Das russische Selbstbild

Diese Frage wurde trotz der vielen Worte von dir nicht befriedigend beantwortet. Es wurden zwar die Weite des Landes, die geringe Bevölkerungsdichte und die schwierige physische Erreichbarkeit und damit schwierige Kontrolle durch den Staat genannt, aber mit diesem Problem haben auch andere Staaten zu kämpfen gehabt – siehe z.B. USA – und haben dennoch den Weg in die Moderne gefunden. Die USA haben diesen Weg Ende des 18. Jahrhundert sogar initiiert und wurden damit ein Vorbild für Europa.
Die USA wird man als anders gelagerten Fall betrachten können, weil es in den USA historisch im Gegensatz zu Russland immer an billigen Arbeitskräften fehlte.
Die Ureinwohner wurden zumeist vertrieben und im Gegensatz zu Russland gab es kein zum Teil leibeigenes Agrarproletariat.
Wer von Europa in die Kolonien rüber ging, tat das ja nicht um dort abhängiger Landarbeiter zu werden, sondern Landbesitzer und wirtschaftlich sein eigener Herr.
Wenn sich infolgedessen aber das Angebot an menschlicher Arbeitskraft für die Aufgaben, die Europa traditionell dem Agrarproletariat zufielen, in Grenzen hielt und Beschäftigung von freien Arbeitern dementsprechend relativ teuer war, gab es zwei Auswege:

1. Heranschaffen unfreier Arbeiter, die sich dagegen nicht wehren konnten (Sklaverei)
2. Hervorbringen technischer Lösungen um teure menschliche Arbeitskraft zu ersetzen.

In den Gebieten des Nordens, die sich schon Ende des 18. Jahrhunderts oder in den ersten 2 Dekaden des 19. Jahrhunderts gegen die Sklaverei entschieden, blieb dann vor dem Beginn der Masseneinwanderung Mitte des 19. Jahrhunderts eben nur noch der Weg technischer Lösungen.


Im Übrigen wenn man sich damit rein auf die staatlichen Strukturen bezieht, würde ich bei den USA durchaus Diskussionspotential dahingehend sehen, ob sie eine vergleichbare Entwicklung wie Europa hingelegt haben.

Wenn man sich z.B. anschaut, dass da z.B. Teile des Strafvollzugs in den Händen privater Unternehmer liegt, was in den meisten Ländern Europas völlig undenkbar wäre und bei anderen Dingen, wie etwa dem Umstand, dass es in USA weitgehend verpöhnt ist, eine Sozialpolitik, die diesen Namen auch verdient als öffentliche Aufgabe betrachten zu wollen, mit der Konsquenz, dass das so gut wie nicht stattfindet, dann scheint in den USA an vielen Stellen durchaus noch die Vormoderne durch.

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Auch Japan war noch Mitte des 19. Jahrhunderts ein rückständiger Staat
Gehe ich ganz explizit nicht mit.

Japan fehlte die innustrielle Produktionsweise, aber das Land an und für sich war durchaus gut entwickelt und für einen vormodernen Agrarstaat auch recht gut verwaltet.
Das Land hätte wenn die Grundlagen nicht vorhanden gewesen wären, niemals die Aufholjagt ab den 1870er Jahren hinlegen können, die es Japan innerhalb von 50 Jahren ermöglichte halb Europa zu überflügeln und sich durchaus mit den Großmächten der Zeit zu messen.

In Russland dagegen wird gesagt, das Land würde seine Identität verlieren, würde es sich nach westlichem Muster organisieren. Das klingt ganz nach japanischen Einwänden bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Doch Japaner sagten das, bevor sie eine Modernisierung des Staates starteten, Russen aber haben diese Modernisierungen schon mehrfach versucht durchzuführen - und scheiterten jedes Mal, zuletzt unter Gorbatschow, Jelzin und Putin.
Naja, das ist, was Japan betrifft nicht so ganz richtig.

Ablehnung der westlichen Kultur bedeutet ja durchaus nicht Ablehnung westlicher Institutionen und Organisationsformen.

Der Höhepunkt der Ablehnung der westlichen Kultur in Japan dürfte in den 1930er und 1940er Jahren gewesen sein.
Man übernahm im ausgehenden 19. Jahrhundert sehr viel an Europäischen Techniken und im Übrigen auch Institutionen und Gesetzen.
Das passierte aber nicht unbedingt im Zusammenhang mit dem Wunsch sich irgendwie in den Westen zu integrieren, sondern als Abwehrmittel gegen den westlichen Imperialismus und als Mittel um eine eigene Großmacht begründen zu können


Was nun Russland betrifft, ergibt sich gegenüber Japan einfach auch der Unterschied, dass Russland in seiner Geschichte immer ein multiethnisches Imperium war, was natürlich auch Konsequenzen zeitigte, im Besonderen auch deswegen, weil in der Russischen Geschichte viele bedeutende Funktionsträger eben immer wieder auch keine Russen waren, sondern Personen aus den Randgebieten des Imperiums.
Historisch hat das immer wieder zu Befürchtungen unter Teilen der ethnisch-russischen Bevölkerung geführt, dass sich das Verhältnis von imperialem Zentrum und der Peripherie umkehren könnte.

Historisch korrespondierte die Frage einer Westausrichtung oder deren Vermeidung im alten russischen Imperium auch immer mit der Frage der innenpolitischen Machtverhältnisse zwischen den Volksgruppen.
Wann immer das alte zarische Russland gesteigerten Wert auf eine Modernisierung und Ausrichtung nach Westen legte, waren natürlich in Entscheidungspositionen Personen gefragt, die das vermitteln konnten und das waren im alten Zarenreich sehr oft Polen und Deutschbalten, die eben die Kontakte nach Westen hatten, häufig auch außerhalb Russlands studiert hatten etc.
Das aber bedeutete, dass bei einer Hinwendung nach Westen, für die man eben entsprechende Experten brauchte ethnische und religiöse Minderheiten innerhalb Russlands zum Teil Machtpositionen deutlich überproportional zum Anteil an der Bevölkerung bekleiden konnten.
Blätter vielleicht mal die einschlägigen Wikipedia-Listen zu den Ministern, zu den Mitgliedern des Staatsrates im Zarischen Russland und zu den Generälen der Armee durch und schau dir mal an, wie viele deutsche Namen du darunter findest.
Allein die Deutschbalten stellten im 19. Jahrhundert im Zarenreich eine Anzahl von Eliten, die proportiolan ihren Anteil an der Bevölkerung wahrscheinlich locker um das 10-Fache übertraf und sowas führt dann eben sehr oft zum Gefühl von Überfremdung.

Würde es wahrscheinlich selbst in einer modernen, sehr viel mobileren Gesellschaft tun.


Vor diesem Probleem stand Japan in dieser Form im 19. Jahrhundert nicht, weil es nicht in dem Maße wie Russland ein multinationales Imperium war, in dem die innenpolitischen Machtverhältnisse zwischen den Volksgruppen austariert werden mussten.
Insofern hat, jedenfalls historisch der Widerstreit zwischen Slawophilen und Westlern durchaus nicht nur etwas mit grundsätzlichen Idealvorstellungen zu tun, sondern ganz praktisch auch mit der Frage, wie hoch die Bereitschaft war, Personen mit einer anderen Kultur einen Großen Anteil an politischen Machtpositionen zu überlassen und das ist ein heikles Thema.

Das Land scheint außerstande, die eigenen Defizite zu erkennen, oder es erkennt sie, aber schafft es nicht, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen, oder es ergreift sie, aber sie sind nicht von Dauer.
Ich denke, was Putin betrifft, ist das vor allem ein Legitimationsproblem.

Putin selbst ist ja als politische Figur Produkt der chaotischen Zustände, der Gewalt, Korruption und Wild-West-Mentalität im Russland der 1990er Jahre. Und als Produkt dieser Umstände kann er nur in gewissem Maße dagegen vorgehen ohne sich selbst und seinen eigenen Weg zur Macht offenn infrage zu stellen.

Obendrein dürfte noch ein Problem hinzu kommen, dass uns aus der deutschen Geschichte nicht ganz unbekannt sein dürfte:

Mit dem Zusammenburch des "Realsozialismus" und dem Umstand, dass die Bevölkerung darauf keinen Bock mehr hatte, dürfte ein guter Teil der ehemaligen sowjetischen Funktionseliten aus politischen Gründen untragbar geworden sein.

Aber woher, wenn man die Leute herauswarf qualifizierten Ersatz nehmen? In Deutschland konnte man nach 12 Jahren Nazi-Herrschaft in vielen Bereichen noch Leute wieder einstellen, die schon vor den Nazis herausgehobene Stellungen eingenommen hatten, von den Nazis aber aussortiert wordenn waren.
Aber nach 70 Jahren Herrschaft der Kommunistischen Partei gab es halt keine älteren Experten aus einer Zeit vor diesem politischen System mehr.

Das heißt, da, wo es notwendig war, ex KP-Mitglieder und Funktionäre herauszuwerfen, weil die Bevölkerung es aus politischen Gründen verlangte, dürfte nichts anderes übrig geblieben sein, als eher unqualifizierte Leute einzustellen und die ruinierten russischen Staatsfinanzen haben sicherlich nicht unbedingt dazu beigetragen in Sachen Ausbildung besonders viel zu tun, während viele gut qualifizierte Leute das Land verließen.
Das dürfte der Effizienz auf allen Ebenen nicht unbedingt geholfen haben.
 
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Die USA wird man als anders gelagerten Fall betrachten können
Nein – zumindest nicht in Bezug auf die Fragestellung: “Die Weite des Landes, die geringe Bevölkerungsdichte und die schwierige physische Erreichbarkeit und damit schwierige Kontrolle durch den Staat”. Diese Faktoren hast du zuerst als entscheidend für das Nichtankommen Russlands in der Moderne genannt.

Es ist ja nicht so, dass es in Russland keine fähigen Leute an der obersten Stelle gegeben hätte: Zar Peter der Große hat nach dem Muster Westeuropas Russland einen Innovationsschub verpasst, Katharina II. hat Einiges bewegt und auch Alexander II. reformierte das Reich. Aber die Reformen des letzteren kamen spät – Leibeigenschaft z.B. wurde ein halbes Jahrhundert später als in Westeuropa abgeschafft – und wurden teilweise von seinen Nachfolgern wieder kassiert.

Die Behaarungskräfte, unterstützt bzw. gefördert durch die Kirche, forderten schon im 19. Jahrhundert eine Abkehr vom Westen und wollten einen eigenen russischen bzw. slawischen Weg in die Moderne* realisieren, was auch Putin wieder propagiert, nachdem Reformen nach westlichem Muster, die unter Gorbatschows, Jelzins und seiner Führung durchgeführt wurden, gescheitert sind.

Ich stelle fest: Russland hat sich seit dem Reformer Peter dem Großen, also in den letzten 300 Jahren, als reformresistent bzw. rückwärtsgewandt erwiesen. Dafür gibt es keine objektiven Gründe, also besondere Schwierigkeiten, mit denen speziell Russland zu kämpfen hätte. Sie hatten und haben alle Chancen, was sie jetzt haben ist selbstverschuldet.

* Diese Moderne hat allerdings fast nichts mit dem zu tun, was seit der Französische Revolution im West- und Mitteleuropa nach und nach eingeführt wurde, sondern ist eine Art Diktatur, die sich den Anschein einer Demokratie gibt, in der es aber keine Opposition gibt, denn jeder, der Kritik an Putin und/oder seiner Politik übt, wird als Agent des Westens diffamiert und mundtot gemacht. Das war unter den Zaren auch nicht viel anders.
 
Ja, @dekumatland, da ist mir ein Schreibfehler unterlaufen.
Und: Bevor ich mir die Mühe mache, bei mir nach dem Buch zu suchen, könntest du mal kurz skizieren, was Dostojewski über die USA schreibt, wo er, wie später auch Karl May, nie war.
 
, könntest du mal kurz skizieren
Das würde viel zu umfangreich, denn er entwickelt in seinem polyphonen Roman mehrere heterogene Perspektiven, lässt diese gleichberechtigt zu Wort kommen - es war nur eine Lektüreanregung, weil in diesem Roman aus der 2. Hälfte des 19. Jhs. multiperspektivisch von beidem (Russland, Amerika) die Rede ist. Nebenbei: sich mit diesem Buch zu befassen, ist keine Mühe, sondern ein Genuss - das haben nicht eben wenige große Romanciers festgestellt ;)
 
Diese Frage wurde trotz der vielen Worte von dir nicht befriedigend beantwortet. Es wurden zwar die Weite des Landes, die geringe Bevölkerungsdichte und die schwierige physische Erreichbarkeit und damit schwierige Kontrolle durch den Staat genannt, aber mit diesem Problem haben auch andere Staaten zu kämpfen gehabt – siehe z.B. USA – und haben dennoch den Weg in die Moderne gefunden. Die USA haben diesen Weg Ende des 18. Jahrhundert sogar initiiert und wurden damit ein Vorbild für Europa.
Ich denke, der Fall der USA liegt hier in mehrfacher Hinsicht doch etwas anders. @Shinigami hat ja schon Gründe dafür genannt, aber noch wichtiger ist imho folgendes:

1. Die USA sind bekanntlich ein Bundesstaat. Die einzelnen Staaten haben teilweise noch deutlich größere Befugnisse als die deutschen Bundesländer. Z. B. unterscheiden sich ja die Rechtssysteme ganz erheblich. Die Bundesregierung der USA erhob also gar nicht den Anspruch, in der gleichen Weise wie die Regierung des Zaren in Russland das ganze Land zu kontrollieren.

2. Die USA hatten ja auch nicht von Anfang an die Ausdehnung wie heute. Große Teile der mittleren USA kamen 1803 mit dem Lousiana Purchase zur USA, was aber nicht bedeutete, dass man auch sofort die volle Kontrolle über das Gebiet ausübte. Texas kam 1845 zu den USA und der ganze Westen kam erst 1848 durch den Krieg mit Mexiko und den Oregon-Vertrag mit den Briten zu den USA. Wirklich erschlossen wurden die Gebiete erst nach und nach. Große Teile des Gebietes des Louisiana Purchase waren noch 1850, also fast 50 Jahre später "Unorganized Territory":


Noch 1866-68 erlitt die US-Army im Red-Cloud-Krieg gegen ca. 2000 Indianer eine Niederlage und mussten den Vertrag von Fort Laramie 1886 abschließen.

Viele Gebiete im inneren der USA wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts oder sogar erst im 20. Jahrhundert (wie z. B. Oklahoma) Bundesstaaten.

Wirklich erschlossen viele Gebiete erst durch den Bau von Eisenbahnen. Ab da waren dann auch die Gebiete im Inneren der USA wesentlich leichter zu erreichen als viele Gebiete in Russland.
 
Diese Faktoren hast du zuerst als entscheidend für das Nichtankommen Russlands in der Moderne genannt.
Das ist so nicht richtig, ich habe bemerkt, dass diese Fkatoren in der historischen Diskussion darum schonmal bemüht worden sind, ich selber halte sie für plausible Teilaspekte der Erklärung.

Und selbstredend spielen andere Faktoren mit hinein, wenn man Russland mit den USA vergleichen möchte.

Was die USA z.B. von allen Europäischen Gesellschaften unterschied, ist, dass es sich um eine Einwanderergesellschaft handelte, die sich ein vollkommen neuartiges politisches und gesellschaftliches System geben konnte, ohne dabei auf jahrhundertealte Traditionen und Gegebenheiten Rücksicht nehmen zu müssen.

Es ist ja nicht so, dass es in Russland keine fähigen Leute an der obersten Stelle gegeben hätte
Entscheidend dafür, ob man eine nachaltige Reform tatsächlich auch hinbekommt, ist vor allem aber auch, dass man sehr fähige Leute und viele davon auf der mittleren Ebene hat.
Russland hatte viele orriginelle Köpfe, die auf der oberen Ebene immer wieder versuchten Reformen zu initiieren, das Problem, dass die Zaren und anfangs auch die Bolschweiki am Anfang nicht begriffen, war oftmals, dass Russland ein fähiger und bei den Reformideen mitziehender Mittelbau fehlte, weswegen viele der gutgemeinten Reformen eben auf der Strecke blieben.

Die Behaarungskräfte, unterstützt bzw. gefördert durch die Kirche, forderten schon im 19. Jahrhundert eine Abkehr vom Westen
Was heißt "schon im 19. Jahrhundert"?
Das konservative Russland hielt bereits Peter den Großen für den leibhaftigen Antichristen, was mitunter an der Brachialgewalt mit der er Reformen durchzupeitschen versuchte und zum Teil auch an dem Maß von deren Übergriffigkeit lag oder damit zusammenhing.

Peter I. reformierte ja nicht nur die Armee und andere Dinge, er ging ja tatsächlich so weit zu verordnen, dass Würdenträgern die Bärte abzurasieren und gefälligst westliche Kleidung zu tragen sei und andere Scherze.
Das ein derartiges Hineinregieren in Alltag und Lebensgewohneheiten so manchen vor den Kopf stieß, dass nimmt durchaus nicht Wunder und auch, dass die Verwestlichungspolitik dann auch mit diesen Annekdoten und Furcht vor weiteren Übergriffen asoziiert werden konnte.

Ich stelle fest: Russland hat sich seit dem Reformer Peter dem Großen, also in den letzten 300 Jahren, als reformresistent bzw. rückwärtsgewandt erwiesen.
Das würde ich so nicht sehen.

Ich würde dem späten Zarenreich und auch Teilweise der Sowjetunion durchaus einiges an Modernisierungsleeistung zugestehen.

Ein großes Problem was die Reformversuche der Zaren angeht, ist dass sie die Problematik der Leibeigenschaft erst sehr spät anpackten.

Das ist ja ein Bischen auch das Problem, das seinerzeit Friedrich der Große in Preußen mit dem "aufgeklärten Absolutismus" hatte, als er parzielle Verbesserungen, wie etwa die Aufhebung der Leibeigenschaft auf den Staatsdomänen vorrantrieb, aber keine Anstrengungen unternahm, den Adel zu zwingen diese Reformen mit zu machen.
Das Reultat war dann eben, dass es mit dem Adel keinen Ärger gab , dass aber auf der anderen Seite nur ein kleiner Teil des Adels dem Beispiel des Monarchen auch folgte und dadurch aus der Refom aufs ganze Land beetrachtet eher ein Reförmchen wurde.

Gerade was die Leibeigenschaft in Russland angeht, hatte das sicherlich auch noch ganz andere destruktive Folgen.

Wie z.B. soll man so etwas wie eine allgemeine Schulpflicht durchpeitsschen, wenn man gleichzeitig an der Leibeigenschaft nicht rühren möchte und die Grundherren aber dagegen sind, weil sie zum Teil kein besonderes an der Bildung ihrer Bauern hatten und schon einmal überhaupt nicht, wenn sie Schulen und Lehrpersonal auch noch selbst hätten bezahlen müssen?

Das funktioniert nicht und wenn es am Bildungssektor krankt, dann hat man Probleme damit Personal heranzubilden, aus dem sich die Funktionselite rekrutieren ließe, die es Bräuchte um Reformvorstellungen überhaupt umsetzen zu können.


Der Bildungssektor ist eigentlich ein schönes Beispiel für das Auseinanderklaffen von Reformideen und der Wirklichkeit überhaupt.
In Westeuropa setzt sich im 19. Jahrhundert die allgemeine Schulpflicht durch. Wo aber sollte auf einmal das ganze Lehrpersonal herkommen, um das Volk beschulen zu können?

Wenn du mal einen Blick in Kosserts "Geschichte Masurens" wirfst, findest du da interessante plastische Schilderungen über die Probleme, die es bei der Personalrekrutierung und Bezahlung von Lehrpersonal im südlichen Ostpreußen so gab.
Unter anderem die Beschwerde einer Dorfgemeinde an an die Behörden des Kreises oder Regierungsbezirks (ganz genau habe ich das nicht mehr präsent), dass der Dorflehrer, den man der Gemeinde geschickt hatte, selbst nicht schreiben konnte und auch die deutsche Sprache selbst nicht beherrschte, so dieser Herr der Jugend nicht so viel beizubringen hatte.
Posten als Dorflehrer waren in dieser Zeit (da sind wir im 19. Jahrhundert) durchaus nicht selten z.B. versorgungsposten für aus der Armee ausgeschiedene Militärangehörige, ohne irgendwelche Lehrqualifikationen.

Und das war im verhältnismäßig gut entwickelten Preußen, wenn auch in so zimlich der ärmsten Gegend des Landes.

Allerdings, man kann sich vorstellen, wie mit dem Schulwesen in Russland stellenweise ausgesehen haben muss, wenn es bstimmten Ecken, des recht gut verwalteten Preußen schon derartig prekär aussah.
 
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Nebenbei: sich mit diesem Buch zu befassen, ist keine Mühe, sondern ein Genuss
Kann schon sein – ich erinnere mich nur dunkel daran. War wohl zu jung damals.

1. Die USA sind bekanntlich ein Bundesstaat. Die einzelnen Staaten haben teilweise noch deutlich größere Befugnisse als die deutschen Bundesländer. Z. B. unterscheiden sich ja die Rechtssysteme ganz erheblich.
In West- und Mitteleuropa gab und gibt es diese Unterscheide auch bis heute, dennoch spielen sie kaum eine Rolle beim Wohlstand der Bürger oder dem Grad der Demokratie.

Die Bundesregierung der USA erhob also gar nicht den Anspruch, in der gleichen Weise wie die Regierung des Zaren in Russland das ganze Land zu kontrollieren.
Ja, das ist in der Verfassung der Vereinigten Staaten so festgelegt. Von Anfang an garantiere diese Verfassung jedem Bürger Rechte, die in West- und Mitteleuropa auch erst nach und nach verwirklich wurden. Das im Gegensatz zu Russland, wo dieser Prozess nicht oder nicht im nötigen Umfang stattfand. Auf lange Sicht gesehen, hat jeder Staat die Verfassung und die Art von Regierung, die es verdient. Und wenn es in Russland keine wirkliche Demokratie gab und gibt, dann waren dort die Kräfte, die diese forderten, eben zu schwach – Versuche gab es ja.

2. Die USA hatten ja auch nicht von Anfang an die Ausdehnung wie heute.
(...)
Wirklich erschlossen viele Gebiete erst durch den Bau von Eisenbahnen.
Das galt auch für Russland – weite Gebiete wurden erst im Laufe des 19. Jahrhunderts mit Hilfe der Eisenbahn erschlossen. Aber das eben unzureichend, weil das Geld fehlte. Und dieses fehlte, weil die Fürsten es im Westen verprassten, statt es dem Staat zu geben oder im Land zu investieren. Und wieso konnten sie das? Weil man sie gewähren ließ, weil man mit dem Erreichten zufrieden war. Weil man potemkinschen Dörfer baute, statt wirkliche. Dieses System wird bis heute praktiziert, wie man das am Zustand der russischen Armee sehen kann. Das ist allgemein bekannt, trotzdem wird nichts dagegen unternommen. Russland eben.

Was die USA z.B. von allen Europäischen Gesellschaften unterschied, ist, dass es sich um eine Einwanderergesellschaft handelte, die sich ein vollkommen neuartiges politisches und gesellschaftliches System geben konnte, ohne dabei auf jahrhundertealte Traditionen und Gegebenheiten Rücksicht nehmen zu müssen.
Du unterschlägt hier die 200-jährige Existenz der “USA” als Kolonie verschiedener europäischen Staaten - das Recht auf die Selbstständigkeit musste erst erkämpft werden. Außerdem haben die Staaten West- und Mitteleuropas ähnliche jahrhundertealte Traditionen überwinden müssen.

Russland hatte viele orriginelle Köpfe, die auf der oberen Ebene immer wieder versuchten Reformen zu initiieren, das Problem, dass die Zaren und anfangs auch die Bolschweiki am Anfang nicht begriffen, war oftmals, dass Russland ein fähiger und bei den Reformideen mitziehender Mittelbau fehlte, weswegen viele der gutgemeinten Reformen eben auf der Strecke blieben.
Schon Peter der Große hatte das gesehen und das Schulsystem reformiert. Auch in der Sowjet Union gab es eine Bildungsoffensive, die im Westen den sog. Sputnikschock verursachte. Dieser bewirkte ein Umdenken bei uns: Es könnten nun auch Arbeiterkinder in größerer Zahl studieren. Das war zuvor ein brachliegendes Intelligenzreservoir. Erkenntnis? Westen erwies sich als lernfähig - man scheute sich nicht, selbst von Kommunisten zu lernen.

Das funktioniert nicht und wenn es am Bildungssektor krankt, dann hat man Probleme damit Personal heranzubilden, aus dem sich die Funktionselite rekrutieren ließe, die es Bräuchte um Reformvorstellungen überhaupt umsetzen zu können.

Der Bildungssektor ist eigentlich ein schönes Beispiel für das Auseinanderklaffen von Reformideen und der Wirklichkeit überhaupt.

In Westeuropa setzt sich im 19. Jahrhundert die allgemeine Schulpflicht durch. Wo aber sollte auf einmal das ganze Lehrpersonal herkommen, um das Volk beschulen zu können?
Das ist wahr.

Aber man sieht hier: Bei der Bildung gab es überall die gleichen Probleme. West- und Mitteleuropa meisterte diese nach und nach, Russland erst mit den Kommunisten. Aber die machten andere Fehler, hielten z.B. an der Planwirtschaft fest, die u.a. eine bekannte Absurdität zurfolge hatte: Die unteren Chargen meldeten falsche Produktionszahlen, um wegen der Nichterfüllung des Plans nicht bestraft zu werden - potemkinschen Dörfer auch hier.

Doch die sog. Diktatur des Proletariats war in Wirklichkeit eine Diktatur der Parteigranden, die, wie früher die Fürsten, erstmal für sich sorgten. Das Volk murrte nicht, schließlich hatte genug zu essen, was schon eine Verbesserung zu Zarenzeiten war – die Hungersnöte zwischendurch haben entweder das Ausland oder Bojaren verursacht.

Nachdem man die Bojaren losgeworden ist, gab es Zeiten, in denen Sowjet Union, eigentlich im Besitz der Kornkammer Europas, vom kapitalistischen Westen, namentlich aus den USA, Weizen importieren musste – bezahlt mit Gold, anderes hatten sie nicht. Etc.
 
Du unterschlägt hier die 200-jährige Existenz der “USA” als Kolonie verschiedener europäischen Staaten - das Recht auf die Selbstständigkeit musste erst erkämpft werden. Außerdem haben die Staaten West- und Mitteleuropas ähnliche jahrhundertealte Traditionen überwinden müssen.
Mach mal eher 100 Jahre draus.
In den ersten Jahrzehnten gab es kaum aus Europa ausgewanderte Bewohner, es dauerte bis in die zweite Hälfte des 17. jahrhunderts, bis die Kolonisation tatsächlich größere Räume abseits der ersten Stürzpunkte umfasste.

Und mit Staaten ist das so eine Sache, das trifft nur bedingt zu.
Die englischen Kolonien waren teilweise theoretisch der Krone unterstellt, aber nicht Teil Englands. Da facto beschränkte sich die Kontrolle auf die königlichen Gouverneure, aber deren Einfluss rechte faktisch kaum über die Hauptorte hinaus und es gab in den englischen Kolonien von Beginn an Selbstverwaltungsinstitutionen, die mit den königlichen Gouverneuren kooperierten.

Das heißt es von Anfang an ein erhebliches Maß an Selbestimmungs- und Selbstverwaltungsmöglichkeiten gegeben, auch während der Kolonialzeit.

Und vor allem wurden hier (im Gegensatz zu den französischen Kolonien in Nordamerika und da ging es schief) nicht der Versuch unternommen europäische Gesellschaftsformen nach Amerika zu verpflanzen.

Es gab an der amerikanischen Ostküste keine seit Jahrhunderten überkommenen Ständischen Privilegien und Traditionen, Keine über Jahrhunderte gewachsenen Kleinstaaten, die ihre eigenen Rechtsordnung entwickelt hatten und eiversüchtig darauf achtete, dass ihnen da niemand hineinregierte etc.
Die Gesellschaft in den Kolonien war verhältnismäßig jung, die meisten waren erst, wenn sie nicht selbst aus Europa gekommen waren in der 2. oder 3. Generation Amerikaner so dass sich die Gesellschaft nach innen noch bei weitem nicht so ausdifferenziert hatte, wie in Europa und es deswegen unter den Kolonisten selbst erheblich weniger aus der Soziialordnung herrührende Interessengegensätze gab.

Schon Peter der Große hatte das gesehen und das Schulsystem reformiert.
Welches Schulsystem?

Gab doch keins. Peter hat versucht sowas aufzubauen, aber wie gesagt, ohne Personal ist das schwierig, da kann man so viel dekretieren, wie man möchte.

Auch in der Sowjet Union gab es eine Bildungsoffensive, die im Westen den sog. Sputnikschock verursachte. Dieser bewirkte ein Umdenken bei uns: Es könnten nun auch Arbeiterkinder in größerer Zahl studieren. Das war zuvor ein brachliegendes Intelligenzreservoir. Erkenntnis? Westen erwies sich als lernfähig - man scheute sich nicht, selbst von Kommunisten zu lernen.
Da gehen jetzt Dinge durcheinander:

Wenn wir von Sputnik reden, reden wir von damaliger Spitzentechnologie, die allerdings mit Ausbildung von Fachräften für die Verwaltung (darum ging es ja ursprünglich) nicht viel zu tun hat.
Es kommt hinzu, dass der Sprung, den die Sowjetunion in Sachen Spitzentechnik nach dem 2. Weltkrieg machte auch sehr stark damit korrespondierte, dass man Forschungserkenntnisse, Gerät und gut ausgbildeten Wisseschaftlern aus dem besetzten Europa herausholen konnte.
Inwiefern konnten Arbeiterkinder in Westdeutschland vorher nicht studieren?
Es gab ja durchaus kein Verbot dagegen, sondern das hing eben ganz fundamental von der Einstellung der Eltern ab, ob die Bildung für wichtig hielten und in der Lage und Willens waren das Studium der eigenen Kinder zu finanzieren.

Man hat das in denn 1960er und 1970er Jahren durch die Einführung finanzieller Beihilfen und den Ausbau der Universitäten befördert, aber so wirklich neu, war der Umstand, dass Arbeiterkinder oder sagen wir mal Leute, die eher den Unterschichten entstammten theoretisch studieren konnten, wenn denn die Leistungen stimmten durchaus nicht.

Im Übrigen sind auch Stipendien und Studienbeihilfen keine so innovative Idee. Das sind Dinge, die es letztendlich vom Prinzip her bereits im Mittelalter und in der FNZ vorhanden sind.
Darauf gab es damals keinen Rechtsanspruch, aber wenn man mal einen Blick in die erhaltenen Matrikelbücher der frühen Universitäten im deutschsprachigen Raum, etwa Heidelberg oder Köln wirft, dann findet man da regelmäßig neben diversen Namen in der Matrikel die Notiz, dass es sich um arme Studierende handelte, denen deswegen auf Geheiß des Rektors die Gebühren teilweise oder ganz erlassen wurden.

Das neue in den 1960er und 1970er Jahren war eigentlich nur dass man einen verbindlichen Rechtsanspruch auf Beihilfen unter bestimmten Bedingungen etablierte, von dem viele profitieren konnten.


Aber man sieht hier: Bei der Bildung gab es überall die gleichen Probleme.
Nicht unbedingt.

In Mittel und Westeuropa liefen die Handels und damit auch die Informationswege zusammen und es gab ein recht gut entwickeltes Druckwesen, was es definitiv leichter gemacht haben dürfte von einander zu lernen und sich gegenseitig auszutauschen.

Und dann gibt es natürlich auch strukturelle und Mentalitätsunterschiede:

- Im Europa westlich der Elbe hatte in der Neuzeit die Leibeigenschaft eine zunehmend geringe Bedeutung. Das erlaubte größere Mobilität, mehr Eigeninitiative und die Herausbildung einer einigermaßen Wohlhabenden städtischen Kultur und entsprechender städtischer Zentren, die den eigenständigen Erwerb von Elementarbildung mindestens in den bürgerlichen Schichten durchaus begünstigten.
Das gab es in dieser Form in Russland nicht, oder allenfalls in Moskau und später Petersburg.

- In Sachen Elementrabildung, sollte man den Protestantismus nicht unterschätzen.
Insofern der eine immediate Verbindung des Gläubigen zu Gott postulierte, setzte er vorraus, dass der Protestant, er sei Lutheraner, Calvinist oder sonst etwas, in der Lage sein musste selbstständig die Bibel zu lesen und zu interpretieren.

Das führte durchaus zu privaten Initiativen, immerhin Sonntagsschulen einzurichten um auch die unterpriviligierten Schichten zu erreichen und ihnen qua Elementarbildung jedenfalls das ordentliche Ausüben ihrer Religion zu ermöglichen:


Das half durchaus teilweise da, wo dem Staat die Mittel fehlten um wenigstens minimale Bildung und Alphabetisierung vorrannzutreiben.

Das waren sekundäre Effekte, die in Russland in dieser Form kaum vorhanden waren und die in Mittel- und Westeuropa die staatlichen Bemühungen sehr unterstützten.
 
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In West- und Mitteleuropa gab und gibt es diese Unterscheide auch bis heute, dennoch spielen sie kaum eine Rolle beim Wohlstand der Bürger oder dem Grad der Demokratie.
Weil in West- und Mitteleuropa die Kommunikationswege relativ kurz sind und man eine realtiv kleinteilige Staatenordnung hatte und hat.

Es macht aber natürlich für die Effektivität der Verwaltung und Spielräume für Korruption (darum ging es ja ursprünglich) einen erheblichen Unterschied, ob alles aus einer Zentrale geleitet wird, und die Nachrichtenwege dahin wochen dauern, so dass effektive Kontrolle der Zentrale über die Provinzen kaum gegeben ist, oder ob sich die Provinzen vor Ort selbst verwalten, kurze Nachrichtigwege in Hinterland und Mittel und Befugnisse haben um effektiv auf Probleme in ihrem Bereich reagieren zu können.

Das Problem relativierte sich seit der Eisenbahn und der Telegraphie etwas, weil damit die Provinz so zusagen näher an das Zentrum rückte, weil sie schneller erreichbar war.
Aber das blieb in Teilen auch im 19. Jahrhundert noch abenteuerlich.
Jules Verenes "Der Kurier des Zaren", mag die Problematik aus dramaturgischen Gründen etwas überspitzen aber über die Entfernungen eine einigermaßen effektive und reaktionsfähige Verwaltung hin zu bekommen, dass war schon eine besondere Herausforderung, die vielleicht einfacher zu lösen gewesen wäre, hätte das Zarenreich eine föderale Ordnung gehabt und mehr Kontrolle und Spielraum in den Provinzen geleegen.
Das galt auch für Russland – weite Gebiete wurden erst im Laufe des 19. Jahrhunderts mit Hilfe der Eisenbahn erschlossen. Aber das eben unzureichend, weil das Geld fehlte. Und dieses fehlte, weil die Fürsten es im Westen verprassten, statt es dem Staat zu geben oder im Land zu investieren.

Ein Großeteil der Bahnen in Westeuropa waren zunächst Projekte privater Eisenbahn-Gesellschaften, die später vom Staat übernommen wurden.
Und Kapital war auch in Westeuropa für solche Projekte oft nicht hinrechend vorhanden oder nur über die Emittierung von Bahnaktien oder Kredite bei größeren Banken zu erreichen.
Ist nicht so, dass Europas Fürsten und Kapitalisten den Staat beschenkt hätten, damit dieser Bahnen bauen konnte.
Und das bei Strecken die weit kürzer waren, als das was in Russland nötig war.

Das Problem, dass Russland hatte, dürfte bis ins späte 19. Jahrhundert aber eher gewesen sein das nötiige Material im hinreichenden Ausmaß heranzuschaffen.
Eine eigene starke Industrie hatte man noch nicht, und diejenige in Westeuropa und Amerika war noch nicht effizient genug damit auch gleich einen Großteil des Weltbedarfs abzudecken, zumal in den entsprechenden Staaten, weil dort teilweise selbst noch an der Eisenbahn gebaut wurde der Binnenmarkt noch einen Großteil der Erzeugnisse des eigenen Landes aufnahm.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mach mal eher 100 Jahre draus.
Meinetwegen. Aber wichtiger als das, war mein zweiter Satz, denn du zwar zitiert hast, aber nicht kommentiert – dabei ist er wichtig. Der Satz bringe ich deshalb noch einmal: “Außerdem haben die Staaten West- und Mitteleuropas ähnliche jahrhundertealte Traditionen überwinden müssen.”


Peter hat versucht sowas aufzubauen, aber wie gesagt, ohne Personal ist das schwierig, da kann man so viel dekretieren, wie man möchte.
Dies war kein spezifisches russisches Problem – das hatten anfangs alle europäischen Staaten.


Wenn wir von Sputnik reden, reden wir von damaliger Spitzentechnologie, die allerdings mit Ausbildung von Fachräften für die Verwaltung (darum ging es ja ursprünglich) nicht viel zu tun hat.
Es gab auch in Deutschland zu wenig studierte Leute, weil zuvor und bis in den 1960er Jahre hinein nur jene studieren konnten, die sich das leisten konnten; Arbeiterkinder mussten möglich schnell Geld verdienen.


Inwiefern konnten Arbeiterkinder in Westdeutschland vorher nicht studieren?
Ich habe nicht gesagt, dass Arbeiterkinder nicht studieren konnten, sondern dass deren Zahl durch die ihre begrenzten finanziellen Ressourcen begrenzt war.


Man hat das in denn 1960er und 1970er Jahren durch die Einführung finanzieller Beihilfen und den Ausbau der Universitäten befördert, aber so wirklich neu, war der Umstand, dass Arbeiterkinder oder sagen wir mal Leute, die eher den Unterschichten entstammten theoretisch studieren konnten, wenn denn die Leistungen stimmten durchaus nicht.
Eben, theoretisch konnten sie studieren, praktisch aber nicht. Du sagst ja selbst: Durch die finanziellen Hilfen und den Ausbau der Universitäten gingen die Zahlen der Studierenden in die Höhe.


In Mittel und Westeuropa liefen die Handels und damit auch die Informationswege zusammen und es gab ein recht gut entwickeltes Druckwesen, was es definitiv leichter gemacht haben dürfte von einander zu lernen und sich gegenseitig auszutauschen.
Das gab es in Russland auch, wenn auch verspätet: Erst Zar Iwan IV. holte die erste Druckerei aus Holland nach Russland. Warum so spät? Wahrscheinlich war jemand dagegen – vielleicht, wie im Osmanischen Reich, das damit noch später begann: Die Geistlichkeit? ;)


Und dann gibt es natürlich auch strukturelle und Mentalitätsunterschiede:
Na endlich - davon, also von strukturellen und Mentalitätsunterschieden rede ich die ganze Zeit!


Weil in West- und Mitteleuropa die Kommunikationswege relativ kurz sind und man eine realtiv kleinteilige Staatenordnung hatte und hat.
Na ja, die Unterschiede bei den Kommunikationswegen waren nicht so gewaltig – über die Italienreise Goethes 1787 wird gesagt - Zitat:

Von Karlsbad bis nach Rom war der deutsche Dichter fast zwei Monate unterwegs. Selbst ohne Unterbrechung hätte er für die gut 1200 Kilometer lange Strecke immer noch rund zwei Wochen gebraucht. Denn laut Deutschem Museum brachten es Kutschen zur damaligen Zeit auf eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von gerade einmal 3,4 Kilometern pro Stunde.

Die Entfernung Moskau – St. Petersburg oder Moskau – Kiew oder Moskau – Kazan liegen aber alle unter 1000 km. Sibirien war weiter entfernt, aber bis ins 19. Jahrhundert hinein kaum erschlossen, diente vor allem als Freiluftgefängnis, deswegen braucht man es für diesen Vergleich nicht.


Es macht aber natürlich für die Effektivität der Verwaltung und Spielräume für Korruption (darum ging es ja ursprünglich) einen erheblichen Unterschied, ob alles aus einer Zentrale geleitet wird, und die Nachrichtenwege dahin wochen dauern, so dass effektive Kontrolle der Zentrale über die Provinzen kaum gegeben ist, oder ob sich die Provinzen vor Ort selbst verwalten, kurze Nachrichtigwege in Hinterland und Mittel und Befugnisse haben um effektiv auf Probleme in ihrem Bereich reagieren zu können.
Außerdem hat schon Peter der Große die Verwaltung dezentralisiert:




Das Problem, dass Russland hatte, dürfte bis ins späte 19. Jahrhundert aber eher gewesen sein das nötiige Material im hinreichenden Ausmaß heranzuschaffen.

Eine eigene starke Industrie hatte man noch nicht, ...
Ja, und da frage ich natürlich: Warum hatte Russland keine starke Industrie? Die Antwort darauf kann sein: Sie haben mit Kleinbetrieben weiter gewurschtelt, weil ihnen das genügte, oder weil sie nicht imstande waren, genug Kapital zusammenzukratzen, oder ihnen fehlten die Fachleute, etc.

Dimitri Medwedew, einst einer der Reformer, jetzt Putins Mann fürs Grobe, sagte noch 2008 – Zitat:

„Ohne Übertreibung: Russland ist ein Land des Rechts-Nihilismus. Leider (...) kann sich kein anderes europäisches Land mit einem solchen Ausmaß von Rechts-Missachtung rühmen. […] Heute ist dieser ‚Geist‘ der Missachtung des Rechts überall. […] Und schließlich offenbart er sich in schwerer wiegenden Vergehen – in Verbrechen, die leider in großer Anzahl begangen werden, einschließlich Korruption in der Regierung, Korruption, die heutzutage in enormem Ausmaß auftritt und deren Bekämpfung zu einem nationalen Programm werden muss. Wir müssen klar verstehen: wenn wir ein zivilisierter Staat werden wollen, müssen wir zuerst ein Rechtsstaat werden.“

– Medwedew: Rede vor dem Allrussischen Bürgerforum am 22. Januar 2008


Aus dieser Ankündigung wurde nichts. Stattdessen ging es der russischen Wirtschaft immer schlechter, so dass 2013 Gegenmaßnahmen geplant waren. Aber auch daraus wurde nichts, also gab es den Angriff auf die Krim, dem Wirtschaftssanktionen des Westens folgten – nun hatte man einen Schuldigen für die wirtschaftliche Misere.

So geht das in den Diktaturen: Auch bei Hitler war angeblich das Ausland bzw. das sog. internationale Judentum die Ursache allen Übels.
 
Dies war kein spezifisches russisches Problem – das hatten anfangs alle europäischen Staaten.
Allerdings in unterschiedlichem Ausmaß

Es gab auch in Deutschland zu wenig studierte Leute, weil zuvor und bis in den 1960er Jahre hinein nur jene studieren konnten, die sich das leisten konnten; Arbeiterkinder mussten möglich schnell Geld verdienen.
Wie gesagt, dass hing sehr stark von der Mentalität der Eltern ab und war nicht ausschließlich eine wirtschaftliche Frage. Bis in die 1960er Jahre und 1970er Jahre hinein ging es der Arbeiterschaft in finanzieller Hinischt ja verhältnismäßig gut, und die Arbeit war auch sicher.
Viele Frauen waren nicht berufstätig, sondern erledigten eben die häuslichen Arbeiten, was sicherlich mit deutlich weniger Maschinen wesentlich aufwändiger war als heute.

Wenn der Vater die Notwendigkeit höherer Bildung für das Kind oder die Kinder einsah und bereit war andere Ziele, was den Lebensstandart betrifft, eher zurück zu stellen und stattdessen die eine oder andere Sonderschhicht zu machen und die Mutter zusätzlich wenigstens für eine begrenzte Zeit noch eine Nebentätigkeit übernahm, dann konnten unter den Bedingungen der 1960er Jahre auch Arbeiterfamilien ihrem Nachwuchs sicherlich eine finanzielle Grundlage bieten, die zum Studieren ausreichend war, jedenfalls wenn auch der dann Studierende nebenher noch anpackte und bereit war etwas dazu zu verdienen.
Das dürfte vielfach eher eine Frage der Einsicht und der Bereitschaft der Eltern gewesen sein (die ist es zum Teil übrigens heute noch).

Und dann gibt es natürlich immernoch den Unterschied zwischen Theorie und Praxis:

Denn mit dem Wachstum der Universitäten wuchs nicht zwangsläufig auch der verfügbare, für Studenten bezahlbare Wohnraum in den Universitätsstädten. Nebst ein paar anderen Problemen.

Das gab es in Russland auch, wenn auch verspätet: Erst Zar Iwan IV. holte die erste Druckerei aus Holland nach Russland. Warum so spät? Wahrscheinlich war jemand dagegen – vielleicht, wie im Osmanischen Reich, das damit noch später begann: Die Geistlichkeit? ;)
Wenn ich mich nicht täusch, war im entsprechenden Faden auf die Bedeutung der Kalligraphie im Osmanischen Reich und in der Islamischen Kultur hingewiesen worden, die wohl der breiteren Verwendung des Drucks entgegenstand.

Das gab es wiederrum in Russland sicherlich nicht in vergleichbarer Form.

Ob jemand dagegen war, weiß ich nicht, ich vermute eher, dass es einfach ein Zeit lang dauerte, bis sich das herumsprach und auch bis ein Nutzen dafür gesehen wurde.

Der Nutzen für das Lateinische Europa lag ja auf der Hand, weil alle Gelehrten des Raumes Latein beherrschten und der Druck lateinischer Texte und deren Verbreitung damit automatisch einen Nutzen für den internationalen/Großräumigen Wissensaustausch hatte.

Aber da die gängige Liturgiesprachen und damit auch Gelehrtensprachen in Russland, eher Kirchenslawisch und Altgriechisch, als Latein gewesen sein dürften und wahrscheinlich auch unter den Gelehrten also nur ein realtiv kleiner Teil Latein auch verstand, dürfte Russland damit in der europäischen Wissensökonomie eher außen vor gewesen sein und das Nachdrucken von Texten aus dem Ausland wird unter diesen Umständen nur begrenzt Sinn ergeben haben.

Hinzu kommt noch, dass das im ausgehenden 15. und beginnden 16. Jahrhundert die Kontakte nach Westen eher schwächer geworden sein dürften
Unter anderem wurde unter Zar Ivan III. in dieser Zeit das Hansekontor in Nowgorod geschlossen, was den Verkehr mit dem Ausland und das Einsickern von Anstößen von außen her eher ausgedünnt haben dürfte.

Na ja, die Unterschiede bei den Kommunikationswegen waren nicht so gewaltig – über die Italienreise Goethes 1787 wird gesagt - Zitat:

Von Karlsbad bis nach Rom war der deutsche Dichter fast zwei Monate unterwegs. Selbst ohne Unterbrechung hätte er für die gut 1200 Kilometer lange Strecke immer noch rund zwei Wochen gebraucht. Denn laut Deutschem Museum brachten es Kutschen zur damaligen Zeit auf eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von gerade einmal 3,4 Kilometern pro Stunde.

Die Entfernung Moskau – St. Petersburg oder Moskau – Kiew oder Moskau – Kazan liegen aber alle unter 1000 km. Sibirien war weiter entfernt, aber bis ins 19. Jahrhundert hinein kaum erschlossen, diente vor allem als Freiluftgefängnis, deswegen braucht man es für diesen Vergleich nicht.

Kommunikationswege wurden doch aber, wenn es um rein Nachrichtenübermittlung ging, nicht mit der Kutsche bestritten, sondern vor allem von reitenden Boten, die erheblich schneller waren.

Und dann macht es natürlich auch wenig Sinn einfach nur die Kilometerzahlen, ohne Rücksicht auf die Umweltbedingungen miteinandeer zu vergleichen.
Wenn Goethe per Kutsche von Karlsbad nach Rom reiste und dabei einen einigermaßen direkten Weg nahm, musste er dabei den Bayerischen oder den Böhmerwald, die Alpen und den nördlichen oder mittleren Appenin überwinden.
das sind 3 Gebirgszüge, die mit einer schwerfälligen Kutsche natürlich nicht besonders schnell und einfach zu bwältigen waren, oder es mussten zur Umgehung Umwege in Kauf genommen werden.

Ich sag mal im nordeuropäischen Flachland hätte man diese Strecke in der richtigen Jahreszeit auch per Kutsche sicherlich zügiger bewältigen können.

Bei Russland kommen aber die völlig anderen Klima- und Wetterverhältnisse hinzu.

Man kann eigentlich am Ukrainekrieg derzeit nachvollziehen, dass in der Ukraine und auch in Teilen Russlands währen der Schlammpeeriode ("Rasputiza") im Frühling und Herbst in Sachen Logistik so gut wir überhaupt nichts geht, trotz des Umstands, dass man heute vernünftig befestigte Straßen hat und Verkehrsmittel, die einige PS mehr haben, als das damalige Kurierpferd oder die Kutsche.
Und natürlich sind in Russland die Winter sehr viel strenger und sehr viel länger, so dass auch längere Zeit im Jahr wegen Schnee und Eis nicht so viel an Verkehr ging, oder eben nur unter sehr erschwerten Bedingungen.

Und dann - entschhuldige bitte - ist das Beispiel einer Reise von Karlsbad nach Rom auch etwas willkürlich gewählt, denn das war ja keine typische Route innerhalb ein und des selben Landes.

Das einzige land in Europa, das vor dem 19. Jahrhundert konsequent zentralistisch regiert wurde, oder wo man das jedenfalls versuchte und wo es einigermaßen vergleichbar lange Distanzen gab, was die Landwege (Kolonien mal außen vor gelassen) betrifft, dürfte Spanien gewesen sein, vielleicht mit Abstrichen noch Frankreich und die Habsburger-Monarchie, aber die wiederrum hatte für den Verkehr von Wien nach Osten hin die Donau als recht brauchbare Schnellstraße, jedenfalls so lange es nicht gerade ins nördliche Siebenbürgen, Ostgalizien oder die Bukowina ging, wenn man etwas weiter in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts geht.


Außerdem hat schon Peter der Große die Verwaltung dezentralisiert:
Er hat Gouvernements an Stelle der traditionellen Provinzen als administrative Gliederung eingeführt, aber die Spielräume die Verwaltungen der Gouvernements ohne Rücksprache mit Moskau/St. Petersburg hatten, die blieben ziemlich gering.
Eine Änderung der Verwaltungsglieederung bedeutet nicht automatisch, dass die Peripherie in Sachen autonome Verwaltung mehr Kompetenzen bekommt.

Ja, und da frage ich natürlich: Warum hatte Russland keine starke Industrie? Die Antwort darauf kann sein: Sie haben mit Kleinbetrieben weiter gewurschtelt, weil ihnen das genügte, oder weil sie nicht imstande waren, genug Kapital zusammenzukratzen, oder ihnen fehlten die Fachleute, etc.

In weiten Teilen sicherlich auch einfach, weil Russland im Hinblick auf die Handeelsrouten etwas ab vom Schuss lag und damit die Verbreitung von Innovationen relativ langsam ging.

Das Westeuropäische Festland, als die Großbritannien am nächsten gelegene Region, bekam den Konkurrenzdruck der britischen Produtionsmethoden natürlich als erstes und am heftigsten zu spüren, während die wirkung im fernen Russland erstmal begrenzt gewesen sein dürfte.
Wenn ich als Exporteur nicht alle ausländischen Märkte bedienen kann, weil mein Kapazitäten nicht reichen, dann bediene ich in der Regel erstmal die nächstgelegenen, um Transportkosten zu sparen und mein Gewinne daduch zu vergrößern.
Wenn es aber dauert, bis der Konkurrenzdruck voll ankommt, dann dauert es natürlich auch, bis die Notwendigkeit gesehen wird zu reagieren.
Und dann kommt es natürlich auch noch auf die wirtschaftliche Verfasstheit an und welche Art von Akteur das Heft des Handels ergreift.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie gesagt, dass hing sehr stark von der Mentalität der Eltern ab und war nicht ausschließlich eine wirtschaftliche Frage.
Wenn dem so wäre, wäre die Zahl der Studierenden nicht in die Höhe gegangen, als die finanzielle Unterstützung durch den Staat einsetzte - Zitat:

Die Einführung einer allgemeinen Förderung durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz 1971 für Schüler der gymnasialen Oberstufe, der Beruflichen Schule und Studenten ermöglichten breiteren Bevölkerungsschichten den Hochschulzugang und bessere Bildung.


Wenn ich mich nicht täusch, war im entsprechenden Faden auf die Bedeutung der Kalligraphie im Osmanischen Reich und in der Islamischen Kultur hingewiesen worden, die wohl der breiteren Verwendung des Drucks entgegenstand.

Das gab es wiederrum in Russland sicherlich nicht in vergleichbarer Form.

Ob jemand dagegen war, weiß ich nicht, ...
Ich weiß es auch nicht, deshalb wäre es schön, wenn wir hier jemand hätten, der sich da auskennt.


Kommunikationswege wurden doch aber, wenn es um rein Nachrichtenübermittlung ging, nicht mit der Kutsche bestritten, sondern vor allem von reitenden Boten, die erheblich schneller waren.
Es ging bei dieser Frage um Handels- und Informationswege im Zusammenhang mit den Büchern – jedenfalls habe ich den Abschnitt, den ich auch zitierte, so verstanden. Also ist der Vergleich mit der Goethes Italienreise schon okay – er schickte z.B. kiloweise Bücher nach Hause, die er Padua, Venedig etc. erwarb. Per Reichspost, die von Turn und Taxis betrieben wurde. Er reiste auch mit der Postkutsche nach Italien.


Ich sag mal im nordeuropäischen Flachland hätte man diese Strecke in der richtigen Jahreszeit auch per Kutsche sicherlich zügiger bewältigen können.
Das trifft auch auf Russland zu, weil da auch Flachland vorherrscht.


Bei Russland kommen aber die völlig anderen Klima- und Wetterverhältnisse hinzu.
Ja, im Winter kam man in Russland schneller vorwärts. ;)


Man kann eigentlich am Ukrainekrieg derzeit nachvollziehen, dass in der Ukraine und auch in Teilen Russlands währen der Schlammpeeriode ("Rasputiza") im Frühling und Herbst in Sachen Logistik so gut wir überhaupt nichts geht, trotz des Umstands, dass man heute vernünftig befestigte Straßen hat und Verkehrsmittel, die einige PS mehr haben, als das damalige Kurierpferd oder die Kutsche.
Nein, in Ukraine geht während des Schlammperiode nichts, weil die kämpfende Truppe nur zum Teil auf befestigten Wegen unterwegs ist – die Kämpfe finden überwiegend in der freien Natur statt.


Und natürlich sind in Russland die Winter sehr viel strenger und sehr viel länger, ...
Dann ist der Vorteil des schnelleren Vorwärtskommens im Winter Russlands noch ausgeprägter. ;)

Und dann - entschhuldige bitte - ist das Beispiel einer Reise von Karlsbad nach Rom auch etwas willkürlich gewählt, denn das war ja keine typische Route innerhalb ein und des selben Landes.
Das Beispiel habe ich gewählt, weil erstens die Reise Goethes gut dokumentiert ist (er hat Tagebuch geführt), und zweitens fällt der Zeitraum am Ende des 18. Jahrhundert in eine Phase, in der durch Peter den Großen und Katharina II. (gründete z.B. Odessa) durchgeführten Verbesserungen auch in Russland zu vergleichbaren Ergebnissen führen müssten wie im Westen.


Er hat Gouvernements an Stelle der traditionellen Provinzen als administrative Gliederung eingeführt, aber die Spielräume die Verwaltungen der Gouvernements ohne Rücksprache mit Moskau/St. Petersburg hatten, die blieben ziemlich gering.
Mir liegen keine Informationen darüber vor, deshalb frage ich dich, ob die Macht der Gouverneure tatsächlich so gering war, wie von dir hier angedeutet.


In weiten Teilen sicherlich auch einfach, weil Russland im Hinblick auf die Handeelsrouten etwas ab vom Schuss lag und damit die Verbreitung von Innovationen relativ langsam ging.
Wegen dieser Nachteile hätte Russland umso mehr daran arbeiten müssen, autark zu werden. Peter der Große hat das erkannt, aber als er starb, starb anscheinend auch der Wille zu Veränderungen. Das lag sicher nicht an Bauern, sondern an der Führung bzw. der Führungsschicht des Landes, die offenbar gesagt hatte: Westliche Wirtschaftsformen und deren Art zu leben, brauchen wir nicht. Dem ist auch heute (wieder) so.
 
Wenn dem so wäre, wäre die Zahl der Studierenden nicht in die Höhe gegangen, als die finanzielle Unterstützung durch den Staat einsetzte
Diese finanzielle Unterstützung kam ja nicht den Eltern, sondern den studierenden dirtekt zu, womit die Eltern, jedenfalls sofern der Studierende Anspruch auf Beihilfen hatten aus der Gleichung herausfielen und damit auch eine möglicherweise ablehnenende Mentalität, was die Bildung betrifft.

Es ging bei dieser Frage um Handels- und Informationswege im Zusammenhang mit den Büchern – jedenfalls habe ich den Abschnitt, den ich auch zitierte, so verstanden. Also ist der Vergleich mit der Goethes Italienreise schon okay – er schickte z.B. kiloweise Bücher nach Hause, die er Padua, Venedig etc. erwarb. Per Reichspost, die von Turn und Taxis betrieben wurde. Er reiste auch mit der Postkutsche nach Italien.
Auch da würde ich dem widersprechen, weil es eben nicht unbedingt eine typische Route war, jedenfalls was Karlsbad-Rom betrifft.
Wie hoch Routen frequentiert waren, hatte ja durchaus einen Einfluss darauf, wie gut ausgebaut die Straßen waren und mit welcher Frequenz Transportdienste, Relaisstationen etc. vorhanden waren.

Das trifft auch auf Russland zu, weil da auch Flachland vorherrscht.
Allerdings stellenweise auch sehr viel Sumpf und Wald, bei zum Teil sehr schleicht ausgebauten Wegen.

Ja, im Winter kam man in Russland schneller vorwärts.
Und weil dem so war, hat es anno 1813 die Grande Armée wohlbehalten aus Russland zurück geschafft und ist keinesfalls zu großen Teilen im Schnee stecken geblieben und aufgerieben worden?

Natürlich kann man einen Kurier auf einen Schlitten setzen. das der über längere Distanzen allerdings schneller ist, im besonderen abseits der Hauptrouten bezweifle ich, denn er wird Schwierigkeiten haben die Zugtiere zu versorgen.
Übrigens mit Höchstgeschwindigkeit über Schnee und Eis zu brettern ist eine schlechte Idee. Beim Eis kann man sich schnell mal mit der Dicke und Stabilität vertun, im Besonderen wenn man noch nicht die Möglichkeit hat die Temperatur zu messen und Schnee kann Hindernisse, wie z.B. Gräben ziemlich fies verdecken.
Unnötig zu erwähnen, das verschneiter oder vereister Untergrund natürlich den Bremsweg eher verlängern düfte, wenn Hindernisse in Sicht kommen und ebenfalls unnnötig zu erwähnen, dass wer irgendwo in der Wildnis bei extremen Minsugraden einen Unfall hat und keine Hilfe rufen kann, eher schlechte Überlebensschancen haben wird.

Nein, in Ukraine geht während des Schlammperiode nichts, weil die kämpfende Truppe nur zum Teil auf befestigten Wegen unterwegs ist – die Kämpfe finden überwiegend in der freien Natur statt.
Während es in der Vormoderne so gut wie keine befestigten Wege, außer eben auf den Hauptverkehrsachsen zwischen den regionalen Zentren gab.
Ergo ging während der Schlammperiode abseits davon nichts oder nicht viel und das betraf 95% des Landes.

Das Beispiel habe ich gewählt, weil erstens die Reise Goethes gut dokumentiert ist (er hat Tagebuch geführt), und zweitens fällt der Zeitraum am Ende des 18. Jahrhundert in eine Phase, in der durch Peter den Großen und Katharina II. (gründete z.B. Odessa) durchgeführten Verbesserungen auch in Russland zu vergleichbaren Ergebnissen führen müssten wie im Westen.
Erstmal mussten sie das nicht, weil die Ausgangsbedingungen durchaus verschieden waren.

Zweitens verging zwischen Peter I. und Katharina ja durchaus einige Zeit, in der eher schwächere Herrscher wirkten.

Drittens, wie gesagt, ich kenne mich mit Katharina II. so gut nicht aus. Ich weiß nicht im Detail, was sie in Sachen Modernisierung Russlands teilweise in die Wege geleitet hat.
Was zu meinem unsicheren Halbwissen über Katharina II. gehört, ist dass sie sich sehr darum bemühte als russisch wahrgenommen zu werden, um weniger angreifbar zu sein, denn als Frau und als gebürtig aus dem Ausland kommende Person, stand ihre Herrschaftslegitimation natürlich immer auf wackligen Füßen und war für konservative Elemente angreifbar.
Im Besonderen wenn man auch die Umstände betreffend Peter III. und ihre mögliche Mittäterschaft bedenkt.
Wohin das führen konnte, hatten die nicht unbedingt besonders stabilen Zustände nach Peter I. Tod gezeigt (der Zarenthron war im Prinzip, wenn man von Peter I. bis zu Nikolaus II. geht wahrscheinlich der bestdekorierte Schleudersitz Europas) und Katharina war ja selbst dadurch zu Macht gekommen Peter III. abservieren zu lassen oder jedenfalls denjenigen, die das taten keine Steine in den Weg zu legen.
Die wusste wie gefährlich das sein konnte.
Deswegen (wie gesagt, ich kenne mich mit ihr nicht gut aus) würde es mich überraschen, wenn sie aus dieser Position heraus vergleichbar mit Peter I versucht hätte Russland brachial zu reformieren, denn das wäre latent lebensmüde gewesen.
Was qualifiziert sie deiner Meinung nach als große Reformerin?


Sie hat sich mal an einem Gesetzbuch für Russland versucht, aber das wurde nie tatsächlich vollendet und so weit mir bekannt blieb das im Hinblick auf die Gesetzgebung folgenlos (was wahrscheinlich ein zu heißes Eisen).
Sie hat einen Rahmen für gewisse Möglichkeiten städtischer Selbstverwaltung erlassen, aber angesichts dessen, dass es in Russland kaum größere Städte gab, dürfte der Impakt übrschaubar gewesen sein, davon ab, war das nicht sonderlich innovativ, sondern vollzog nach, was in weiten Teilen Europas im Grunde seit dem Mittelalter Usus war.

Was genau war in deinen Augen Katharinas Innovationsleisstung?
Die Frau gehörte zweifellos zu den herausragendenderen Herrschern Russlands, aber ich persönlich würde das vor allem an dem militärischen Erfolgen und der Kolonisationspolitik in der heutigen Ukraine festmachen, allerdings nicht unbedingt an großen grundstürzenden Reformen.

Mir liegen keine Informationen darüber vor, deshalb frage ich dich, ob die Macht der Gouverneure tatsächlich so gering war, wie von dir hier angedeutet.
Wenigstens in einigen Regionen war die ziemlich gering.
In den Ostseegouvernments z.B. blieben die überkommenen Ritterschaftsprivilegien in Kraft, so dass die zarischen Gouverneure immer auch mit einer konkurrierenden Instanz in Form der Ritterschaften zu tun hatten.

In den abgelegeneren Regionen, vor allem in Sibirien, wo die Nachrichtenwege so lang waren, dass es ohne gewisse Spielräume der Provinzialverwaltung nicht ging, mag es anders gewesen sein.
Letztendlich blieb Russland allerdings ein zentralistisches Staatswesen mit schwachen Provinzen.
Das ändert sich eigntlich erst mit der Einführung der "Semstvo" als regionalem Selbstverwaltungsorgan, aber das ist dann erst unter Alexander II. in den 1860er Jahren.

Wegen dieser Nachteile hätte Russland umso mehr daran arbeiten müssen, autark zu werden. Peter der Große hat das erkannt, aber als er starb, starb anscheinend auch der Wille zu Veränderungen. Das lag sicher nicht an Bauern, sondern an der Führung bzw. der Führungsschicht des Landes, die offenbar gesagt hatte: Westliche Wirtschaftsformen und deren Art zu leben, brauchen wir nicht. Dem ist auch heute (wieder) so.
Der Absatz veerwirrt mich eetwas, weil mir hier absolut nicht klar ist, welche Definition des Wortes "autark" dir hier vorschwebt?

Insofern Peter versucht hat, die Bindung nach Westen zu finden, und Russland in die europäisch Welt einzubinden, würde ich meineen Peter hat das Gegenteil von Autarkiepolitik betrieben.
Ob mit Peter der Will zur Reform starb weiß ich nicht, ich würde eher meinen, dass nach Peter I. lange niemand kam, der die Autorität mitgebracht hätte umfassende Reformen durchzuführen.

Der Erste, der da wieder ein wirklich aussichtsreicher Kandidat hätte sein können, wäre Alexander I. gewesen, der als junger Mann durchaus liberale Ideen hatte nur blöderweise eben mit Napoléon I. aneinander geriet.
Und ich denke dafür, dass nach dem Brand von Moskau 1812 in Russland erstmal eher reaktionäre Stimmung einkehrte, wird man schon durchaus verständnis haben können.
Man bedenke wie sehr man sich in Deutschland im 19. Jahrhundert in das "Erbfeindschaft"-Narrativ hineinsteigerte vielem, was aus Frankreich kam eher skeptisch gegenüber stand, und das ohne, dass Berlin oder Wien in den Napoléonischen Kriegen umfassend zerstört worden wäre.
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch da würde ich dem widersprechen, weil es eben nicht unbedingt eine typische Route war, jedenfalls was Karlsbad-Rom betrifft.
Wie hoch Routen frequentiert waren, hatte ja durchaus einen Einfluss darauf, wie gut ausgebaut die Straßen waren und mit welcher Frequenz Transportdienste, Relaisstationen etc. vorhanden waren.
Postkutschen, und damit reiste Goethe, benutzten immer die gleichen Straßen, die in bestimmten Abständen mit Relaisstationen ausgestattet waren, deswegen kann man die Route Karlsbad-Rom als typisch ansehen.
Untypisch wäre, wenn Goethe reitend oder zu Fuß nach Rom gegangen wäre. Das und mehr hat Johann Gottfried Seume wenige Jahrzehnte nach Goethe getan – siehe sein Buch: Spaziergang nach Syrakus.

Natürlich kann man einen Kurier auf einen Schlitten setzen. das der über längere Distanzen allerdings schneller ist, im besonderen abseits der Hauptrouten bezweifle ich, denn er wird Schwierigkeiten haben die Zugtiere zu versorgen.
Was du nicht alles bezweifelst. Um dir hier auf die Sprünge zu helfen, verweise ich auf diesen Wikipedia-Artikel, in dem es u.a. heißt - Zitat:

Die Troika ist eine vor allem in Russland und Westasien verbreitete Art des Dreigespanns. Sie wurden im 19. Jahrhundert aufgrund ihrer Schnelligkeit im russischen Postdienst eingesetzt.

Daraus geht hervor, dass Troika keinesfalls nur für Kurierdienste eingesetzt wurde, wie du zu insinuieren versucht, sondern im ganz normalen Postdienst – wie im Westen die Kutsche. Troika gab es übrigens schon zu Zeit des Peter des Großen.

Während es in der Vormoderne so gut wie keine befestigten Wege, außer eben auf den Hauptverkehrsachsen zwischen den regionalen Zentren gab.
Mehr gab es im Westen zu gleicher Zeit auch nicht.

Das alles bedeutet: Deine Argumentation, die Weite des Landes machte es dem Zaren bzw. der Zentralverwaltung des Reiches in der Vormoderne schwer, das Land zu kontrollieren, löst sich hiermit in Luft auf.

Der Absatz veerwirrt mich eetwas, weil mir hier absolut nicht klar ist, welche Definition des Wortes "autark" dir hier vorschwebt?
Insofern Peter versucht hat, die Bindung nach Westen zu finden, und Russland in die europäisch Welt einzubinden, würde ich meineen Peter hat das Gegenteil von Autarkiepolitik betrieben.
Nein, Peter wusste aus eigener Anschauung, wie “der Westen” funktionierte. Diese Funktionsweise wollte er auch in Russland einführen. Dazu brauchte er Fachleute, die er aus dem Westen “importierte”. Bei seinem Regierungsantritt besaß Russland vielleicht 10 Manufakturen, als er starb, waren es 100 Manufakturen und Fabriken, manche von ihnen mit mehr als 3000 Beschäftigten. Was diese herstellten, musste nicht aus dem Westen importiert werden: Russland ist damit ein wenig autarker geworden.

Ich hoffe, dir ist jetzt klarer, was ich meinte.
 
Postkutschen, und damit reiste Goethe, benutzten immer die gleichen Straßen, die in bestimmten Abständen mit Relaisstationen ausgestattet waren, deswegen kann man die Route Karlsbad-Rom als typisch ansehen.
Untypisch wäre, wenn Goethe reitend oder zu Fuß nach Rom gegangen wäre. Das und mehr hat Johann Gottfried Seume wenige Jahrzehnte nach Goethe getan – siehe sein Buch: Spaziergang nach Syrakus.

Nein und zwar deswegen nicht weil die Postkutsche kaum dreikt zwischen Rom und Karlsbad verkehrt haben wird, dafür war Karlsbad wirklich nicht bedeutend genug.

Der Wiki-Artikel bennent eigentlich die Reiseroute ganz gut:

"Die Reise geht von Karlsbad über Eger, Regensburg, München, Mittenwald, Scharnitz, Seefeld, Zirl, Innsbruck und den Brenner, Bozen, Trient zum Gardasee (Torbole und Malcesine), dann weiter nach Verona, Vicenza, Padua, Venedig (wo er 17 Tage verbringt), Ferrara, Cento, Bologna, Loiano, Perugia, Terni und Città Castellana bis nach Rom, wo er vier Monate bleibt."

Du kannst dem entnehmen, dass er das häufiger mal umsteigen musste (Zeitverzug) und vor allen Dingen auch, dass er da durchaus nicht immer die direkte Route wählte, sondern vor allem im Veneto einen ausgedehnteren touristischen Abstecher hinlegte, weswegen man die von ihm benötigte Reisezeit nicht als typisch für Kurierfahrten oder Fahrten von Beamten, die in der Provinz etwas zu regeln hatten, wird annehmen können.

Was du nicht alles bezweifelst. Um dir hier auf die Sprünge zu helfen, verweise ich auf diesen Wikipedia-Artikel, in dem es u.a. heißt - Zitat:

Die Troika ist eine vor allem in Russland und Westasien verbreitete Art des Dreigespanns. Sie wurden im 19. Jahrhundert aufgrund ihrer Schnelligkeit im russischen Postdienst eingesetzt.
Hast du auch den ersten Satz des Artikels gelesen?

"Die Troika (russisch тройка [ˈtr͡ɔjka], deutsch ‚Dreier‘; Aussprache im Deutschen [ˈtr͡oika] oder [ˈtroːika][1]) ist eine Anspannungsweise für Fuhrwerke oder Schlitten, in der wie beim Dreispänner drei Pferde oder andere Zugtiere nebeneinander gehen"

Das man sie wegen ihrer Schnelligkeit eiinsetzte, bedeutet, da es sich nicht um einen reinen Schlitten handelte nicht, dass die Geschwindigkeit auch bei Schnee und Eis das Hauptanliegen gewesen wäre.

Daraus geht hervor, dass Troika keinesfalls nur für Kurierdienste eingesetzt wurde, wie du zu insinuieren versucht, sondern im ganz normalen Postdienst – wie im Westen die Kutsche. Troika gab es übrigens schon zu Zeit des Peter des Großen.
Ich wüsste mal gerne wo ich das zu insinuieren versucht hätte.

Ich hatte lapidar bemerkt, dass man durchaus einen Kurier auf einen Schlitten setzen kann, da du mit deiner Behauptung, dass es im Winteer schneller gegangen sei offensichtlich auf Schlitten angespielt hattest.

Würde man allerdings, wenn es um reine Geschwindigkeit zur nachrichtenübermittlung gegangen wäre nicht getan haben, dann hätte man selbstverständlich eine Reiterstafette bemüht.
Aber auch die wäre langsamer gewesen als zu anderen Jahreszeiten, weil wäre schlecht, wenn das Pferd ausrutscht und sich die Haxen bricht.

Über bloßen Nachrichtenverkehr hinausgehende Inspektionsreisen der Gouverneure und Provinzialverwalter oder deren Untergebener wiederrum wird man nicht bei zigfachen Minusgraden veranstaltet haben.
Bei solchem Wetter geht niemand für länger raus, wenn es nicht unbedingt sein muss und inspizieren kann man auch, wenn man nicht mehr Gefahr läuft sich Erfrierungen abzuholen.

Mehr gab es im Westen zu gleicher Zeit auch nicht.
Wirf bei Zeiten mal einen Blick in Blannings "The Pursuit of Glory".
Das Buch geht durchaus auf das Straßensystem und dessen Entwicklung in der Beschreibung von Zeitzeugenberichten im Zeitalter der zwischen dem dreißigjährigen Krieg und den Napoleonischen Kriegen ein.
Da wird nicht viel über Russland geschrieben allerdings auf mitunter erhebliche Entwicklungsunterschide zwischen Westeuropa und dem Heiligen Römischen Reich hingwiesen, was die Infrastruktur betrifft.

Wirf gerne auch mal einen Blick in Zamoyskis Werk über Napoléons Russland-Feldzug 1812.
In selbigem wird konstatiert, dass die Grande Armée bereits beim Aufmarsch und vor dem Überschreiten der Memel Anzeichen von deutlicher Unterversorgung zeigte, was daran lag, dass ab den preußischen Ostprovinzen und Polen die Infrastruktur so schlecht wurde, dass die Versorgungsleistung deutlich unter dem zurückblieb, was man in Süd- und Westeuropa so gewohnt war.

Wirf einfach mal einen Blick auf die Dichte des Städtenetzes, dann wirst du einen ganz frappierenden Unterschied zwischen westlich und östlich der Elbe sehen, der sich natürlich in der Dichte des Straßennetzes niederschlug.

Das alles bedeutet: Deine Argumentation, die Weite des Landes machte es dem Zaren bzw. der Zentralverwaltung des Reiches in der Vormoderne schwer, das Land zu kontrollieren, löst sich hiermit in Luft auf.
Wenn du meinst, dann sie es eben so.

Ist zwar offensichtlich quatsch, aber bitte, jedem wie er möchte.

Nein, Peter wusste aus eigener Anschauung, wie “der Westen” funktionierte.
Du meinst, er hat sich auf seinen zwei Europa-Reisen mal ein paar Dinge angeschaut?

Diese Funktionsweise wollte er auch in Russland einführen.
Von welcher Funktionsweise genau redest du?

Dazu brauchte er Fachleute, die er aus dem Westen “importierte”.
Soll schon vorgekommen sein.

Bei seinem Regierungsantritt besaß Russland vielleicht 10 Manufakturen, als er starb, waren es 100 Manufakturen und Fabriken, manche von ihnen mit mehr als 3000 Beschäftigten.
Und wie weit wird man mit der Arbeitskraft von 3.000 Beschäftigten kommen, wenn man ganz Russland versorgen möchte?

Im Übrigen, dass er zum Teil versuchte Manufakturen mit Leibeigenen zu betreiben zeigt, dass er nicht so ganz verstanden hatte, wie das in Europa funktionierte oder sich dem nicht anpassen wollte.
Er hat z.B. zum Zweck der Eisengewinnung Leibeigene in wirklich abgelegeenen Gegenden zwangsabkommandiert und sich dann darüber gewundert, dass die Hälfte davon bei erstbester Gelegenheit ausbüchste und es mit der Eisengewinnung nicht so funktionierte, wie er sich das vorstellte.

So unter anderem am Onegasee in Petrozavodsk:

Was diese herstellten, musste nicht aus dem Westen importiert werden: Russland ist damit ein wenig autarker geworden.
Du übersiehst, dass Peter mit seinem Wunsch diverse europäische Innvoationen vom Militär bis zur Mode in Russland einzuführen erstmal für enormen Importbedarf und wirtschaftliche Verflchtung und Abhängigkeit von den Märkten im Westen sorgte.

Wäre er auf der Linie der Konservative geblieben, die davon nichts wissen und sich vielen dieser Neuerungen eher verweigern wollten, wäre das nicht angefallen.

Man darf natürlich die Frage stellen, ob Russland eine solche Abschottung besonders gut bekommen wäre. Für Japan und China erwies sich das bekanntlich längerfristig als Nachteil.
Aber viel Bedarf auf russischer Seite wurde eben durch die Öffnung nach Westen erst erzeugt und sorgte dafür, dass Russland auf dem wirtschaftlichen Gebiet erstmal unselbstständiger wurde.
 
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