Elsass-Lothringen

Hamilkar

Mitglied
Am 3. Juni 1871 stimmte der deutsche Reichstag dafür Elsass- Lothringen ins Reich einzugliedern. Das ist nun 133 Jahre her wenn ich mich nicht verrechnet habe.

Deshalb möchte ich hier nun an die Geschichte einer Region erinnern, die von Machtstreben, Nichtakzeptanz und Prestigegier zweier Staaten besonders betroffen war.

Was glaubt ihr ist die Ursache für dieses Bestehen zwischen zwei Staaten? Wo fängt diese Zerrissenheit an und was hatten die Bewohner deshalb zu durchleiden?
 
Schade, dass Frankreich die Kultur des Elsass zerstört hat. Der Sprachwechsel in der Bevölkerung ist einfach schon zu weit fortgeschritten, als dass hier irgendwelche Projekt noch etwas nützen könnten. In den nächsten Jahrzehnten wird das Deutsche im Elsass wohl endgültig verschwinden. Und das in einem Land, dass noch vor 100 Jahren nahezu völlig deutsch war. Heute lernen elsässische Kinder mit Französisch als Muttersprache Deutsch - eigentlich sollte dies umgekehrt sein. Für das Elsass hätte es drei "gute" politische Lösungen gegeben: den Verbleib bei Deutschland, die Unabhängigkeit oder die Angliederung an die Schweiz. Es kam zur der für die sprachlich-kulturelle Entwicklung des Landes schlechtesten Lösung, nämlich zur Rückkehr zu Frankreich. Die Folgen sind bekannt...
 
Das Elsass sollte anderen europäischen Minderheiten als abschreckendes Beispiel dienen, wie schnell die historische Muttersprache durch Sprachwechsel abhanden kommen kann - und das selbst bei einer Millionenbevölkerung. Nicht umsonst spricht man bei einer Assimilierung einer Minderheit an das Staatsvolk bereits von "Verelsässerung".
 
Da gibt es sehr viel mehr "abschreckende" Beispiele. Von den schätzungsweise 6000 Sprachen der Welt ist etwa die Hälfte im Aussterben begriffen.
Wobei das Elsässische nicht mehr als eine regionale Variante innerhalb des Alemannischen darstellt.
Natürlich ist es schade, wenn eine Mundart verschwindet, aber im Unterschied zu vielen anderen Fällen auf der Welt geht das Verschwinden des Elsässischen nicht mit einer Verelendung und Diskriminierung der Sprecher einher.

Im übrigen sehe ich nicht, was am Aussterben der elsässischen Mundart in Frankreich betrüblicher sein sollte als am Aussterben der friesischen Sprache in Deutschland. Warum nicht mal vor der eigenen Haustür kehren und die "Zerstörung der friesischen Kultur" anprangern?
 
hyokkose schrieb:
Da gibt es sehr viel mehr "abschreckende" Beispiele. Von den schätzungsweise 6000 Sprachen der Welt ist etwa die Hälfte im Aussterben begriffen.
Ja, da hast du Recht. Pessimistische Schätzungen gehen sogar davon aus, dass bis zu 90% aller Sprachen der Erde, das 21. Jahrhundert nicht überdauern werden.


Natürlich ist es schade, wenn eine Mundart verschwindet, aber im Unterschied zu vielen anderen Fällen auf der Welt geht das Verschwinden des Elsässischen nicht mit einer Verelendung und Diskriminierung der Sprecher einher.
Das Sprechen des Deutschen im Elsass, die Sprache des Erbfeindes, wurde nach dem 1. und 2. Weltkrieg als eine Art Landesverrat betrachtet. Noch heute ist Frankreich das wohl minderheitenfeindlichste Land der EU. Man braucht sich nur die Probleme ansehen, die Frankreich mit der Charta der Regional- und Minderheitensprachen hat. Die bereits unterzeichnete Charta wurde vom französischen Staatsrat als verfassungswidrig bezeichnet und abgelehnt. Ein Unterricht in der Muttersprache ist für Minderheiten in Frankreich praktisch nicht möglich.


Im übrigen sehe ich nicht, was am Aussterben der elsässischen Mundart in Frankreich betrüblicher sein sollte als am Aussterben der friesischen Sprache in Deutschland. Warum nicht mal vor der eigenen Haustür kehren und die "Zerstörung der friesischen Kultur" anprangern?
Dahingehendes habe ich auch nicht behauptet. Entschuldigung, aber ich habe mir eben erlaubt, etwas zum Thema des Beitragsstrangs zu sagen. Außerdem leben wir doch angeblich im vereinten Europa, da muss es doch möglich sein, einen anderen europäischen Staat zu kritisieren. Im Übrigen liegt das Elsass näher an meiner Haustür als Friesland. Aber ich kann dir nur beipflichten, dass für den Schutz der Sprachen Friesisch, Dänisch und Sorbisch sowie die Sprache der Sinti und Roma in Deutschland mehr getan werden muss.
 
Das ist halt so heutzutage. Vor einigen Jahrzehnten hat man Sprachen den Minderheit unterdrückt und das war der Grund für ihren Unergang. Nun werden die Sprachen der Minderheiten in den meisten europäischen Staaten zwar nicht mehr unterdrückt, aber durch Karrieremöglichkeiten wird die Staatssprache immer wichtiger auch für die Minderheiten. Und so assimilieren sie sich.
In diesem Zusammenhang will ich eine historische Sprache erwähnen, die besondere Bedeutung in Osteuropa hatte, das jiddische. Überlebt hat sie nur in einigen wenigen Dialektbegriffen des Wienerischen.
 
Regiomontanus schrieb:
Und das in einem Land, dass noch vor 100 Jahren nahezu völlig deutsch war.
Nun, damals befand sich die französischsprechende Bevölkerung in einer schlechteren Position, die zumindest in Lothringen einen bedeutenden Anteil der Gesamtbevölkerung ausmachte.
Um die Sache nicht gar zu einäugig zu betrachten, wäre der Hinweis angebracht, daß sich auch die deutschsprechende Bevölkerung im "Reichsland" als Bürger zweiter Klasse behandelt sah. (Was nichts daran ändert, daß sie um so ernüchterndere Erfahrungen machen mußte, als sie nach dem 1. Weltkrieg wieder "heim" nach Frankreich geholt wurde.)

An Pauls Adresse habe ich schon einmal dies geschrieben:
http://geschichtsforum.de/showthread.php?p=9729#post9729

(Komischerweise war das in einer Diskussion zum Thema Österreich, deshalb mußte ich eine Weile suchen...)
 
Fischhof schrieb:
Das ist halt so heutzutage. Vor einigen Jahrzehnten hat man Sprachen den Minderheit unterdrückt und das war der Grund für ihren Unergang. Nun werden die Sprachen der Minderheiten in den meisten europäischen Staaten zwar nicht mehr unterdrückt, aber durch Karrieremöglichkeiten wird die Staatssprache immer wichtiger auch für die Minderheiten. Und so assimilieren sie sich.
In diesem Zusammenhang will ich eine historische Sprache erwähnen, die besondere Bedeutung in Osteuropa hatte, das jiddische. Überlebt hat sie nur in einigen wenigen Dialektbegriffen des Wienerischen.
Ja, der Nationalstaat hat in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, wo Europa eine noch nie da gewesene Demokratie erlebte, eine noch nie da gewesene Assimilationskraft erhalten.

Das Jiddische wurde allerdings weniger durch Assimilation (in Europa) als vielmehr durch die nahzu vollständige Auslöschung des europäischen Judentums in arge Mitleidenschaft gezogen.
 
hyokkose schrieb:
Nun, damals befand sich die französischsprechende Bevölkerung in einer schlechteren Position, die zumindest in Lothringen einen bedeutenden Anteil der Gesamtbevölkerung ausmachte.
Um die Sache nicht gar zu einäugig zu betrachten, wäre der Hinweis angebracht, daß sich auch die deutschsprechende Bevölkerung im "Reichsland" als Bürger zweiter Klasse behandelt sah. (Was nichts daran ändert, daß sie um so ernüchterndere Erfahrungen machen mußte, als sie nach dem 1. Weltkrieg wieder "heim" nach Frankreich geholt wurde.)
In Lothringen lebte damals in der Tat eine bedeutende französische Minderheit, besonders in der Stadt und im Landkreis Metz, wo sie die absolute Mehrheit stellte. Insgesamt lebten 1914 etwa 210 000 französische Reichsbürger in Deutschland, wovon der überwiegende Teil auf Lothringen entfiel. Das Elsass war bis auf einen kleinen Streifen in den Nordvogesen gänzlich deutsch. Insgesamt lebten in Elsass-Lothringen damals circa 1,8 Millionen Menschen. Die französische Bevölkerung belief sich also auf 12%.

http://www.coletta.de/kolonien/Die%20deutschen%20Staemme%20und%20Dialekte%20xxl.jpg

http://echo.funpic.de/webpages/Mundart_Alemannisch-Schaebisch_.jpg

(Aus den Karten, die die Völker in ihrer Verbreitung um 1910 darstellen, dürfte dies ebenso hervorgehen.)

Die Menschen in Elsass-Lothringen fühlten sich selbstverständlich lange als Bürger zweiter Klasse. Man muss sich nur vor Augen führen, dass erst im Jahre 1911 das Elsass den übrigen deutschen Bundesstaaten gleichgestellt wurde eine eigene Verfassung, ein eigenes, freigewähltes Parlament, eine eigene Fahne und drei Vertreter im deutschen Bundesrat erhielt und das in einem Gebiet das 1871 keineswegs ein Teil des neugegründeteten Deutschen Reiches werden wollte. Nichtsdestotrotz führte der wirtschaftliche Aufschwung den Elsass-Lothringen im Reich erfuhr wohl dazu, dass sich die Menschen mit Deutschland arrangierten und der politische Separatismus keinen Fuß fassen konnte. Vielfach bekannten sich die im Deutschen Reich geborenen Elsässer ein Leben lang als Deutsche; prominentes Beispiel hierfür wäre Albert Schweitzer.
 
Regiomontanus schrieb:
...
Vielfach bekannten sich die im Deutschen Reich geborenen Elsässer ein Leben lang als Deutsche; prominentes Beispiel hierfür wäre Albert Schweitzer.
Das ist mir neu. Woraus schließt du das, gibt es da ein Bekenntnis Albert Schweitzers? Seine Biografie deutet nicht daruaf hin.
 
hyokkose schrieb:
Im übrigen sehe ich nicht, was am Aussterben der elsässischen Mundart in Frankreich betrüblicher sein sollte als am Aussterben der friesischen Sprache in Deutschland. Warum nicht mal vor der eigenen Haustür kehren und die "Zerstörung der friesischen Kultur" anprangern?
In den Niederlanden kann man Friesisch als wahlfach in der schule nehmen. Und die Friesen haben, oder hatten, sogar einen eigenen ausweis neben dem Niederländischen. Obendrein müssen beambte im öffentlichen dienst, in Friesland, der Friesischen sprache mächtig sein.
Fryslán boppe.
 
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Das ist interessant, aber was hat das mit dem Aussterben des Friesischen in Deutschland zu tun?
 
hyokkose schrieb:
Das ist interessant, aber was hat das mit dem Aussterben des Friesischen in Deutschland zu tun?
An sich nichts. Es fiel mir nur so ein als die Friesen in Deutschland erwähnt wurden. Vielleicht tun die West Friesen mehr für den erhalt ihrer sprache und kultur weil sie ne eigenständige provinz sind mit nem gewissen grad an autonomie. Ich weiss nicht wie das in Deutschland aussieht. Sind die bundesländer auch noch mal in sowas wie provinzen unterteilt?
 
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Was glaubt ihr ist die Ursache für dieses Bestehen zwischen zwei Staaten? Wo fängt diese Zerrissenheit an und was hatten die Bewohner deshalb zu durchleiden?
Diese "Zerrissenheit" ist herbeigeschrieben worden.

In Wirklichkeit waren die Elsässer im 17. Jhd. Deutsche und fühlten auch so. Das geht aus zeitgenössischen Publikationen hervor. Es stimmt auch nicht, dass es damals nur regionale Identitäten gab und (noch) keine nationalen. Nach der französischen Okkupation gab es deshalb viele lokale Aufstände, die aber ohne Hilfe aus dem Reich oder von Habsburg vergeblich waren und die heute totgeschwiegen werden.

Dass die Umerziehung später erfolgreich war, ist ein anderes Kapitel. Vielleicht sollte man auch das in den deutschen Medien so hochgejubelte System der staatlichen Kinderbetreuung in Frankreich vor diesem Hintergrund einmal kritisch betrachten.

In Deutschland schützt man dagegen (heute) die Dänen, die Sorben und die Friesen. Wenn die freiwillig hochdeutsch sprechen, ist das ihre Entscheidung, aber ihre traditionelle Sprache wird respektiert.

Viel kritischer als die Sprachenfrage im Elsass sehe ich die in der Bretagne. Dort spricht kaum noch jemand richtig keltisch. Und wenn doch, so handelt es sich um alte Leute. Die paar tausend sogenannten "Sprachenthusiasten", die das freiwillig lernen, sind auf verlorenem Posten.
 
In Wirklichkeit waren die Elsässer im 17. Jhd. Deutsche und fühlten auch so. Das geht aus zeitgenössischen Publikationen hervor.

Kannst Du mal das eine oder andere Beispiel benennen?


Nach der französischen Okkupation gab es deshalb viele lokale Aufstände, die aber ohne Hilfe aus dem Reich oder von Habsburg vergeblich waren und die heute totgeschwiegen werden.

Ein paar Beispiele wären auch hier nicht schlecht: Jahr, Ort und Anlaß des Aufstands.


Dass die Umerziehung später erfolgreich war, ist ein anderes Kapitel. Vielleicht sollte man auch das in den deutschen Medien so hochgejubelte System der staatlichen Kinderbetreuung in Frankreich vor diesem Hintergrund einmal kritisch betrachten.

Gab es das System der staatlichen Kinderbetreuung schon vor 1870?
 
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