Konradin schrieb:
Wer ist eigentlich wirklich schuld am Desaster des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648), v.a. für das Heilige Römische Reich?
Wie Papa_Leo schon richtig gesagt hat: Es ist schwierig, einzelnen Personen für diesen überaus komplexen und in all seinen Ursachen und Entstehungshintergründen äußerst verschachtelten Konflikt die Schuld zu geben.
Ganz grundsätzlich muss man erst einmal festhalten, um was sich die konfessionelle Komponente des 30jK drehte: Katholiken wie Lutheraner wie Calvinisten beanspruchten für sich das alleinige und ausschließliche Recht die religiöse Wahrheit zu kennen und damit den alleinigen Weg zum Heil. Was nun dem Menschen des 21. Jhd.s (glücklicherweise) so befremdlich erscheint (die zahllosen mMn zumeist ahistorisch geführten Diskussionen um die Intoleranz und den Machtanspruch der Kirche zeigen das auch hier in diesem Forum), ist die Tatsache, dass dieser alleinige Wahrheitsanspruch zugleich bedeutete, dass Andersgläubige in den Reihen der Gemeinschaft (sei es das eigene Dorf, die eigene Stadt, das eigene Territorium oder gar das Reich) den Weg zum Heil versperren würden und den Zorn Gottes auf die gesamte Gemeinschaft herabbeschwören würden. Der Weg zum Heil war in der Frühen Neuzeit (wohl anders als heute) selbstverständlich das höchste Maß aller Dinge, das wichtigste zu erreichende Ziel, und auch nur ein einziger Andersgläubiger (geschweige denn eine ganze gesellschaftliche Gruppe) drohte, dieses allerhöchste und allerwichtigste Ziel in Frage zu stellen. Ein Ausgleich zwischen den Konfessionen war (zumindest in den Jahrzehnten vor dem 30jK) strukturell letztlich unmöglich, weil jeder davon überzeugt war, der andere würde einem selbst den Weg ins Himmelreich versperren. Welche Sprengkraft eine solche weltanschauliche Differenziertheit barg, liegt auf der Hand!
Weiterhin: Diese abgrundtiefe Feindschaft der Konfessionen untereinander entwickelte sich erst nach und nach. Luther beispielsweise hatte nie im Sinn, die einige heilige Kirche zu spalten, sondern zu reformieren. Was lutheranisch war, was katholisch und was calvinistisch wurde erst ganz langsam klar. Erst zum Ende des 16. Jhd.s hatten alle Konfessionen eine klare eigene Identität und eine ganz scharfe Abgrenzung nach außen entwickelt. Häufig genug war aber auch dann nur der kirchlichen Elite klar, was eigentlich spezifisch katholisch oder protestantisch war, nicht aber dem Pfarrer vor Ort oder der Bevölkerung. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 oder auch Kaiser Maximilian II. sind Beispiele für noch nicht verhärtete Fronten, in denen noch ein konfessioneller Ausgleich möglich schien. Wie anders aber die Situation zu Beginn des 17. Jahrhunderts: Nicht mehr Ausgleich war das Gebot der Stunde, sondern Vernichtung der Andersgläubigen. Sukzessive wurden alle Reichsinstitutionen, die ja zum Konfliktaustrag im Reich dienten, durch die konfessionellen Spannungen lahm gelegt, der große Krieg rückte näher und andere Möglichkeiten zum Konfliktaustrag bestanden irgendwann nicht mehr. Nimmt man dann noch wirtschaftliche und soziale Spannungen im beginnenden 17. Jhd. hinzu, so war der Krieg schließlich nicht mehr aufzuhalten. Die genannten Akteure spielen in diesen Ereignissen sicherlich eine gewisse Rolle, waren aber mMn letztlich auch nur Getriebene von den sich verändernden religiösen und sozialen Strukturen, ganz gleich ob Katholiken oder Protestanten.
Und noch etwas: Religiöse Intoleranz war für jeden politisch Handelnden von großer Nützlichkeit. Mit religiöser Intoleranz verschaffte man seiner Herrschaft eine äußerst kraftvolle eigene Identität (WIR gegen DIE), grenzte sich gegenüber konkurrierenden Herrschaftsansprüchen ab und gewann so bedeutend an Macht. Eine überkonfessionelle Politik war im 16./frühen 17. Jhd. überhaupt nicht möglich, wenn man politische Ambitionen hatte. Komplexes, wenn auch wichtiges Thema, deshalb hier nur kurz der Verweis auf die Konfessionalisierungsthese, die diesen Vorgang - mittlerweile als
opinio communis der Forschung - präzise formuliert hat.
Von diesem "Kern" unerbittlicher konfessioneller Feindschaft aus lassen sich dann machtpolitische Konflikte an den großen Konflikt angliedern: Feindschaft gegen das habsburgische Kaisertum innerhalb und außerhalb des Reiches, Hegemonialstreitgkeiten im Ostseeraum etc. pp. Ebenso wie die Vormoderne keine Trennung von weltlicher und geistlicher Sphäre kannte, so sind auch die Konflikte des 30jK nicht streng nach konfessionellen und territorialen Aspekten zu trennen. Beides ging nahtlos ineinander über. Der 30jK war insofern fast schon so etwas wie ein "totaler Krieg" (bei aller Vorsicht, mit der man diesen Begriff gebrauchen sollte), weltanschaulich wie machtpolitisch. Bis der zweite Weltkrieg zeigen sollte, was Kriege anzurichten in der Lage sind, war der 30jK im allgemeinen Bewusstsein in Deutschland nicht zufällig das Sinnbild für die Schrecken des Krieges schlechthin.
Vor all diesen Kräften, die im 16./17. Jhd. wirkten, sehe ich die politischen Akteure der Zeit letztlich nur als Getriebene, mit eigenen Entscheidungsspielräumen durchaus, aber nicht in der Lage (und auch nicht willens), den Konfliktlagen ihrer Zeit wirklich entgegentreten zu können.
Konradin schrieb:
Maximilian I. von Bayern (1573-1651, Hzg. 1597, Kf. 1623), mächtigster Reichsfürst, seit 1623 auch Kurfürst, zusammen mit Ferdinand streng katholisch erzogen, war mindestens genauso fanatisch und dem Kaiser ein treuer Handlanger.
Wenn ich mich recht entsinne, dann war Maximilian von Bayern doch alles andere als ein "treuer Handlanger" Ferdinands. Natürlich waren Bayern und Österreich die beiden katholischen Vordermächte im Reich (auch die einzigen bedeutenden katholischen Mächte) und arbeiteten deshalb eng zusammen, aber wirklich innig war das Verhältnis zwischen Habsburg und Wittelsbach deshalb noch lange nicht. Schließlich war man direkter Nachbar und auch territorialer Konkurrent.
Konradin schrieb:
Daß die Protestanten einfach Gegner des Kaisers sein mußten, ist leicht verständlich: Sie untergruben die kaiserliche Autorität und spalteten das Reich in zwei Fraktionen: konservative Katholiken und "revolutionäre" Protestanten.
Das stimmt nicht, und vor allem ist es nicht so einfach, als ob Katholiken konservativ und die Protestanten progressiv gewesen wären. Schau dir den tridentinischen Reformkatholizismus an, der sich schließlich durchsetzte, oder im Gegensatz dazu die lutheranische Orthodoxie. Da kommst du mit Begriffen wie konservativ oder revolutionär ganz schön ins Schwimmen. Vielleicht hatte der Calvinismus zur Jahrhundertwende das meiste "revolutionäre Feuer", aber im Reich war der Calvinismus von Fürsten getragen und die werden einen Teufel getan haben, sich mit Kräften einzulassen, die ihre traditionelle Machtstellung schwächen würden. Vom Calvinismus als einer Art Widerstandsideologie von Unten ist im Reich nicht viel übrig geblieben (anders zum Bsp. als in den Niederlanden oder in Frankreich). Und auch dass die Protestanten einfach Gegner des Kaisers sein mussten, stimmt einfach nicht: Schau dir nur einmal die kursächsische Politik vor dem 30jK an (bzw. die Verzweiflung darüber auf Seiten der protestantischen Reichsstände).