Der historische Sokrates vs. historischer Jesus?

G

Gewissheitgesucht

Gast
Hallo liebe Gemeinschaft,

ich möchte in diesem Thread folgende Frage aufwerfen und hoffe, eine für mich (intellektuell) befriedigende Antwort für diese Frage zu bekommen:
Es gibt gewisse Gelehrte, ie. Richard Carrier et al., die die Existenz einer historischen Person namens Jesus, die als Vorlage für das Neue Testament dienste, bestreiten.
Sie behaupten zum Teil, dass der Text den Mysterienreligionen des damaligen Mittelmeer-Kulturraums entsprach, die ihre geheimen Lehren allegorisch/metaphorisch aufbereiteten, um sie den Gläubigen näher zu bringen.

Mein Punkt ist nun der: Welche größeren Evidenzen haben wir, dass wir von der Existenz einer Person namens "Sokrates" ausgehen, der die Vorlage für die Apologien und Platons Dialoge lieferte, oder von einer Person namens "Solon von Athen", die wir für einen hypothetischen historischen Jesus nicht haben?

Für mich ist es von äußerster Wichtigkeit, dass diese Frage nach den gänigen rationalen Standards der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung beantwortet wird, nicht durch religiöse Voreingenommenheit.
Wir alle haben unsere Vorurteile oder "Glaubenshaltung" auf diesem Gebiet, was ich 100% okay finde, wir haben ja Religionsfreiheit. Mir wäre nur eine objektive Herangehensweise wichtig. Klar, dass ein Atheist das alles anders sieht als ein Christ. Es kann aber keine "Wahrheit für Gläubige" und eine andere für Atheisten geben.

Danke im Voraus.
 
Welche größeren Evidenzen haben wir, dass wir von der Existenz einer Person namens "Sokrates" ausgehen, der die Vorlage für die Apologien und Platons Dialoge lieferte?
Nicht nur Platon, sondern auch Xenophon schreibt von Sokrates als einer Person, die der Autor persönlich kennengelernt hat. In den "Wolken" von Aristophanes kommt Sokrates als zeitgenössische Figur vor.
 
Wir haben diese Frage schon sehr lang und breit in diesem Forum diskutiert.
Es gibt eigentlich nur einen Grund, die historische Exsitenz Jesu anzuzweifeln, nämlich

religiöse Voreingenommenheit.
(Auch Atheismus und Agnostizismus subsummiere ich unter Religion; der israelische Historiker Harari interpretiert alles als Religion, was durch den Glauben an unveränderliche, übermenschliche Gesetze charakterisiert ist).

In erster Linie ist Jesus natürlich in den Evangelien überliefert sowie in den paulinischen und petrinischen Briefen (so diese denn original sind).
Weitere Quellen sind Tacitus (Historien) und Flavius Josephus (Antiquitates Iudaicae - obwohl Jospehus auf griechisch schrieb wird es meistens latein zitiert, darin das sogenannte Testimonium Flavianum). Bei Flavius Josephus allerdings haben wir das Problem, dass es eine Interpolation gibt, sprich, ein späterer (christlicher) Kopist hat in den Originaltext von Flavius noch etwas hereingemogelt. Das ist gut zu erkennen, trotzdem neigen Fundamentalkritiker dazu, gleich die ganze Passage zu verwerfen. Dabei gibt es auch Textüberlieferungen ohne diese kritische Passage.

Bei Tacitus, der Jesus eher wenig kenntnisreich Chrestos nennt und wirklich nichts über ihn weiß, die Christen sogar sinngemäß als Abschaum bezeichnet, ist eine christliche Interpolation gänzlich auszuschließen.

Jesus ist jedenfalls besser überliefert, als z.B. Arminius, Boudicca oder andere Gestalten, die dem römischen Reich Probleme bereitet haben. Und das, obwohl er nur ein Wanderprediger war.

gewisse Gelehrte [...] behaupten zum Teil, dass der Text den Mysterienreligionen des damaligen Mittelmeer-Kulturraums entsprach, die ihre geheimen Lehren allegorisch/metaphorisch aufbereiteten, um sie den Gläubigen näher zu bringen.
Genau an dieser Stelle endet dann deren Gelehrsamkeit.
Es gibt Mysterienkulte und Offenbarungs bzw. Missionsreligionen.
Das Christentum war eben kein Mysterienkult, in dem man in die innersten Zirkel aufsteigen musste, um das Geheimnis kennenzulernen. Das Christentum war eine Missionsreligion. Man musste nur Interesse am Christentum haben, um alles zu erfahren, was man erfahren wollte. Ob man dann daran glaubte, stand auf einem anderen Blatt. Die christlichen Missionare setzten aber alles daran, die Menschen von der Wahrheit des Christentums zu überzeugen.
 
Ich muss noch was ergänzen:

Wir haben diese Frage schon sehr lang und breit in diesem Forum diskutiert.
Es gibt eigentlich nur einen Grund, die historische Existenz Jesu anzuzweifeln, nämlich

religiöse Voreingenommenheit.

Der Punkt ist nämlich der:
Die historische Existenz Jesu begründet nicht zwingend die Wahrheit des christlichen Glaubens.
Die historische Nichtexistenz Jesu würde aber die Wahrheit des christlichen Glaubens zwingend ausschließen.
Damit entlarvt sich der Versuch die historische Existenz Jesu zu negieren, als der Versuch der christlichen Religion die mythische Grundlage zu entziehen.

Dabei könnte eigentlich jedem, der kein Angehöriger einer christlichen Konfession ist, die historische Existenz Jesu relativ latte sein. Jesus existierte. So what? Das macht mein Unvermögen an einen Gott zu glauben nicht zunichte. Was stört es mich, dass Jesus lebte, ich bin Hindu, Kommunist, Nihilist, Agnostiker, Atheist, Anhänger des fliegenden Spaghetti-Monsters, mammongläubiger Radikalkapitalist*. Die historische Existenz Jesu ändert nichts an meiner Auffassung.

Es gibt im Übrigen auch eine Gruppe von deutschen (meist aus dem katholischen Milieu stammenden) Gelehrten, welche die Existenz Muhammads bestreiten. Die machen letztlich dasselbe, was missionarisch gesinnte Atheisten mit Jesus machen (und diese missionarisch gesinnten Atheist springen auch gerne auf diesen "Muhammad existierte nicht"-Zug auf). Nur eben, dass die einen Muslime mit dem Bestreiten einer historischen Existenzs Muhammads zum Christentum missionieren wollen, während die anderen mit dem Bestreiten von Jesus oder Muhammad Christentum bzw. Islam die Grundlage entziehen wollen. Ich z.B. bin ziemlich arabophil und glaube selbstverständlich an die Existenz Muhammads. Woran ich aber nicht glaube, ist, dass der Erzengel Gabriel in einer Felsspalte hinter einem Vorhang stand und Muhammad den Qur'ân offenbarte. Ich halte das sogar - sorry liebe Muslime - für ziemlichen Humbug.
Die historisch wahrscheinliche Existenz von Muhammad begründet eben nicht zwingend die Wahrheit des islamischen Glaubens.
Die historische Nichtexistenz Muhammads würde aber die Wahrheit des islamischen Glaubens zwingend ausschließen.

Hier wird vermeintliche Geschichtswissenschaft als Deckmäntelchen für (anti)religiöse Agenden missbraucht.

*ich hoffe, dass durch die Widersprüchlichkeit der Ichs deutlich ist, dass mit ich nicht ich gemeint ist/bin.
 
Der Punkt ist nämlich der: (...)

Das ist aber kein historisches Argument.

Wenn die Voreingenommenheit einer Person ihren Erkenntniswert negiert, dann hätte Schliemann niemals Troja entdecken können oder Eddington Einsteins Relativitätstheorie beweisen. Vom Standpunkt logisch-rationaler Argumentation aus, ergibt sich das Gewicht einer Behauptung aus den Wahrscheinlichkeiten ihrer Gründe.
Es existieren unbestritten Menschen, die als Gläubige angefangen haben die Bibel zu studieren und dann irgendwann vom Glauben abkamen. Für die macht es höchstwahrscheinlich schon einen Unterschied, ob ein historischer Jesus existierte. Erstens haben die eine akademische Karriere auf Basis der Bibelstudien angefangen und zweitens hat diese Frage eine große Bedeutung für ihr individuelles Leben.
Dass es dann Atheisten gibt, die das als Munition für Missionierung nehmen, tut dem keine Abbruch.

Der Fall Mohammed wäre ein anderer Thread.

Platon oder eben Xenophon hatten aber ein Interesse daran, Sokrates als Vorbild darzustellen. Offensichtlich gab es eine frühe Gemeinschaft von Sokrateern. Der Fall ist also in gewisser Hinsicht analog zu der von Jesus.

Wieso wissen wir, dass bei Tacitus Creton == Christus?
Wo haben wir die Quelle bei Tacitus?
Zudem Christus ein griechischer Titel ist. Der Name Crestus dagegen scheint ein Geläufiger Sklavename gewesen zu sein.

Die Wikipedia, eine sehr reputable Quelle, schreibt:
"Laut Sueton vertrieb Claudius die Juden aus Rom, die auf Chrestus’ Anstiften beständig Unruhe verursacht hätten. (...)„Chrestus“ („der Nützliche“) war ein geläufiger Sklavenname, Sueton bezog sich hier jedoch wahrscheinlich unwissentlich auf einen Konflikt unter Juden in Rom um den Glauben von Judenchristen an Jesus Christus. Weil die römischen Herrscher damals Juden und Christen noch nicht unterscheiden und ihren Konflikt nicht befrieden konnten, ließ Claudius sie nun gemeinsam vertreiben."
Seite „Claudius“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 28. August 2021, 11:00 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Claudius&oldid=215120666 (Abgerufen: 9. Dezember 2021, 12:58 UTC)

In der englischen Übersetzung der lateinische Quelle wird das gesamte Ereignis mit einem Satz erwähnt. Danach ging es um die Eitelkeiten der offenbar im Rang gegenüber Armeniern und Pathern zurückgestuften Germanen.
 
Das ist aber kein historisches Argument.
Vielleicht nicht. Aber es ist das Argument eines Historikers, der sich dagegen verwehrt, dass Geschichte für ideologische Agenden jedweder Art missbraucht wird.

dann hätte Schliemann niemals Troja entdecken können
Tatsächlich hat Schliemann Troja auch nicht entdeckt. Er hat sich nur erfolgreicher als alle vor ihm als Entdecker Trojas vermarktet.

Der Fall Mohammed wäre ein anderer Thread.
Das kommt darauf an. Wenn es um Jesus oder Muhammad geht, dann sind das zwei eigene Themen. Die Negierung ihrer Existenz aber - natürlich kann man sie trennen - ist aus einer bestimmten Motivation gespeist. Es ist halt die Frage was man diskutiert.
Soll wirklich historische Erkenntnis generiert werden?

Dann kann ich dir folgendes sagen: Der endgültige Beweis für die Existenz Muhammads oder Jesu, Sokrates' oder Arminius, Boudicca oder Sertorius wird sich nicht erbringen lassen.​

Aber: Von Millionen Menschen im römischen Reich gibt es gar keine Zeugnisse, trotzdem würde wir ihre Existenz nicht bestreiten. Letztendlich fragt niemand wirklich danach, ob Arminius oder Boudicca historisch real existierende Personen waren (klar, du hast nach Sokrates gefragt). Aber obwohl diese historisch viel dürftiger überliefert sind, wird ihre historische Existenz praktisch nicht bezweifelt. Bezweifelt wird i.d.R. nur die Existenz von Jesus oder Muhammad. Was ist denen gemeinsam? Ihre religiöse Relevanz für Milliarden Menschen.
 
Die Wikipedia, eine sehr reputable Quelle, schreibt:
Auch bei Wikipedia muss man vorsichtig sein. Es ist immer noch ein Lexikon, an dem sich demokratisch jede/r beteiligen kann. Es ist eben kein Lexikon, wo ein/e ausgewiesene/r, namentlich bekannte/r Fachwissenschaftler/in, die/der bereits Forschungsbeiträge zum Thema X publiziert hat, einen Fachartikel schreibt. In den letzten Jahren hat sich außerdem die Unsitte verbreitet, Wikipediaartikel aus Sprache A in Sprache B zu übersetzen und so die verschiedensprachigen Wikipedia-Artikel anzugleichen. Vor einigen Jahren war es gerade eine Stärke von Wikipedia, dass man zwischen verschiedenen Sprachen hin und her springen und Darstellungen vergleichen konnte.

Ob ein Artikel bei Wikipedia gut oder schlecht ist, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Ich habe z.B. einen Freund, dessen Vater ist Vorsitzender eines Vereins. Dieser Verein hat einen eigenen Wikipedia-Artikel. Allerdings zwar nach der neuen Rechtschreibung orthographisch korrekt, aber nach der Namensgebung des Vereins in der alten Rechtschreibung (und in dieser ist der Verein nach wie vor benannt) leider nicht. Nun hat mein Freund, dessen Vater ja der Vorsitzende des Vereins ist, den Namen in die alte Rechtschreibung korrigieren wollen, weil der Verein nun mal den Namen nach wie vor nach der alten Rechtschreibung trägt. Daraus ist ein Edit-War geworden. Er hat sich keine Vermittler gesucht, sondern gesagt: "Auf Edit-War hab' ich keinen Bock, Wikipedia ist scheiße" und aufgegeben. Insofern bestimmt bei Wikipedia also häufig schlicht der- bzw. diejenige eine Artikeldarstellung, der den längeren Atem hat und nicht der/diejenige, der/die es besser weiß.

Das ist auch keine Verurteilung von Wikipedia. Wikipedia kommt im Durchschnitt wirklich gut weg. Der durchschnittliche Beiträger bei Wikipedia war vor einigen Jahren der männliche Single-Akademiker zwischen 30 und 35 Jahren.
 
Platon oder eben Xenophon hatten aber ein Interesse daran, Sokrates als Vorbild darzustellen. Offensichtlich gab es eine frühe Gemeinschaft von Sokrateern. Der Fall ist also in gewisser Hinsicht analog zu der von Jesus.

Wie Clemens64 schrieb, taucht Sokrates (noch vor den Apologien) bei Aristophanes auf, der offensichtlich kein Interesse daran hatte, ihn als Vorbild darzustellen, sonder eher als Spottobjekt.

Aber andersrum gefragt: Welche Hinweise gibt es denn, dass es Sokrates oder Jesus nicht als historische Personen gegeben hat? Du zitierst bspw wiki mit dem Hinweis, "Crestus" könne auch ein Sklavenname und damit eine andere Person gemeint sein. Gibt es i-wo sonst Hinweise auf einen solchen "Crestus"?

P.S.: Wenn es i-welche auch nur halbseidenen, aber ernsthaft vorgetragenen Zweifel an der historischen Existenz des Arminius gäbe, ich würde erwarten, das hätte einen Thread hier im Forum zur Folge, auch wenn der in der Länge wohl nicht an den Kalkriese-Thread heran reichen würde... ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
P.S.: Wenn es i-welche auch nur halbseidenen, aber ernsthaft vorgetragenen Zweifel an der historischen Existenz des Arminius gäbe, ich würde erwarten, das hätte einen Thread hier im Forum zur Folge, auch wenn der in der Länge wohl nicht an den Kalkriese-Thread heran reichen würde... ;)

Gibt es. 2004\2005 hat ein User mit Namen El Quijote die Frage gestellt, ob es Arminius überhaupt gab. Anlass war ein Buch über den Einfluss des Wetters auf die Geschichte.
 
Wobei es die Diskussion um Arminius historisch im 16. / 17. Jahrhundert im Rahmen der Aneignung der Tacitustexte samt Fälschungshypothese tatsächlich einmal gab.

Was Christus angeht, wird seine Existenz in der Wissenschaft nicht ernsthaft angezweifelt. Die Namensverwechslung Chrestus-Christus ist nur natürlich hinsichtlich einer Sache, bei der sich jemand nicht auskennt, wie Tacitus sich eben bei den Christen nicht auskannte. Fremde Namen wurden schon regelmäßig an Bekanntes aus der eigenen Kultur oder Sprache angeglichen. Da wir das Beispiel gerade hatten: Arminius - Armenius - Armenus (- Hermann). Einer Parallele Chrestus - Christus kommt keine Beweiskraft zu. Sie ist nicht einmal besonders bemerkenswert, eben weil Christus kein Name ist und Chrestus als Name von Sklaven verbreitet war.

Und das berühmte Testamonium Flavianum ist nicht die einzige Erwähnung Jesu bei Josephus:
„Ananos nun, der wild und draufgängerisch und von jener den Sadduzäern eigenen Härte in Gerichtsdingen war, hielt den Zeitpunkt für geeignet – Festus war gerade gestorben und Albinus noch unterwegs. Er berief deshalb den Hohen Rat zum Gericht und ließ den Bruder Jesu, des sogenannten Christus, Jakobus mit Namen, sowie einige andere, die er der Gesetzesübertretung beschuldigte, zur Steinigung führen.“ (Antiquitates 20, 200)

Ganz offensichtlich wurde vergessen, auch diese Stelle zu verfälschen. Jedenfalls in den uns vorliegenden Texten. Origenes und Eusebius kannten Varianten, bei denen auch diese Stelle verfälscht war.

Und auch die Rabbinische Tradition erscheint hinsichtlich der Existenz Jesu unverdächtig. Damit haben wir Zeugnisse dreier verschiedener dem Christentum skeptisch gegenüberstehender Gruppen.

Von Sokrates gibt es insgesamt weniger Zeugnisse von Gegnern als auch weniger relativ zeitnaher Autoren aus seiner eigenen Schule als es bei Jesus der Fall ist. Plato sein Schüler lässt ihn sogar - heute unstrittig - seine eigenen Positionen vertreten und sein Sokrates wird geradezu zur literarischen Fiktion.

Ob wir Zeugnisse von Personen haben, die Jesus kannten, hängt an der Beurteilung der Briefe des Neuen Testaments. Ziehen wir einmal diejenigen Positionen ab, die dies voraussetzen, also einem Zirkelschluss erliegen, werden meist zumindest einige als echt betrachtet.

Es gibt noch eine Quellengruppe mehr. Die Antike sammelte auch Aussprüche berühmter Personen. Bei Jesus soll dies vor anderen Aufzeichnungen geschehen sein. Ein großer Teil dieser sog. "Herrenworte" floss in die Evangelien ein allerdings nicht immer unverändert. Netterweise haben sich im Wüstensand solche Sammlungen, in einer mit anderem Hintergrund überarbeiteten Form erhalten. Dies Nebeneinander erlaubt in vielen Fällen die Rekonstruktion einer gemeinsamen älteren Stufe. Wir kommen also vor die behaupteten Fälschungen.

Warum sollte auch eine Person erdacht werden, von einem Typus, von dem es in Palästina in den Jahrzehnten nach Christus nur so wimmelte? Oder es zumindest mehrere gab. Es wäre einfacher gewesen, einen herauszupicken und ihm die eigene Lehre anzudichten. So haben es einige Gruppen ja auch mit Jesus gemacht. Nur sind die 'orthodoxen' Anhänger Jesus zu uneins gewesen, ihre Lehre zu verschieden, als dass hier so eine Fälschung vorliegen könnte. Ja, ein guter Teil dieses Schrifttums setzt sich mit Abweichungen von der orthodoxen Lehre auseinander und Paulus lies sich in Jerusalem geichsam approbieren. Hieraus ergeben sich wieder Anhaltspunkte für den Ursprung.

Zu Sokrates können wir vielleicht noch weniger sagen, wie seine Lehre nun inhaltlich aussah. Xenophon wird als schlechter Schüler betrachtet, der die Zusammenhänge nicht verstand oder absichtlich alles vereinfacht in Einzelbeispielen schilderte und Platon fällt aus, da die in seinen Schriften erkennbare Entwicklung mittlerweile seit Jahrzehnten als seine eigene gilt und nicht mehr als das Abweichen von der Lehre des Sokrates.

Sokrates ist vielleicht einen kleinen Tacken weniger gut bezeugt; oder einen kleinen Tacken besser. Das kommt m.E. auf die Anschauungen des Beurteilers an.

Was aber eindeutig ist, ist, dass oft mit zweierlei Maß gemessen wird und an die Existenz Jesu oft strengere Maßstäbe geknüpft werden als an diejenige Sokrates. Das ist unwissenschaftlich.

Zu den Hintergründen hat El Quijote schon gepostet.
 
Weil es sonst zu lang wird ein Doppelpost.

Da ich schon lange an ihr mitarbeite, steht mir zu zu sagen, dass die Wikipedia weder Quelle, noch Sekundärliteratur, noch "sehr reputabel" ist.

Ein Lexikon ist immer tertiär: Es nimmt die aufgrund von Daten oder Quellen entstandene Sekundärliteratur her, um den Stand der Dinge darzustellen.

Schon an diesem Anspruch scheitern viele Artikel, weil Autoren ihre eigene Meinung pushen und wichtige Teile der Literatur außen vor lassen. Manchmal werden auch einfach Lexikonartikel ausgeschrieben - seit einiger Zeit etwa extrem aus der RGA, um bei Germanens zu bleiben, was dann zu ganz eigenen Fehlern führt.

Wegen extremer Anfeindungen und hohem Stresspotential gerade auch im religiösen Bereich, wo oft das eigene Bekenntdis jenseits aller wissenschaftlicher Literatur mit allen Mitteln verteidigt wird, fassen viele Autoren einige wichtige Artikel gar nicht mehr an. Um Einiges mache ich mittlerweile auch einen Bogen.

Andere Artikel sind extrem gut, wobei die interne Exellenz-Abstimmungen teils wenig Aussagekraft haben. Entscheidend ist, dass es schon Vorkenntnisse braucht, um das zu beurteilen.

Seit einiger Zeit gibt es nicht nur Rabauken, die an allen möglichen Stellen Unsinn wie "Ich bin Superman." oder "Kapitalismus sucks" einfügen, sondern gezielte Sabotage betreiben. Nicht zu Propagandazwecken, sondern als Hobby. Die Beobachtung von Artikeln, um Vandalismus herauszufischen wird immer wichtiger. Wenigstens lässt sich ein Artikel mit einem Klick auf dir Beobachtungsliste setzen.

Mal einige Blüten:
- Trier als Hauptstadt des römischen Reichs? Das musste vor Jahren mehrfach wieder eingesetzt werden, weil einige so seriös sein wollten, den vermeintlichen Fehler zu tilgen. Es ließe sich ja über Regierungssitz streiten, aber die Unterscheidung ist anachronistisch und zur Zeit der Tetrarchie müssen wir wohl auch dann von Hauptsstadt sprechen.
- Viele Artikel wurden aus uralten Konversationslexika übernommen, um erstmal eine Basis zu schaffen. Das wirft heute noch große Schatten.
- In der Literatur wird eine Quelle mit "Francia" zitiert, weil einige Autoren nicht in Paläographie bewandert sind oder es nicht überprüft haben. Dank Kürzungszeichen steht da aber "Franciae". Das wäre (in diesem Fall) einem kundigen Lektor aufgefallen. Entsprechend vorsichtig wäre der Artikel formuliert worden. In der Wikipedia wird, weil es falsch da steht, ein Beleg aus der Literatur gebraucht. (Beispiel aus der Literatur. Ich habe es schon mehrfach ähnlich in der Wikipedia gesehen.)
- Nun werden oft - nachdem Fantasietitel nicht mehr verfangen - irgendwelche schwer zugänglichen Belege gegeben, die nichts mit dem zu Belegenden zu tun haben.
- Und es geht besser, wenn Quellen benannt werden. In einem Beleg findet sich aufgrund Druckfehlers die falsche Quellenstelle. Das wird im Artikel benutzt, seine Aussage zu diskreditieren. Wenn es geändert werden soll, wird ein Beleg verlangt, dass es ein Fehler ist. Besonders beliebt bei Bibelstellen, wo gerade bei wichtigen, geläufigen Stellen ab und an ein solcher Fehler vorkommt.
- Natürlich wird eine Seite immer als die unverbrüchliche Wahrheit dargestellt, selbst wenn mehrere Alternativen in der Diskussion sind. Stichwort: Forschungsdiskussion unbekannt. Natürlich wird dann oft behauptet, tendenziöse Begriffe seien neutral. Wenn der Autor aktiv ist und man selbst es gerne verbessern möchte, kann man sich in der Regel auf monatelangen Stress einstellen. Manchmal setze ich eine Neutralitätswarnung, aber in der Regel bin ich abgeschreckt. Es wird meist sofort persönlich: Der Mut zum Urteil fehle und Eiteitei gehöre nicht in die Wissenschaft. Im übrigen habe man eh keine Ahnung und sei von "Ihnen" beeinflusst. Urteil und Wissenschaft in einem Lexikon? Ernsthaft? Die Fortführung der wissenschaftlichen Diskussion mit anderen Mitteln? Und das ist für viele Artikel noch Standard, obwohl die Richtlinien geändert wurden: Besser die Forschungsgeschichte darstellen und sich nicht auf eine Lehre beschränken.
- Die Forschungsgeschichte ist natürlich da unbekannt, wo jemand nur in ein oder zwei aktuellen Werken recherchiert hat. Gut gemeint, aber es entstehen schon mal putzige Fehler, die zwar leicht korrigiert werden können, aber erst mal gefunden werden wollen. Zu oft ist eben heutige Forschung mit der älteren verbunden, während das Wissen um die Vorgänger vorausgesetzt wird.

Ich habe Anfang November seit langem mal wieder einen Artikel in der WP überarbeitet. Der krankte schlicht daran, dass sich zu Beginn keiner einen Überblick über die Literatur verschafft hatte und die Bearbeitungen dann eher zufällig waren. Nicht direkt falsch, aber auch nicht richtig. Ich bin noch immer nicht ganz zufrieden. Weil andere Artikel Mängel haben, musste ich zu viel erklären und für eine Hypothese, die zur Forschungsdiskussion gehört, ohne sich (bisher) durchgesetzt zu haben, habe ich hier vor Ort keine Belege, so dass ich die Hypothese erstmal weglassen musste. Da kann ich gelesen haben, was ich will, ich brauche den Beleg, was auch richtig ist. Dann sind wegen jahrelanger Änderungen einige Sätze zu Monstern entartet. Immer ein Problem, hilft es dabei meist erst ein paar Monate zu warten und dann einige Formulierungen zu überarbeiten. Alles zu löschen ist unüblich und gilt als unhöflich...

Wer wissen will, ob ein Artikel in der WP reputabel ist, muss sich ein wenig auskennen, die Diskussionsseite lesen und in der Versionsgeschichte nach Editwars und solchen Sachen suchen. Es hilft natürlich auch, wenn man Autorennamen wiedererkennt. (Auskennen meint fachlich, Wikipedia-mäßig und hinsichtlich der Beurteilung von Literatur.)

Dann ist da noch die Sache, dass vieles unverständlich geschrieben ist, weil insbesondere Naturwissenschaftler nur ihre Fachsprache beherrschen, während die Wikipedia für Otto Normalverbraucher sein soll. Gehobene Sprache ja, aber nicht abgehoben. Mit Adenauer gesprochen: Wer es nicht einfach sagen kann, hat es selbst nicht richtig verstanden. Als Kriterium vernichtend für so manchen Artikel dort.

Und das sind nur einige der Sachen, bei denen es bei der Wikipedia Probleme gibt. Lustig ist es, wenn ein Fach seine Definitionen überall durchsetzen will. Vermeintliche Physiker sind da ganz groß. Homonyme sind bei einigen sowieso unbekannt.

Ich hatte mal vorgeschlagen, dass wir hier im Forum uns ein paar Artikel aus der Wikipedia vornehmen. Es fehlte das Interesse.

P.S.: Entschuldigt bitte eventuelle Rechtschreibfehler. Ich konnte mal wieder nur ein paar Stunden schlafen und bin müde.
 
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Mit Adenauer gesprochen: Wer es nicht einfach sagen kann, hat es selbst nicht richtig verstanden.

Hast Du einen Beleg für das Adenauer-Zitat?
Der Spruch wird wahlweise den Physikern Ernest Rutherford oder Richard Feynman oder einem "Mathematiker G.S. Tahim aus Bloomington, Indiana" zugeschrieben. Und natürlich auch Albert Einstein, dem jedes Zitat unbekannter Herkunft früher oder später in die Schuhe geschoben wird:
ZITATFORSCHUNG: "Wenn Du es einem Sechsjährigen nicht erklären kannst, dann hast Du es selbst nicht verstanden." Albert Einstein (angeblich)
 
Weitere Quellen sind Tacitus (Historien) [...]
Bei Tacitus, der Jesus eher wenig kenntnisreich Chrestos nennt und wirklich nichts über ihn weiß, die Christen sogar sinngemäß als Abschaum bezeichnet, ist eine christliche Interpolation gänzlich auszuschließen.

Wieso wissen wir, dass bei Tacitus Creton == Christus?
Wo haben wir die Quelle bei Tacitus?
Zudem Christus ein griechischer Titel ist. Der Name Crestus dagegen scheint ein Geläufiger Sklavename gewesen zu sein.

Die Wikipedia, […], schreibt:
"Laut Sueton vertrieb Claudius die Juden aus Rom, die auf Chrestus’ Anstiften beständig Unruhe verursacht hätten. (...)„Chrestus“ („der Nützliche“) war ein geläufiger Sklavenname, Sueton bezog sich hier jedoch wahrscheinlich unwissentlich auf einen Konflikt unter Juden in Rom um den Glauben von Judenchristen an Jesus Christus. Weil die römischen Herrscher damals Juden und Christen noch nicht unterscheiden und ihren Konflikt nicht befrieden konnten, ließ Claudius sie nun gemeinsam vertreiben."

Ich habe hier zwei Fehler begangen (bzw. den einen Fehler, dass ich aus dem Gedächtnis zitiert und nicht nachgeschlagen habe).

Fehler Nr. 1: ich habe drei Quellenstellen gedanklich zu einer verwoben.
Fehler Nr. 2: ich habe fälschlich die Historien des Tacitus als Quelle angeben.
Tatsächlich handelt es sich um eine Stelle bei Tacitus (in den Annalen) und zwei Stellen bei Sueton:
Tac. ann, xv, 44
Suet. Claud., 25
Suet. Nero, 16
Tacitus nennt den Namensgeber der Christen Christus, sagt aber, das diese wegen ihrer Schandtaten verhasst (per flagitia invisos) aber am Brand Roms unschuldig seien. Die Erwähnung des Pontius Pilatus würde ich unter Interpolationsverdacht stellen.
Sueton schreibt über die Christen, dass sie ein Geschlecht von neuem und bösartigem Übermut seien (Christiani, genus hominum superstitionis novae ac maleficae [Suet. Nero, 16]). Chresto nennt er jemanden, der die oder einen Teil der Juden Roms zu Tumulten aufgestachelt habe. Da das Lateinische keinen Artikel kennt, ist der Satz in dieser Beziehung uneindeutig, man kann den Satz so lesen, dass Claudius alle Juden wegen der Anstiftung zum Tumult aus Rom vertrieb, oder dass er nur den Teil der Juden, der durch Chrestos zum Aufruhr angestiftet worden sei, aus Rom vertrieb.
Ob dieser Chrestos in Rom anwesend war oder eben ein missverstandener Christus und Sueton die Christen unter die Juden subsumierte (was zum damaligen Zeitpunkt durchaus noch verständlich gewesen wäre) wird sich nicht eindeutig klären lassen. Hier müssen wir mit Wahrscheinlichkeiten operieren und was spätere Quellen - etwa Tertullian - uns sagen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hast Du einen Beleg für das Adenauer-Zitat?

Ich gehe davon aus, dass so etwas ähnliches noch andere Leute gesagt haben. Adenauer war sicherlich nicht der erste. Er hat ja im Ruhestand nochmal ein großes Interview gegeben, was damals keinesfalls üblich war, während er sich zur Tagespolitik öfter äußerte. Darin wurde er unter anderem darauf angesprochen, dass er in bestimmten Kreisen als simpel galt, weil er sich einer einfachen Sprache bediente. Er antwortete, dass der Wähler Anspruch auf eine Verständliche Sprache habe und gab den sehr frei - den Wortlaut habe ich nicht im Kopf - von mir zitierten Satz dazu. Da googeln eine meiner Schwächen ist, ist mein Beleg, dass ich es gehört habe. Es sollte aber zu finden sein. Wenn ich mich recht erinnere fragtest du schon mal danach und ein halbes Jahr später wurde es wegen eines Jubiläums nochmal gezeigt.
 
Nun ein bisschen etwas zu Sokrates.

Bekannteste und wichtigste Quellen sind die schon erwähnten Platonischen Dialoge und Xenophons Memorabilien, seine Apologie, seine Hauswirtschaftslehre (Oikonomikos) und sein Dialog "Gastmahl". Weiterhin die Komödie "Die Wolken" von Aristophanes. Ebenso der zeitgenössische Komödiendichter Ameipsias, von dem bekannt ist, dass er den Sokrates habe auftreten lassen (im "Mäntelchen"). Auch Eupolis stellt ihn in seiner Komödie "Die Schmeichler" dar. wiki dazu:
Er stellte ein Gastmahl im Haus des reichen Kallias dar, an dem berühmte Sophisten (darunter Sokrates) dem Gastgeber buchstäblich die Haare vom Kopf fressen.
Dann hätte ich noch den Komödiendichter Kallias, der Sokrates in seinen "Gefangenen" behandelt.

Zwar ist das Auftreten von Sokrates in einem Theaterstück kein "Beweis", aber doch ein starker Hinweis auf dessen Existenz, sonst hätten die Zuschauer die Anspielungen auf diese Person ja gar nicht verstanden. Denn all diese Komödien sind zeitgenössisch. Sie sind allerdings nur ein Beleg für die Existenz der Person, als Quelle für seine Lehre, seinen Charakter etc. eher problematisch.

Es gibt aber auch verschiedene Anmerkungen von Aristoteles zu Sokrates, der jedoch die Person nicht gekannt haben kann und daher sein Wissen von den Akademiemitgliedern bzw. Platon selbst hatte (oder von anderen Athenern). Gerade den nüchternen Aristoteles halte ich für einen wichtigen Zeugen, da dieser keine "sokratische Schule" gegründet hatte und sich i.a. sehr an der Empirie orientiert hat.

Zudem schrieb Diogenes Laertius in seinen "Meinungen und Leben" ein ganzes Kapitel über Sokrates (Buch 2, Kap. 5). Hierin wird Timon von Phleius erwähnt, der in seinem "Sillenbuch" einige Spottgedichte über Sokrates verfasste, allerdings lange nach Sokrates' Ableben. Bei Diogenes erscheint auch Favorinus in seiner Philosophiegeschichte (leider nur noch Fragment) und weitere Autoren, jedoch keine Zeitgenossen, die ihr Wissen vielleicht nur vom Hörensagen her hatten.

Sokrates' Lehre war Anlass zur Gründung vieler Philosophenschulen. Seine Schüler haben allesamt über ihn in Dialogform geschrieben: von Antisthenes (Kyniker), Aristipp (Kyrenaiker), Aischines von Sphettos (den ich nicht kenne) und Euklides von Megara (Megariker), in denen Sokrates als ihr Lehrer erscheint. Leider gibt es von all diesen Leuten nur noch Fragmentarisches. Auch ihr Zeugnis als Zeitgenossen ist wertvoll.
 
Tatsächlich handelt es sich um eine Stelle bei Tacitus (in den Annalen) und zwei Stellen bei Sueton:
Tac. ann, xv, 44
Suet. Claud., 25
Suet. Nero, 16

DANKE. Mal schauen, ob ich das im Internet finde.

El Quijote schrieb:
Tacitus nennt den Namensgeber der Christen Christus, sagt aber, das diese wegen ihrer Schandtaten verhasst (per flagitia invisos) aber am Brand Roms unschuldig seien. Die Erwähnung des Pontius Pilatus würde ich unter Interpolationsverdacht stellen.

Falls diese Stelle jedoch gefälscht sein sollte, dann ist es eine vergleichsweise raffinierte Fälschung. Das passt anscheinend nicht ins Muster, jedenfalls wenn ich anderen Autoren zum Thema "fälschung von Flavius Josephus" glauben schenke. Das hört sich ja so süsslich an, das es sofort Verdacht erregt.

Die Uni Siegen (dort die katholischen Theologen!) übersetzt es ebenfalls nicht mit Übermut, sondern Aberglaube.

El Quijote schrieb:
Sueton schreibt über die Christen, dass sie ein Geschlecht von neuem und bösartigem Übermut seien (Christiani, genus hominum superstitionis novae ac maleficae [Suet. Nero, 16]).

Das Lateinwörterbuch kennt superstition als Aberlaube und Übermut als etwas anderes.

Wäre die Übersetzung damit nicht: "Christiani, ein menschliches Geschlecht (Stamm) von Aberglauben, sowohl neu als auch schädlich".

El Quijote schrieb:
Chresto nennt er jemanden, der die oder einen Teil der Juden Roms zu Tumulten aufgestachelt habe. Da das Lateinische keinen Artikel kennt, ist der Satz in dieser Beziehung uneindeutig, man kann den Satz so lesen, dass Claudius alle Juden wegen der Anstiftung zum Tumult aus Rom vertrieb, oder dass er nur den Teil der Juden, der durch Chrestos zum Aufruhr angestiftet worden sei, aus Rom vertrieb.
Ob dieser Chrestos in Rom anwesend war oder eben ein missverstandener Christus und Sueton die Christen unter die Juden subsumierte (was zum damaligen Zeitpunkt durchaus noch verständlich gewesen wäre) wird sich nicht eindeutig klären lassen. Hier müssen wir mit Wahrscheinlichkeiten operieren und was spätere Quellen - etwa Tertullian - uns sagen.

Für mich reicht das als Beleg für frühe Christen und las starkes Indiz für die Existenz eines historischen Christus. Um es noch einmal zu betonen: Das impliziert nicht, dass die Wunder wirklich passiert sind und so. Darum geht es nicht.

Es stimmt schon, dass im Vergleich zu Sokrates die Maßstäbe irgendwie verrückt scheinen.

Wobei ich den Unterschied schon sehe. Im Falle von Sokrates haben wir zeitgenössische Quellen, die sich über seine Person lustig machen und eine ganze Reihe unterschiedlicher Philosophien, die alle Sokrates als Autorität ansehen.
Im Fall von Jesus haben wir praktisch nur Indizien aus seiner Gemeinde.
 
Ich gehe davon aus, dass so etwas ähnliches noch andere Leute gesagt haben. Adenauer war sicherlich nicht der erste. Er hat ja im Ruhestand nochmal ein großes Interview gegeben, was damals keinesfalls üblich war, während er sich zur Tagespolitik öfter äußerte. Darin wurde er unter anderem darauf angesprochen, dass er in bestimmten Kreisen als simpel galt, weil er sich einer einfachen Sprache bediente. Er antwortete, dass der Wähler Anspruch auf eine Verständliche Sprache habe und gab den sehr frei - den Wortlaut habe ich nicht im Kopf - von mir zitierten Satz dazu. Da googeln eine meiner Schwächen ist, ist mein Beleg, dass ich es gehört habe. Es sollte aber zu finden sein.

Kein Problem:

Gaus: Man hat Sie gern, Herr Dr. Adenauer, den großen Vereinfacher der Politik genannt. Halten Sie diese Charakterisierung für lobend oder für abwertend?

Adenauer: Das halte ich für ein ganz großes Lob, denn in der Tat, man muss die Dinge auch so tief sehen, dass sie einfach sind. Wenn man nur an der Oberfläche der Dinge bleibt, sind sie nicht einfach; aber wenn man in die Tiefe sieht, dann sieht man das Wirkliche, und das ist immer einfach. Ob das angenehm ist, das ist eine andere Frage.​

Adenauer, Konrad
 
Die Uni Siegen (dort die katholischen Theologen!) übersetzt es ebenfalls nicht mit Übermut, sondern Aberglaube.

Das Lateinwörterbuch kennt superstition als Aberlaube und Übermut als etwas anderes.
Ja, natürlich Aberglaube.

Wäre die Übersetzung damit nicht: "Christiani, ein menschliches Geschlecht (Stamm) von Aberglauben, sowohl neu als auch schädlich".
Novae und maleficae sind die Adjektive zu superstitionis (Genitiv Singular feminin).

Das impliziert nicht, dass die Wunder wirklich passiert sind und so. Darum geht es nicht.
Was außerhalb der erfahrbaren Wirklichkeit liegt, können wir getrost ad Acta legen.
 
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