Zu Beginn unserer Diskussionsrunde erwähnte ich explizid keine Lagernamen (z.B. Anreppen). Ich wählte stattdessen "Paderborn". Gemeint sind dabei die Großräume. Im Raum Paderborn muss sich aus logistischen Gründen auch während der Varuszeit ein dauerhaftes Lager an der Lippe befunden haben.
Gibt es eine Alternative als "Logistikzentrum" zur Zeit der Varus-Kriege? Vielleicht Schloss Neuhaus???
Es gibt kein weiteres bekanntes Lager im Raum Paderborn. In Anreppen ist das Schlussdatum unbekannt, Kampfspuren fehlen. Im Raum Paderborn also im Rahmen der Lagerschlachttheorie das Quartier des Varus zu suchen (ignorierend, dass Tacitus von einem ersten, großen, intakten Lager berichtet und einem uninspiriertem halbfertigen letzten), das ist reine Phantasie, die durch keinerlei Fakten gedeckt wird.
Wenn dem so ist, muss sich das Schlachtfeld Idistaviso auch in der Gegend befinden. Dann müsste aber ganz Germanien östlich des Rheins in Aufruhe gewesen sein.
Hier scheinst du die Feldzüge der Jahre 15 und 16 mit einander zu vermischen.
Idistaviso fand im Jahr 16 statt, die Schlacht an den
pontes longi im Jahr 15.
Der Feldzug des Jahres 15:
X = Vetera (Xanten); H = Haltern; G = Greven; R = Rheine, L = Lingen; K = Kalkriese
Der Treffpunkt und Verabschiedungspunkt von Caecina und Germanicus ist unbekannt, da die Ems bis Greven schiffbar war, ist dies der weiteste Punkt flussaufwärts. Bei Rheine lag eine wichtige Furt. Römerlager an der Ems sind bisher aber nicht bekannt. Daher haben wir hier nur die schriftliche Überlieferung.
Die Feldzüge des Jahres 16:
Als HQ ist das Lager in Nijmwegen zu weit entfernt von der Frontlinie. Varus (Persönlich) befand sich zumindest in den Sommermonaten in Nähe der Hauptkampflinie.
Wir reden hier doch nicht über den Ersten und Zweiten Weltkrieg mit Fronten. Die hatten damals noch keine Schützengräben...
Der Raum Paderborn scheint aus meiner Sicht am wahrscheinlichsten, da Varus dort alle Angenehmlichkeiten des täglichen Lebens genießen konnte (Logistikzentrum) und römisches Recht sprechen konnte.
Das basiert auf der Darstellung des unzuverlässigen Florus, wonach Varus im Lager Recht gesprochen habe, als er überfallen wurde. Anreppen hat große
horrea, Varus Anwesenheit in Haltern (via der 19. Legion) ist belegt. In Haltern gibt es auch entsprechende repräsentative Gebäude (dies auch der Grund, warum der LWL Haltern für Aliso hält (ich auch, nur nicht mit der Sicherheit, wie der LWL). Du ignorierst nach wie vor, dass Tacitus von Marschlagern redet: ein erstes Lager, dass die Hand dreier Legionen aufweise, ein letztes, mit niedrigem Wall, in dem die Reste der Legionen lagen, man muss schon wegen der Formulierung erstes und letztes Lager annehmen, dass mindestens ein Lager dazwischen lag. Das enstpräche der viertägigen Marschschlacht, die Cassius Dio beschreibt, den ich sonst für unglaubwürdig halte.
Man sollte die antiken Quellen nicht einfach so kritiklos hinnehmen.
Das macht niemand. Nur ist es unlauter, die Quellen einfach zu negieren, um dann - abseits der Quellen - einen eigenen Inhalt zu erfinden. Für die Römer sinnvoll war erst einmal, die Versorgung der Legionen sicher zu stellen.
Du musst auch bedenken: Die Römer schrieben nicht für Deutsche im Jahr 2020, sondern für Römer. Etwas zu behaupten, was abwegig gewesen wäre, hätte einen Tacitus (der sich bei dem Militär Plinius bediente) oder einen Velleius (der Militär war) unglaubwürdig gemacht. Geh mal davon aus, dass Plinius und Velleius mehr über das Funktionieren des römischen Militärs wussten, als Schreibtischstrategen des Jahres 2020.
Oben in der zweiten Karte hast du im Übrigen ein Bsp. für einen kritischen Umgang mit Tacitus: Der überlieferte Tacitus-Text gibt, dass die Angrivarier im Rücken des Germanicus einen Aufstand probten. Das passt nicht. Passen würde Ampsivarier. Offenbar ein Fehler. Ob dieser Fehler bereits Tacitus unterlief oder einem Kopisten, ist unklar.
Sicherlich gibt es viele Übereinstimmungen der antiken Quellen weil diese voneinander abgeschrieben haben könnten und sich somit gegenseitig bestätigt haben.
Das stimmt sehr häufig, aber im Falle der Varusschlacht ist das nicht der Fall. Da sind die überlieferten Quellen weitgehend aus verschiedenen Traditionen. Tacitus fusst auf Plinius und Aufidius Bassus, die beide nicht überliefert sind, Sueton scheint sich bei Tacitus bedient zu haben, ist aber keine der Hauptquellen zur Varusschlacht. Die ausführlichste Darstellung, Cassius Dio, die weitgehend unglaubwürdig ist, bietet jede Menge Eigengut. Tacitus beschreibt eigentlich gar nicht die Varussschlacht, sondern die Begehung des Schlachtfeldes duch Germanicus, wobei diesem an verschiedenen Stellen offenbar von Überlebenden der Varusschlacht Dinge gezeigt wurden bzw. er selber die menschlichen und dinglichen Überreste in Augenschein nehmen konnte.