thanepower
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Die Haltung Frankreichs in den zwanziger und dreißiger Jahren wurde sehr stark durch eine Reihe von Fakten determiniert und reduzierte den kollektiven Handlungsspielraum der Regierungen der 3. Republik nach 1918 und hat zu einer teilweisen Neubewertung der Außenpolitik in den 30er Jahren durch aktuellere Studien geführt [5, S. 173]
Frankreich hatte im WW1 mit 17 % einen der höchsten Mobilisierungsgrade bei der männlichen Bevölkerung und bei den Musterungsjahrgängen zwischen 1905 und 1915 sind zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung durch den Krieg ausgefallen [vgl. Statistiken 6, S. 11ff]. Die demographische Entwicklung stellte Frankreich unmittelbar und auch perspektivisch vor gravierende demografische Probleme, auf die die Politik im Rahmen seiner Strategie zur Sicherung Frankreichs gegenüber vor allem dem Deutschen Reich einzugehen hatte. [2, S. 164ff]
Weitere Aspekte, die sich auf den militärpolitischen Diskussionsprozess nach 1918 ausgewirkt haben, waren die starke Bedeutung der Landwirtschaft, eine eher mittelständische Industrie mit Defiziten in der Massenproduktion („Economies of Scale“), Industriezentren, die im Nord-Osten Frankreichs grenznah lagen, ein im europäischen Vergleich – bis 1936 – und vor allem im Vergleich zur Weimarer Republik, ein eher unterentwickelter Sozialstaat und eine extreme politische Fragmentierung zwischen den politischen Polen, den moskauorientierten Kommunisten und den italophilen Faschisten der „Action francais“ etc. (vgl. 14, 112 ff).
Die Periode nach 1933 verschärfte dabei den politischen Konflikt – ähnlich wie im DR – ausgehend von der Weltwirtschaftskrise. Sie wirkte sich in Frankreich wirtschaftlich zwar nicht so gravierend aus wie im DR, dennoch verschlechterte sich die materielle Situation der Arbeiterschaft deutlich und schuf die Grundlage für einen wirtschaftspolitischen Konflikt auf der Basis von realen sozialen Mißständen in Kombination mit einer von links und rechts betriebenen ideologischen Überhöhung der Gegnerschaft. Dieser Konflikt gipfelte in dem Versuch der französischen Faschisten am 6. Februar 1934 einen Putsch in Paris zu inszenieren, der aufgrund mangelhafter populärer Verankerung in der Bevölkerung erfolglos blieb [4, S. 1ff].
Die Bildung einer „Volksfront“ in Frankreich ist somit einerseits – wie kurz dargestellt - innenpolitisch, aber andererseits auch zusätzlich durch die außenpolitische Bedrohung durch Italien, Deutschland und natürlich auch durch Japan zu interpretieren. Die gemeinsame Zielsetzung war der Kampf gegen den sich ausbreitenden Faschismus und der daraus resultierenden Gefahr für die demokratischen Werte der 3. Republik [8, 11].
Vor diesem Hintergrund soll die Situation in der 3. Republik für die Diplomatiegeschichte, die innenpolitische Situation und die militärstrategische Sicht beleuchtet werden. Auch, weil die entsprechenden Beiträge auf Wiki nicht mehr aktuell sind und die Gefahr einer „retrospektivischen Vereinfachung“ [3, S. 281] zu berücksichtigen ist.
Die Voraussetzungen für die außenpolitische Strategie Frankreich haben sich zwischen dem Sommer 1938 („München“) und dem Sommer 1939 („Kriegsbeginn“) nicht grundsätzlich geändert, allerdings hat sich die Bewertung in dieser Periode in der französischen Regierung diametral gewandelt {3, S. 281].
Die französische Regierung, so Azema, hat seit 1919 konstant ein doppeltes Ziel bei der Außenpolitik verfolgt, die auf die Erhaltung des Friedens und auf die territoriale Integrität von Frankreich abzielte. Aber bereits bei dieser grundsätzlichen Zielsetzung waren zwei grundsätzliche Denkschulen relevant. Die eine Gruppe wollte einen ausgehandelten Revisionismus im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems akzeptieren, während die andere aus der Position der Stärke ein „Containment“ des DR erreichen wollte und dazu Bündnispartner im Osten suchte. Das „System von Locarno“ von Briand entsprach bis Anfang der dreißiger Jahre diesem französischen „Sicherheitsbedürfnis“ optimal [3, S. 281-282].
Die politischen Veränderungen, aber spätestens die Besetzung des Rheinlands machte deutlich, dass dieses System nicht mehr griff und führte dazu, dass die französische Außenpolitik zwischen den Extremen hin und her schwankte, Hitler einzudämmen oder ihn politisch in ein neues europäisches Sicherheitssystem einzubinden, also ihn zu „appeasen“. Dabei passte sich Daladier vor München – auf Druck – Chamberlain an, dem Daladier am 25. September 1938 erklärt hatte, dass die Forderungen von Hitler nicht akzeptabel sein. [13, S. 220]
Dabei warf die neutrale Haltung, die die Volksfront-Regierung unter Blum in spanischen Bürgerkrieg eingenommen hatte, ihren Schatten auf die Bewertung der „Sudetenkrise“. Die Nichteinmischung in Spanien 1936 wurde von Teilen der französischen Öffentlichkeit als Kriterium für die folgenden Konflikte herangezogen und die Frage aufgeworfen, warum man sich im Osten engagieren sollte, wenn man sich für Spanien nicht engagiert hatte. [11, S. 280]
Das Dilemma der französischen Außenpolitik bestand dabei im wesentlichen darin, dass eine offensive Bündnisstrategie, auch im Osten, mit einer defensiven Militärstrategie kombiniert wurde und dieses Problem wurde durch die „Sudetenkrise“ in 1938 in Kombination mit dem „Münchner-Abkommen“ und dann durch das Bündnis mit Polen und dem „Sitzkrieg“ deutlich gemacht [3, S. 282-283]. Zudem wardie Situation aus französischer Sicht deutlich dramtischer. „Entgegen der allgemein anerkannten Vorstellung schloss Daladier das Risiko eines Krieges nicht aus, sondern faßte es in der Zeit vom 23. Bis zum 28 September [Anmerkung tp: 1938] ins Auge.“[5, S. 180] Und zusätzlich hatte Daladier ausgeführt:“Wenn ich 3000 oder 4000 Flugzeuge gehabt hätte, hätte es „München“ nicht gegeben.“ [5, S. 186]
In der Phase nach dem „Münchner Abkommen“ akzentuierten sich drei außenpolitische Lager in Frankreich. Die erste Gruppe, die „östlich orientierten Realisten“ setzten auf eine Erneuerung der französich-russischen Zusammenarbeit von 1914. Und wollten durch die Drohung eines Zweifrontenkrieges Hitler von einem Angriff auf einen seiner Nachbarn abhalten. Ihr politischer Einfluss in Paris nahm in 1939 tendenziell eher ab. Die zweite Gruppe, zu der Daladier und Leger gehörten, kann als „pro-München-wider-Willen“ beschrieben werden und setzte auf einen Zeitgewinn für die eigene französische und britische Aufrüstung. Die dritte Gruppe , getragen von AM Bonne, teilte aus ideologischer Überzeugung die Strategie Chamberlains und sah in Hitler das „Instrument“, einen „Cordon sanitaire“ gegen den Bolschewismus zu errichten. Diese Politik wurde von den „Rechten“, Monarchisten und von Teilen der „Radikalen“ (linksliberale kleinbürgerliche Partei, zu der Bonnet und Daladier gehörten) bis in den Oktober 1938 mit getragen.
Der Parteikongress der „Radikalen“ – Partei brachte im Oktober 1938 in Marseille die Neuausrichtung der außenpolitischen Koordinaten [5, S.181-185]. Die parteipolitische Linie schwenkte auf die Vorstellung ein, dass im Osten die Verbindung zur Sowjetunion gesucht werden sollte und mit GB ein festes Bündnis eingegangen werden sollte [5, S. 183].
Im März 1939 macht Daladier die Neuausrichtung im Rahmen einer Radioansprache deutlich und Ende März 1939 schwenkte die französische Regierung auch nach Außen, positiv begleitet von der französischen Öffentlichkeit auf eine harte anti-München-Haltung um[3, 285]. Innenpolitisch ergab sich die Kräfteverschiebung dadurch, dass sich die „östlichen Realisten“ und die „auf-Zeitspieler“ annäherten und die überzeugten „Münchner“ , vor allem Bonnet, innenpolitisch und parteipolitisch zunehmend isoliert wurde. [3, S. 286]
Die veränderte außenpolitische Sichtweise führte ab April dazu, dass sich die französische Diplomatie aus der Dominanz der britischen löste [9, S. 103] und einerseits kooperierte und andererseits in einer einseitigen Konfrontation sich gegen Hitler stellte, wie beispielsweise bei der Drohung, eine einseitige Garantie für Rumänien auszusprechen die dann aber in einer gemeinsamen französisch-britischen Garantie einmündete.
Den deutlichsten Konflikt in 1939 ergab die unterschiedliche Position zur UdSSR. Mitte Mai 1939 drängte der Quai d`Osay (fr. Außenministerium) die Briten dazu, Moskau ein deutliches Hilfeversprechen zu geben, sofern sie durch das 3. Reich angegriffen werden würden und Halifax machte gegenüber Daladier deutlich, dass die konservativen Kreise in GB eher ein Bündnis mit Polen und nicht mit der UdSSR suchen würden [3, S. 290].
Die unterschiedliche diplomatischen Sichten kamen bei den militärischen Gesprächen in Moskau deutlich zum tragen. Der französiche General Doumenc hatte das Vertrauen von Daladier und eine entsprechende Handlungsvollmacht, zu einem – ehrlichen – Vertragsabschluss mit den Russen zu kommen. Ähnliches kann man von dem englischen Vertreter in Bezug auf Chamberlain nicht sagen [3, S. 290-291]. Daladier erhoffte sich von der Zusammenarbeit mit Moskau, dass seine östlichen Verbündete u.a. durch die Sowjetunion militärisch aufgerüstet werden könnten, da Frankreich selber nicht dazu in der Lage war. [5, S. 194-195]
Im Rahmen der Verhandlungen im August 1939 wollte Daladier den Polen gegenüber durchsetzen, dass sie der Roten Armee in einem definierten Korridor das Recht auf den Durchmarsch (via Wilna und Galizien) einräumen. Und es war ein Woroschilow (sowjetischer Verhandlungsführer), der die unterschiedliche Haltung der Franzosen und der Briten deutlich wahrgenommen hatte und entsprechend Stalin kommunizierte.
Unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Krise Ende August 1938 verschärften sich die unterschiedlichen außenpolitischen Sichten in der Regierung Daladier. Den expliziten „Appeasern“ wie Bonnet standen die harten „Anti-Appeaser“ wie Reynaud (Finanzminister) und Mandel entgegen denen sich Daladier angeschlossen hatte.
Reynand leitete eine Reihe wirtschaftlicher Reformen ein, die letztlich das Ende der Volksfront bedeuteten.[5, S. 188] In der Folge deutlich wirtschaftfreundlicher Reformen floßen der Bank von Frankreich in den folgenden 8 Monaten ca. 26 Millionen Franc zu, die den Handlungsspeilraum bei der Rüstungsbeschaffung deutlich verbesserte [9,S. 104]
Die harte Haltung Daladier wurde durch die Versicherung von Gamelin [1] und von Darlan, dass Armee und Flotte bereit sein für einen Krieg. Die Situation sah bei der Luftwaffe deutlich kritischer aus, wie Viillemin als Generalstabschef der Luftwaffe, feststellte [5, S. 177]. Diplomatisch wurde Daladier durch einen Brief des französischen Botschafters Coulandre in Berlin unterstützt, der die Bitte formulierte: „Nach wie vor müssen wir fest bleiben, fest bleiben, fest bleiben“ [3, S. 295]
Vor diesem Hintergrund ging Frankreich im September ohne Begeisterung, aber durchaus mit einer gewissen Zuversicht in den Krieg [3, S. 307]. So erkläre General Weigand im Juli 39, dass die französische Armee eine größere Schlagkraft hätte wie jemals zuvor in der Geschichte [3, S. 296] Dieses gilt auch vor dem Hintergrund der Auswertungen des Einsatzes von Panzern und der Rolle von Panzerabwehrwaffen. [12, S. 167 ff]]. Nicht zuletzt entsprach die defensive Ausrichtung nach Osten und die offensive Konzentration nach Nord-Osten den Erwartungen an einen Krieg, der auf mehrere Jahre prognostiziert wurde [7, S. 262]. Und in dem unbedingt französisches Leben angesichts des demographischen Erbes aus dem WW1 zu schonen war.
Und es ist beispielweise May, der argumentiert, dass nichts zwangläufiges in dem Zusammenbruch 1940 der französischen Armee und des BEF lag [15]
1. Alexander, Martin S. (1993): The republic in danger. General Maurice Gamelin and the politics of French defense, 1933 - 1940. Cambridge, New York, NY, USA, Oakleigh, Vict., Australia: Cambridge Univ. Press.
2.Alexander, Martin S. (1998.): In defence of the Maginot Line: security policy domestic politics and the economic defpression in France. In: Robert W. D. Boyce (Hg.): French foreign and defence policy, 1918-1940. The decline and fall of a great power. London, New York: Routledge, S. 164–194.
3.Azema, Jean-Pierre (1979.): Die französische Politik am Vorabend des Krieges. In: Wolfgang Benz und Hermann Graml (Hg.): Sommer 1939. Die Grossmächte und der europäische Krieg. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, S. 280–313.
4. Danos, Jacques; Gibelin, Marcel (1982.): Die Volksfront in Frankreich. Hamburg: Junius.
5.du Réau, Elisabeth (1990): Frankreich vor dem Krieg. In: Klaus Hildebrand, Jürgen Schmädeke und Klaus Zernack (Hg.): 1939, an der Schwelle zum Weltkrieg. Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges und das internationale System. Berlin, New York: W. de Gruyter, S. 173–196.
6.Hughes, Judith M. (2006.): To the Maginot Line. The politics of French military preparation in the 1920's., Harvard University Press
7.Imlay, Talbot C. (2006.): Strategic and military planning, 1919-39. In: Talbot C. Imlay und Monica Duffy Toft (Hg.): The fog of peace and war planning. Military and strategic planning under uncertainty. London, New York: Routledge, S. 139–158.
8. Jackson, Julian (1988.): The Popular Front in France. Defending democracy, 1934-38. Cambridge [Cambridgeshire], New York: Cambridge University Press.
9.Jackson, Peter (1998.): Intelligence and the end of appeasement. In: Robert W. D. Boyce (Hg.): French foreign and defence policy, 1918-1940. The decline and fall of a great power. London, New York: Routledge.
10.Jackson, Peter (2003.): France. In: Robert W. D. Boyce und Joseph A. Maiolo (Hg.): The origins of World War Two. The debate continues. Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York: Palgrave Macmillan, S. 86–110.
11.Jordan, Nicole (2002.): The Popular Front and Central Europe. The dilemmas of French impotence, 1918-1940. Cambridge: Cambridge University Press.
12.Kiesling, Eugenia C. (1996): Arming against Hitler. France and the limits of military planning. Lawrence, Kan.: University Press of Kansas.
13. Lacaze, Yvon (1998.): Daladier, Bonnet and the decision-making process during the munich crisis, 1938. In: Robert W. D. Boyce (Hg.): French foreign and defence policy, 1918-1940. The decline and fall of a great power. London, New York: Routledge, S. 215–233.
14. Nolte, Ernst (1990.): Der Faschismus in seiner Epoche. Action française, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus. 8. Aufl., Neuausg. 1984, München, Zürich, Piper
15. May, Ernest R. (2009.): Strange victory. Hitler's conquest of France. London: I.B. Tauris.
Frankreich hatte im WW1 mit 17 % einen der höchsten Mobilisierungsgrade bei der männlichen Bevölkerung und bei den Musterungsjahrgängen zwischen 1905 und 1915 sind zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung durch den Krieg ausgefallen [vgl. Statistiken 6, S. 11ff]. Die demographische Entwicklung stellte Frankreich unmittelbar und auch perspektivisch vor gravierende demografische Probleme, auf die die Politik im Rahmen seiner Strategie zur Sicherung Frankreichs gegenüber vor allem dem Deutschen Reich einzugehen hatte. [2, S. 164ff]
Weitere Aspekte, die sich auf den militärpolitischen Diskussionsprozess nach 1918 ausgewirkt haben, waren die starke Bedeutung der Landwirtschaft, eine eher mittelständische Industrie mit Defiziten in der Massenproduktion („Economies of Scale“), Industriezentren, die im Nord-Osten Frankreichs grenznah lagen, ein im europäischen Vergleich – bis 1936 – und vor allem im Vergleich zur Weimarer Republik, ein eher unterentwickelter Sozialstaat und eine extreme politische Fragmentierung zwischen den politischen Polen, den moskauorientierten Kommunisten und den italophilen Faschisten der „Action francais“ etc. (vgl. 14, 112 ff).
Die Periode nach 1933 verschärfte dabei den politischen Konflikt – ähnlich wie im DR – ausgehend von der Weltwirtschaftskrise. Sie wirkte sich in Frankreich wirtschaftlich zwar nicht so gravierend aus wie im DR, dennoch verschlechterte sich die materielle Situation der Arbeiterschaft deutlich und schuf die Grundlage für einen wirtschaftspolitischen Konflikt auf der Basis von realen sozialen Mißständen in Kombination mit einer von links und rechts betriebenen ideologischen Überhöhung der Gegnerschaft. Dieser Konflikt gipfelte in dem Versuch der französischen Faschisten am 6. Februar 1934 einen Putsch in Paris zu inszenieren, der aufgrund mangelhafter populärer Verankerung in der Bevölkerung erfolglos blieb [4, S. 1ff].
Die Bildung einer „Volksfront“ in Frankreich ist somit einerseits – wie kurz dargestellt - innenpolitisch, aber andererseits auch zusätzlich durch die außenpolitische Bedrohung durch Italien, Deutschland und natürlich auch durch Japan zu interpretieren. Die gemeinsame Zielsetzung war der Kampf gegen den sich ausbreitenden Faschismus und der daraus resultierenden Gefahr für die demokratischen Werte der 3. Republik [8, 11].
Vor diesem Hintergrund soll die Situation in der 3. Republik für die Diplomatiegeschichte, die innenpolitische Situation und die militärstrategische Sicht beleuchtet werden. Auch, weil die entsprechenden Beiträge auf Wiki nicht mehr aktuell sind und die Gefahr einer „retrospektivischen Vereinfachung“ [3, S. 281] zu berücksichtigen ist.
Die Voraussetzungen für die außenpolitische Strategie Frankreich haben sich zwischen dem Sommer 1938 („München“) und dem Sommer 1939 („Kriegsbeginn“) nicht grundsätzlich geändert, allerdings hat sich die Bewertung in dieser Periode in der französischen Regierung diametral gewandelt {3, S. 281].
Die französische Regierung, so Azema, hat seit 1919 konstant ein doppeltes Ziel bei der Außenpolitik verfolgt, die auf die Erhaltung des Friedens und auf die territoriale Integrität von Frankreich abzielte. Aber bereits bei dieser grundsätzlichen Zielsetzung waren zwei grundsätzliche Denkschulen relevant. Die eine Gruppe wollte einen ausgehandelten Revisionismus im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems akzeptieren, während die andere aus der Position der Stärke ein „Containment“ des DR erreichen wollte und dazu Bündnispartner im Osten suchte. Das „System von Locarno“ von Briand entsprach bis Anfang der dreißiger Jahre diesem französischen „Sicherheitsbedürfnis“ optimal [3, S. 281-282].
Die politischen Veränderungen, aber spätestens die Besetzung des Rheinlands machte deutlich, dass dieses System nicht mehr griff und führte dazu, dass die französische Außenpolitik zwischen den Extremen hin und her schwankte, Hitler einzudämmen oder ihn politisch in ein neues europäisches Sicherheitssystem einzubinden, also ihn zu „appeasen“. Dabei passte sich Daladier vor München – auf Druck – Chamberlain an, dem Daladier am 25. September 1938 erklärt hatte, dass die Forderungen von Hitler nicht akzeptabel sein. [13, S. 220]
Dabei warf die neutrale Haltung, die die Volksfront-Regierung unter Blum in spanischen Bürgerkrieg eingenommen hatte, ihren Schatten auf die Bewertung der „Sudetenkrise“. Die Nichteinmischung in Spanien 1936 wurde von Teilen der französischen Öffentlichkeit als Kriterium für die folgenden Konflikte herangezogen und die Frage aufgeworfen, warum man sich im Osten engagieren sollte, wenn man sich für Spanien nicht engagiert hatte. [11, S. 280]
Das Dilemma der französischen Außenpolitik bestand dabei im wesentlichen darin, dass eine offensive Bündnisstrategie, auch im Osten, mit einer defensiven Militärstrategie kombiniert wurde und dieses Problem wurde durch die „Sudetenkrise“ in 1938 in Kombination mit dem „Münchner-Abkommen“ und dann durch das Bündnis mit Polen und dem „Sitzkrieg“ deutlich gemacht [3, S. 282-283]. Zudem wardie Situation aus französischer Sicht deutlich dramtischer. „Entgegen der allgemein anerkannten Vorstellung schloss Daladier das Risiko eines Krieges nicht aus, sondern faßte es in der Zeit vom 23. Bis zum 28 September [Anmerkung tp: 1938] ins Auge.“[5, S. 180] Und zusätzlich hatte Daladier ausgeführt:“Wenn ich 3000 oder 4000 Flugzeuge gehabt hätte, hätte es „München“ nicht gegeben.“ [5, S. 186]
In der Phase nach dem „Münchner Abkommen“ akzentuierten sich drei außenpolitische Lager in Frankreich. Die erste Gruppe, die „östlich orientierten Realisten“ setzten auf eine Erneuerung der französich-russischen Zusammenarbeit von 1914. Und wollten durch die Drohung eines Zweifrontenkrieges Hitler von einem Angriff auf einen seiner Nachbarn abhalten. Ihr politischer Einfluss in Paris nahm in 1939 tendenziell eher ab. Die zweite Gruppe, zu der Daladier und Leger gehörten, kann als „pro-München-wider-Willen“ beschrieben werden und setzte auf einen Zeitgewinn für die eigene französische und britische Aufrüstung. Die dritte Gruppe , getragen von AM Bonne, teilte aus ideologischer Überzeugung die Strategie Chamberlains und sah in Hitler das „Instrument“, einen „Cordon sanitaire“ gegen den Bolschewismus zu errichten. Diese Politik wurde von den „Rechten“, Monarchisten und von Teilen der „Radikalen“ (linksliberale kleinbürgerliche Partei, zu der Bonnet und Daladier gehörten) bis in den Oktober 1938 mit getragen.
Der Parteikongress der „Radikalen“ – Partei brachte im Oktober 1938 in Marseille die Neuausrichtung der außenpolitischen Koordinaten [5, S.181-185]. Die parteipolitische Linie schwenkte auf die Vorstellung ein, dass im Osten die Verbindung zur Sowjetunion gesucht werden sollte und mit GB ein festes Bündnis eingegangen werden sollte [5, S. 183].
Im März 1939 macht Daladier die Neuausrichtung im Rahmen einer Radioansprache deutlich und Ende März 1939 schwenkte die französische Regierung auch nach Außen, positiv begleitet von der französischen Öffentlichkeit auf eine harte anti-München-Haltung um[3, 285]. Innenpolitisch ergab sich die Kräfteverschiebung dadurch, dass sich die „östlichen Realisten“ und die „auf-Zeitspieler“ annäherten und die überzeugten „Münchner“ , vor allem Bonnet, innenpolitisch und parteipolitisch zunehmend isoliert wurde. [3, S. 286]
Die veränderte außenpolitische Sichtweise führte ab April dazu, dass sich die französische Diplomatie aus der Dominanz der britischen löste [9, S. 103] und einerseits kooperierte und andererseits in einer einseitigen Konfrontation sich gegen Hitler stellte, wie beispielsweise bei der Drohung, eine einseitige Garantie für Rumänien auszusprechen die dann aber in einer gemeinsamen französisch-britischen Garantie einmündete.
Den deutlichsten Konflikt in 1939 ergab die unterschiedliche Position zur UdSSR. Mitte Mai 1939 drängte der Quai d`Osay (fr. Außenministerium) die Briten dazu, Moskau ein deutliches Hilfeversprechen zu geben, sofern sie durch das 3. Reich angegriffen werden würden und Halifax machte gegenüber Daladier deutlich, dass die konservativen Kreise in GB eher ein Bündnis mit Polen und nicht mit der UdSSR suchen würden [3, S. 290].
Die unterschiedliche diplomatischen Sichten kamen bei den militärischen Gesprächen in Moskau deutlich zum tragen. Der französiche General Doumenc hatte das Vertrauen von Daladier und eine entsprechende Handlungsvollmacht, zu einem – ehrlichen – Vertragsabschluss mit den Russen zu kommen. Ähnliches kann man von dem englischen Vertreter in Bezug auf Chamberlain nicht sagen [3, S. 290-291]. Daladier erhoffte sich von der Zusammenarbeit mit Moskau, dass seine östlichen Verbündete u.a. durch die Sowjetunion militärisch aufgerüstet werden könnten, da Frankreich selber nicht dazu in der Lage war. [5, S. 194-195]
Im Rahmen der Verhandlungen im August 1939 wollte Daladier den Polen gegenüber durchsetzen, dass sie der Roten Armee in einem definierten Korridor das Recht auf den Durchmarsch (via Wilna und Galizien) einräumen. Und es war ein Woroschilow (sowjetischer Verhandlungsführer), der die unterschiedliche Haltung der Franzosen und der Briten deutlich wahrgenommen hatte und entsprechend Stalin kommunizierte.
Unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Krise Ende August 1938 verschärften sich die unterschiedlichen außenpolitischen Sichten in der Regierung Daladier. Den expliziten „Appeasern“ wie Bonnet standen die harten „Anti-Appeaser“ wie Reynaud (Finanzminister) und Mandel entgegen denen sich Daladier angeschlossen hatte.
Reynand leitete eine Reihe wirtschaftlicher Reformen ein, die letztlich das Ende der Volksfront bedeuteten.[5, S. 188] In der Folge deutlich wirtschaftfreundlicher Reformen floßen der Bank von Frankreich in den folgenden 8 Monaten ca. 26 Millionen Franc zu, die den Handlungsspeilraum bei der Rüstungsbeschaffung deutlich verbesserte [9,S. 104]
Die harte Haltung Daladier wurde durch die Versicherung von Gamelin [1] und von Darlan, dass Armee und Flotte bereit sein für einen Krieg. Die Situation sah bei der Luftwaffe deutlich kritischer aus, wie Viillemin als Generalstabschef der Luftwaffe, feststellte [5, S. 177]. Diplomatisch wurde Daladier durch einen Brief des französischen Botschafters Coulandre in Berlin unterstützt, der die Bitte formulierte: „Nach wie vor müssen wir fest bleiben, fest bleiben, fest bleiben“ [3, S. 295]
Vor diesem Hintergrund ging Frankreich im September ohne Begeisterung, aber durchaus mit einer gewissen Zuversicht in den Krieg [3, S. 307]. So erkläre General Weigand im Juli 39, dass die französische Armee eine größere Schlagkraft hätte wie jemals zuvor in der Geschichte [3, S. 296] Dieses gilt auch vor dem Hintergrund der Auswertungen des Einsatzes von Panzern und der Rolle von Panzerabwehrwaffen. [12, S. 167 ff]]. Nicht zuletzt entsprach die defensive Ausrichtung nach Osten und die offensive Konzentration nach Nord-Osten den Erwartungen an einen Krieg, der auf mehrere Jahre prognostiziert wurde [7, S. 262]. Und in dem unbedingt französisches Leben angesichts des demographischen Erbes aus dem WW1 zu schonen war.
Und es ist beispielweise May, der argumentiert, dass nichts zwangläufiges in dem Zusammenbruch 1940 der französischen Armee und des BEF lag [15]
1. Alexander, Martin S. (1993): The republic in danger. General Maurice Gamelin and the politics of French defense, 1933 - 1940. Cambridge, New York, NY, USA, Oakleigh, Vict., Australia: Cambridge Univ. Press.
2.Alexander, Martin S. (1998.): In defence of the Maginot Line: security policy domestic politics and the economic defpression in France. In: Robert W. D. Boyce (Hg.): French foreign and defence policy, 1918-1940. The decline and fall of a great power. London, New York: Routledge, S. 164–194.
3.Azema, Jean-Pierre (1979.): Die französische Politik am Vorabend des Krieges. In: Wolfgang Benz und Hermann Graml (Hg.): Sommer 1939. Die Grossmächte und der europäische Krieg. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, S. 280–313.
4. Danos, Jacques; Gibelin, Marcel (1982.): Die Volksfront in Frankreich. Hamburg: Junius.
5.du Réau, Elisabeth (1990): Frankreich vor dem Krieg. In: Klaus Hildebrand, Jürgen Schmädeke und Klaus Zernack (Hg.): 1939, an der Schwelle zum Weltkrieg. Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges und das internationale System. Berlin, New York: W. de Gruyter, S. 173–196.
6.Hughes, Judith M. (2006.): To the Maginot Line. The politics of French military preparation in the 1920's., Harvard University Press
7.Imlay, Talbot C. (2006.): Strategic and military planning, 1919-39. In: Talbot C. Imlay und Monica Duffy Toft (Hg.): The fog of peace and war planning. Military and strategic planning under uncertainty. London, New York: Routledge, S. 139–158.
8. Jackson, Julian (1988.): The Popular Front in France. Defending democracy, 1934-38. Cambridge [Cambridgeshire], New York: Cambridge University Press.
9.Jackson, Peter (1998.): Intelligence and the end of appeasement. In: Robert W. D. Boyce (Hg.): French foreign and defence policy, 1918-1940. The decline and fall of a great power. London, New York: Routledge.
10.Jackson, Peter (2003.): France. In: Robert W. D. Boyce und Joseph A. Maiolo (Hg.): The origins of World War Two. The debate continues. Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York: Palgrave Macmillan, S. 86–110.
11.Jordan, Nicole (2002.): The Popular Front and Central Europe. The dilemmas of French impotence, 1918-1940. Cambridge: Cambridge University Press.
12.Kiesling, Eugenia C. (1996): Arming against Hitler. France and the limits of military planning. Lawrence, Kan.: University Press of Kansas.
13. Lacaze, Yvon (1998.): Daladier, Bonnet and the decision-making process during the munich crisis, 1938. In: Robert W. D. Boyce (Hg.): French foreign and defence policy, 1918-1940. The decline and fall of a great power. London, New York: Routledge, S. 215–233.
14. Nolte, Ernst (1990.): Der Faschismus in seiner Epoche. Action française, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus. 8. Aufl., Neuausg. 1984, München, Zürich, Piper
15. May, Ernest R. (2009.): Strange victory. Hitler's conquest of France. London: I.B. Tauris.
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