Repo schrieb:
Ja. nur würde ich das "Zügel in die Hand bekommen" lange vorher ansetzen, so ca. 1900.
Wie Gandolf richtig schreibt, die Haldane Vorschläge, die muss man doch einfach annehmen. Sowieso nach den Marokkokrisen, man musste den "Schwanz einziehen" weil sich England auf die Seite Frankreichs stellte.
Aber es geht weiter, die Seektsche Reichswehr, das ist doch auch nichts anderes, die haben sich aus allem rausgehalten, weil es mit 100000 Männchen nicht anders ging, haben auf "bessere" Zeiten gewartet, die dann auch kamen.
Die Dolchstoßlegende, ja sogar noch die Generals-Memoiren der 50er Jahre mit ihren "Verlorenen Siegen". Die Karre voll in den Dreck fahren und dann sind andere schuld...
Das meinten die Alliierten mit dem "preußischen Militarismus", und damit hatten sie recht. Das große Verhängnis des 20. Jahrhunderts für ganz Europa.
Grüße Repo
Die Deutsche Reichsverfassung von 1871 sah eine Trennung von Zivil- und von Militärverwaltung vor und ab erklärter Kriegsgefahr unterstand die Zivilverwaltung inklusive Kanzler dem Militär. Es war die Aufgabe des Kaisers die Politik zwischen Regierung und Generalstab zu koordinieren. So gesehen war das Reich als Militärstaat organisiert. Die damals Verantwortlichen, inklusive Bismarck, hielten diese Struktur für angemessen und notwendig. Ihrer Vorstellung nach konnte das Land in der Mitte Europas nur dann überleben, wenn das Militär die Zügel in der Hand behielt und die fachfremde, unkundige Politik sich aus dem Kriegshandwerk und dem Militärwesen heraushielt.
Der machtbewusste Reichskanzler Bismarck mischte sich in alle Bereiche der Politik ein. Faktisch trug er die Gesamtverantwortung für die Reichspolitik. Wenn ihm die Militärplanung nicht passte oder seiner Außenpolitik in die Quere kam, hat er sich sehr kritisch über diese geäußert. Aufgrund seiner Autorität, aber auch aufgrund seiner diplomatischen Fähigkeiten, die weder vor Schmeicheleien noch vor dreisten Drohungen noch vor Rücktrittsdrohungen halt machte, konnte er sich häufig durchsetzen. Am Ende seiner Amtszeit stand eine Bündnispolitik, der die Friedenserhaltung wichtiger war, als die Kriegsführung. Doch freilich wurde die Verfassung diesem Ergebnis Bismarckscher Politik (Priorität politischer Ziele) nicht angepasst.
Unter Wilhelm II. kam dann die Wende. Er war nicht bereit, die Gesamtverantwortung an einen fähigen Kanzler zu delegieren und er selber war leider nicht in der Lage, diese Verantwortung auszufüllen. So fiel die kaiserliche Kontroll- und Koordinierungsfunktion schlicht und ergreifend aus - mit fatalen Folgen für die Politik und das Militär: die linke Hand wusste nicht, was die rechte Hand tat. Das Militär igelte sich gedanklich ein, verdrängte (mangels Kontrolle) die Realitäten, der Einfluss der Kanzler auf das Militär schwand und auch die Regierung entwickelte keinen Sinn für die Realitäten (wie auch?).
Interessant ist zum Beispiel, dass Moltke der Jüngere Zweifel an der Vorstellung vom kurzen Krieg hatte, die nach außen hin mit dem offensiven Schliefenplan genährt wurde. Er beurteilte den Schliefenplan skeptisch und rechnete mit einem lang andauernden Volkskrieg. Zugleich aber unternahm er recht wenig, um die Armee auf diesen Krieg vorzubereiten. Er rechnete für diesen Fall mit dem massiven Widerstand des preußischen Kriegsministeriums, welches die Armee vor parlamentarischen und sozialistischen Einflüssen bewahren wollte. Dieser Widerstand wäre aber zu überwinden gewesen, wenn er sich hätte dazu entschliessen können, die militärische Lage in aller Offenheit mit dem Kanzler und dem Kriegsministerium zu erörtern. Doch dem stand entgegen, dass der Generalstab die gesamte Kriegsführung zur ausschließlichen Domäne seines eigenen Denkens und Handelns gemacht hatte. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, weshalb sich Moltke in der Julikrise 1914 für das "je eher, desto besser" entschied, bei all den Zweifeln, die er am Erfolg der deutschen Planung hatte.
Die veränderte Natur des Krieges erforderte schon lange vor 1914 die Überwindung der Ressortgrenzen. Der Schliefenplan zum Beispiel ging von einem raschen Aufmarsch der deutschen Truppen aus, der mittels der Eisenbahn erfolgen sollte. Dieser Aufmarsch setzte voraus, dass am Tage X eine bestimmte Anzahl von Eisenbahnen und Waggons zur Verfügung stand. Im Generalstab kümmerte sich mangels Zuständigkeit niemand um deren ausreichende Beschaffung. Für die Beschaffung von Eisenbahnen und Waggons waren andere Stellen zuständig, diese kannten aber die militärische Planungen (insbesondere die benötigten Zahlen) nicht. Also haben diese Stellen die benötigten Eisenbahnen und Waggons auch nicht beschafft. Es war - glaube ich - General Groener, der diese Problematik rein zufällig erkannte und sich in einem nervenaufreibenden Kleinkrieg darum kümmerte, dass die deutsche Großoffensive nicht schon auf dem deutschen Eisenbahnnetz zum Erliegen kam. Freilich wäre es für Deutschland und Europa besser gewesen, wenn diese Peinlichkeit den Krieg schon im August 1918 beendet hätte. Wie mein Beispiel zeigen sollte, war schon die Überwindung der Ressortgrenzen mangels Kommunikation zwischen politischer und militärischer Führung äusserst schwierig.
Auch innerhalb des Zweibundes gab es vor 1914 keine Gesamtkriegsplanung. Man erstellte keinen Plan, der die Kräfte des Zweibundes auf allen zu erwartenden Fronten ausreichend verteilt hätte. Stattdessen verfolgte der deutsche Generalstab auch mit dem zu Gunsten der Ostfront abgeänderten Schliefenplan im Westen einen - nach Moltkes Auffassung - zweifelhaften Offensivplan, der im Osten die Österreicher im Stich ließ und das Risiko eines Fronteinbruchs in Kauf nahm.
Dafür aber vereinbarten die Generalstabchefs des Zweibundes, dass der Zeitpunkt der österreichischen Generalmobilmachung auch der Zeitpunkt der deutschen sein soll. Aus der Sicht des Schliefenplans war dieser Zusammenhang logisch. ABER der defensive Zweibund wurde durch diese Abrede faktisch zu einem aggresiven Bündnis. Bismarck ging dieses Bündnis ein, um Österreich-Ungarn Sicherheit vor einem russischen Angriff zu geben, also um den Frieden zu erhalten und nicht um einen Krieg zu führen. Nun wurde dieses Bündnis - von den Militärs - in ein Bündnis umfunktioniert, welches koordiniert in den Krieg zu ziehen hatte mit der fatalen Folge für die Politik, dass künftig die in worst-case-Kategorien denkenden Militärs über den Kriegszeitpunkt bestimmten und nicht die Regierung und dass die Entschiedung über Krieg und Frieden unabhägig von der Frage fiel, ob die Regierung noch die Chance einer friedlichen Konfliktbeilegung sehen wird.