Die Frage, die ich mir im zusammenhang mit keltischer Religion stelle ist die,ob man angesichts der Heterogenität der Keltischen Stämme überhaupt von der einen keltischen Religion ausgehen können oder ob wir es nicht mit einer Vielzahl regionaler Kulte zu tun haben, die mehr oder weniger unabhängig voneinander existierten
Es sind über 400 Gottheiten mit sich überschneidenden Funktionen bekannt, und fast alle treten nur lokal oder regional begrenzt in Erscheinung
Das spricht m.E. gegen ein übergeordnetes keltisches Pantheon und damit auch gegen eine einheitliche keltische Religion
Ich habe lange überlegt, was ich sinnvolles antworten kann, ich gebe zu, ich bin am Pantheon "der Kelten" schier verzweifelt. Ich hatte zuerst überlegt, diese verwirrende "Systemlosigkeit" am Beispiel eines Gottes (Mercurius) darzustellen, allerdings habe ich derzeit wenig Kapazität, um wirklich Zusammenfassendes aus mehreren Büchern (Birkhan, Maier, Geschößl, Meid, Bruneaux) zusammenzustellen und begrifflich zu fassen. Gerade hier zeigte sich, wie treffend das Meid-Zitat von der Unmöglichkeit einen inneren Zusammenhang und den wesentlichen Inhalt der "keltischen Religionen" zu erkennen,- ohne die Kenntnis von literarischen Glaubensbeschreibungen und seinen Glaubensinhalten - ist. Trotzdem halte ich es für möglich, die keltischen Religionen von anderen Religionen abzugrenzen, nicht nur durch die Druiden ist ein übergeordneter Zusammenhang erkennbar. Nur in der Götterwelt scheint mir dies besonders schwer.
Frappierend ist zum Beispiel die Verbreitung des Substantiv *nemeto, mit denen Orte von Iberien bis Galatien bezeichnet wurden, und das immer den abgegrenzten heiligen Bezirk, ein Heiligtum bezeichnet, im Gegensatz zum profanen Bereich, und dass in der antiken Überlieferung oft mit dem "ursprünglichen heiligen Hain" assoziert wurde - was jedoch historisch nicht (immer) gesichert ist, jedenfalls ging es irgendwann auf den heiligen Tempel über. Zur Verbreitung:
Ethnonyme: Nemetes (germanischer Stamm um Speyer; Caes. bell. Gall. 1, 51, 2 etc.), Nemetati(Stamm der südlichen Callaici; Ptol. 2, 6, 40), Arnemetici (Bewohner der Terre d’Argens, Dép. Bouches du-Rhône) etc.; Anthroponyme: Nemeto-gena, Nemeto-cenna, Nemeto-marus, Ad-namato, Nemedius, Nemetus,Nemeta etc.; Theonyme: Nemetona, Mars Rigo-nemetis, Matres Nemetiales.
Toponyme, die mit dem Element nemeto- gebildet sind:
Aquae Ar-nemetiae, Thermalbäder in Buxton, Derbyshire
*Ar(e)-nemeton > Arlempdes, Dép. Haute-Loire
Augusto-nemetum Clermont-Ferrand, Dép. Puy-de-Dôme
Dru-nemeton Galatien
Medio-nemetum, röm.Lager am Antoniuswall, Nordengland
Nemetacum Arras, Dép. Pas-de-Calais
Nemeto-briga bei Puebla de Trives, Prov. Orense
Nemeto-cenna (= Nemetacum)Arras, Dép. Pas-de-Calais
*Nemeto-duron > Nanterre, Dép. Hauts-de-Seine
Nemeto-tatio (?); röm. Lager bei North Tawton,Devon
*Novio-nemeton > Nonant, Dép. Calvados und Dép.Orne
*Seno-nemeton > Senantes, Dép. Eure-et-Loire und Dép. Oire
Tasi-nemetum bei Fahrendorf, unweit von Villach,Kärnten
Ver-nemetum Agen, Dép. Lot-et-Garonne
Ver-nemetum Willoughby on the Wolds, Nottinghamshire
*Ver-nemetum > Vernantes, Dép. Maine-et-Loire
*Ver-nemetum >Saint-Vincent-de-Pertignas, Dép.Gironde
Erster Beleg des Wortes aus einer gallogriechischen Inschrift 1.Jahrhundert BC. RIG I G153 - Σεγομαρος/ Ουιλλονεος/ τοουτιους/ Ναμαυσατις/ ειωρου Βηλη/σαμι σοσιν/ νεμητον. – »Segomaros, Sohn des Villū [oder Villonos], Bürger von Nemausus hat Belesama dieses Heiligtum geweiht.«
(Quelle Hofeneder, 2015)
Wenn Martial über einen heiligen Steineichenhain seiner keltiberischen Heimat dichtet,»Und der heilige Steineichenhain von Buradon, durch den selbst der faule Wanderer zu Fuß geht« (Mart. 4, 55, 23–24), oder Strabon überliefert, dass der Rat der zwölf Tetrarchien bei den Galatern im sog. Δρυνέμετον zusammenkam und dort über Mordfälle urteilte (Strab. 12, 5, 1) »Der Rat der zwölf Tetrarchien bestand aus dreihundert Männern, die sich im sogenannten Drynemeton versammelten. Der Rat hielt Gericht über Mordfälle, während die Tetrarchen und die Richter über die anderen Fälle entschieden. In alter Zeit war dies die Verfassung, in unserer Zeit aber …«;
bezeichnen beide den selben Begriff, die selbe Vorstellung eines heiligen Bezirks, mit dem sich die gleichen (oder ähnliche) Glaubensvorstellungen verbinden (Gebote, Verbote, Riten, Opfer, andere Kulthandlungen)?
Bei allen Differenzierungen, evolutionären Entwicklungen und Ungleichzeitigkeiten (siehe meinen Beitrag vom 3.11.2016 - z.B. die Bedeutung des Mercurius (Gott des Handwerks, der Künste, der Händler), inschriftlich belegt, kann mit der Prosperität der spätlatenezeitlichen Oppdiakultur zusammenhängen - gleichzeitig spielt die Landwirtschaft und der Fruchtbarkeitkult immer noch eine besondere Rolle), die Zusammenschließung zu größeren Gentes, die zentrale Einrichtungen, offizielle Kulte und professionelles Personal bedingen - bei gleichzeitiger Weiterexistenz "privaten Religiösität" und von kommunalen Kulten -
(siehe auch den Artikel von Raimund Karl Feine Unterschiede. Zu „Keltengenese“ und ethnogenetischen Prozessen in der Keltiké, 2008),
trotz aller Verschiedenheiten erkennt man meiner Meinung nach eine "innere Verwandtschaft" der keltischen Religionen, die sich auch wie beim "Heiligtum / Heiligen Hain" im Sprachgebrauch erhalten hat:
Gallisch: nemeton (RIG I G153: νεμητον; vgl. RIG I G154: νεμετος); altirisch: nemed »Heiligtum«, »geweihter Ort«, sacellum (vgl. die Komposita fid-nemed »heiliger Hain« [< *u̯idu-nemeton], sen-nemed »alter Tempel« etc.)> neuirisch: neimed; altkymrisch: niuet (nebst nimet und nimed) > mittelkymrisch: nyfed »Heiligtum«, »Tempel«; bretonisch: nemet » (heiliger) Hain«; altkornisch: *neved > mittelkornisch: neves »(heiliger) Hain«
Unten Diagramm aus R.Karl, Feine Unterschiede, zur Stammes-Touta-Organisation zusammengeschlossener Verwandschaftsverbände (Mythischer und heroisierter Vorfahr /Ahnenkult "ersetzt" reale Verwandtschaft)