Deutsche in Polen 1919-1939

Hallo allerseits!

Nach dem Friedensschluss 1919 gerieten ca. 1,5 Mio Deutsche unter polnische Herrschaft. Bis 1939 verließen mehr als 1,3 Mio Deutsche Polen.

Was ich bisher im Internet gefunden habe, war entweder nichtssagend oder ziemlich Revanchistisch.

Gibt es brauchbare Seiten, die das Schicksal der Deutschen in Polen behandeln und auch belegen, warum so viele ihre Heimat verlassen haben?
 
Das ist ein ganz schwieriges Thema und wenn wir hier eine Diskussion darüber anfangen besteht sehr leicht die Gefahr tatsächlich ins "revanchistische Lager" abzugleiten. Wir sollten also aufpassen.

Tatsache ist, daß das Regime im Dritten Reich dieses Thema gezielt zur Vorbereitung des Angriffskrieges genutzt hat. Es gab diverse Literatur (z.B."Raubstaat Polen") und Filme ("Heimkehr") die es so dargestellt haben, als würden die Deutschen (jetzt als Minderheit) brutal unterdrückt. Jetzt war es Zeit die bedrohten Landsleute von der Knechtschaft zu befreien...

Wir können, ja müssen davon ausgehen, daß es die Deutschen nicht einfach hatten. Was tatsächlich vorgefallen ist, ist von neutraler Seite kaum dokumentiert. Die polnische Regierung hatte auch wenig Interesse die neue Minderheit zuvorkommend zu behandeln. Einfluß und Stellung der Deutschen fiel plötzlich von weit oben, nach unten in die Minderheitenecke.

Mir sind, wie gesagt, keine neutralen Dokumentationen bekannt. Das, was so in Buchform erschienen ist, kam meines Wissens komplett vor 1945 heraus und ist propagandistisch gefärbt.

Mein Tip: Mal bei den Vertriebenenverbänden anfragen. Die beschäftigen sich zwar hauptsächlich mit der Zeit nach 1945. Aber dort kann man vielleicht etwas Literatur empfehlen.
 
Mit Sicherheit ein schwieriges Thema. Dies insbesondere, da bei den Vertreibungsverbrechen in Folge der für Polen oft enttäuschend verlaufenen Volksabstimmungen nach dem 1. WK nunmal die Begründung zuvor erfolgter Nazi-Verbrechen nicht angebracht werden kann.

Allerdings darf das gerade hier aber kein Grund sein, sich nicht damit zu beschäftigen.

Zumindest ein paar brauchbare Informationen dazu findest Du im "Schwarzbuch der Vertreibung" von Heinz Nawratil.
 
Tatsache ist, daß das Regime im Dritten Reich dieses Thema gezielt zur Vorbereitung des Angriffskrieges genutzt hat. Es gab diverse Literatur (z.B."Raubstaat Polen") und Filme ("Heimkehr") die es so dargestellt haben, als würden die Deutschen (jetzt als Minderheit) brutal unterdrückt. Jetzt war es Zeit die bedrohten Landsleute von der Knechtschaft zu befreien...

Interessant ist der zeitliche Ablauf, die Entwicklung im deutsch-polnischen Verhältnis.

Die Minderheiten-Frage war von 1933 (natürlich auch zu Weimarer Zeiten) -1938 stets politisch präsent, aber sie wurde mit relativer (vgl. zu 1939) Zurückhaltung von Seiten des Dritten Reiches betrieben.

Im Gegenteil, es gab faustdicke politische Überraschungen nach der Machtübernahme Hitlers, so den dt.-poln. Nichtangriffspakt 1934 und eine scheinbare Politik des Ausgleichs. Bis zur Sudetenkrise wurde in Polen auch ein potentieller "Verbündeter" für die Ostraum-Ambitionen gesehen. Interne Vermerke behandeln bspw. die Aufteilung der Ukraine zwischen Deutschland und Polen und entsprechende Angebote an die polnische Regierung. Ähnliches mindestens informelles Zusammenwirken kann man zwischen Deutschland und Polen anläßlich der Sudetenkrise feststellen.

Nach aus Sicht des Dritten Reiches bzw. Hitler erfolgreich verlaufender Gebietskorrekturen (Österreich, Sudetenland, Memel) richtete sich nun der nächste Schritt gen Osten. Ich würde hier vielleicht sogar von einem Kurswechsel sprechen, nachdem sich spätestens im März 1939 herausstellte, dass Polen die deutschen Gebietswünsche für den Korridor und Danzig nicht erfüllen würde und sich auch nicht in den Vasallenstatus für das große Ziel der Ostexpansion fügen würde. Damit einher ging eine erhebliche Verschärfung der Propagandawelle, die nun das tatsächlich vorhandene Minderheitenproblem im Verlauf des Jahres 1939 benutzte. Parallel wurde der Nichtangriffsvertrag gekündigt.

Wenn man diese zwei Phasen betrachtet, kann man feststellen, dass die deutsche Minderheitenfrage in Polen (neben Korridor und Danzig) Mittel zum Zweck war. Das Problem war seit den Gebietszuordnungen und den militärischen Auseinandersetzungen im Grenzgebiet latent vorhanden, es wurde in vollem Umfang hervorgeholt und mit propagandistischer Begleitmusik versehen, als es politsch erforderlich war (zu den Übertreibungen: zB die Zehnerpotenz der Opfer von Bromberg). Minderheitenfragen waren Hitler ansonsten, wie man an dem dt.-russ. Nichtangriffspakt und den daraus folgenden Umsiedlungstragödien leicht erkennen kann, egal.

Dieser Rahmen erschwert ohne Zweifel Diskussionen über die tatsächliche Lage und das Ausmaß der Unterdrückung der deutschen Minderheit in Polen.


Zum Verhältnis noch eine gelungene Übersicht:
Halbauer, Fritz, Deutsch-polnische Geschichtsbild-Probleme, 1988, Europäische Hochschulschriften III/345

Ahmann, Rolf, Nichtangriffspakte: Entwicklung und operative Nutzung in Europa 1922-1939.
 
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Wie so oft in der Historie, sind auch hier die betroffenen Bevölkerungsteile Spielball von Machtpolitik.

Alle Weimarer Regierungen betrieben Deutschtumspolitik im Osten, u. a. mit der Zuwendung finanzieller Mittel. Kern der Ostpolitik war die Offenhaltung einer möglichen Gebietsrevision, und dazu gehörten als essentieller Bestandteil die verbliebenen deutschstämmigen Bevölkerungsteile. Bei Waffenstillstand gab es in den Polen später zugeschlagenen Gebiete ca. 1,3 Mio. Deutschstämmige. Insbesondere aus den ehemaligen Provinzen Posen und Westpreußen waren allerdings bereits bis 1922 rd. 750.000 Deutsche ausgewandert. Neben der Unterstützung der bereits erfolgten Einwanderungen in das Deutsche Reich (Entschädigungen, Ansiedlungen etc.) waren es insbesondere finanzielle Mittel an die deutschen Verbände in Polen, die diese Entwicklung stoppen sollte.

Die größten Verluste waren in den Städten zu verzeichnen, so sanken die Bevölkerungsanteile bis 1926 in Posen auf 2%, in Bromberg auf 8,5%, in Thorn auf 4 % und in Graudenz auf 7,5%. Die Landwirtschaft erwies sich dagegen als der harte Kern des Deutschtums in den Abtretungsgebieten, insoweit trat auch ein Strukturwandel innerhalb der deutschen Bevölkerungsgruppe ein. Die Geldversorgung wurde neben Direktzuwendungen über Banken erreicht, bspw. die Pommerellischen Kreditverbände. Zudem wurde der Versuch unternommen, ausländisches Kapital zu bekommen (Hollandsche Buitenland-Bank).

Im April 1926 wurde dieser Kreditapparat restrukturiert, um die als Kerngruppe angesehene Zahl von rd. 360.000 Deutschen in Posen und Pommerellen zu unterstützen. Die Volksgruppe besaß rd. 3,8 Mio. Morgen in der Landwirtschaft, davon auf Großbetriebe mit > 400 Morgen rd. 850 Betriebe (rd. 1,6 Mio. Morgen), der Rest verteilte sich auf 37.000 Landwirtschaften. Den Reichsregierungen war jeweils klar, dass „die deutsche Volksgruppe nicht ohne Reichshilfe überleben könne“ und die Verhinderung der Abwanderung auch im gesamtdeutschen wirtschaftlichen Interesse lag.

1930 war die Lage im ganzen unverändert. Der deutsche Bevölkerungsanteil betrug in Pommerellen rd. 12,5%, im Netzegau rd. 16% und im Gebiet Posen 9%, zusammen rd. 341.000 Personen, davon 80% in der Landwirtschaft. Diese Gruppe besaß zwischen 22% und 31% der gesamten Bodenfläche. Auch ansonsten war die wirtschaftliche Bedeutung hoch (Beispiel Pommerellen):
43% des Grundbesitzes über 50 ha, 78% der Meiereigenossenschaften, 26% der eingetragenen Handelsunternehmen, 31% der verarbeitenden Industrie, 25% der Schankkonzessionen. Diese starke Stellung war auch Ergebnis der Reichssubventionen.

Einen Einblick gibt das Programm des Korridor-Ausschusses (Führer der Minderheit) für die Reichsstellen vom Januar 1931, an RFM und AA:
„1. Die grundsätzliche Linie der deutschen Führer: Die Deutschen dort und deutsch erhalten. Deutsche Lösung der Ostfrage wird sonst erschwert.
2. Die Erziehung der deutschen Bevölkerung im Korridor: Jedermann muss seine historische Aufgabe erkennen. Jedermann muss feste Überzeugung haben, es muss und wird wieder anders werden. …
3. Daher Ablehnung jeder modus-vivendi-Politik. Die unmöglichen Zustände müssen dauernd grell hervortreten. Polen in Genf stets auf der Anklagebank. Ein modus vivendi würde eigene Volksgenossen lähmen …, würde starker Trumpf in Polens Hand sein bei Ostrevision.
4. … Durch Prozesse in Haag, durch Wiener Konvention usw. sind Polen die politischen Verdrängungswaffen ziemlich aus der Hand geschlagen. Aber die Wirtschaftskatastrophe bringt uns wohlmöglich um die Früchte 14jähriger Arbeit.“

In diesem Umfeld bewegte sich die Minderheitenfrage, von beiden Seiten mit äußerstem Misstrauen behandelt.

Diesen Status quo fand das Dritte Reich vor, kümmerte sich zunächst wenig darum und suchte vielmehr überraschenderweise den Ausgleich mit Polen. Staatliche Propaganda gegen Polen war nicht angeordnet, solange Polen als Instrument der nationalsozialistischen Außenpolitik nützlich erschien und dieses auch tatsächlich war. Z.B.
http://www.zaoerv.de/08_1938/8_1938_1_b_108_115_1.pdf

Das mag mit der zukünftigen Satellitenrolle zusammenhängen, die man Polen ab 1938 im Rahmen der großräumigen Neuordnung zudachte, man könnte in diesem Zusammenhang (Angebot an Polen für Gebiete der Westukraine) sogar eine geplante „Ostverschiebung“ Polens in Hitlers Absichten vermuten. Belege für eine ernste Besorgnis um deutsche Volksgruppen in Polen finden sich dagegen in den Äußerungen des „Österreichers“ Hitler vor 1938 ebenso wenig wie ein spezifischer Polenhass (dagegen sehr wohl bezüglich Tschechen und Madjaren). Im Gegenteil, bzgl. Pilsudzki und seines Sieges über die Rote Armee lässt sich sogar Bewunderung ausmachen. Das änderte sich schlagartig, als Polen Anfang 1939 alle Revisionsforderungen zurückwies und die starke Anlehnung an Großbritannien suchte (neben dem historischen Partner Frankreich).

Krekeler, Revisionsanspruch und geheime Ostpolitik, Schriftenreihe VfZ Band 27
Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik, Schriftenreihe VfZ Band 2
 
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