Spielt in die Herabsetzung des Mittelalters nicht auch hinein, dass viele in unseren Augen große Erfindungen der Antike (die fast alle geistiger Natur waren) aufgegeben wurden. Keine Philosophen auf dem Marktplatz, kein Marmor für Regierende, keine schickuniformierten Legionen. [...]
Alles machen die kaputt. bekommen soviel Schönes und dann das.
typisch Mittelalter.
Nun ja, die haben schon viel Schönes kaputtgemacht. Guggen wir mal nach Köln, nach dem Ende des Röm. Reiches.
Die Franken sind dann unter König Sigibert nach Köln einmarschiert und haben dort das Prätorium eingenommen. Die Stadt blieb allerdings unzerstört, die Herrschaftsbauten blieben erhalten, wurden aber nicht gepflegt. Es gab sogar noch um 520 einen Heidentempel, wie Gregor von Tours berichtet. Der Bischof Gallus von Clermont ließ ihn dann abbrennen.
Köln wurde nun mehr und mehr landwirtschaftlich genutzt, auch innerhalb der Stadtmauern. Handel und Gewerbe nahmen ab. Dörfer rund um Köln, rein bäuerlich, entstanden, von den Franken angelegt. (Also ENTSTAND etwas - nämlich Dörfer!) Doch gab es noch Glasbläserei, Töpfereien, Goldschmieden. Der Fernhandel war allerdings praktisch zum Erliegen gekommen, der lokale Handel wurde wichtiger (6. Jh.).
Das Schrifttum schwand allerdings mehr und mehr. Nur noch die Namen der Bischöfe sind jetzt bekannt, sonst nicht mehr viel zur Chronik der Stadt. Hier wird zum ersten Mal der Begriff "dunkel" für mich deutlich. Dunkel eben auch wie die Dunklen Jahrhunderte nach Untergang des Mykenischen Reiches in Griechenland.
Doch die Leidensgeschichte geht noch weiter. Im 9. Jahrhundert, also mitten in der sog. "Karolingischen Renaissance", litt man in Köln unter Hungersnöten und Seuchen. Um 880 brandschatzten die Normannen die Stadt, nur noch wenige Gebäude blieben stehen, im wesentlichen Kirchen. Gewerbe, Handel usw. waren erstmal zusammengebrochen.
Wieder weg von Köln ins "Westreich". Aus dem Gebiet der Philosophie weiß ich, dass das erste philosophische Werk des Westens das von Eriugena ist, Periphyseon, um 850. Das letzte philosophische Werk des Westens, allerdings eher ein Abklatsch von Philosophie als etwas, was diesem Namen würdig wäre, ist die Etymologiae des Isidor von Sevilla, um 600. Letztes wirklich bedeutendes Werk war Boethius' Consolatio Philosophiae (um 525), für mich in der Tat eine Consolatio, weil der Autor, obwohl Christ, sein letztes und bedeutendstes Werk ganz ohne christliches Gedankengut versehen hat.
D.h. ca. 250 Jahre gab es im Westen (abgesehen von Homilien und ähnlichem Kram) kein Schriftgut mehr in (West-)Europa.
Also, ich meine, der Begriff "Dunkles Mittelalter" hat doch einiges für sich. Ich rechne ihn nicht zu den "Vorurteilen", sondern zu den Tatsachen.
Hier
http://www.geschichtsforum.de/attac...as-ende-des-roemischen-reiches-roemreich1.jpg habe ich auch ein paar Statistiken von Bryan Ward-Perkins gepostet, die die Verbreitung von Töpferware betreffen: Handel und Wandel gingen tatsächlich zum Ende des Weströmischen Reiches unter und wurden, so Ward-Perkins erst wieder um 1200 (!) erreicht. Gleiches gilt für Häuserbau, Dachkonstruktionen usw usf. Ganz erhellend ist z.B., dass Karl der Große die Säulen für seinen Dom in Aachen von Italien herschleppen ließ, weil es keine fränkischen Steinmetze gab, die solche Techniken noch beherrschten.