Ein gar nützlich Bergwercks~Thier: Der Grubenhund

G. Agricola

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Wer hat noch nichts von Grubenhunden gehört, jenen Förderwagen, die unter Tage als Transportmittel dienen? Früher, vor dem 19. Jahrhundert hießen sie einfach Hunde oder Hunte, zuweilen wurden sie auch "Hundte" geschrieben. Heute spricht oder schreibt kein Hund mehr im Bergbau von Hunt oder Grubenhund, sondern nennt diese Fahrzeuge einfach Wagen oder Förderwagen.

Schon im frühen Mittelalter liefen die Grubenhunde nicht auf Schienen, sondern auf Bohlen, die auf dem Boden (dem Liegenden) der Gänge (Strecken) verlegt waren. In der Mitte dieser Fahrrinne verlief ein Schlitz, in den ein auf der Unterseite des Wagens angebrachter Führungssporn hinein ragte. So "liefen diese Wagen nicht aus der Spur" (Schon wieder so eine Redensart aus dem Bergbau).

Hier sind eine zwei Hunte abgebildet:

http://www.ramsbeck.de/bergbau/museum/kaue.htm

Woher der Name Hunte kommt? Auch darüber sind sich die Gelehrten nicht ganz einig. Ich persönlich neige dazu, eine Herkunft aus dieses Wortes aus dem Alttschechischen anzunehmen, wo man einen kleinen Karren so bezeichnete.
Aber so ein Grubenhund war auch sonst ein nützliches Tier: Er konnte vor Erdbeben warnen.

Nanu!

Aber folgen wir doch dem bekannten Wahlspruch "ad fontes!" und sehen einmal in den Quellen nach, natürlich erst einmal im berühmten Buch "De Re Metallica Libri XII", wo Georgius Agricola im letzten Abschnitt, dem 13. Buch mit dem Titel "Von den Lebewesen unterTage" gar viele nützliche Angaben über alle möglichen Wesen macht, die unter der Erde hausen. (Nein, es ist kein Versehen, wenn ich schreibe, daß die zwölf Bücher eigentlich dreizehn sind, und es ist hier kein Tippfehler, wenn ich im Titel dies 13. Buches "unterTage" trotz des Großbuchstabens nicht trenne!)

Aber über Grubenhunde finde ich nichts. Also weitersuchen. Und siehe da, ich werde fündig (wieder so ein Ausdruck aus dem Bergbau):

Da erscheint doch am 16 November 1911 in der Zeitung "Neue Freie Presse" in Wien ein Bericht über ein Erdbeben, das sich im Bergbaugebiet Ostrau ereignet hatte. Zwei Tage später veröffentlichte die Zeitung einen Leserbrief zu diesem Thema, verfaßt von einem Herrn Dr. Erich Ritter von Winkler. Der Leserbrief endete mit einem Satz, in dem dieser Herr darüber schrieb, daß schon eine halbe Stunde vor dem Erdbeben Grubenhunde deutliche Zeichen der Unruhe zeigten.

Vom folgenden Tag an konnte sich die Redaktion dieser Zeitung vor Nachfragen ihrer Leser nicht mehr retten, die in der Mehrzahl wissen wollten, wo man denn so einen als Erdbebenwarner geeigneten Grubenhund kaufen könne.

Und was sagt die kritische Geschichtswissenschaft zu diesem Quellentext?

Hier ist ein Ausschnitt aus:

http://www.message-online.de/arch3_00/03hall.htm

"Durch die Geschichte der Zeitungsredaktion geistert ein Fabelwesen, ähnlich bunt und ähnlich schrill wie das Kluggeschwätz der Ivana Trump oder das Geraune der Sharon Stone in den Spalten des SZ-Magazins. Das Fabelwesen heißt »Grubenhund« und geht zurück auf dessen Schöpfer Arthur Schütz, ein 1880 in Moskau geborener Ingenieur, später auch Offizier des österreichischen Geheimdienstes zur Zeit der k.u.k.-Monarchie. Schütz ärgerte sich über die Servilität der Wiener Zeitungsredakteure, die jede Nachricht über eine Autoritätsperson in die Spalten hoben, unbesehen ihres Wahrheitsgehalts.
Um die Grenzlinie zwischen Quatsch und redaktionellem Sachverstand auszuloten, verfasste er immer neue Fakes, die er der Redaktion der Neuen Freien Presse zukommen ließ. Sein stärkstes Stück erschien am 18. November 1911 – ein Bericht über ein angebliches Erdbeben im Ostrauer Kohlerevier, in dem es hieß, dass der »im Laboratorium schlafende Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab.« Jeder halbwegs informierte Zeitgenosse hätte wissen müssen, dass in der Bergwerkersprache (Dieser Ausdruck ist fürchterlich! Und die"Loren" wurden nie handgezogen, sie wurden geschoben! G. Agricola) der »Hund« eine handgezogene Lore bedeutete. Arthur Schütz notierte sich: »Grubenhund ist das Symbol der Verulkung vorgetäuschten Universalwissens, der Protest gegen die angemaßte Autorität der Druckerschwärze in allen, besonders aber in technischen Dingen.« (1996, S. 38)."

Natürlich, wissenschaftliche Ergebnisse sind oft umstritten. War vielleicht doch Karl Kraus der Entdecker der wunderbaren Eigenschaften des Grubenhundes?
Hier die andere wissenschaftliche Position:

http://www.sagen.at/texte/gegenwart/oesterreich/allgemein/grubenhund.html

"Ein Grubenhund ist schon per definitionem ein Irrtum. Denn dabei handelt es sich - so Heinz Küpper in seinem Wörterbuch - um eine absichtlich törichte Leserzuschrift, die die Redaktion bedenkenlos ins Blatt setzt.

Erfinder des Grubenhundes ist ein gewisser Arthur Schütz. Am 17. November 1911 traf er sich mit einigen Ingenieuren im Wiener Grandhotel zum Mittagessen. Bald unterhielt man sich über die Berichterstattung der Neuen Freien Presse, die ein kleines Erdbeben ungeheuer aufgebauscht hatte. Plötzlich trieb es Arthur Schütz in das Schreibzimmer des Hotels, und er schrieb wie unter Zwang in einem Zug den haarsträubendsten technischen Unsinn, der ihm gerade einfiel. Den auf diese Weise entstandenen Leserbrief zum Erdbeben las er seinen Freunden vor, die sich vor Lachen bogen. Einer der Anwesenden meinte, einen derartigen Schwachsinn würde kein Blatt bringen, doch er hatte sich getäuscht. Schütz meinte, die Neue Freie Presse bringe alles, sofern nur der richtige pseudowissenschaftliche Ton getroffen werde und die Zuschrift von einem Absender mit passendem Hintergrund stamme. Und er hatte Recht.

Ein Schlüsselsatz des Leserbriefes lautete: "Völlig unerklärlich ist jedoch die Erscheinung, dass mein im Laboratorium schlafender Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab." Hätte der Redakteur wissen müssen, dass man als Hunde oder Grubenhunde (manchmal auch: Hunte) die flachen Rollwägen nennt, die im Bergbau den Abraum auf Schienen abtransportieren?

Als der Leserbrief unter dem Namen Dr. Erich Ritter von Winkler erschien, verdächtigten viele Karl Kraus als Autor. Doch der leugnete die Urheberschaft beharrlich. Dennoch wurde er immer wieder als der Schöpfer des Grubenhundes bezeichnet, auch unmittelbar nach seinem Tode - im Nachruf in der Reichspost. Daraufhin teilte Arthur Schütz in einer Leserzuschrift dem Blatt mit, dass er es war, der den namensgebenden Grubenhund verfasst hatte.

Doch die Reichspost sah es anders: "Zu dieser an äußere Hergänge erinnernden Reklamation ist zu sagen, dass der Grubenhund von 1911 erst durch die fürsorgliche Nachbehandlung in der Fackel zu dem geworden ist, was er seither ist: ein geflügeltes Wort und die allgemein gebräuchliche Bezeichnung für Unfälle einer Zeitung." Und es sei Karl Kraus gewesen, der schon 1908 unter dem Decknamen eines "Zivilingenieurs J. Berdach aus der Glockengasse" die Neue Freie Presse hereingelegt hatte - ebenfalls mit einer Leserzuschrift zu einem kleinen, unbedeutenden Erdbeben. In der Fackel gab er sich dann als Urheber zu erkennen und triumphierte: "Sie (die Neue Freie Presse) schweigt mich seit zehn Jahren tot; sie ignoriert mich als Satiriker und lässt mich nur als Geologen gelten."

Doch auch wenn der "Herr Ritter von Winkler" in gewisser Weise ein Sohn des "Zivilingenieurs Berdach aus der Glockengasse" war, so ändert dies nichts daran, dass der Grubenhund ohne Arthur Schütz nicht das Licht der Welt erblickt hätte.

Quelle: Lexikon der populären Irrtümer Österreichs, Horst Friedrich Mayer, Wien - Frankfurt/Main 2001, S. 84

Horst Friedrich Mayer: "Die Entenmacher. Wenn Medien in die Falle tappen", München 1998, S.23"

Und nun komme ich ins Grübeln. Zwei Fragen bewegen mich:

Gibt es hier in diesem Forum Grubenhunde?

Muß ich hier in Zukunft am Anfang meiner Mitteilungen die Versicherung abgeben: "Der folgende Text ist kein Grubenhund"?

Ich hoffe doch nicht, sagt sich besorgt

G. Agricola

 
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