennt sie, aber schafft es nicht, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen, oder es ergreift sie, aber sie sind nicht von Dauer.
Putin selbst ist ja als politische Figur Produkt der chaotischen Zustände, der Gewalt, Korruption und Wild-West-Mentalität im Russland der 1990er Jahre. Und als Produkt dieser Umstände kann er nur in gewissem Maße dagegen vorgehen ohne sich selbst und seinen eigenen Weg zur Macht offenn infrage zu stellen.
Obendrein dürfte noch ein Problem hinzu kommen, dass uns aus der deutschen Geschichte nicht ganz unbekannt sein dürfte:
Mit dem Zusammenburch des "Realsozialismus" und dem Umstand, dass die Bevölkerung darauf keinen Bock mehr hatte, dürfte ein guter Teil der ehemaligen sowjetischen Funktionseliten aus politischen Gründen untragbar geworden sein.
Aber woher, wenn man die Leute herauswarf qualifizierten Ersatz nehmen? In Deutschland konnte man nach 12 Jahren Nazi-Herrschaft in vielen Bereichen noch Leute wieder einstellen, die schon vor den Nazis herausgehobene Stellungen eingenommen hatten, von den Nazis aber aussortiert wordenn waren.
Aber nach 70 Jahren Herrschaft der Kommunistischen Partei gab es halt keine älteren Experten aus einer Zeit vor diesem politischen System mehr.
Das heißt, da, wo es notwendig war, ex KP-Mitglieder und Funktionäre herauszuwerfen, weil die Bevölkerung es aus politischen Gründen verlangte, dürfte nichts anderes übrig geblieben sein, als eher unqualifizierte Leute einzustellen und die ruinierten russischen Staatsfinanzen haben sicherlich nicht unbedingt dazu beigetragen in Sachen Ausbildung besonders viel zu tun, während viele gut qualifizierte Leute das Land verließen.
Das dürfte der Effizienz auf allen Ebenen nicht unbedingt geholfen haben.
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