Niemand wird angesichts der unvorstellbaren Summen, die auf den Märkten kursieren, noch glauben, dass das Geld, das heutzutage im Umlauf ist, durch materielle Werte gedeckt sei. Aber was ist dann der Gegenwert unserer Zahlungsmittel? Basiert die gesamte Geldwirtschaft auf einem Nichts aus vielen Nullen oder virtuellen Zeichen? Warum kann Geld ganze Staatengemeinschaften in Krisen stürzen, Existenzen vernichten?
[...]
"Sowohl das Alphabet [...] als auch das Geld haben einen sehr starken Faktor, der soziale Mobilität fördert. Also dieses alphabetische Schriftsystem können alle lernen und haben damit auch Zugang zu den Archiven, zum Wissen einer Gesellschaft, zu der Erinnerung, dem Gedächtnis einer Gesellschaft. Und ähnlich beim Geld. Das Geld hatte von Anfang an auch einen sehr stark demokratisierenden Effekt. Es hat Sklaven erlaubt, sich aus Leibeigenschaft zu befreien. Und es hat auch schon in der Antike dazu geführt, dass ganz neue soziale Schichten, die nicht der Aristokratie angehörten, aufsteigen konnten - wie eben die Sophisten."
Seitdem gibt es drei Deckungsarten des Geldes: materielle Werte wie Grund und Boden, die Deckung durch einen Souverän oder Herrscher sowie eine theologische Form der Gelddeckung, die auf den sakralen Opfertausch im alten Griechenland zurückgeht. Die Opferspieße, die Obolos hießen, galten als Zeichen der Teilnahme an den Riten und wurden später durch geprägte Münzen mit der Abbildung des Stierkopfes ersetzt. Relikte dieser Opferrituale sind der Stier an der Börse sowie die Striche im Dollar oder im Euro, die an die beiden Hörner des Opfertieres erinnern. Nachdem das Geld sich von materiellen Bindungen gelöst hat und auch das Vertrauen in einen Souverän durch Machtmissbrauch und häufige Regierungswechsel gewichen ist, wuchs die Bedeutung der sakralen Form der Gelddeckung, die auf den Opferkult zurückgeht.
"Hinter jedem Opferkult steht immer der Gebende, der Opfernde selbst, der sich symbolisch in der Opferung darbringt. Und das geschieht auf unterschiedliche Weise, [...] jedes Mal, wenn das Geld seine Glaubwürdigkeit verliert, wenn es prekär wird, [...] dass dann plötzlich ganz viele Menschen den sozialen Tod erfahren am eigenen Leibe, also sie verlieren ihren Job, sie verlieren ihre Behausung und müssen sozusagen gerade stehen für das, was mit dem Geld geschehen ist. Und das ist das, was ich als die moderne Form der Beglaubigung des Geldes durch sakrale Opferriten bezeichnen."
[...]
Der Glaube, vor allem die christliche Heilsbotschaft, war der ideale Nährboden für die Entwicklung der Geldwirtschaft. Nicht umsonst [...] nahm die Hostie im 13. Jahrhundert die Form einer Münze an, die dadurch sakralisiert wurde. Immerhin symbolisiert sie den Leib Christi. Und steckt in dem Wort "Schulden" nicht die "Schuld", die in keiner Religion so groß zu sein scheint wie in der christlichen?
"Hier ist eine Religion, wo Gott sich selbst in seinem Sohn geopfert hat, das heißt, aus dieser Schuld kommt der gläubige Christ gar nicht heraus, es sei denn, er versucht mit einer anderen Form von Schuld diese Abhängigkeit zu begleichen. Und das wiederum schafft auch eine der Voraussetzungen dafür, dass dann so was wie das Fegefeuer entsteht. Das Fegefeuer besagt, der Sünder hat noch mal eine Zwischenchance. Wenn er genügend tausend Jahre in der Zwischenhölle verbracht hat, dann gibt's noch eine Tür zum Paradies, die er nehmen kann. Und damit diese Jahre im Fegefeuer etwas abgemildert werden, kann man der Kirche Geld spenden, und dann werden Gebete gelesen und kirchliche Liturgien abgehalten. Und damit kann man die Zeit im Fegefeuer verringern."
[...]
Doch immer wieder kommt Christina von Braun auf den Hauptaspekt ihres Buches zurück - auf die Rückbindung des Geldes an den menschlichen Körper. Sie zeigt, wie versucht wurde, das Vertrauen in das Geld zu stärken, indem es mit Fruchtbarkeits- und Reproduktionsmetaphern versehen wurde. Geld kann "wachsen", sich "vermehren", "zirkulieren" und "blühen". Aristoteles sei zwar der Meinung gewesen, dass das Geld anorganisch sei und deshalb keine Sprösslinge haben dürfe. Euripides hingegen fand die Vorstellung, mit Geld in Tempeln sogar Kinder bestellen zu können, durchaus reizvoll. Was vor knapp 2500 Jahren noch eine belächelte Utopie war, ist im Zeitalter der Reproduktionstechnologien natürlich längst Realität geworden.
...