Deutsch-Polnische Erklärung (Nichtangriffspakt) vom Januar 1934

silesia

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Ich bin über diese Wertung von Schramm im Wiki-Artikel gestolpert:
Deutsch-polnischer Nichtangriffspakt ? Wikipedia

Der Freiburger Historiker Norbert Schramm sieht diesen Vertrag als „einzige dramatische und folgenreiche Wende, die Deutschlands Ostpolitik zwischen der Kapitulation des kaiserlichen Deutschlands und dem Hitler-Stalin-Pakt durchlaufen hat“

Kann man hier von einer "Wende" sprechen, oder fügt sich der Vertrag als schlichter taktischer Winkelzug einfach in die real existierenden Machtkonstellationen ein, innerhalb derer Hitler die Aufrüstung betreiben wollte- Zeitgewinn?

Richtig ist sicher, dass nur die bezüglich ihrer revisionistischen Politik "unverdächtige" NS-Regierung ein solches Abkommen mit Polen schließen konnte, über das wohl zuvor jede Weimarer Regierung gestürzt wäre, da ihr die Anerkennung der Ostgrenze unterstellt worden wäre.
 
Ich bin über diese Wertung von Schramm im Wiki-Artikel gestolpert:
Deutsch-polnischer Nichtangriffspakt ? Wikipedia

Der Freiburger Historiker Norbert Schramm sieht diesen Vertrag als „einzige dramatische und folgenreiche Wende, die Deutschlands Ostpolitik zwischen der Kapitulation des kaiserlichen Deutschlands und dem Hitler-Stalin-Pakt durchlaufen hat“

Kann man hier von einer "Wende" sprechen, oder fügt sich der Vertrag als schlichter taktischer Winkelzug einfach in die real existierenden Machtkonstellationen ein, innerhalb derer Hitler die Aufrüstung betreiben wollte- Zeitgewinn?

Richtig ist sicher, dass nur die bezüglich ihrer revisionistischen Politik "unverdächtige" NS-Regierung ein solches Abkommen mit Polen schließen konnte, über das wohl zuvor jede Weimarer Regierung gestürzt wäre, da ihr die Anerkennung der Ostgrenze unterstellt worden wäre.

Interessante Frage!
Ich bin der Meinung, dass dieser deutsch-polnische Nichtangriffspakt nichts anderes als ein Instrument war, um sich den Rücken freizuhalten.
Den außenpolitischen Frieden zu wahren war gerade in der Phase der Machtfestigung und -ausweitung von oberster Wichtigkeit, um ungestört agieren zu können.
Dazu kommt, das wohl gerade Polen bzw. seine befreundeten Mächte anfänglich von der angeblichen Harmlosigkeit des NS-Staates überzeugt werden sollte. Indem man einen Pakt mit dem Land abschließt, mit dem es die größten Differenzen gibt, gibt man nicht gerade diplomatische Angriffspunkte frei.

Eine Wende wäre es gewesen, beabsichtigte die NS-Regierung eine wirkliche Annäherung Polens und Deutschlands, was aber ein völlig anderes Handlungsmotiv gewesen wäre.
Solange das Motiv nur taktisches Kalkül war, ist das Wort Wende definitiv falsch gewählt.
 
Eine Wende wäre es gewesen, beabsichtigte die NS-Regierung eine wirkliche Annäherung Polens und Deutschlands, was aber ein völlig anderes Handlungsmotiv gewesen wäre.
Solange das Motiv nur taktisches Kalkül war, ist das Wort Wende definitiv falsch gewählt.

Dem taktische Kalkül der Beruhigung im Osten könnte man noch ein weiteres Bindeglied anhängen: den Berliner Vertrag mit der Sowjetunion von 1926. Dieser hatte ursprünglich eine Laufzeit von 5 Jahren, lief also 1931 aus.

Die Regierung Brüning wandte den Vertrag dennoch weiter an, ebenso Papen und Schleicher. Allerdings kam man nicht dazu, ihn zur Verlängerung in den Reichstag einzubringen (man fürchtete hier, bei der Abstimmung gegen den Rechtsblock zu scheitern).
Berliner Vertrag 1926 ? Wikipedia

Völlig überraschend wurde diese Verlängerung dann durch das Kabinett Hitler weiter betrieben. Die Motivation ist hier wohl in der kurzfristigen Sicherung der deutschen Exportindustrie zu sehen, die in der Wirtschaftskrise auf Rußland angewiesen war (zumal weiter Nahrungsmittel zu importieren und zu bezahlen waren). Weitere Belastungen des Arbeitsmarkt glaubte man sich nicht leisten zu können.

Während also diese Beziehungen nach außen bestätigt wurden, liefen in Deutschland zahlreiche Übergriffe gegen sowjetische Einrichtungen sowie Betriebe (Mineralölimporte und Tankstellen) ab, erreichten die Pressekampagnen einen neuen Höhepunkt, so dass schließlich sogar das Eingreifen des Auswärtigen Amtes erforderlich wurde, um die SA-Übergriffe zu unterbinden. Während die Wirtschaftsbeziehungen weiterliefen, wurde jedoch die Zusammenarbeit Reichswehr/Rote Armee zum Jahresende eingestellt. Die Standorte in der SU wurden im Januar 1934 geräumt.

Das bildet den Hintergrund für den folgenden Nichtangriffspakt mit Polen und zeigt, dass die außenpolitischen Bewegungen des Dritten Reiches von situativer Zweckmäßigkeit geprägt waren, ohne die Generallinie zu verlassen. Auch das spricht wohl klar gegen die "Wende".
 
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