Ich glaube, ich schreibe den Post nochmal und eröffne damit einen neuen Thread. Denn du verstehst misch da in großen Teilen falsch.
Aber schon mal kürzer:
Es ist z.B. nicht die Frage, ob Sagen Rückschlüsse zulassen, sondern welche und wozu. Und auch, welcher Typ Sage vorliegt ist wichtig.
Die Rolandssage hat natürlich einen historischen Hintergrund, wie auch ein Großteil der Nibelungensage. Doch wäre über Karls Unternehmungen auf der iberischen Halbinsel sonst nichts überliefert, könnten wir daraus keinerlei Schlüsse ziehen. Wir können ihr für das aktuelle Ereignis nur entnehmen, was wir aus anderen Quellen kennen. Wir wissen einfach nicht, was an einer Sage schon verändert ist. In der Dietrichsepik ist Ermanrich sein Gegner, im Hildebrandslied noch Odoaker. Aus der Historie wissen wir, dass Odoaker korrekt ist.
Etwas anderes sind Berichte über Bräuche, Gewohnheiten, Zustände. Bei ihnen ist aber die Frage, welcher Zeit sie zuzurechnen sind. Die Ritter und Knechte des Nibelungenlieds haben nichts mit der Entstehungszeit der Sage zu tun, sondern mit der Entstehungszeit des Liedes. Aus dem Hildebrandslied wissen wir, dass die Verbindung von Dietrich mit Ermanrich nichts mit dem Selbstverständnis der Ostgoten zu tun hatte, wie schon mal gemutmaßt wurde, da dort eben noch Odoaker erwähnt ist. In der Ilias werden teils Dinge beschrieben, die eher für die archaische Zeit zutreffen, teils aber auch Dinge, die es tatsächlich in der mykenischen Kultur gab (Eberzahnhelme). Manches ist auch hier nur durch andere Quellen zuzuordnen, aber vieles kann doch mit strukturalistischen Erwägungen zugeordnet werden. Zudem ergeben sich hier Aussagemöglichkeiten, die andere Quellen nicht bieten.
Sagen zur Namenserklärung und Sagen mit Herkunftsbeschreibungen können in verschiedene Typen eingeteilt werden. Schon da zeigt sich oft, ob aus einer Sage mehr als das Selbstverständnis der Zeit der Erzähler herauszulesen ist. Die Erwähnung von Völkerverwandtschaften über Personen wie in der Bibel, der Mannus-Sage und der erwähnten Polnischen Sage geschehen regelmäßig über Nachbarschaft, Pseudoethymologien oder auch eingebildeter oder tatsächlicher Ähnlichkeiten, z.B. in der Sprache. Bei letzterem ist natürlich wieder zu bedenken, dass die Kenntnis von Sprachfamilien erst aus der Zeit um 1800 stammt. Die Geschichte der wissenschaftlichen Sprachforschung, bei der man lange aus der Zahl an Unterschieden berechnen wollte, wann sich ein Volk vom Anderen (und nicht etwa eine Sprache von der Anderen!) getrennt hat, dürfte endgültig zeigen, wie untauglich Sagen, die aufgrund zufälliger Ähnlichkeiten entstanden, sind, um Aussagen über eine ferne Vergangenheit zu gewinnen.
Die Sache mit dem relevanter hätte ich deutlicher Beschreiben müssen. Es gibt Sagen, Bräuche, Traditionen und Tabus, die bei verschiedensten Ethnien ohne erkennbaren Zusammenhang wiederkehren. Der Strukturalismus geht nun davon aus, dass es eben Verhaltensweisen gibt, die dem Menschen näher liegen als andere und sich dadurch eben häufiger finden, ohne dass es einen Zusammenhang geben muss. Im Prinzip ist das ja auch für die Theorie von der Ethnogenese grundlegend. Und wie meiner Ansicht nach bei der Ethnogenese braucht es auch beim Strukturalismus insgesamt Augenmaß und Vorsicht. Nun berichten Sagen von Handlungsweisen, die wir mit unserem heutigen westeuropäisch-christlichem Hintergrund als äußerst unwahrscheinlich betrachten. Doch können solche Handlungsweisen mitunter durch den Strukturalismus als wahrscheinlicher aufgezeigt werden, als angenommen. Dabei ist natürlich zu unterscheiden, ob nur die entsprechenden Schilderungen häufig auftreten oder tatsächlich eine solche Handlung oder ein solcher Brauch glaubhaft gemacht werden können. Oft als Topos abgetan wurde z.B. die Erziehung von Königssöhnen durch Hirten, für die schon die antiken Sagen vielfältige Erklärungen suchten. Es gibt aber eine Reihe von Völkern, bei denen dies aufgrund der Wichtigkeit des Viehbesitzes nicht ungewöhnlich erscheint, sondern einfach so, wie die Frankenkönige ihre Söhne bei Grafen (oder offiziell als Grafen, aber sicher erst einmal unter Anleitung) die Verwaltung kennen lernen ließen. Wenn nun geklärt werden kann, ob ein später Topos oder eine alte Tradition vorliegt, kann evt. eine Aussage zur Wirtschaft getroffen werden.
In diesem Zusammenhang meinte ich mit relevanter, dass es auch Schilderungen von Ethnogenese gibt, die eben solchen Strukturen folgen, zudem später nicht mehr verstanden wurden und daher nicht verändert werden konnten.
Dabei gibt es zwei Probleme. Einerseits ist zu schauen, ob sich daraus ein Topos gebildet hat. Andererseits wurden Sagen an der Grenze der Überlieferung auch schon mal in die Geschichtsschreibung aufgenommen und ein unverstandener Brauch kann dann als etwas völlig anderes erscheinen. Darauf bezog ich mich in dem fraglichen letzten Satz.
Wenn nun immer die Topos-Frage gestellt werden muss, was ist dann gewonnen? Dank der Literaturgeschichte sind diese Fragen oft einfach zu beantworten und eine vergleichsweise junge Sage wie die römische Gründungssage, die viele ältere Elemente aufnimmt, was teils gut zu beobachten ist, ist eben ein recht untaugliches Objekt. Oft ist auch der Ursprung eines Topos festzustellen. Interessant ist es, wenn eine Schilderung in einen Zeitraum passt, aber nicht davor oder danach verortet werden kann, also unabhängig von der Literaturgeschichte glaubhaft gemacht werden kann, dass nicht einfach ein Topos vorliegt.
Damit es nicht zu lang wird, folgt ein weiterer Post mit einem Beispiel.