Gespräch zwischen Diomedes und Glaukos

LuminaRomana

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Hallo zusammen,

aktuell beschäftige ich mich mit dem Thema der Phalanxtechnik und der Krise der Adelsherrschaft im Antiken Griechenland.

Meine Frage dazu lautet: lässt sich anhand von
Hom.Il.6,215-231 ableiten, welche kategorialen Unterschiede es in der Schlacht-Darstellung bei Homer im Gegensatz zu der Phalanx gibt ?
Beim Gespräch zwischen Diomedes und Glaukos wird ja immer wieder die Lanze erwähnt oder auch die Wägen, von denen sie steigen. Wäre das nicht schon eine Unterschied zur späteren Phalanxtechnik ?

Vielleicht habt Ihr ja ein paar Denkanstöße.

Liebe Grüße
 
Mich irritiert der Begriff Phalanxtechnik. Meinst du -taktik?
Weißt du, was eine Phalanx ist? Denn ohne die Homerstelle zu kennen entnehme ich deiner Zusammenfassung trotz ihrer Kürze Dinge, die zumindest im ersten Augenblick -für ein abschließendes Urteil müsste ich natürlich die Quellenstelle kennen - der Phalanxtaktik [zu] widersprechen [scheinen].
 
Wäre das nicht schon eine Unterschied zur späteren Phalanxtechnik ?
Ja, natürlich.

Bei Homer stehen in den Schlachten die Adligen im Mittelpunkt, die auf Streitwagen herumfahren und bevorzugt gegen andere Adlige kämpfen, indem sie sich ihnen bewusst stellen und sich mit ihnen duellieren. (Nichtadliges) Fußvolk gibt es zwar auch, aber es ist weitgehend eine anonyme Masse (nur selten werden einfache Soldaten namentlich genannt), die in der Regel auch nur als anonyme Masse auftritt, also nicht mit heldenhaften Einzelkämpfern glänzt. Das Fußvolk stürmt zwar vor oder weicht zurück, aber Homers Interesse gilt ganz den adligen Protagonisten auf ihren Streitwagen und ihren Kämpfen gegen andere Adlige. Die Adligen waren also in der Schlacht Individualisten.

Das gilt auch für Diomedes und Glaukos: Sie verzichten, obwohl auf verschiedenen Seiten stehend und somit nominell Feinde, bewusst auf den Kampf gegeneinander, sondern suchen sich andere Gegner.

Die (ab dem 7. Jhdt., also erst in der Zeit nach Homer, aufgekommene) Phalanxtaktik (Streitwagen kamen in den meisten griechischen Staaten außer Gebrauch) funktionierte anders: Hier stand nicht der heldenhafte Einzelkämpfer, der nach anderen heldenhaften Einzelkämpfern sucht und sich mit ihnen duelliert, im Mittelpunkt, sondern die Phalanx als geschlossener Truppenkörper und taktische Einheit. Nicht der einzelne Mann (ob adlig oder nicht) kämpfte, sondern die ganze Einheit fungierte wie ein kämpfender Organismus. Der einzelne Krieger war völlig in die Phalanx ein- und untergeordnet. Sie marschierte geschlossen vor, schwenkte etc. Für einzelne Helden, die ausscherten, war da kein Platz; es zählte das Kollektiv. Der einzelne Krieger konnte somit aber auch nicht individuell entscheiden, gegen wen er kämpfte, sondern kämpfte gegen denjenigen, der ihm in der gegnerischen Phalanx gegenüberstand.

Homer (oder wer immer die Ilias verfasste) selbst lebte in einer Umbruchsphase, in der es zwar noch keine Phalanx gab und noch der Adel dominierte, aber die Bedeutung der Infanterie (die damals im Gegensatz zu den späteren Hopliten allerdings anscheinend noch primär mit Schwertern und Fernkampfwaffen ausgerüstet war) zunahm. (Das spiegelte sich etwa in dem wenigen, was wir über den heute so genannten „Lelantischen Krieg“ zwischen Chalkis und Eretria wissen, wieder.) Da sein Publikum aber primär die damals gesellschaftlich und politisch noch dominierenden Adligen (die obendrein ihre Stammbäume gerne auf mythische Helden zurückführten) waren, stellte er natürlich sie in den Vordergrund und zeigte ein Idealbild mit ihnen als heldenhaften Kämpfern.
 
Mich irritiert der Begriff Phalanxtechnik. Meinst du -taktik?
Weißt du, was eine Phalanx ist? Denn ohne die Homerstelle zu kennen entnehme ich deiner Zusammenfassung trotz ihrer Kürze Dinge, die zumindest im ersten Augenblick -für ein abschließendes Urteil müsste ich natürlich die Quellenstelle kennen - der Phalanxtaktik [zu] widersprechen [scheinen].

Herzlichen Dank für Deine Rückmeldung. Und du hast natürlich Recht. Ich meinte die Phalanx-Taktik und nicht Technik. Da war ich unaufmerksam.

Ich packe die Stelle einfach mal hier rein:

Fest in die nahrungsspendende Erde stieß er die Lanze

Und begann mit freundlichen Worten zum Hirten der Völker:

215 Siehe, da bist du mein Gastfreund schon von den Zeiten der Väter!

Oineus, der Held, hat einst den herrlichen Bellerophontes

Gastlich im Haus geehrt und zwanzig Tage geherbergt,

Und sie reichten einander die schönsten Ehrengeschenke:

Oineus gab einen Gürtel von dunkelglänzendem Purpur,

220 Bellerophontes den goldenen, doppelhenkligen Becher;

Scheidend ließ ich diesen zurück in meiner Behausung.

Nichts aber weiß ich von Tydeus mehr, denn er ließ mich als Säugling

Noch daheim, wie das Danaervolk vor Thebe dahinsank.

Also bin ich nunmehr dein Gastfreund mitten in Argos,

225 Aber in Lykien du der meinige, komme ich dorthin.

Meiden wir unsere Lanzen auch jetzt im dichten Getümmel.

Hab´ ich doch Troer genug und rühmliche Bundesgenossen,

Daß ich erschlage, wen Zeus mir gewährt und die Schenkel erreichen;

Du der Achaier genug, soviele du kannst, zu erlegen.

230 Aber tauschen wir beide die Rüstung, damit auch die anderen

Sehn, wie wir gastliche Freunde uns rühmen aus Zeiten der Väter.

Also ihr Wort. Sie schwangen sich gleich hinab von den Wagen,

Reichten einander die Hände und schwuren sich treue Freundschaft.
 
Ja, natürlich.

Bei Homer stehen in den Schlachten die Adligen im Mittelpunkt, die auf Streitwagen herumfahren und bevorzugt gegen andere Adlige kämpfen, indem sie sich ihnen bewusst stellen und sich mit ihnen duellieren. (Nichtadliges) Fußvolk gibt es zwar auch, aber es ist weitgehend eine anonyme Masse (nur selten werden einfache Soldaten namentlich genannt), die in der Regel auch nur als anonyme Masse auftritt, also nicht mit heldenhaften Einzelkämpfern glänzt. Das Fußvolk stürmt zwar vor oder weicht zurück, aber Homers Interesse gilt ganz den adligen Protagonisten auf ihren Streitwagen und ihren Kämpfen gegen andere Adlige. Die Adligen waren also in der Schlacht Individualisten.

Das gilt auch für Diomedes und Glaukos: Sie verzichten, obwohl auf verschiedenen Seiten stehend und somit nominell Feinde, bewusst auf den Kampf gegeneinander, sondern suchen sich andere Gegner.

Die (ab dem 7. Jhdt., also erst in der Zeit nach Homer, aufgekommene) Phalanxtaktik (Streitwagen kamen in den meisten griechischen Staaten außer Gebrauch) funktionierte anders: Hier stand nicht der heldenhafte Einzelkämpfer, der nach anderen heldenhaften Einzelkämpfern sucht und sich mit ihnen duelliert, im Mittelpunkt, sondern die Phalanx als geschlossener Truppenkörper und taktische Einheit. Nicht der einzelne Mann (ob adlig oder nicht) kämpfte, sondern die ganze Einheit fungierte wie ein kämpfender Organismus. Der einzelne Krieger war völlig in die Phalanx ein- und untergeordnet. Sie marschierte geschlossen vor, schwenkte etc. Für einzelne Helden, die ausscherten, war da kein Platz; es zählte das Kollektiv. Der einzelne Krieger konnte somit aber auch nicht individuell entscheiden, gegen wen er kämpfte, sondern kämpfte gegen denjenigen, der ihm in der gegnerischen Phalanx gegenüberstand.

Homer (oder wer immer die Ilias verfasste) selbst lebte in einer Umbruchsphase, in der es zwar noch keine Phalanx gab und noch der Adel dominierte, aber die Bedeutung der Infanterie (die damals im Gegensatz zu den späteren Hopliten allerdings anscheinend noch primär mit Schwertern und Fernkampfwaffen ausgerüstet war) zunahm. (Das spiegelte sich etwa in dem wenigen, was wir über den heute so genannten „Lelantischen Krieg“ zwischen Chalkis und Eretria wissen, wieder.) Da sein Publikum aber primär die damals gesellschaftlich und politisch noch dominierenden Adligen (die obendrein ihre Stammbäume gerne auf mythische Helden zurückführten) waren, stellte er natürlich sie in den Vordergrund und zeigte ein Idealbild mit ihnen als heldenhaften Kämpfern.

Ich bedanke mich herzlich für die ausführliche Antwort!
Den deutlichen Bezug von Homer (etc.) die Adligen als Individualisten zu betrachten, hatte ich ziemlich vernachlässigt, ebenso die Tatsache, dass die nicht-Adligen vor Ort sind, jedoch in einer großen Masse unerwähnt verschwinden.
Und auch mit dem Blick auf Homers(etc.) Publikum scheint es Sinn zu ergeben, dass der einfache Krieger hier nicht zum Helden gemacht wurde.
 
Hallo zusammen,

aktuell beschäftige ich mich mit dem Thema der Phalanxtechnik und der Krise der Adelsherrschaft im Antiken Griechenland.

Meine Frage dazu lautet: lässt sich anhand von
Hom.Il.6,215-231 ableiten, welche kategorialen Unterschiede es in der Schlacht-Darstellung bei Homer im Gegensatz zu der Phalanx gibt ?
Beim Gespräch zwischen Diomedes und Glaukos wird ja immer wieder die Lanze erwähnt oder auch die Wägen, von denen sie steigen. Wäre das nicht schon eine Unterschied zur späteren Phalanxtechnik ?

Vielleicht habt Ihr ja ein paar Denkanstöße.

Liebe Grüße

Die Phalanx-Taktik steckte zu der Zeit, als Homer seine Werke schrieb noch in den Kinderschuhen, und zu der Zeit, in der die Ilias spielt, gab es noch keine Phalanx.
Was Homer beschreibt, dass sind Einzelduelle der Adeligen. Der Streitwagen dient sozusagen als Schlachtfeld-Taxi, das vom Wagenlenker hinter der Linie geparkt wird, sozusagen als Fluchtfahrzeug, um zur Flucht oder Verfolgung genutzt zu werden. Durch Siege im Einzelkampf gewinnt der Krieger Ruhm oder auch Beute.

Einfache Krieger werden in Homers Werken nur selten namentlich genannt. Eigentlich gibt es nur einen namhaft bekannten "Schützen Arsch" bei Homer: Thersites, der vielleicht das erste Beispiel eines populistischen Demagogen in der Weltliteratur darstellt.

Im Gegensatz zu den aristokratischen Helden, die in der Regel als stattlich, durchtrainiert beschrieben werden, ist Thersites hässlich, auch nicht gerade der Tapferste, dafür aber immer bereit, gegen "die da oben" vom Leder zu ziehen. Besonders Agamemnon, Achilleus und Odysseus sind ihm verhasst.

Heeresgruppenchef Agamemnon glaubt, dass er Troja auch ohne den Superhelden mit den Allüren einer Primadonna erobert, doch er hat sich verrechnet. Zeus schickt ihm einen verhängnisvollen Traum, doch Agamemnon versteht wenig von Massenpsychologie und muss sich erst mal mit einer Meuterei oder einem Militärstreik seiner Landser auseinandersetzen. Dabei spielt Thersites eine wichtige Rolle, der von Odysseus dafür mit dem Marschallsstab geschlagen wird. Auch im späteren Verlauf der Handlung fällt Thersites immer wieder durch polemische Kritik an "denen da oben" auf.

Thersites Ende beschreibt nicht Homer, sondern Hesiod (?) Achilleus erschlägt die Amazone Penthesilea, ist aber beim Anblick der Toten schockiert. Thersites nennt Achilleus einen Weiberhelden, worauf der ihm eine scheuert und Thersites daran stirbt.



Hin und wieder einmal tauchen Beschreibungen auf von Formationen, die auf eine Art Proto-Phalanx hinweisen. In den Kämpfen um die Mauer und das griechische Schiffslager rät Nestor den Griechen, eine Art Schildwall zu bilden, um die Trojaner abzuwehren.

In der Phalanx aber kam es nicht auf den Mut und die Kampfkraft des einzelnen Kriegers, sondern auf das agieren als Formation, in der jeder Einzelne aufeinander angewiesen war. Ein Ausbruch aus der Phalanx bedrohte ihren Zusammenhalt. Ordnung, kontrollierter Mut und Handeln im Kollektiv waren wichtiger, als individuelle Tapferkeit oder Stärke. Mangelnde Sicht und Beweglichkeit schränkten die Aktion der Phalanx ein. Für den Einzelkampf Mann gegen Mann war die Ausrüstung der schwerbewaffneten Infanterie weniger gut geeignet.
Für den Kampf in Formation aber war die Phalanx geradezu ideal. Eine Hoplitenphalanx war auch gegen starke Übermacht leichtbewaffneter sehr stark, trafen aber zwei Hoplitenphalangen aufeinander äußerst brutal und gefährlich. Euripides lässt seine Figur Medea (Euripides, Medea 250-251) sagen: "Dreimal möchte ich lieber mich stellen hinter einen Schild, als einmal nur ein Kind gebären."

Auch in der Ilias wird vereinzelt auf Formationskampf und die Kombination Dori (Spieß) und Schild hingewiesen: Ilias 13, 339-44. Die Abanter von Euböa sind für ihre Stichlanzen berühmt Ilias 2, 542-44.

In Ilias 13, 128-130, Ilias 13, 131-133 Ilias 16, 215-217
finden sich Passagen, die man als Proto-Phalanx interpretieren könnte.

"Die Besten, Auserlesenen, hielten stand den Troern und dem göttlichen Hektor, den Speer mit dem Speer verzäunend, den Schild mit dem Schildrand. Schild drängte Schild, Helm und Helm und Mann den Mann, und es berührten einander roßmähnige Helme mit glänzenden Bügeln, wenn sie nickten, so dicht standen aneinander.
 
Thersites Ende beschreibt nicht Homer, sondern Hesiod (?) Achilleus erschlägt die Amazone Penthesilea, ist aber beim Anblick der Toten schockiert. Thersites nennt Achilleus einen Weiberhelden, worauf der ihm eine scheuert und Thersites daran stirbt.
Eine Erwähnung bei Hesiod ist mir nicht bekannt. Der Vorfall fand sich erstmals beschrieben im (leider bis auf kurze Inhaltsangaben verlorenen) Epos "Aithiopis", einer einem gewissen Arktinos von Milet zugeschriebenen Fortsetzung der Ilias aus dem sog. "Epischen Kyklos".

Eine Hoplitenphalanx war auch gegen starke Übermacht leichtbewaffneter sehr stark
Das hing allerdings von der Kampfweise des Gegners ab. Die Hoplitenphalanx hatte das Problem, vor allem auf den Kampf gegen eine andere Hoplitenphalanx ausgelegt zu sein. Im Nahkampf war sie leichter Infanterie überlegen - wenn diese es auf einen Nahkampf ankommen ließ. Plänkelte leichte Infanterie hingegen und hatte die Phalanx keine Unterstützungstruppen (wie Plänkler, Bogenschützen oder Reiter), um dem entgegenzuwirken, bekam sie ernste Probleme, da sie der leichten Infanterie nicht hinterherlaufen konnte und überhaupt schwerfällig war. Das mussten die Spartaner im Korinthischen Krieg leidvoll erfahren, als eine spartanische Phalanxformation von plänkelnden Peltasten unter dem athenischen Söldnerführer Iphikrates zusammengeschossen wurde.
 
Eine Erwähnung bei Hesiod ist mir nicht bekannt. Der Vorfall fand sich erstmals beschrieben im (leider bis auf kurze Inhaltsangaben verlorenen) Epos "Aithiopis", einer einem gewissen Arktinos von Milet zugeschriebenen Fortsetzung der Ilias aus dem sog. "Epischen Kyklos".
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Bei Homer kommt Thersites nur einmal vor: Ilias II., 211-277

Gustav Schwab erwähnte ebenfalls Thersites Tod im Zusammenhang mit Penthesilea, auch dass Diomedes, als ein Verwandter ihn rächen will und zu einem Duell mit Achilles bereit ist.

In älteren Sagen soll Thersites Vater ein Cousin von Tydeus gewesen sein, dem Vater Diomedes. Homer schreibt nichts von einer adeligen Herkunft Thersites, wäre er von edler Geburt und Verwandter Diomedes würde Odysseus ihn nicht mit dem Szepter schlagen.

Bei einem spätantiken Autor Quintus von Smyrna 1, 716-825 überliefert die Variante, dass Thersites Achilleus schmähte und von diesem erschlagen wurde. Quintus berichtet, dass Diomedes als Rächer auftritt und Achilleus sich entsühnen muss.
 
Mal eine Vermutung: Die adeligen Einzelkämpfer konnten nur so lange dominieren, wie es wirtschaftlich noch nicht machbar war, eine große Anzahl von Normalbürgern (oder Söldnern) schwer zu bewaffnen. Das war, würde ich denken, insbesondere vor Verbreitung der Eisenverhüttung der Fall.
 
Zu bedenken ist auch, dass sich Homer dem Geschmack seines vornehmen Publikums angepasst haben wird, das gerne von tapferen adligen Helden (die obendrein mitunter angebliche Vorfahren der Zuhörer waren) und ihren Heldentaten hörte. Für das einfache Volk war da (wie auch in der von den Zuhörern gewünschten gesellschaftlichen Realität) nur Platz als Beiwerk, das seinen Beitrag zu leisten, aber nicht zu entscheiden und schon gar nicht aufzumucken hatte und dessen individuelle Leistungen keine Würdigung verdienten.
 
Herzlichen Dank für Deine Rückmeldung. Und du hast natürlich Recht. Ich meinte die Phalanx-Taktik und nicht Technik. Da war ich unaufmerksam.

Ich packe die Stelle einfach mal hier rein:

Fest in die nahrungsspendende Erde stieß er die Lanze

Und begann mit freundlichen Worten zum Hirten der Völker:

215 Siehe, da bist du mein Gastfreund schon von den Zeiten der Väter!

Oineus, der Held, hat einst den herrlichen Bellerophontes

Gastlich im Haus geehrt und zwanzig Tage geherbergt,

Und sie reichten einander die schönsten Ehrengeschenke:

Oineus gab einen Gürtel von dunkelglänzendem Purpur,

220 Bellerophontes den goldenen, doppelhenkligen Becher;

Scheidend ließ ich diesen zurück in meiner Behausung.

Nichts aber weiß ich von Tydeus mehr, denn er ließ mich als Säugling

Noch daheim, wie das Danaervolk vor Thebe dahinsank.

Also bin ich nunmehr dein Gastfreund mitten in Argos,

225 Aber in Lykien du der meinige, komme ich dorthin.

Meiden wir unsere Lanzen auch jetzt im dichten Getümmel.

Hab´ ich doch Troer genug und rühmliche Bundesgenossen,

Daß ich erschlage, wen Zeus mir gewährt und die Schenkel erreichen;

Du der Achaier genug, soviele du kannst, zu erlegen.

230 Aber tauschen wir beide die Rüstung, damit auch die anderen

Sehn, wie wir gastliche Freunde uns rühmen aus Zeiten der Väter.

Also ihr Wort. Sie schwangen sich gleich hinab von den Wagen,

Reichten einander die Hände und schwuren sich treue Freundschaft.


Die Begegnung von Glaukos und Diomedes, Feinde, die sich auf dem Schlachtfeld begegnen und vom Kampf ablassen, im Gedenken an die Gastfreundschaft der Vorfahren hat zu allen Zeiten Leser bewegt. Manche Veteranen des Amerikanischen Bürgerkriegs, die klassisch gebildet waren, hatten ähnliche Erlebnisse und dabei diese Szene im Hinterkopf. Homer schreibt aber noch, dass der Tausch ein sehr ungleicher war, denn Glaukos tauschte seine goldene Rüstung 100 Stiere wert gegen die bronzene des Diomedes, die nur 9 Stiere wert war.

Ilias VI, 234-235: Dem Glaukos aber verwirrte Zeus den Geist, dass er ohne Besinnung gegen den Heros Diomedes die Rüstung tauschte, goldene gegen eherne 100 Stiere wert die eine, 9 die andere.
 
Ich bin jetzt kein Rüstungs- oder Waffenexperte, aber vom materiellen Wert abgesehen, halte ich eine bronzene Rüstung für den besseren Deal im Alltag. Gold ist sehr schwer und relativ leicht verformbar.

Abgesehen davon würde man mit einer goldenen Rüstung wohl auch Gegner anziehen, die es speziell auf große Beute abgesehen haben. Wann gibt es schon mal die Gelegenheit, den Gegenwert von 100 Stieren im Kampf zu erbeuten?
 
Ich würde ja ehesten eine vergoldete Rüstung annehmen (Bronze mit Goldüberzug), wenn man die Geschichte denn für voll nimmt, und den Wertunterschied (eher) auf einen Unterschied in der Machart zurückführen, als auf den reinen Materialwert.

Davon abgesehen: Neun Stiere ist ja immer noch eine eine Menge. Eine Voraussetzung dafür, dass sich die Phalanx durchsetzen konnte, war die Verfügbarkeit der entsprechende Ausrüstung für die "Mittelklasse", also nicht-adlige freie Bauern, Handwerker etc.; ich vermute mal, da müssen die im Preis noch ein bischen runter...

Gastfreundschaften gab es auch noch in der klassischen Zeit der Phalanxgefechte. Gibt es i-welche Berichte aus nach-homerischer Zeit, dass sich solche mal auf dem Schlachtfeld gegenüberstanden, und was dann geschah? Wurde ja schon erwähnt, dass man sich seinen Gegner nicht aussuchen kann.
 
Meine Oma sagte immer, wer tauschen will, will bescheißen.

Gold ist eigentlich völlig unsinnig als Material für einen Panzer, weil es sehr schwer und sehr weich ist.

In Vielen Beschreibungen spielt Gold als sozusagen göttliches Metall eine Rolle. Der Schild, den Hephaistos für Achilleus gemacht hat, besteht aus mehreren Schichten, darunter einer aus purem Gold. Am Skamander kämpft Achilleus gegen Asteropaios. Der kann mit beiden Händen werfen und schleudert zwei Speere gleichzeitig auf Achilleus. Der erste streift Achilleus am Arm, der zweite prallt vom Schild ab, bzw. bleibt in der Schicht aus Gold stecken.

Ich denke, ein rein goldener Brustpanzer wäre völlig unsinnig gewesen, weil 1. viel zu schwer und 2. viel zu weich. Ich denke man wird sich die Rüstung des Glaukos als eine besonders kostbare, vielleicht mit reich mit Gold verzierte Rüstung vorstellen müssen, mit "goldene Rüstung" ist eben eine besonders kostbare Rüstung gemeint, die eben 100 Stiere wert ist, während die des Diomedes nur 9 Stiere wert ist. Die Idee zum Tausch hat Diomedes, nicht etwa der Fürst der Lykier Glaukos.
Der nimmt den Tausch an, auch den persönlichen Waffenstillstand. Einer der beiden sagt, dass es für beide genug Troer und Griechen gibt, die sie töten können.
Den persönlichen Nichtangriffspakt hätten die beiden aber auch ohne den ungleichen Rüstungstausch vereinbaren können. Glaukos geht auf den Tausch ein, und Homer lässt durchblicken, dass das Motiv sehr ehrenwert und edelmütig, der Tausch aber ein bisschen zu ungleich ist, um clever zu sein. Glaukos zuzusagen als ein antiker "Hans im Glück".

Die Ansicht, dass Glaukos sich hat übern Tisch ziehen lassen, war in der Antike ziemlich verbreitet.

In der Antike war der Tausch zwischen Diomedes und Glaukos ein beliebter juristischer Übungsfall, um die Unterschiede zwischen einem Tausch und Verkauf klarzumachen.
 
Diomedes dürfte der fähigere Krieger gewesen sein, und hätte einen Zweikampf gegen Glaukos höchstwahrscheinlich gewonnen.

Dieses Kräfteverhältnis und den erwarteten Ausgang eines Zweikampfes sollten wir bei der Bewertung des Tauschhandels schon berücksichtigen.

Im "Ranking" nach Kampfkraft würde ich Diomedes schon nach Achilleus als Kampfmaschine Nr. 2 der Griechen sehen. Er besiegt z.B. den Großen Ajax im Ringkampf. Derselbe Ajax hatte den Glaukos geschlagen bzw. im Kampf getötet.

Diomedes > Ajax > Glaukos
 
Dass sich Glaukos gewissermaßen freigekauft hätte, um einen Zweikampf zu vermeiden, kann ich aus der Stelle absolut nicht herauslesen.
Das würde ihren Sinn - das Lob auf den Wert der Gastfreundschaft auch in Kriegszeiten - völlig pervertieren. Auch dass Zeus dem Glaukos den Geist verwirrte, dass dieser sich auf den Tausch einließ, würde unter diesem Gesichtspunkt keinen Sinn mehr ergeben, weil ein als "Lösegeldzahlung" gemeinter ungleicher Tausch rational wäre.
 
Hier ein Artikel über den "ungleichen Tausch":
https://www.vr-elibrary.de/doi/pdf/10.7788/ha.2002.10.2.245

Die Diomedes - Glaukon Anekdote scheint in der Antike eine gängige Metapher für einen ungleichen Tausch gewesen zu sein.

Aristoteles weist auf ein Schenkungselement hin. Der ungleiche Tausch würde heute von Juristen als "gemischte Schenkung" bezeichnet (Seite 13 des Artikels). Angesichts der psychologischen Tatsache, dass der Schenkende typischerweise eine Gegengabe erwartet, ließe sich meine unorthodoxe Idee ja durchaus verteidigen, dass Diomedes dem Glaukos als Gegengabe das Leben geschenkt hat. Immerhin war der ungleiche Tausch ja ein Vorschlag von Diomedes. (nebenbei: Tausch und Täuschung in der deutschen Sprache)

Nach einigem Überlegen stimme ich jedoch @Ravenik zu, dass der Tausch nicht unter Zwang zustandekam.
Auch dass Zeus dem Glaukos den Geist verwirrte, dass dieser sich auf den Tausch einließ, würde unter diesem Gesichtspunkt keinen Sinn mehr ergeben, weil ein als "Lösegeldzahlung" gemeinter ungleicher Tausch rational wäre.
 
Ihr und die antiken Juristen seid anachronistisch unterwegs. Der Tausch ist schlicht Zeichen der Freundschaft. Die Rüstung gewinnt in dem Fall den Wert durch den Träger.

Noch in Rom waren Bronzehelme gerne versilbert. Zur Vermeidung des giftigen Grünspans. Wer Geld hat und angeben will kann eine Rüstung auch vergolden, wobei, schon angesichts des Aufbaus mykenischer Rüstungen, nicht die ganze Rüstung vergoldet/versilbert sein musste. Und in Sage und Dichtung kann sogar aus goldverziert noch golden werden*.

Gerade Beschreibungen von Rüstungen, Helmen, Schilden und allgemein Gegenständen können ja auf die Bronzezeit zurückgeführt werden. Sei es, dass sich einzelne Stücke, etwa in Tempeln, erhalten hatten oder formalisierte Beschreibungen Teil des Sängerhandwerks war.

* Gibt es das nicht bis heute, wenn reichverzierte Rüstungen der frühen Neuzeit mitunter als golden oder Gold... apostrophiert werden?
 
Habe ChatGPT zur Diomedes - Glaukos Szene befragt und bizarre Antworten erhalten.

Der Bot konnte nicht unterscheiden, wessen Rüstung wertvoller war. Auf meine Bitte, mir wörtlich aus der Voß Übersetzung zu zitieren, kamen Halluzinationen als Antwort. Das nennt man tatsächlich so, wenn AI "lügt". Konkret hat mir ChatGPT nicht nur Bücher und Verse frei erfunden, sondern auch deren Inhalte. Der Inhalt kam im Stil einer Voß Übersetzung und im Versmass gedichtet daher, und wirkte auf den ersten Blick täuschend echt. Stutzig wurde ich, weil Bellerophon als Sohn des Ares vorkam. Ein Blick in die Original Übersetzung zeigte, dass nicht nur dieses Detail, sondern 100% der Chatbot Antwort falsch und frei erfunden war.

Ich kann nur warnen, von Chatbots korrekte Zitate zu erwarten. Die Quellen werden nur während des Trainings verwendet und stehen dem Bot danach nicht mehr zur Verfügung, weshalb er nicht überprüfen kann, ob sein Zitat korrekt ist. Das hat mir der Bot auf Nachfrage so erklärt. Er hat die Quelle zwar nicht vorliegen, ist aber darauf programmiert, dennoch eine Antwort zu liefern.

Dass dem User anstatt des Eingeständnisses, nicht wörtlich zitieren zu können, ein frei erfundener Text präsentiert wird, halte ich für problematisch. Die Bots zitieren übrigens ebenso falsch wie selbstbewusst aus dem Strafgesetzbuch, wenn man sie darum bittet.
 
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