Die Frauen des Nathaniel Bacon, oder: Schönheitsideale des Barock

muck

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Eine Frage für die Kunstkenner unter Euch …

Im schulischen Kunstunterricht hat man mir anhand von Gemälden wie Rubens' 'Boreas entführt Oreithya' und dem 'Pelzchen' eingebläut, dass das weibliche Schönheitsideal des Barock kindliche Gesichtszüge (große Augen, kleiner Mund, spitzes Kinn), kleine Brüste und ordentlich Speck vorsah.

Auf dem Uni-Campus in Frankfurt sah ich nun gestern Gemälde (besser: Kopien der Gemälde) des englischen Malers Nathaniel Bacon (1585-1627), die in dieser Hinsicht aus der Reihe tanzen. Beispielhaft sei hier 'Küchenmagd mit Gemüse- und Obststillleben' genannt. Die namensgebende Magd hat Augen gewöhnlicher Größe, keinen Kindermund, ist mit einem überaus üppigen Busen gesegnet, dabei aber keineswegs fett, sondern eher bäuerlich-stämmig (kein Doppelkinn, keine Fettpolster der Wangen).

Dass Bacon sie ausgerechnet mit Kürbissen und anderen prall-runden Früchten umgeben hat, ist natürlich kein Zufall, das Gemälde bedient offenkundig etwas, was man heute neumodisch-abwertend als "male gaze" bezeichnen würde. Auch Bacons' andere Frauengestalten gehen in diese Richtung.

Wie ist das nun zu deuten? Hatte Bacon einfach ein Faible für (nennen wir's mal) oberlastige, kernige Frauen? Oder war vielmehr der berühmtere Rubens derjenige mit dem Faible, dem andere dann nacheiferten? Wer von ihnen kommt dem tatsächlichen weiblichen Schönheitsideal des Barock näher?

Hintergrund meiner speziellen Frage ist eine allgemeinere, die aufzuwärmen ich immer wieder mal Anlass finde – inwieweit alte Meister auf den Publikumsgeschmack Rücksicht nahmen, oder ob man sie als verlässliche Zeugen dafür aufrufen darf, wie zu ihrer Zeit Land und Leute usw. aussahen?

Freue mich auf Denkanstöße!
 
Hintergrund meiner speziellen Frage ist eine allgemeinere, die aufzuwärmen ich immer wieder mal Anlass finde – inwieweit alte Meister auf den Publikumsgeschmack Rücksicht nahmen, oder ob man sie als verlässliche Zeugen dafür aufrufen darf, wie zu ihrer Zeit Land und Leute usw. aussahen?
Ad hoc zwei Überlegungen in aller Kürze dazu:
1. was wissen wir, um vergleichen zu können, über den Publikumsgeschmack der jeweiligen Zeit und Region?
2. Realismus, gar Naturalismus, in der bildenden Kunst erscheinen eigentlich erst im 19.Jh., d.h. wir müssen bzgl der "Aktualität" älterer Darstellungen einige Abstriche machen (je nach Künstler und Region mehr oder weniger (evtl. sind manche Bildhintergründe einiger alter Meister "realistischer" als andere, aber den Grad der Typisierung/Idealisierung abzuschätzen ist vermutlich nicht einfach))
 
Ohne, dass ich kunsthistorisch nur einen Hauch formaler Bildung hätte: Könnten sich, ähnlich wie beim idealen Teint - vornehme Blässe, die Schönheitsideale für Angehörige der Oberschicht inklusive Göttinnen von den standesgemäßen Idealen unterscheiden, die an die niedrigeren Gesellschaftsschichten angelegt wurden? Die Magd darf einen sehnigen, kräftigen Körper haben (und eine fertige (im Sinne von "reife") Frau sein, während die Dame gern dem Kindchenschema entsprechen soll und auch gerne ein paar müßigganggeschuldete Speckröllchen haben darf? Ggf. wäre das darüberhinaus auch eine Art Fruchtbarkeitssymbolik, die viele stramme Stammhalter, Stammhaltersvertreter und Heiratsmaterial verheißt?
Die Magd wäre dann eher Lustobjekt für den Hausherrn, das speckige Kindchen Potentialträgerin für's Dynastie- und Vernetzungsprojekt?
 
Eine Frage für die Kunstkenner unter Euch …
Also sollte ich mich eigentlich zurückhalten (früher hatten wir hier einen Smilie mit zugeklebtem Mund).

Im schulischen Kunstunterricht hat man mir anhand von Gemälden wie Rubens' 'Boreas entführt Oreithya' und dem 'Pelzchen' eingebläut, dass das weibliche Schönheitsideal des Barock kindliche Gesichtszüge (große Augen, kleiner Mund, spitzes Kinn), kleine Brüste und ordentlich Speck vorsah.
So viel Theorie habe ich im Kunstunterricht nie erlebt, unser Kunstunterricht war durch die Jahre eigentlich immer recht untheoretisch und ich hatte in meiner Schullaufbahn mindestens vier, ich meine fünf verschiedene Kunstlehrer.

Mir sind die "Rubensfiguren" als barockes Ideal bekannt, also vor allem füllige Formen, durchaus "gebärfreudig".
Kindchenschema wäre mir neu und das sehe ich auch nicht unbedingt auf den beispielhaft angeführten Bildern.*
De Brüste auf dem Bild von Bacon sind natürlich üppig, aber auch die Brüste auf den Bildern von Rubens sind ja nicht wirklich "klein", lediglich in der Relation zu anderen Körperstellen aber nicht an und für sich.

*Bei (den) Putten sieht es natürlich anders aus.
 
So, hab jetzt mal drei meiner vier Kunst-, bzw. Barockbildbände gewälzt. Das mit den Pummelchen ist hauptsächlich Rubens - in den überwiegenden anderen Bildern sehen die Frauen ganz "normal" aus, will heißen, die Körperformen decken das Spektrum von schlank bis drall ab . (Was allerdings weit durchgängiger auffällt sind die Pferde: sehr stark bemuskelt (fleischig) mit sehr kleinem Kopf. Bei Rubens sind allerdings auch die männlichen Nackedeis pummelig-muskulös.
Mein innerfamiliärer Kunstsachverstandsträger sagt, dass für Rubens geistige Stärke körperliche Stärke vorausgesetzt habe, - vulgo: mens fetto in corpore fetto oder so (mein Jauchegrubenlatein). Das Eingangs erwähnte Schönheitsideal scheint in dieser Extremform also womöglich in erster Linie auf Rubens und seine SuS zurückzugehen. Bei einigen Franzosen im 18. Jh. klingt das noch durch, aber bei weitem nicht so sehr.
 
Da wir erst kürzlich über die Geschichte der Darstellung von Busen sinniert haben (keine Ahnung wo), hier nur paar knapp gefasste Gedanken:

Das Gemälde repräsentiert in erster Linie ein Stillleben. Die Person darauf ist eher Beilage, auch wenn recht zentral platziert, möglicherweise sogar ein Portrait, das eine reale Person verewigen soll. Außerdem auch mit Symbolgehalt, zumindest was Üppigkeit und Ernährung angeht, und insofern mit zum Thema des Bildes gehörend, das die Freuden des Gemüseanbaus anpreist. Die offensichtliche Gegenüberstellung von Kürbissen, Melonen, etc. mit den grossen Brüsten der Frau war mit Sicherheit Absicht und gehört zum Schwelgen, muss also als was Erfreuliches zumindest in den Augen des Malers gegolten haben. Mehr oder weniger belegt ist die Anziehungskraft großer Brüste auf den Maler durch das ihm zugeschriebene Portrait seiner Frau.

Was als attraktive Frauenstatur galt, ist gerade im 17. Jh. schwierig festzulegen. Eindeutig ist aber, dass die begehrte Frau des Spätmittelalters sehr jung und zierlich war. Darauf folgte eine lange Übergangszeit, die nicht nur die Renaissance beinhaltete, sondern auch das Experimentieren mit den Erkenntnissen zu den menschlichen Proportionen in der Kunst. Hinzukam die neu entdeckte Freude an der Genre-Malerei, die sowohl Darstellungen von extrem dünnen wie auch von fetten Menschen beinhaltete. Dass die Gestalten in alkoholisierten Liebesszenen nicht den Körperidealen entsprechen mussten, ist allein schon durch die gezeigte Unmoral klar. Dem gegenüber stehen z.B. Mariendarstellungen, die nur selten eine füllige Figur zeigen, geschweige denn mit großen Brüsten. Meine Einschätzung wäre, dass sich die attraktive Frau des 17. Jhs. im westlichen Europa kaum vom heutigen Ideal unterschied und die Rubensfigur nicht der allgemeinen Präferenz entsprach. Dass große Brüste damals je nach Gusto ihren Reiz hatten, ist anzunehmen, während ihre Darstellung(!) wohl eher als vulgär galt.(Die Symbolik der üppigen Brüste auf Bacons Gemälde dürfte die Akzeptanz gefördert haben.)

Die heutige Vorstellung der 'Barock-Figur', der überfressenen vornehmen Dame, kann mehr oder weniger generell nur dem französischen Spätbarock zugeordnet werden. Rein psychologisch geht sie auf die Gestalt von knuddelig dicklichen Babys zurück, d.h. auf die Symbolik der Fettpölsterchen fürs Jung- und Unschuldigsein, eingeführt und verbreitet durch Putti-Figuren, im 16. Jh. auch durch die Bambocci-Figuren, die als Erwachsene mit Babyproportionen und Babyspeck quasi als die Kinder Gottes (Civitas Dei) gelten können.(die Bambocciade-Malerei kam erst danach) Im frühen 18. Jh. war es hauptsächlich die Unschuld als Ideal, die die Bevorzugung rundlicher Formen an Frauen bewirkte, popularisiert durch liebliche, bukolische Motive an Gemälden und Textilien. Am extremsten ist das Kindliche im Werk von François Boucher (1703–1770) auszumachen, der seine Schäferinnen (und auch die galanten Schäfer) manchmal schon fast comichaft darstellte (mit übergroßen Augen, kleinen Mündchen, etc.). Einleuchtend auch hier, dass große Brüste dem Ideal widersprochen hätten.

Und last but not least sollte bei der Betrachtung der weiblichen Idealfigur die verzogene Sichtweise des Europäers bedacht werden, der im letzten Drittel des 20 Jhs. seine sexuell aktivste Zeit hatte und sich heute mit Frauenbildern aus vergangenen Jahrhunderten befasst. Das Propagieren der dünnen Kindsfrau erreichte in den 1970ern seinen Höhepunkt, fand dann mit dem Heroin-chic seine Fortsetzung und bestimmte bis ins 21. Jh. den Geschmack des europäischen Mannes, resp. sein Bild vom ›normalen‹ Aussehen der begehrenswerten Frau.
 
Zuletzt bearbeitet:
So, hab jetzt mal drei meiner vier Kunst-, bzw. Barockbildbände gewälzt. Das mit den Pummelchen ist hauptsächlich Rubens - in den überwiegenden anderen Bildern sehen die Frauen ganz "normal" aus, will heißen, die Körperformen decken das Spektrum von schlank bis drall ab . (Was allerdings weit durchgängiger auffällt sind die Pferde: sehr stark bemuskelt (fleischig) mit sehr kleinem Kopf. Bei Rubens sind allerdings auch die männlichen Nackedeis pummelig-muskulös.
Mein innerfamiliärer Kunstsachverstandsträger sagt, dass für Rubens geistige Stärke körperliche Stärke vorausgesetzt habe, - vulgo: mens fetto in corpore fetto oder so (mein Jauchegrubenlatein). Das Eingangs erwähnte Schönheitsideal scheint in dieser Extremform also womöglich in erster Linie auf Rubens und seine SuS zurückzugehen. Bei einigen Franzosen im 18. Jh. klingt das noch durch, aber bei weitem nicht so sehr.
 
Hintergrund meiner speziellen Frage ist eine allgemeinere, die aufzuwärmen ich immer wieder mal Anlass finde – inwieweit alte Meister auf den Publikumsgeschmack Rücksicht nahmen, oder ob man sie als verlässliche Zeugen dafür aufrufen darf, wie zu ihrer Zeit Land und Leute usw. aussahen?
Ich denke schon, dass beides zutrifft.

Aber der Reihe nach: Erstens waren kleine Münder kein Alleinstellungsmerkmal des Barocks, auch in der Gotik malte man Frauen mit kleinen Mündern, aber deren Körper waren schlank und oft in S-Form dargestellt.

Und zweitens ist Barock nicht gleich Barock: Während es zum Beispiel in Bayern eine Unmenge an barocken bzw. barockisierten Kirchen gibt, muss man sie in Italien suchen, so wenige gibt es dort, wobei deren Barock oft anders aussieht als in Bayern.

Unterschiede gibt es auch in der Malerei, und das nicht nur zwischen Ländern, sondern auch innerhalb eines Landes: Während die (katholischen) flämischen Maler (Rubens war einer von ihnen) gern nackte Frauen malten, taten das die (calvinistischen) nördlichen Holländer (Rembrandt war einer von ihnen) fast gar nicht: Da sind sie alle angezogen und von einer Üppigkeit der Körper ist da wenig bis gar nichts zu sehen.

Das kann auch an den Modellen gelegen haben, denn es ist bekannt, dass Calvinisten eher schlank waren, weil sie die 7 Todsünden (eine davon ist Genusssucht) ernster nahmen als die sinnesfrohen Katholiken. Sehr schönes Beispiel für diese Unterschiede bringt der Film Babettes Fest.

PS: Ich weiß, das sieht jetzt aus, als ob ich dies (auch wieder) auf Religion(en) bzw. Konfession(en) zurückführen würde, aber bevor jemand das thematisiert (und damit eventuell den Faden sprengt), soll er oder sie meine These mit Argumenten widerlegen.
 
Da wir erst kürzlich über die Geschichte der Darstellung von Busen sinniert haben (keine Ahnung wo)
War das hier?
Female Choice? Damenwahl?

Das kann auch an den Modellen gelegen haben, denn es ist bekannt, dass Calvinisten eher schlank waren, weil sie die 7 Todsünden (eine davon ist Genusssucht) ernster nahmen als die sinnesfrohen Katholiken. Sehr schönes Beispiel für diese Unterschiede bringt der Film Babettes Fest.

PS: Ich weiß, das sieht jetzt aus, als ob ich dies (auch wieder) auf Religion(en) bzw. Konfession(en) zurückführen würde, aber bevor jemand das thematisiert (und damit eventuell den Faden sprengt), soll er oder sie meine These mit Argumenten widerlegen.

Wie wäre es, wenn Du Dich erstmal um Belege für Deine eigenen Thesen kümmern würdest, bevor Du weitere Threads mit blühendem Unsinn vollmüllst? Oder hältst Du den Film "Babettes Fest" allen Ernstes als Beleg für die Schlankheit der Calvinisten?
 
Während es zum Beispiel in Bayern eine Unmenge an barocken bzw. barockisierten Kirchen gibt, muss man sie in Italien suchen, so wenige gibt es dort, wobei deren Barock oft anders aussieht als in Bayern.

Och, es gibt schon eine ganze Menge barocker oder Barock überformter Kirchen in Italien. In Rom, in Neapel, in Venedig... die Menge der barocken Kirchen in den katholischen oder katholisch durchmischten Regionen Süddtld.s hängt stark mit der Gegenreformation zusammen. Das Architektur- und Bildprogramm diente mit seiner Oppulenz im Kontrast zu den schmucklosen protestantischen Kirchen dazu, Leute wieder zurück zur katholischen Kirche zu holen. Kirchen in Europa sind oft im Kern romanisch oder gotisch, wurden dann aber Barock überformt oder ergänzt (Fassaden, Kapellen, Altäre), in Lateinamerika hatte man oft mehr Platz für barocke Kirchen.
 
Ohne, dass ich kunsthistorisch nur einen Hauch formaler Bildung hätte: Könnten sich, ähnlich wie beim idealen Teint - vornehme Blässe, die Schönheitsideale für Angehörige der Oberschicht inklusive Göttinnen von den standesgemäßen Idealen unterscheiden, die an die niedrigeren Gesellschaftsschichten angelegt wurden? Die Magd darf einen sehnigen, kräftigen Körper haben (und eine fertige (im Sinne von "reife") Frau sein, während die Dame gern dem Kindchenschema entsprechen soll und auch gerne ein paar müßigganggeschuldete Speckröllchen haben darf? Ggf. wäre das darüberhinaus auch eine Art Fruchtbarkeitssymbolik, die viele stramme Stammhalter, Stammhaltersvertreter und Heiratsmaterial verheißt?
Die Magd wäre dann eher Lustobjekt für den Hausherrn, das speckige Kindchen Potentialträgerin für's Dynastie- und Vernetzungsprojekt?
Das klingt sehr schlüssig, interessanter Gedanke. Der wäre mir gar nicht gekommen. Offenbar hatte ich unwillkürlich auf einen egalitäreren, moderneren Begriff eines Schönheitsideals abgestellt.
Also sollte ich mich eigentlich zurückhalten (früher hatten wir hier einen Smilie mit zugeklebtem Mund).
Immer frisch drauflos. ;)
So viel Theorie habe ich im Kunstunterricht nie erlebt, unser Kunstunterricht war durch die Jahre eigentlich immer recht untheoretisch und ich hatte in meiner Schullaufbahn mindestens vier, ich meine fünf verschiedene Kunstlehrer.
Welches Bundesland? Bei uns in Bayern war der Unterricht so theorielastig, dass sich jedes händische Arbeiten fast wie eine Belohnung angefühlt hat.
Kindchenschema wäre mir neu und das sehe ich auch nicht unbedingt auf den beispielhaft angeführten Bildern.*

Vielleicht hätte ich den Begriff "kindlich" nicht einführen sollen, doch scheinen mir gewisse Gemeinsamkeiten jedenfalls augenfällig. Die Augen etwa sind immer recht groß, wie bei El Grecos Maria Magdalena (und manchmal derart hervortretend, dass man an Schilddrüsenprobleme denkt).

Die Nasen sind meist klein oder jedenfalls sehr schmal; die Münder nicht breit, mit schmalen Lippen, und das Kinn eher spitz. Bei manchen Malern, z.B. Van Dyck, ist das mit den kleinen Mündern besonders ausgeprägt. Bei seiner Caritas etwa ist der Mund gerade mal so breit wie die Nase.

Wie könnte man dieses Programm noch in Worte fassen?
De Brüste auf dem Bild von Bacon sind natürlich üppig, aber auch die Brüste auf den Bildern von Rubens sind ja nicht wirklich "klein", lediglich in der Relation zu anderen Körperstellen aber nicht an und für sich.
Also, auf die Gefahr hin zu sehr meinen "male gaze" zu bemühen – ich sehe da schon Unterschiede.

Nicht nur im Volumen, sondern auch in der Darstellung bzw. Symbolik. Ob nun eben bei Rubens' Oreithya oder bspw. auch Rembrandts Bathseba, empfinde ich deutliche Anklänge an die Kunst der Antike (der, wenn ich mich recht erinnere, klein dargestellte Geschlechtsmerkmale als Chiffre für einen überwundenen Sexualtrieb galten) mit ihren fast wie auf Schuljungenkritzeleien kreisrunden, zierlichen, deutlich voneinander abstehenden Brüsten. Was @Neddy geschrieben hat, scheint mir da sehr zutreffend, denn offenbar hatten die Künstler eher halbe Mädchen vor Augen als reifere Frauen.
So, hab jetzt mal drei meiner vier Kunst-, bzw. Barockbildbände gewälzt. Das mit den Pummelchen ist hauptsächlich Rubens - in den überwiegenden anderen Bildern sehen die Frauen ganz "normal" aus, will heißen, die Körperformen decken das Spektrum von schlank bis drall ab .
Merkwürdig.

Wie gesagt, ich bin kein großer Kunstkenner, aber wenn ich mich einfach bei Google Images durch die Barockkunst klicke, suche ich schlanke Frauengestalten vergebens. Gerade bei idealisierten (wie biblischen Szenen) bzw. Darstellungen offenkundig sozial höhergestellter Personen scheint mir Beleibtheit eigentlich eine Konstante zu sein. Sogar Diana, die leichtfüßige Göttin der Jagd, wird im Barock meist mit einer nicht eben jagdtauglichen Figur dargestellt.

Übrigens malten auch die Malerinnen der Epoche ihre Frauen so (siehe z.B. Artemisia Gentileschi).
(Was allerdings weit durchgängiger auffällt sind die Pferde: sehr stark bemuskelt (fleischig) mit sehr kleinem Kopf. Bei Rubens sind allerdings auch die männlichen Nackedeis pummelig-muskulös.
Mein innerfamiliärer Kunstsachverstandsträger sagt, dass für Rubens geistige Stärke körperliche Stärke vorausgesetzt habe, - vulgo: mens fetto in corpore fetto oder so (mein Jauchegrubenlatein). Das Eingangs erwähnte Schönheitsideal scheint in dieser Extremform also womöglich in erster Linie auf Rubens und seine SuS zurückzugehen. Bei einigen Franzosen im 18. Jh. klingt das noch durch, aber bei weitem nicht so sehr.
Demnach ginge dieser Trend erst auf Rubens zurück, meinst Du?

Was die Muskeln angeht, würde ich freilich nicht nur an Schönheitsideale denken, sondern auch an das Bestreben des Künstlers, seine Meisterschaft zu zeigen (was man meiner Meinung nach daran sieht, dass oft selbst unbedeutende Nebenfiguren sehr muskulös dargestellt sind).
Ich denke schon, dass beides zutrifft.
Den Eindruck habe ich auch, kann ihn aber nicht erhärten.

Ich habe versucht, anhand von Unterschieden zwischen der Darstellung fiktiver Personen und Portraitmalerei (die ja nur begrenzt idealisieren konnte, sollte sich der oder die Dargestellte nicht verhöhnt vorkommen) so etwas wie ein Gespür dafür zu entwickeln, ob das eine oder das andere zutrifft – aber das wird doch recht erschwert durch die Tatsache, dass sich auch hinter mancher Nymphe oder Göttin eine bestimmte reale Person verbirgt (z.B. die Geliebte des Malers).
[…] aber deren Körper waren schlank und oft in S-Form dargestellt.
Ja, schlank bis auf das Becken, das vielmehr hervortretend dargestellt wurde ("gebärfreudige" Konstitution). Was die weibliche Brust anlangt, geht es bis in die Frührenaissance hinein noch recht abenteuerlich zu. Beispielhaft sei die berühmte Darstellung Agnès Sorels, der Geliebten Karls VII., als Maria mit dem Kinde genannt. Was der Künstler da produziert hat, versucht wohl an die Antike anzuknüpfen (s.o.), erinnert aber eher an eine missglückte Schönheitsoperation.
Und zweitens ist Barock nicht gleich Barock [.]
Zugegeben … das ist die Schwäche meiner Fragestellung. Zumal ja auch die Kunst im frühen 17. Jahrhundert eine andere ist als zur Jahrhundertmitte … und so weiter.
Unterschiede gibt es auch in der Malerei, und das nicht nur zwischen Ländern, sondern auch innerhalb eines Landes: Während die (katholischen) flämischen Maler (Rubens war einer von ihnen) gern nackte Frauen malten, taten das die (calvinistischen) nördlichen Holländer (Rembrandt war einer von ihnen) fast gar nicht: Da sind sie alle angezogen und von einer Üppigkeit der Körper ist da wenig bis gar nichts zu sehen.
Interessanter Gedanke, ich werde versuchen, darauf zu achten. Allerdings finden wir dicke Nackedeis auch bei Rembrandt, etwa seine Andromeda oder Danaë. (Vielleicht liegt es daran, dass sie "Heidinnen" waren.)
[…] Die heutige Vorstellung der 'Barock-Figur', der überfressenen vornehmen Dame, kann mehr oder weniger generell nur dem französischen Spätbarock zugeordnet werden. Rein psychologisch geht sie auf die Gestalt von knuddelig dicklichen Babys zurück, d.h. auf die Symbolik der Fettpölsterchen fürs Jung- und Unschuldigsein, eingeführt und verbreitet durch Putti-Figuren, im 16. Jh. auch durch die Bambocci-Figuren, die als Erwachsene mit Babyproportionen und Babyspeck quasi als die Kinder Gottes (Civitas Dei) gelten können.(die Bambocciade-Malerei kam erst danach) Im frühen 18. Jh. war es hauptsächlich die Unschuld als Ideal, die die Bevorzugung rundlicher Formen an Frauen bewirkte, popularisiert durch liebliche, bukolische Motive an Gemälden und Textilien. Am extremsten ist das Kindliche im Werk von François Boucher (1703–1770) auszumachen, der seine Schäferinnen (und auch die galanten Schäfer) manchmal schon fast comichaft darstellte (mit übergroßen Augen, kleinen Mündchen, etc.). Einleuchtend auch hier, dass große Brüste dem Ideal widersprochen hätten.
Danke! Demnach hat @Neddy offenbar Recht. Ich hätte bei den betrachteten Künstlern wohl besser räumlich und zeitlich unterscheiden sollen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und zweitens ist Barock nicht gleich Barock
Auf jeden Fall finden wir z.B. in der Literatur die volle Breite von Frömmigkeit bis zu derb-komischen Schelmenromanen, in der Musik vom geistlichen Oratorium bis zur weltlichen Oper und festlichen Tafelmusik.
Bzgl der Kunst und ihrem Umfeld, wo und wofür wurde sie geschaffen, wer gab die Aufträge: überwiegend die große Adels- & Königshöfe, kurzum die Machtzentren etc. Diese waren, sei es in Konkurrenz, sei es in Kooperation, miteinander "vernetzt" und hatten bzgl Machtentfaltung, Prunk, Repräsentation recht ähnliche Ansichten - entsprechend "international" geriet die Kunst, die man sich als Zierde leistete. Ob in England, Spanien, Frankreich, Italien oder hierzulande geschaffen: da unterscheiden sich Barockopern, Oratorien kaum voneinander. Das gilt übrigens auch für den Festungsbau, welcher sehr repräsentativ geriet (man denke an Würzburg) :) und die ästhetische Planung sternförmiger bastionierter Zitadellen gehörte zum guten Ton (später köstlich von Sterne parodiert)

Wir heute schätzen die individuellen Besonderheiten, was seine Wurzeln in Sturm und Drang, bürgerlicher Epoche, Romantik hat - diese individualistischere Auffassung war der Barockzeit eher fremd.
 
Demnach ginge dieser Trend erst auf Rubens zurück, meinst Du?

Was die Muskeln angeht, würde ich freilich nicht nur an Schönheitsideale denken, sondern auch an das Bestreben des Künstlers, seine Meisterschaft zu zeigen (was man meiner Meinung nach daran sieht, dass oft selbst unbedeutende Nebenfiguren sehr muskulös dargestellt sind).
Das sehe ich sehr ähnlich. Bei Rubens standen die geschlechtsspezifischen Stereotypen bei der Darstellung von Körpern im Vordergrund: so übertrieben seine Männer muskulös waren, mussten seine Frauen weich, sozusagen kuschelig wirken. Bei Rubens zwar nicht so sehr ausgeprägt, aber auch die Strichführung spielte eine Rolle; die ›meisterhaft‹ legere Zusammensetzung aus gebogenen Linien erzeugte die entsprechende Formen, was besonders im Spätbarock z.B. beim erwähnten Franzosen Boucher seinen Höhepunkt fand.(Die großen Zeichner des Rokoko gingen noch weiter und belegten ihre Meisterschaft durch wildes Gekritzel, aus dem sich dann wundersamerweise ein tolles Bild entwickelte, wie bei Giovanni Battista Tiepolo und Jean Honoré Fragonard.)


Und zweitens ist Barock nicht gleich Barock: Während es zum Beispiel in Bayern eine Unmenge an barocken bzw. barockisierten Kirchen gibt, muss man sie in Italien suchen, so wenige gibt es dort, wobei deren Barock oft anders aussieht als in Bayern.
Zugegeben … das ist die Schwäche meiner Fragestellung. Zumal ja auch die Kunst im frühen 17. Jahrhundert eine andere ist als zur Jahrhundertmitte … und so weiter.
Das ist nicht nur die Schwäche der Fragestellung, sondern generell das Problem der gebräuchlichen Abgrenzung zwischen Renaissance und Barock. Ein tatsächlicher Stilwandel fand nämlich erst gegen Ende des 17. Jhs. und v.a. im frühen 18. Jh. statt, während sich Früh- und Hochbarock (v.a. in der Außen- und Innenarchitektur) o.w. als Fortsetzung des »Renaissance« genannten ›Klassizismus‹ sehen ließe.(die Beurteilung der Musik überlasse ich gerne dekumatland) Und das ist auch ein Grund, warum ich den üblichen Rundumschlag »Barockfrauen waren dick« und »Rubens war der Vater der dicken Barockfrauen« kritisch sehe. Außerdem ist es weit verbreitet, ohne die unsinnige Abgrenzung zu korrigieren, unter »Barock« das Spätbarock zu meinen (bspw. mit »Süddeutsches Barock«, »Aachen–Lütticher Barock«, etc., etc.).
Und wie gesagt, die Beeinflussung der Kindsfrau-Mode aus dem 20. Jh. sollte bei der Beurteilung der weiblichen Figur unbedingt berücksichtigt werden. Das Frauchen mit Knabenfigur (und heute gerne mit mütterlich großen Brüsten) ist viel zu speziell, um die Ideale früherer Epochen daran zu messen.
 
Und wie gesagt, die Beeinflussung der Kindsfrau-Mode aus dem 20. Jh. sollte bei der Beurteilung der weiblichen Figur unbedingt berücksichtigt werden
Und ergänzend hierzu sollte man bedenken, dass wir heute ein anderes Kunstverständnis haben, welches teilweise von den Betrachtungsweisen der Barockzeit abweicht (siehe auch Beitrag zuvor) oder anders gesagt: der Zeitgenosse von Rubens betrachtete die Bilder mit einem anderen Erwartungs- und Verstehenshorizont als wir. Unsere Modewertungen sollten hier besser nicht als Maßstab eingesetzt werden.

@Mashenka finden sich in der Barockmalerei gelegentlich "sozialkritisch-realistische" Einsprengsel? So was wie schlechte Zähne? Das Sujet "Hirtenmädchen/Schäferin" scheint mir in dieser Hinsicht nicht eben "realistisch" konzipiert, sondern idealisierend: Lumpen, Karies im Lächeln, ggf Blatternarben zeigen diese Genrebilder nicht - ihnen liegt auch die Absicht fern, derartiges zu zeigen.
 
Und ergänzend hierzu sollte man bedenken, dass wir heute ein anderes Kunstverständnis haben, welches teilweise von den Betrachtungsweisen der Barockzeit abweicht (siehe auch Beitrag zuvor) oder anders gesagt: der Zeitgenosse von Rubens betrachtete die Bilder mit einem anderen Erwartungs- und Verstehenshorizont als wir. Unsere Modewertungen sollten hier besser nicht als Maßstab eingesetzt werden.
Der große Unterschied wäre, dass heute meist ichbezogen gewertet wird, z.B.: Hätte ich die Dame gerne im Bett? Im Spätbarock/Rokoko hingegen ging es allgemein um die Darstellung und Bekundung der Schöngeistigkeit. Dass die Nackte dabei nicht allzu sexy daherkommen, d.h. nicht unbedingt erotisieren musste, liegt auf der Hand. Das Boudoir-Bild entwickelte sich erst im 19. Jh. zur akzeptierten Kunstform, womit z.B. Ehefrauen ihre Männer beschenkten.(Porno-Zeichner gab es nichtsdestotrotz auch schon zuvor.)

@Mashenka finden sich in der Barockmalerei gelegentlich "sozialkritisch-realistische" Einsprengsel? So was wie schlechte Zähne? Das Sujet "Hirtenmädchen/Schäferin" scheint mir in dieser Hinsicht nicht eben "realistisch" konzipiert, sondern idealisierend: Lumpen, Karies im Lächeln, ggf Blatternarben zeigen diese Genrebilder nicht - ihnen liegt auch die Absicht fern, derartiges zu zeigen.
Eben. Schöngeistigkeit beinhaltete keine humanistische Toleranz gegenüber Andersartigkeit, sondern war auf die Darstellung des Ersehnten konzentriert. Etwaige »sozialkritisch-realistische Einsprengsel« waren auf karikierende Darstellungen beschränkt, z.B. bei Illustrationen. Kenne keine Schäfer-Bilder mit allzu speziellen Gestalten. Könnte mir aber vorstellen, dass auch mal ein Kriegsversehrter auf einem belebten Capriccio von Hubert Robert (1733-1808) auftaucht, wobei mir gerade kein Beispiel einfällt.(Fragonards Kollege hinterließ ein riesiges Werk, das nur teilw. in der Schäferromantik schwelgt.)
 
Wie wäre es, wenn Du Dich erstmal um Belege für Deine eigenen Thesen kümmern würdest, bevor Du weitere Threads mit blühendem Unsinn vollmüllst?
Ich habe Rubens und Rembrandt genannt: Der erste malte gerne nackte Frauen und manchmal auch viele auf einem Bild, die alle rund sind. Der zweite weniger, und auch die nur aus der Mythologie: Andromeda, Bathseba, Danae, Diana und Susanna – das war‘s.

@Mashenka finden sich in der Barockmalerei gelegentlich "sozialkritisch-realistische" Einsprengsel? So was wie schlechte Zähne?
Bei Rembrandt finden sich solche Motive schon:
Paintings_by_Rembrandt

Paintings by Rembrandt – Wikimedia Commons
 
Wäre die Darstellung kariöser Zähne denn als "sozialkritisch" anzusehen? Mir scheint, in der Tudor-Zeit (nicht dasselbe, aber immerhin nahe dran) galten sie sogar eher als (wenn auch unfreiwilliger) Ausweis für Wohlstand.

Wer nämlich schlechte Zähne hatte, konnte sich Konfekt und Zuckerwerk leisten – während die gewöhnliche Bevölkerung gesünder aß, hatte sie doch zum Süßen der Speisen bloß Honig und Süßholzwurzel zur Verfügung, und auch das nur in Maßen.

Die Heinriche sieben und acht etwa waren beide für ihr schlechtes Gebiss berühmt. Auch Elisabeth eins hatte nach der Lebensmitte wohl einen Heißhunger auf Süßes und ein dementsprechend löchrig-braunes Lächeln entwickelt. Und es gibt noch ein paar andere Kandidaten.

Solche Probleme zumindest dürfte eine arme Schäferin nicht gehabt haben …
 
Dein Beispiel kann man auch als ›Genre-Portrait‹ sehen, d.h. als Charakterstudie für die ›deftige Gesindelmalerei‹. Im Grunde ging es um den speziellen Gesichtsausdruck (wie sonst auch bei Caravaggio öfter zu sehen), siehe »Tronie«, de. Wikipedia. Gemeint habe ich aber beabsichtigte Misstöne in idealisierten Sujets, fern der Charakter-, bzw. der Genre-Malerei.
 
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