Inzwischen habe ich das Buch
Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567 - 822 n. Chr. von Walter Pohl durchgelesen, das Schini am Anfang dieses Threads empfohlen hatte.
Entgegen meiner anfänglichen Einschätzung ist es stellenweise doch etwas mühselig zu lesen. Das liegt daran, dass sich Pohl nicht entscheiden konnte, ob er nun ein streng wissenschaftliches Werk oder eher ein populärwissenschaftliches schreiben wollte. Meist herrscht ein ausgesprochen trockener und leseunfreundlicher Ton vor, ganz im Gegensatz z.B. zu
Peter Heather, der wie viele angloamerikanische Historiker fähig ist, wissenschaftliche Betrachtungen mit einem lesefreundlichen Stil zu verbinden.
Peter J. Heather ? Wikipedia
Inhaltlich gibt's wenig auszusetzen, denn Pohl geht nahezu jeder Frage nach, analysiert die politische und gesellschaftliche Struktur des Awarenreichs, über die allerdings wenige Quellen vorliegen. Neben gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aspekten wird der politischen Ereignisgeschichte breiter Raum zugemessen, wobei Aktionen und Reaktionen der Staaten, die dem Awarenreich benachbart waren, nicht zu kurz kommen. Das bezieht sich vor allem auf Byzanz, Baiern, das Frankenreich sowie die zur Zeit der Awaren einwandernden Bulgaren und Slawen und die nach Ialien ausweichenden Langobarden. Alle Aussagen werden mit einer Fülle von Primärquellen belegt, es gibt einen riesigen Anmerkungsapparat sowie Verweise zu einer schier unendlichen Flut von Sekundärquellen.
Zu welchen Resümee kommt Pohl?
Die Awaren lagen erheblich weniger im Krieg mit ihren Nachbarn als beispielsweise die Hunnen oder Ungarn. Nach ihrem Eintreffen in Pannonien etwa um 560 hatte Byzanz schwer unter Raubzügen der Awaren zu leiden, jedoch war nach der missglückten Belagerung Konstantinopels im Jahr 626 Schluss damit. Die folgenden rund 170 Jahre seines Bestehens verhielten sich die Awaren defensiv und hatten Mühe, sich gegenüber den vordringenden Slawen und später Bulgaren zu behaupten. Die meisten Awaren wurden sesshaft (!), ließen vermutlich unterworfene Bauern für sich arbeiten und wurden dabei bequem und weniger gefährlich.
Bemerkenswert, dass es am Ende des Reichs zu keiner Schlacht mehr kam. Karl der Große besetzte nahezu widerstandlos den "Ring" der Awaren, die nahezu spurlos von der Bildfläche verschwinden und wenige Jahrzehnte später nicht mehr in den Quellen auftauchen. Bemerkenswert auch, dass die Awaren ganz anders als die Hunnen aus dem Gedächtnis der Völker verschwanden und von allen Awarenkhaganen im Verlauf von 250 Jahren nur der erste - Baian - überhaupt namentlich überliefert ist. Wie die anderen hießen, ist unbekannt.
Während sich die Ungarn - ebenfalls Steppenreiter - staatlich behaupten konnten, ging das Awarenreich unter. Pohl führt das darauf zurück, dass es den Awaren anders als den Ungarn nicht gelang, sich ins christliche Europa zu integrieren. Sie bauten im entscheidenden Moment keine kirchliche Organisation auf, errichteten keine staatliche Struktur und versäumten es, den Papst und wichtige Mächte Europas von ihrem Willen zu überzeugen, ein friedliches, christliches Land zu werden. Der ungarische Arpadenfürst Stefan ließ sich vom Papst die Krönungsinsignien schicken, was Ungarns Eintritt ins Abendland besiegelte. Diesen Weg gingen die Awaren und ihre Herrscherelite nicht - entweder aus Überzeugung oder aus mangelndem politischen Weitblick. Und so ging das Awarenreich unter.
Wr sich für die Geschichte dieses Volks interessiert, dem kann ich das Buch empfehlen. Eine leichte Lektüre ist es allerdings nicht. :winke: