Der Kaperkrieg im Mittelmeer

Dieses Thema im Forum "Sonstiges in der Neuzeit" wurde erstellt von Deserta, 5. November 2008.

  1. Deserta

    Deserta Neues Mitglied

    Hi Leute,

    ich bim im Rahmen von eingein Nachforschungen auf den Begriff Kaperkrieg gestoßen. Kann mir vielleicht jemand erklären, wer hier gegen wen im "Krieg" stand? Und ob jemand diese Quelle hier für zuverlässig und objektiv genug versteht (?): http://www.iue.it/HEC/ResearchTeaching/20072008-Autumn/SS-readings/kaiser-zwischen-loggia.pdf
    Und wie löste sich dieses System auf und warum?
    Für Antworten bin ich jederzeit offen,

    Lg

    Deserta
     
  2. Köbis17

    Köbis17 Gast

    Kaperkrieg ist Piraterie.

    Es wurden bisweilen Kaperbriefe von Nationen an Piraten verteilt, die dann im Namen des jeweilgen Landes Schiffe aufbrachten. Der Kaperbrief hatte für die Piraten den Vorteil, dass sie in dem Ausstellerland straffrei blieben.

    Aber das Kapern von Schiffen ist sich des Schiffes mit Ladung zu bemächtigen oder nur der Landung. Das gibt es seit die Menschen zur See fahren und selbst heute werden noch Schiffe gekapert.
     
  3. florian17160

    florian17160 unvergessen

    Sagen wir es mal so.
    Der Kapitän hatte ein reines Gewissen, weil ja bevollmächtigt.
    Mit Aushändigung des Kaperbriefes war er Teil eines Krieges.
    Die Bedingungen, wer nun wem etwas abgibt von der Beute, waren ebenso ausgehandelt.
    Kaperer sind nichts anderes als legitimierte Piraten gewesen.
     
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  4. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Rein vom Tun her habt Ihr zwei beide zwar Recht, juristisch gesehen verwendet man aber den Begriff des Freibeuters. Der Freibeuter ist mit dem Kaperbrief ausgestattet, der Pirat dagegen handelt illegal. Der Kaperbrief hat für kriegführende Parteien den Vorteil, dass die Besoldungsfrage gelöst ist, anders als bei ausgehobenen (oder gar stehenden) Truppen. Wird ein Krieg beendet, erlischt die Gültigkeit des Kaperbriefs und man sollte es als seriöser Herrscher tunlichst vermeiden, in den Ruch zu kommen, mit den jetzigen Piraten weiter in Verbindung zu stehen. Was bedeutet, dass den früheren Freibeutern als Piraten der Zufluchtsort fehlt
     
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  5. Köbis17

    Köbis17 Gast

    Stimmt, Freibeuter wurden die Praten genannt, die einen Kaperbrief erhalten hatten.

    Aber auf dem Bezug des Mittelmeeres gezogen nennt man die Piraten und Freibeuter in dem Gebiet auch Korsaren. Die bekanntesten unter ihnen waren die „Barbaresken“, auch „Barbaren-Korsaren“ genannt. Sie hatten ihre Hauptsitze in den Küstenstädten des Maghreb und starteten und organisierten von dort aus ihre Raubzüge. Von ihren islamischen Regierungen unterstützt und dazu ermächtigt, griffen sie besonders vom 16.-18. Jahrhundert christliche Schiffe an und plünderten sie.
    Auch die so genannten „maltesischen Korsaren“ hatten ihren Aktionsraum im Mittelmeer. Sie bildeten sozusagen ein Gegenstück zu den Babaresken, indem sie, authorisiert von den europäischen christlichen Regierungen, die Schiffe der Barbaresken und Araber angriffen und ausraubten.
     
  6. Repo

    Repo Neues Mitglied

    Wenn es um Mittelmeerpiraten oder Kaperer geht, fällt mir Hairredin Barbarossa ein.

    Würde ich mal googeln. (Schreibweise bin ich mir unsicher)
     
  7. jschmidt

    jschmidt Aktives Mitglied

    Es ist sicher gut, wenn man definitorisch ein wenig abschichten könnte. Auf welche völker- bzw. see(kriegs)rechtlichen Werke oder Abkommen wird hier Bezug genommen?

    Im übrigen tat niemand gut daran, sich auf den Kaperbrief zu verlassen. Ich zitiere (aus Faulheit) Wikipedia: "Mit dem Kaperbrief wurde 'Seekriegsführung im Auftrag' von Piraterie abgegrenzt, was den Kaperer theoretisch davor schützte, von der gegnerischen Seite als Pirat behandelt zu werden. Diese Unterscheidung wurde, da die Unterscheidung zwischen Kaperei und Piraterie verschwommen ist, nicht notwendigerweise eingehalten. Kaperkapitäne nutzten den Kaperbrief aus, um eventuell nebenbei eigenmächtig Piraterie zu betreiben; der gegnerische Staat nahm sich das Recht, den Kaperer wie einen Piraten zu behandeln."

    Dieser "Ruch" zieht sich nun freilich durch die gesamte Geschichte; ich wage mal die ungeschützte Behauptung, dass das "klammheimliche Einverständnis" bei den Herrschern deutlich häufiger vorkam als der "Verbindungsabbruch"; das Elisabethanische Zeitalter ist nur ein Beispiel dafür.
     
  8. Deserta

    Deserta Neues Mitglied

    Ah, danke für die Antworten, das hat mir einige Hinweise gegeben. Ich bin auch selber schon weiter mit meinen Nachforschungen, wer sich speziell für den Kaperkrieg im Mittelmeer während der Neuzeit interessiert, dem kann ich als Hintergrundwissen, diese Links hier mal empfehlen (ob da allerdings alles so hundertprozentig stimmt, weiß ich nicht, also ich übernehme keine Haftung!):

    http://www.mgfa-potsdam.de/html/ein...ds/meuno102rinkr220061020.pdf?PHPSESSID=92bb8

    und (das hier ist eine Google-Buch-Seite)
    Afrikanische Beziehungen, Netzwerke ... - Google Buchsuche

    Danke auf jeden Fall auch für die Definitionen der verschiedenen Formen von Piraterie und ihre reellen Umstände. (Schließlich war Francis Drake auch ein Kaperpirat, wenn ich mich recht entsinne, und später wurde er in London trotzdem als Pirat angeklagt und über der Themse aufgehängt.)
    Auch der Hinweis mit Barbarossa finde ich gut, danke @ repo.
    Ich freue mich über weitere Kommentare:yes:.
     
  9. Sascha66

    Sascha66 Neues Mitglied

    Was auch immer wir heute von Drake (ist übrigens nicht gehenkt worden, sondern starb in Puerto Bello an der Ruhr) und Barbarossa (starb auch eines natürlichen Todes) halten, für ihre Länder sind sie bis heute Helden.

    Interessant finde ich bei den Barbaresken die Fahrt nach Island mit anschließender Versklavung von mehreren hundert Isländern. Da wird wohl der eine oder andere übergetretene Christ eine alte Rechnung beglichen haben.
     
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  10. florian17160

    florian17160 unvergessen

    Der ist doch ertrunken. Wenn das natürlich ist?
     
  11. Sascha66

    Sascha66 Neues Mitglied

    Guter Gag. Aber ich meinte den hier
    Khair ad-Din Barbarossa ? Wikipedia.
     
  12. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Das habe ich als klar vorausgesetzt.

    Albrecht von Bayern und die friesischen Häuptlinge hat das im 13./14. Jhdt. ganz schön in die Bredouille gebracht.

    Sag mir das nicht, war doch mein Erfinder Opfer davon. ;)
     
  13. lynxxx

    lynxxx Neues Mitglied

    Flo, Hayreddin Barbarossa, nicht Kaiser Barbarossa.

    Zur Schließung von Lücken und/oder wenigstens schönen Bildersammlungen zu fröhnen:

    1. [BARBAROS HAYRETTÝN PAÞA, TÜRK DENÝZCÝLÝK TARÝHÝ, OSMANLI DONANMASI, TÜRK KORSANLARI, DENÝZ HARÝTALARI, ESKÝ ÝSTANBUL RESÝMLERÝ, Hayreddin Pacha, Chajruddín Barbarossa, Khair-ed-din Barbarossa, Captain Barbarossa, Ottoman Admiral Hayreddin Barbarossa

    (Osmanische Marinegeschichte, auch engl. ist dabei eingestreut)


    2. Das Kapitel: Of prisoners, slaves and the charity of strangers teilweise hier einsehbar:

    The Ottoman Empire and the World ... - Google Book Search,

    (seriöses Standardwerk)


    3. Ausschnitte aus Artikeln aus: Jonathan Dewald (Hrsg.): Europe 1450 to 1789: encyclopedia of the early modern world. 2004.

    EUROPEANS AS SLAVES
    Europeans were not only slaveholders in the early
    modern period; they were also slaves. From at least
    the sixteenth century, thousands of Europeans were
    captured by Muslim privateers in or along the coasts
    of the Mediterranean Sea, Atlantic Ocean, or North
    Sea and sold into slave markets from Alexandria,
    Egypt to Meknes, Morocco. Seamen, fishermen,
    traders, travelers, and soldiers were the most vulnerable
    to seaborne raiders. On land, with the expansion
    of the Ottoman Empire into Europe, peasant
    families were just as subject to enslavement as were
    combatant soldiers. Some Christian captives converted
    to Islam and made new lives for themselves,
    others were ransomed by their relatives, escaped, or
    died in captivity. Some were pressed into service as
    galley slaves on Muslim ships. Many observers
    noted that their treatment there was better than on
    the French, Italian, or Spanish galleys
    . In general,
    slavery in the Ottoman Empire was reportedly milder than slavery elsewhere,
    and manumission
    (the individual freeing of slaves) was a common,
    even expected, form of charity for observant Muslims.
    In the second half of the seventeenth century,
    Jean-Baptiste Colbert, the chief minister to France’s
    king Louis XIV (ruled 1643–1715), expanded a
    system of galley slaves as punishment for many different
    kinds of crimes. More than 1,500 Protestant
    dissenters were condemned to the French galleys.
    During the same period, the Habsburg emperor
    Leopold I (ruled 1658–1705), in conjunction with
    Louis XIV, suspended the religious freedom guaranteed
    by the Hungarian constitution and sent
    some sixty Protestant ministers to be sold to the
    Spanish galleys; twenty-six surviving prisoners were
    released in 1676. The French galley penal system
    continued until 1748.
    In the same period, from the end of the seventeenth
    century until the end of the eighteenth, the
    seizure of war captives for ransom or labor became a
    fixture of warfare between the Russian and Ottoman
    empires. However, in contrast to the Ottomans,
    whose slaves were overwhelmingly non-Muslim
    outsiders, Russia drew most of its slaves from its
    own domestic population, many of whom sold
    themselves to escape famine or destitution.
    Slavery persisted in Russia until the early eighteenth
    century, when the tsarist state redefined domestic
    slaves as serfs so that they might be taxable.
    The line between serf and slave, however, was often
    blurred in practice. Slavery in Ottoman Europe continued
    in reduced form through the nineteenth century
    until its formal abolition at the end of the
    century.
    SUE PEABODY


    aus PIRACY:
    The early modern period in Mediterranean history—
    roughly the fifteenth through the eighteenth
    century—begins with the tapering off of one such
    period of piratical recrudescence. The final crumbling
    of Byzantine maritime power in the fourteenth
    century encouraged fierce competition between
    Latin Christians and Turkish emirs forcontrol of the Aegean and its vital trade links. Both
    sides built up their navies, raided each other’s territory,
    and preyed on each other’s shipping in pursuit
    of supremacy in the eastern Mediterranean. Both
    sides recruited pirates (conveniently called corsairs
    once they were serving a legitimate political entity)
    to help them achieve their goals. The Knights of St.
    John, for instance, captured the island of Rhodes in
    1308 with the help of a Genoese corsair (Inalcik,
    p. 186). The eventual victor in this fierce competition
    was the Turkish side, specifically the Ottoman
    Turks whose original base was inland but who eventually
    expanded outward to become a maritime
    power of the first order. With the conquest of Constantinople
    (1453), the Ottomans became masters
    of the vital commercial routes that linked the Black
    Sea and the Aegean. In 1522 they vanquished one
    of their most persistent naval competitors when Suleiman
    the Magnificent captured Rhodes and forced
    the departure of the Knights. Venice continued to
    have possessions in the eastern Mediterranean, but
    the Ottomans steadily eroded her power as well.
    Having thus established control over the area,
    the Sultans quite naturally no longer looked with
    favor upon piracy and punished pirates whenever
    they were able to do so. Those who could be absorbed
    into the state apparatus—as naval commanders,
    for example—enjoyed a new life as Ottoman
    officials. Independent actors, however, were no
    longer tolerated. In 1504 the Ottomans seized the
    ships of a pirate who had served as a corsair in the
    recent wars with Venice. When he continued his
    raids in peacetime, he lost not only his ships; the
    authorities burned his house to the ground and executed
    seventy of his men (Brummett, p. 99). Ottoman
    maritime supremacy, combined with the Venetian
    desire to protect her commercial interests,
    ensured that the eastern Mediterranean enjoyed a
    long hiatus from piracy in the sixteenth century.
    Farther to the west, in North Africa, the picture
    was largely similar. The corsairing captains who had
    raided the Spanish coastland on behalf of the Ottomans
    now settled down to life as the rulers of the
    newly acquired territories in North Africa. The high
    level of hostility between the sultan and the Spanish
    kings, however, meant that piracy was more tolerated
    in the western Mediterranean.
    Things changed again after the Ottoman defeat
    at the battle of Lepanto (1571). Revisionist historiography
    has made it clear that this clash was not the
    watershed it was once presumed to be. It was important,
    however, in terms of piracy. The staggering
    and ever increasing costs of galley warfare convinced
    both the Ottomans and the Spaniards that it was
    best to turn their energies elsewhere. The Mediterranean
    was left to its own devices. The pirates once
    again took to the seas, and the seventeenth century
    was the golden age of the pirate republic. The slave
    markets of Algiers and of Valletta teemed with miserable
    captives from the other side, as both Muslims
    and Christians pursued their opponents with equal
    ferocity.
    To a certain extent the pirates of the seventeenth
    century were operating on their own initiative
    and were motivated by the issues of economic
    scarcity that had always figured prominently. As
    with earlier centuries, however, shifts in the Mediterranean
    balance of power were working themselves
    out through piracy. It was in this period that
    northern newcomers—the Dutch and the English—
    put an end to Italian commercial supremacy
    in the Mediterranean and piracy was a vital instrument
    in this assault. The English pirate in his berton
    became a hated and feared figure for the Venetian
    merchant. This northern invasion is only the bestknown
    example, however. France backed Catholic
    pirates—particularly the Knights of St. John—as
    part of its ambition to replace the Venetians as the
    preeminent Catholic power in the eastern Mediterranean,
    and to hurt her economic competitors. The
    North African regencies of Tripoli, Tunis, and
    Algiers would prove similarly useful for English and
    French ambitions. Throughout the seventeenth and
    eighteenth centuries these two powers signed a
    number of treaties with the North Africans, agreements
    that were designed both to protect their own
    merchants from North African piracy and to encourage
    raids on their competitors’ shipping. In the
    eighteenth century the power of the regencies
    dwindled as they themselves devoted fewer and
    fewer resources to such assaults and European supremacy
    became ever more evident. Nevertheless,
    remnants of the system were still at work as late as
    the American Revolution. Once the Americans declared
    their independence from the British, Lloyds
    of London discreetly informed the North Africans
    that American ships were no longer under the protection
    of the British navy. North African attacks onthe merchant shipping of the new republic predictably
    ensued.
    In 1798 Napoleon Bonaparte captured the
    island of Malta and took the previously unimaginable
    step of freeing all the Muslim captives
    held by the Knights of St. John. His dramatic actions
    were an illustration of a more prosaic truth. By
    the end of the eighteenth century combatants in the
    Mediterranean were strong enough to fight their
    naval battles and conduct their trade without the
    help of Mediterranean pirates turned corsairs. Once
    the state turned its back, piracy never again achieved
    the international significance that it had enjoyed
    from time to time in the early modern period.
    MOLLY GREENE

    zum Schluss noch Ausschnitte aus dem Artikel MEDITERRANEAN BASIN im Anhang downloadbar, u.a. mit der Erläuterung zum Niedergang der Mittelmeer-Piraterie, sehr interessant!:
    daraus z.B. dieser mir vorher unbekannte Aspekt:

    "Hostilities between England and Spain came to
    an end in 1604, but the ‘‘Barbary pirates’’ (the term
    originally referred to the English in North Africa,
    not to the Muslim population
    ) did not go home."
     

    Anhänge:

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  14. lynxxx

    lynxxx Neues Mitglied

    4. Ausschnitte aus: Franco Cardini: Europa und der Islam: Geschichte eines Mißverständnisses. 2000.

    Aber die Türken waren nicht nur und nicht für alle ein
    Alptraum. In Frankreich, in England und im protestantischen
    Deutschland sahen viele, wenn auch meist insgeheim, im
    Sultan einen potentiellen Verbündeten, einen «Feind des
    eigenen Feindes». Besonders an den Küsten des «flüssigen
    Kontinents» Mittelmeer betrachtete man die Bedrohung durch
    die Türken und ihre Vasallen und Bundesgenossen, die
    seeräuberischen Barbaresken, als das kleinere Übel, wenn
    nicht sogar als eine Chance. Die Armen, Schwachen und
    Unterdrückten, innerhalb des strengen politischen und
    institutionellen Systems der christlichen Welt mittellos und
    ohne Chancen, blickten voll Hoffnung und Neid auf die Welt
    der Ungläubigen, wo man als kalabresischer Fischer oder
    albanischer Bergbewohner in den Rang eines Wesirs oder
    Admirals aufsteigen konnte. Ketzer, rachedurstige Verlierer,
    Träumer und Enterbte hofften sogar auf einen Sieg der
    Ungläubigen in ihrer eigenen undankbaren und ungerechten
    christlichen Heimat. Wer in Europa als religiöser Freigeist
    verdächtig war, endete auf dem Scheiterhaufen. Aber der
    grausame Türke [...] gewährte Freiheit des Glaubens, wenn man sich nur unterwarf
    und bereit war, eine geringe Steuer zu zahlen. Der Muselman,
    der auf den Schiffen Maltas oder Santo Stefanos während eines
    christlichen Korsarenangriffs auf die Küsten des dar al-Islam
    gefangengenommen wurde, endete als Ruderer auf einer
    Galeere oder in den Verliesen von Livorno oder Toulon. Der
    Christ dagegen, der von einem mit dem Halbmond
    geschmückten Schiff aufgegriffen wurde, konnte, wenn er nur
    jung und hübsch genug und tatkräftig war oder wenn er das
    Glück hatte, auf einen barmherzigen und einflußreichen Herrn
    zu treffen, eine steile Karriere machen und sogar bis zur Hohen
    Pforte und in den Dienst des Großen Herrn gelangen.
    Die Gefangennahme durch die Muslime war keineswegs
    selten, wenn man an der Küste lebte, als Kaufmann unterwegs
    war, sich auf Pilgerreise begab oder das Kreuzzugsgelübde
    einlöste. Im Christentum waren eigens geistliche Orden
    entstanden, die Trinitarier oder die Mercedarier zum Beispiel,
    die sich um den Loskauf der in muslimische Gefangenschaft
    geratenen Christen bemühten.
    [...] Der
    berühmteste Sklave der Barbaresken ist wohl Miguel de
    Cervantes, der im Jahr 1575 auf einer Reise von Neapel nach
    Spanien von einem Raubschiff der Barbaresken
    gefangengenommen und in Ketten nach Algier verschleppt
    wurde. Nach mehreren erfolglosen Fluchtversuchen kam er
    1580 gegen ein Lösegeld frei. In den Kapiteln 39 – 41 seines
    Don Quijotte, der «Novelle» des cautivo, hinterließ er uns ein
    eindrucksvolles Zeugnis seiner Erfahrungen. Der cautivo
    Miguel de Cervantes mußte sich später gegen den Vorwurf zur
    Wehr setzen, er habe sich mit den Muslimen so weit
    eingelassen, daß er sogar zum Islam übergetreten wäre. Doch
    der ungewöhnlichste Aspekt seiner Abenteuer war seine
    Beziehung zu Hasan Pascha, dem Bey von Algier, der ihn
    wegen seiner Fluchtversuche nicht nur nicht bestraft, sondern
    sogar seine Nähe gesucht hatte.
    Zwischen dem Status eines christlichen Gefangenen und dem
    eines Renegaten war die Grenze oft fließend. Niemand „wird
    nach vierhundert Jahren je den Schleier des Schweigens lüften,
    der uns das Geheimnis der Sympathie zwischen Miguel und
    Hasan verhüllt. [...]
    Der mit Cervantes befreundete Bey war ein dalmatinischer
    Renegat. Und die Gouverneure von Algier waren zumeist wie
    er «Türken geworden», angefangen von Barbarossa über den
    Sarden Hasan Aga und Hasan «den Korsen» bis zum
    Kalabresen Uludsch Ali. Viele Renegaten hatten es zu rais der
    Flotte und said gebracht, waren Gouverneure im Landesinnern.
    In Algier machten Genuesen und Venezianer die steilste
    Karriere; doch auch Kalabresen, Sizilianer, Neapolitaner,
    Albaner, Griechen, Franzosen und Juden brachten es zu etwas.
    Berühmt ist der Ligurer Osta Morato, der im Jahr 1637 Bey
    von Tunis wurde und die Dynastie der Mouraditen begründete,
    die sich bis Anfang des 17. Jahrhunderts an der Macht hielt.
    Oder Ali «Piccinino» von venezianischer Herkunft, der
    zwischen 1638 und 1645 Algier praktisch regierte. Erst in der
    zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sank der Stern der aus dem
    Mittelmeerraum stammenden Renegaten. An ihre Stelle traten
    andere islamisierte Christen, vor allem Engländer und Flamen
    – «Ponentiner», «Westler», genannt.
    Mit dem Niedergang des Osmanischen Reiches verschwand
    zunehmend auch die Bedeutung der Renegaten. Doch es gab
    weiterhin bemerkenswerte Einzelfälle, etwa den französischen
    Adeligen Graf Claude-Alexandre de Bonneval, der etwas mehr
    Aufmerksamkeit verdient hat. Geboren 1675, stammte er aus
    einer weitverzweigten, mit Fenelon verwandten Familie. Er
    war Oberst des französischen Heeres, desertierte im Jahr 1706,
    wurde in Frankreich zum Tod verurteilt und schlug sich auf die
    Seite der Kaiserlichen, wo er in den Rang eines
    Generalleutnants aufstieg. Lange Zeit war er unter Eugen von
    Savoyen tätig, bevor er sich auch mit ihm überwarf. Des
    Hochverrats angeklagt, wurde er auf dem Spielberg inhaftiert
    und floh. Er kehrte der christlichen Welt den Rücken und fand
    Aufnahme in Istanbul, wo er an die Spitze der Truppen des
    Sultans gestellt wurde und unter dem Namen Ahmad Bonneval
    Pascha Militärreformen unter Sultan Mahmud I. durchführte.
    Dank der Freundschaft mit dem Marquis de Villeneuve,
    Botschafter Ludwigs XV in Istanbul, kam es zur
    Wiederannäherung an seine Heimat.
    [...] Orazio Paterno Castello etwa
    aus der katanischen Familie der Marquis von San Giuliano floh
    im Jahr 1783 als Mörder seiner Frau und wurde von Korsaren
    aus Tripolis aufgegriffen. Er trat zum Islam über, nahm den
    Namen Hamad an, wurde «Dragoman» (Übersetzer) und
    erzählte seine Erlebnisse Miss Tully, der Schwester des
    englischen Konsuls der afrikanischen Stadt. Ein anderer
    sizilianischer Aristokrat, der Fürst Giovan Luigi Moncada,
    wurde während einer Schiffsreise von Palermo nach Neapel im
    Juli 1797 von Tunesiern aufgegriffen (die womöglich mit dem
    Schiffskapitän unter einer Decke steckten). Erst nach
    Vereinbarung einer beträchtlichen Summe Lösegeld wurde er
    wieder auf freien Fuß gesetzt. Doch in Sizilien angekommen,
    hielt er sein Versprechen nicht, und es kam zu einem
    Rechtsstreit: Der Bey von Tunis wandte sich an das oberste
    Gericht, doch das Verfahren zog sich über mehrere Jahrzehnte
    hin.
    [...] Über vielen dieser Geschichten, die uns bis
    heute bewahrt sind, liegt das Rätsel jahrhundertelangen
    Schweigens, andere sind für immer verschollen.
    Der Korsarenkrieg, Grund für das Drängen der Renegaten an
    die Spitze der osmanischen Gesellschaft und für den
    Automatismus von Gefangennahme und Sklaverei auf
    islamischer wie europäischer Seite, verlor ab dem 17.
    Jahrhundert zunehmend an Bedeutung. [...]
    Mit den türkischen und barbaresken Seeräuberaktivitäten
    schwächten sich auch die freibeuterischen und maritimen
    Aktivitäten der Johanniter von Malta und San Stefano sowie
    der christlichen Korsaren ab, die im Mittelmeer auf eigene
    Faust unterwegs waren und insbesondere im Zeitraum
    zwischen 1580 und 1610 ihr Unwesen trieben. Denn nicht nur
    mußte bis dahin jeder muslimische Angriff mit einem
    Gegenschlag beantwortet werden; man benötigte auch Sklaven
    als Arbeitskräfte für die Ruderschiffe und die
    Küstenbefestigungen. In der Levante wie auch im Maghreb
    wurden Gefangene gemacht. Berühmt ist die Plünderung von
    Hammamet im August 1602, wo die Galeeren der Ritter von
    San Stefano zwischen vierhundert und siebenhundert Personen
    verschleppten; oder die Plünderung von Bona im September
    1607, wo rund tausendfünfhundert Sklaven gemacht wurden –
    ein Ereignis, das Ende des Jahrhunderts in einer unrühmlichen
    Dichtung von Vicenzo Piazza, Bona espugnata, gefeiert
    wurde. Noch zwischen 1708 und 1715 unternahmen christliche
    Korsaren aus Livorno, die durch ein «Korsarenpatent» des
    Großherzogs der Toskana geschützt waren, an der
    palästinensischen Küste Raubzüge und bereiteten den
    französischen Behörden Kopfzerbrechen. Der Sultan
    betrachtete die Franzosen als «Schutzmacht» der Europäer in
    dieser Region und machte sie daher für derartige
    Vorkommnisse verantwortlich. Die Raubschiffe der Korsaren
    tarnten sich nicht selten als harmlose Passagierschiffe für
    Jerusalempilger. Die Christen jener Region, nicht selten aus
    Rache von den aufgebrachten Muslimen angegriffen, waren
    die Sündenböcke dieses «Übermuts».
    Das Schicksal muslimischer Gefangener in den christlichen
    Ländern war im allgemeinen weniger abwechslungsreich und
    glücklich als das der Christen in muslimischen Ländern.
    [...]
    Andererseits hielt man [musl.] Sklaven gewissermaßen auf Reserve,
    um sie im Bedarfsfall gegen die eigenen Gefangenen
    auszutauschen. Bereits im Jahr 1543 hatte Paul III. in Rom ein
    Kolleg für die Neophyten eingerichtet, in dem Christen
    unterkamen, die ihrem jüdischen oder muslimischen Glauben
    abgeschworen hatten; ihre Zahl war allerdings nie besonders
    hoch. [...]
    Trotz allem kam es auf dem «flüssigen Kontinent» des
    Mittelmeers auch zu friedlichem und kulturellem Austausch.
    Als Grenzgebiet war der mediterrane Raum zugleich ein Ort
    der Begegnung und in gewissem Sinn der Verschmelzung.
    Zahlreiche Wallfahrtsorte wurden von Christen wie Muslimen
    gleichermaßen besucht. Die beiden Kulte überschnitten und
    begegneten sich, ohne sich jemals miteinander zu vermischen
    – zum Beispiel an Stätten wie der Himmelfahrtskirche in
    Jerusalem, der «Milchgrotte» in Bethlehem, der Georgskirche
    in Lydda in Palästina, der Katharinenkirche auf dem Sinai,
    dem Marienwallfahrtsort Matariya bei Kairo (wo der berühmte
    Balsam herkam), der Kirche der Muttergottes vom Guten Rat
    in Skoder in Albanien und der Mariengrotte in Lampedusa. Es
    war das tiefe Bewußtsein des gemeinsamen abrahamitischen
    Ursprungs von Christentum und Islam und die tiefe
    Marienverehrung der Muslime, die diese Art der – niemals
    synkretistischen – Begegnung begünstigte.


    PS: Sorry, wenn jemand nicht englisch kann oder es zu anstrengend zu lesen ist, dann bitte meinen Post übergehen und weitermachen.
     
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  15. Brissotin

    Brissotin Aktives Mitglied

    Gerade Francis Drake ist ein gutes Beispiel für einen Freibeuter mit Kaperbrief. Sir Henry Morgan wäre ein anderes und die Reihe ließe sich fortsetzen. Was eben doch nicht zu unterschätzen ist, dass die Taten der Freibeuter durchaus auch bisweilen auf die Staaten zurückfielen, welche ihnen die Kaperbriefe ausstellten. So richtete v.a. Spanien ja mehrmalig gegenüber England Proteste wegen der Freibeuter, welche von diesen Staaten ausgesendet wurden, was noch präkerer wurde, wenn es eigentlich einen offiziellen Frieden zwischen den beiden Staaten gab (das war ja bei Henry Morgans letzter Aktion gegen Panama vor seiner Erhebung in den Ritterstand der Fall).
     
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  16. lynxxx

    lynxxx Neues Mitglied

    Ontopic, zurück ins Mittelmeer:
    Oder Proteste der Hohen Pforte Istanbuls an Frankreich, wenn italienische Piraten mit Vollmacht/"Korsarenpatent" der Toskana an den Küsten Palästinas auf hinterlistige Muslimjagd gingen... s.o. ;)
     
  17. Brissotin

    Brissotin Aktives Mitglied

    Gut dann habe ich dazu mal eine Frage. Die Fahrt über das Mittelmeer war, wenn ich das recht in Erinnerung habe, immer riskant für die Grand Tour-Reisenden. Deren Reise führte von England (es geht mir also um Engländer auf Grand Tour) über Frankreich nach Italien. Wenn nun ein Reisender im 18.Jh. von Marseille oder Toulon nach Genua zu See gereist ist, von wem war es dann wahrscheinlicher überfallen zu werden? Ausgenommen sind jetzt einmal Kriegszeiten, da wurden Schiffe ja noch eher mal aufgebracht (zu einem Beispiel komme ich vielleicht noch).
     
  18. Maksim

    Maksim Gast

    Vermutlich von den Vorfahren dieser Herren hier , den korsischen Freibeutern. Korsika brachte, im Laufe seiner glorreichen Geschichte, nicht nur Generale (unter ihnen auch ein späterer Kaiser der Franzosen) hervor, sondern auch äußerst findige und kompetente Seeleute. Darunter auch etliche erfolgreiche Freibeuter.
     
  19. Sascha66

    Sascha66 Neues Mitglied

    Das ist durchaus möglich, auch damals hatten Korsaren, Piraten oder wie auch immer sie regional hießen, ihre Spione in den Häfen und wussten damit meist bei welchen Schiffen sich Angriffe lohnten.
    Da es bekannt gewesen sein dürfte, das Engländer oft diese Route nahmen und diese nicht gerade arm waren, kämen alle die sich in diesem Geschäft betätigten in Frage.
    "Abgesahnt" hat dann wer als erster zu Stelle war bzw. über die "schlagkräftigeren" Argumente verfügte.
     
  20. lynxxx

    lynxxx Neues Mitglied

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