Wenn ich mich nicht falsch erinnere, erfolgte die Ermordung überhastet weil sich antibolschewistische Kräfte (Die Tschechen?) dem Ort der Gefangenhaltung näherten.
Richtig. Ursprünglich hatte man sie nach Perm gebracht, da es eine Bolschewistische Hochburg war, relativ weit weg von einer Front. Perm lag dabei nördlich der Provinz, in der die Tschechische Legion agiert hat und so rückte die Wahrscheinlichkeit einer Befreiung durchaus in eine realistische Nähe, so die Darstellung bei Pipes.
The Russian Revolution - Richard Pipes - Google Books
Eine ausführliche Schilderung des Bürgerkriegs findet sich beispielsweise bei Mawsdley
The Russian Civil War - Evan Mawdsley - Google Books
Sonst hätte man wohl irgend eine Art des "Prozesses" durchgeführt und vielleicht die Kinder ausgespart (ist reine Spekulation, ich weiss, aber die Bolschewiken liebten es in der Regel, alles möglichst förmlich zu halten).
Die Idee eines Prozesses war ursprünglich wohl von Trotzki präferiert worden. Es hätte sich wohl auch ausreichend Material finden können (vgl. den Hinweis auf den "Blutsonntag" etc.).
Lenin war wohl eher an einer "schnelleren" Lösung des Problem interessiert, da er nicht die Gefahr laufen wollte, den "Weißen" den Bannerträger zu liefern. "It can be established that the final decision to "liquidate" the Romanovs" was taken personally by Lenin, most likely at the beginning of July." (Pipes: The Russian Revolution). Er beruft sich dabei auf die Darstellung der Abläufe auch auf die Darstellung von Trotzki aus den 30er Jahren.
Auf die angespannte Situation im Rahmen des Bürgerkriegs 1918 wurde bereits hingewiesen und es war durchaus nicht sicher, dass sich die Bolschewiken in diesem Konflikt durchsetzen konnten. Neben den "weißen Armeen" waren weitere "grüne Armeen" aktiv im Bürgerkrieg/Krieg beteiligt (USA, Japan beispielsweise in Fernost)
Russian Sideshow: America's Undeclared War, 1918û1920 - Robert L. Willett - Google Books
Lenin "testete" über eine Reihe von Meldungen in der sowjetischen Presse, welche Reaktionen in Russland und im Ausland auf ein "Verschwinden" des Zaren zu verzeichnen waren". Und Pipes kommt zu dem Schluss, dass es wenige Reaktionen auf den Zaren und sein Schicksal sowohl im Inland wie auch im Ausland gab.
Vor diesem Hintergrund verstärkte sich wohl die Bereitschaft von Lenin, den Zaren und die weiteren "Romanovs" erschießen zu lassen.
Militärisch und im Sinne der Revolution, war dieser Akt jedoch in der Tat sinnvoll, (Achtung, keine Rechtefertigung, nur ein Erklärungsversuch) da es die Weissen auf einen Schlag der einzigen Authoritätsfigur beraubte, die sie hätte einigen können, so wie der meisten anderen Personen, die zumindest formell einer Restauration als Oberhaupt gedient haben könnten.
Ohne Zar und ohne direkte Nachkommen, waren die Weissen jedoch heillos zersplittert und verloren zudem schnell an Zugkraft. Vielleicht nicht nur aus diesem Grund, vermutlich jedoch auch deshalb.
Das ist analytisch völlig korrekt! Und es ist m.E. völlig überflüssig, sofern man Gedankengänge beschreibt bzw. rekonstruiert, die die damalige bolschewistische Führung mit hoher Wahrscheinlichkeit angestellt hat, sich gleich für etwas zu entschuldigen, was einen Teil des wissenschaftlichen Denkens bildet und Diskurses. Diese Form der "Schere im Kopf" wird in Diktaturen erwartet, in einer Demokratie ist sie sicherlich falsch am Platze.
Und erkenntnistheoretisch liegt diese Form der historischen Sichtweise voll auf der Linie eines Max Webers.
Das fasst einer der bedeutendsten historischen Soziologen folgendermaßen zusammen: "We must not excuse or relativize this but seek to understand it."
Fascists - Michael Mann - Google Books