Lathyrus
Mitglied
Hallo zusammen,
ich muß gestehen, daß ich bei diesem Thema nicht sicher war, wo ich den Thread hinstellen soll und hoffe nun, meine Wahl ist in Ordnung.
Ich interessiere mich bei dem Thema vor allem für die Siedlungskontinuität im ehemals römischen Siedlungskern, d.h. innerhalb der röm. Stadt- oder Befestigungsmauern der jeweiligen Städte. Ebenso die Frage, welche Gebäude oder Einrichtungen wurden evtl. weiter genutzt, und welche Straßen sind noch im heutigen Stadtbild erkennbar.
Die Entwicklungen sind trotz einiger Gemeinsamkeiten doch so unterschiedlich, daß ein paar kurze Beispiele die Sache durchaus interessant illustrieren können:
Mainz/Mogontiacum
Die Hauptstadt der Provinz Obergermaniens (in der Spätantike Germania II) hat um 406 nChr., also in der Zeit des Germanensturms, besonders gelitten. Hieronimus schreibt "die einst hochberühmte Stadt ist erobert und zerstört und in der Kirche viele tausende von Menschen niedergemetzelt". Durch diesen Vorfall dürfte die romanische Bevölkerung der Stadt stark dezimiert worden sein, im Gegensatz zu anderen Städten, die glimpflicher davongekommen waren.
Trotzdem überlebte die Stadt durch die Kraft des christlichen Glaubens: Mainz blieb Bischofssitz, und unter den fränkischen Merowingern entwickelte sich rund um den heutigen Domplatz ein neues kirchliches Machtzentrum. Parallel hierzu bildete sich weiter nordöstlich am Rhein gelegen (in der Nähe des heutigen Hilton Hotels) der neue zivile Siedlungsschwerpunkt. Hier hatten sich nach dem Rheinübergang die Eroberer angesiedelt, und hier entwickelte sich auch nach der Mitte des 6. Jh. zum Rhein hin langsam eine Kaufleutesiedlung. Außerdem erhielt Mainz eine merowingische Münzprägestätte.
Die römische Stadtmauer ist neben einigen möglicherweise noch existierenden Kirchen das wahrscheinlich einzige römische Bauwerk, das in merowingischer und karolingischer Zeit weiter genutzt wurde, obwohl sie jetzt einen großen unbewohnten Bereich einschloß. Man besserte sie über die Jahrhunderte immer wieder aus, weswegen sie als "römisch-karolingisches Bauwerk" bezeichnet wird.
Boppard/Bodobrica
Die Stadt liegt ungefär 20km von Koblenz entfernt flussaufwärts am linken Rheinufer.
Mitte des 4 Jh. wurde hier eine spätrömische Festung, besser gesagt, eine befestigte Siedlung, errichtet. In diese wurde ein schon existierender weiter westlich gelegener Straßenvicus eingegliedert. Die Festungsmauer mit zahlreichen eingegliederten Türmen umschloß ein Geviert von ca 300x150m, die Längsseite ist dem Fluß zugewandt.
Nach dem Abzug der römischen Truppen aus dem Kastell um 406, wurde das befestigte Gebiet von der zurückgebliebenen christlich-romanischen Bevölkerung weiter genutzt, die das Areal für ihre Zwecke umbaute. So errichteten die Bewohner Boppards über dem röm. Militärbad eine frühchristliche Kirche mit einem großen Taufbecken.
Im Laufe des 6. und 7. Jahrhunderts ziehen Franken in die Stadt, aber ohne die romanische Bevölkerung zu verdrängen, wie zahlreiche für romanische Christen gefertigte Grabsteine im Stadtgebiet belegen. Im Jahr 643 wird die Stadt erstmals im Mittelalter urkundlch erwähnt und zwar in Zusammenhang mit dem hier betriebenen Weinbau.
Wichtig für die Bedeutung Boppards im Mittelalter, war die Weiternutzung der spätantiken Festungsanlage als Stadtgebiet. Die Mauern wurden noch bis ins 12. Jh. als Stadtmauer genutzt und weisen noch heute eine Höhe von bis zu 9m auf - die am besten erhaltene spätrömische Festung nördlich der Alpen.
Köln/Colonia Claudia Ara Agrippinensium
Die Hauptstadt der ehemaligen röm. Provinz Niedergermanien soll in ihrer Blütezeit etwa 40000 Einwohner gezählt haben. Die Stadtmauern umschlossen ein Viereck von etwa 90 ha, ferner besaß die Stadt ab dem 4. Jh. eine Rheinbrücke und einen Brückenkopf am rechten Rheinufer.
Auch hier war Anfang des 5. Jh. der christl. Glaube und dessen Repräsentant, der Bischof von Köln, Kontinuitätsträger. Er residierte in seiner Kirche in dem nordöstl. Teil des ummauerten Stadtgebietes, während im Gegensatz zu Mainz eine fränkische Besiedlung innerhalb der röm. Stadtmauern nicht nachgewiesen werden konnte. Viele Kirchen befanden sich außerhalb des Mauerrings (auf ehemaligen römischen Gräberfeldern) und in Köln siedelten sich später die Kaufleute auch nicht innerhalb der Stadtmauer, sondern davor, in der Rheinvorstadt an.
Das bedeutete, daß das geistliche Zentrum durch die röm. Stadtbefestigung, die man weiternutzte, räumlich vom wirtschaftlichen Zentrum getrennt lag. Erst nach und nach wuchsen beide zusammen.
Interessant ist, daß trotz der weitgehenden Verödung der römischen Bauten und der anfangs schwachen Nutzung des ehemaligen römischen Stadtgebietes das Straßennetz zwischen Dom, Maria im Capitol und St. Aposteln heute noch das gleiche wie in römischer Zeit ist (bis auf den Straßenbelag natürlich)
Xanthen/Colonia Ulpia Traiana
Xanthen am Niederrhein ist ein Beispiel für eine Unterbrechung der dauerhaften Besiedlung, denn Anfang des 5. Jh. wurde die Colonia von der romanischen Bevölkerung verlassen.
Um die Wende vom 5. zum 6. Jh. entstand an benachbarter Stelle dann ein kirchlicher Steinbau als Keimzelle der späteren Stiftskirche St. Viktor und der neu entstehenden Stadt Xanthen. Die Reste der verfallenden Römerstadt dienten dem mittelalterlichen Xanthen als Steinbruch.
Regensburg/Castra Regina
Obwohl ich bei Evamaria Engel "Die deutsche Stadt im Mittelalter" gelesen habe, daß die Siedlungskontinuität in den ehemaligen römischen Donaustädten schwächer war als am Rhein, habe ich zu Regensburg folgendes gefunden:
Regensburg war in antiker Zeit ein Legionslager mit einer benachbarten Zivilsiedlung. In der Spätantike schrumpfte die Lagerbesatzung, so daß die Zivilbevölkerung ebenfalls in den sicheren Mauern Platz fand. Es entstand eine befestigte Siedlung, und die ungeschützte Zivilsiedlung außerhalb des Lagers ging unter. Das bedeutet, daß das mittelalterliche Regensburg nicht aus der Zivilsiedlung, sondern dem Legionslager hervorging.
In der Spätantike scheint sich hier ein buntes Völkchen zusammengefunden zu haben, in dem inzwischen durch Söldner und Zuzügler der germanische Anteil beträchtlich zugenommen haben muß. Eine meiner Quellen nennt Regensburg den "Kristallisationspunkt eines neuen Stammes, nämlich der baiuvarii", deren erste Herzöge sich die neu entstehende Stadt hinter den dicken Mauern als Residenz erwählten.
Wien/Vindobona
Tja, trotz der durch den antiken und heutigen Städtenamen suggerierte Kontinuität, ist es in Wien streng genommen nicht zu einem Fortbestehen der ursprünglichen römischen Siedlung gekommen.
Die römische Stadtgründung, das Municipium beim römischen Legionslager ging unter. Das mittelalterliche Wien ging aus einem karolingischen Handelsplatz aus, der sich innerhalb des alten Legionslagers gebildet hatte. Ferner hat es noch zwei andere Siedlungskerne gegeben, die sich jeweils um eine Kirche herum entwickelten und erst im 11 Jh. verschmolzen.
Soweit erstmal. Ich muß zugeben, daß mein Quellenmaterial nur für eine recht unvollständige Übersicht ausreicht. Um so mehr würde ich mich natürlich freuen, wenn jemand Lust hat etwas zu ergänzen oder zu korrigieren.
ich muß gestehen, daß ich bei diesem Thema nicht sicher war, wo ich den Thread hinstellen soll und hoffe nun, meine Wahl ist in Ordnung.
Ich interessiere mich bei dem Thema vor allem für die Siedlungskontinuität im ehemals römischen Siedlungskern, d.h. innerhalb der röm. Stadt- oder Befestigungsmauern der jeweiligen Städte. Ebenso die Frage, welche Gebäude oder Einrichtungen wurden evtl. weiter genutzt, und welche Straßen sind noch im heutigen Stadtbild erkennbar.
Die Entwicklungen sind trotz einiger Gemeinsamkeiten doch so unterschiedlich, daß ein paar kurze Beispiele die Sache durchaus interessant illustrieren können:
Mainz/Mogontiacum
Die Hauptstadt der Provinz Obergermaniens (in der Spätantike Germania II) hat um 406 nChr., also in der Zeit des Germanensturms, besonders gelitten. Hieronimus schreibt "die einst hochberühmte Stadt ist erobert und zerstört und in der Kirche viele tausende von Menschen niedergemetzelt". Durch diesen Vorfall dürfte die romanische Bevölkerung der Stadt stark dezimiert worden sein, im Gegensatz zu anderen Städten, die glimpflicher davongekommen waren.
Trotzdem überlebte die Stadt durch die Kraft des christlichen Glaubens: Mainz blieb Bischofssitz, und unter den fränkischen Merowingern entwickelte sich rund um den heutigen Domplatz ein neues kirchliches Machtzentrum. Parallel hierzu bildete sich weiter nordöstlich am Rhein gelegen (in der Nähe des heutigen Hilton Hotels) der neue zivile Siedlungsschwerpunkt. Hier hatten sich nach dem Rheinübergang die Eroberer angesiedelt, und hier entwickelte sich auch nach der Mitte des 6. Jh. zum Rhein hin langsam eine Kaufleutesiedlung. Außerdem erhielt Mainz eine merowingische Münzprägestätte.
Die römische Stadtmauer ist neben einigen möglicherweise noch existierenden Kirchen das wahrscheinlich einzige römische Bauwerk, das in merowingischer und karolingischer Zeit weiter genutzt wurde, obwohl sie jetzt einen großen unbewohnten Bereich einschloß. Man besserte sie über die Jahrhunderte immer wieder aus, weswegen sie als "römisch-karolingisches Bauwerk" bezeichnet wird.
Boppard/Bodobrica
Die Stadt liegt ungefär 20km von Koblenz entfernt flussaufwärts am linken Rheinufer.
Mitte des 4 Jh. wurde hier eine spätrömische Festung, besser gesagt, eine befestigte Siedlung, errichtet. In diese wurde ein schon existierender weiter westlich gelegener Straßenvicus eingegliedert. Die Festungsmauer mit zahlreichen eingegliederten Türmen umschloß ein Geviert von ca 300x150m, die Längsseite ist dem Fluß zugewandt.
Nach dem Abzug der römischen Truppen aus dem Kastell um 406, wurde das befestigte Gebiet von der zurückgebliebenen christlich-romanischen Bevölkerung weiter genutzt, die das Areal für ihre Zwecke umbaute. So errichteten die Bewohner Boppards über dem röm. Militärbad eine frühchristliche Kirche mit einem großen Taufbecken.
Im Laufe des 6. und 7. Jahrhunderts ziehen Franken in die Stadt, aber ohne die romanische Bevölkerung zu verdrängen, wie zahlreiche für romanische Christen gefertigte Grabsteine im Stadtgebiet belegen. Im Jahr 643 wird die Stadt erstmals im Mittelalter urkundlch erwähnt und zwar in Zusammenhang mit dem hier betriebenen Weinbau.
Wichtig für die Bedeutung Boppards im Mittelalter, war die Weiternutzung der spätantiken Festungsanlage als Stadtgebiet. Die Mauern wurden noch bis ins 12. Jh. als Stadtmauer genutzt und weisen noch heute eine Höhe von bis zu 9m auf - die am besten erhaltene spätrömische Festung nördlich der Alpen.
Köln/Colonia Claudia Ara Agrippinensium
Die Hauptstadt der ehemaligen röm. Provinz Niedergermanien soll in ihrer Blütezeit etwa 40000 Einwohner gezählt haben. Die Stadtmauern umschlossen ein Viereck von etwa 90 ha, ferner besaß die Stadt ab dem 4. Jh. eine Rheinbrücke und einen Brückenkopf am rechten Rheinufer.
Auch hier war Anfang des 5. Jh. der christl. Glaube und dessen Repräsentant, der Bischof von Köln, Kontinuitätsträger. Er residierte in seiner Kirche in dem nordöstl. Teil des ummauerten Stadtgebietes, während im Gegensatz zu Mainz eine fränkische Besiedlung innerhalb der röm. Stadtmauern nicht nachgewiesen werden konnte. Viele Kirchen befanden sich außerhalb des Mauerrings (auf ehemaligen römischen Gräberfeldern) und in Köln siedelten sich später die Kaufleute auch nicht innerhalb der Stadtmauer, sondern davor, in der Rheinvorstadt an.
Das bedeutete, daß das geistliche Zentrum durch die röm. Stadtbefestigung, die man weiternutzte, räumlich vom wirtschaftlichen Zentrum getrennt lag. Erst nach und nach wuchsen beide zusammen.
Interessant ist, daß trotz der weitgehenden Verödung der römischen Bauten und der anfangs schwachen Nutzung des ehemaligen römischen Stadtgebietes das Straßennetz zwischen Dom, Maria im Capitol und St. Aposteln heute noch das gleiche wie in römischer Zeit ist (bis auf den Straßenbelag natürlich)
Xanthen/Colonia Ulpia Traiana
Xanthen am Niederrhein ist ein Beispiel für eine Unterbrechung der dauerhaften Besiedlung, denn Anfang des 5. Jh. wurde die Colonia von der romanischen Bevölkerung verlassen.
Um die Wende vom 5. zum 6. Jh. entstand an benachbarter Stelle dann ein kirchlicher Steinbau als Keimzelle der späteren Stiftskirche St. Viktor und der neu entstehenden Stadt Xanthen. Die Reste der verfallenden Römerstadt dienten dem mittelalterlichen Xanthen als Steinbruch.
Regensburg/Castra Regina
Obwohl ich bei Evamaria Engel "Die deutsche Stadt im Mittelalter" gelesen habe, daß die Siedlungskontinuität in den ehemaligen römischen Donaustädten schwächer war als am Rhein, habe ich zu Regensburg folgendes gefunden:
Regensburg war in antiker Zeit ein Legionslager mit einer benachbarten Zivilsiedlung. In der Spätantike schrumpfte die Lagerbesatzung, so daß die Zivilbevölkerung ebenfalls in den sicheren Mauern Platz fand. Es entstand eine befestigte Siedlung, und die ungeschützte Zivilsiedlung außerhalb des Lagers ging unter. Das bedeutet, daß das mittelalterliche Regensburg nicht aus der Zivilsiedlung, sondern dem Legionslager hervorging.
In der Spätantike scheint sich hier ein buntes Völkchen zusammengefunden zu haben, in dem inzwischen durch Söldner und Zuzügler der germanische Anteil beträchtlich zugenommen haben muß. Eine meiner Quellen nennt Regensburg den "Kristallisationspunkt eines neuen Stammes, nämlich der baiuvarii", deren erste Herzöge sich die neu entstehende Stadt hinter den dicken Mauern als Residenz erwählten.
Wien/Vindobona
Tja, trotz der durch den antiken und heutigen Städtenamen suggerierte Kontinuität, ist es in Wien streng genommen nicht zu einem Fortbestehen der ursprünglichen römischen Siedlung gekommen.
Die römische Stadtgründung, das Municipium beim römischen Legionslager ging unter. Das mittelalterliche Wien ging aus einem karolingischen Handelsplatz aus, der sich innerhalb des alten Legionslagers gebildet hatte. Ferner hat es noch zwei andere Siedlungskerne gegeben, die sich jeweils um eine Kirche herum entwickelten und erst im 11 Jh. verschmolzen.
Soweit erstmal. Ich muß zugeben, daß mein Quellenmaterial nur für eine recht unvollständige Übersicht ausreicht. Um so mehr würde ich mich natürlich freuen, wenn jemand Lust hat etwas zu ergänzen oder zu korrigieren.