Glaubwürdigkeit Römischer Schriftsteller

So eine Pfuscherei von dem Ausmaß, wie du vorschlägst, etwas kann nur passieren, wenn nur eine einzige Abschrift erhalten ist - bzw. alle erhaltenen Abschriften auf die eine zurückgehen, in der gepfuscht worden ist. Das wäre theoretisch möglich, wenn es eine frühe Abschrift gewesen wäre, aber bei einem Autor wie Tacitus ist die Quellenlage groß genug, um auszuschließen, dass da so etwas passiert ist.

Oder es handelt sich um eine weltweite Verschwörung, und der betreffende Mönch hat alle anderen Handschriften eingesammelt, verbrannt, oder, noch schlimmer, selber editiert ;)

Zu deiner Frage, wie jemand in Rom sich so gut auskannte - ich weiß nicht aus dem Kopf, woher Tacitus seine Informationen für seine Annales/Historiae hatte, aber insgesamt wurde mit sehr viel Quellenmaterial gearbeitet, das für uns heute verloren ist. Wir sehen die klassischen Autoren, mit denen sich die Philologie befasst, und stelle uns vor, das ist alles, was die Antike zu Papier gebracht hat. Es war weit mehr. Mit heutigen Maßstäben nicht zu vergleichen, aber das, was wir besitzen, ist weniger als ein Prozent der tatsächlich einmal exisitiert habenden antiken Literatur.
 
Oder es handelt sich um eine weltweite Verschwörung, und der betreffende Mönch hat alle anderen Handschriften eingesammelt, verbrannt, oder, noch schlimmer, selber editiert ;)
Ich kenn da so ein Paar Leute, die das allen ernstes behaupten. Nicht nur für einen Autor, sondern für die gesamte antike Literatur. :nono: :cry: :autsch: :rofl: :rofl: :rofl:

Quellen für Tacitus und Germanien soll auf jeden Fall Plinius d. Ä. sein, für den eine germanische Geschichte wahrscheinlich ist, plus einen weiteren Autor um die 50 n. Chr., dessen Name ich aber leider gerade nicht parat habe. :red:
 
In diesem Fall,warum nicht, ein großer Krieg ohne Verluste ?
Nicht falsch verstehen: Es kann natürlich so etwas im "immensum bellum" passiert sein, nachweisbar ist das nicht. Allerdings "fehlen" meines Wissens aus dieser Zeit auch keine weiteren Legionen, die vorher noch in den Quellen auftauchen und danach nicht.

es muß ja auch keine Legion vernichtet worden sein, man hätte z.B. aus 3 zwei machen können wie auch immer.
Unwahrscheinlich, da Legionen sehr lange existierten und sich anhand ihrer Namen gut verfolgen lassen. Es gab zwar häufig den Fall, dass man temporär für besondere Aufträge die Legionen geteilt hätte oder eine kleinere Einheite herausgenommen (so genannte Veixillationen), doch habe ich noch nie gehört, dass man zwei ganze Legionen zusammengelegt hätte.

Ich lese ja nun häufig wie sich über (Tacitus) gestritten wird, alle wollen ihn natürlich für ihre Story passend lesen jedes Detail wird fest gemacht und gebogen bis es passt. Die Realität sieht aber doch wohl anders aus und besonders viel Inhalt ist in dem Text nun auch wieder nicht.
Das ist natürlich ein grundsätzliches Problem. Die antiken Autoren hatten noch nicht so gute Möglichkeiten zur Dokumentation und so sind ihre Angaben nach heutigen Masstäben oft sehr vage. Tacitus ist aber meines Wissens der einzige Autor, von dem sich überhaupt Ortsbestimmungen der Varusschlacht erhalten haben. Deshalb ist er so wichtig.

Frage ist, hatte Ein Propaganda Blatt von Goebels wohl ähnlichen Inhaltswert ?
Schwer zu sagen, es wäre aber leichter einzuorden, weil wir über Goebbels mehr wissen.

laufen viele Menschen einer Geschichte nach die so nicht existierte? wie hoch darf man den Inhalt als Tatsachen ansehen ?
Das ist kompliziert: stellt sich die Frage überhaupt so? Für die Varusschlacht haben wir nur die vier Autoren, die darüber berichten; man kann sich auf ihre Angaben verlassen oder diese anzweifeln, es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass noch mal ein unbekannter antiker Bericht dazu auftaucht. So ist die Varusschlacht allein durch diese Berichte Realität.

Immerhin lässt sich folgendes durch den Abgleich mit den archäologischen Quellen feststellen:
- es gab wirklich die großen Feldzüge rechts des Rheins
- die Römer zogen sich tatsächlich ungefähr zu dem Zeitpunkt zurück, den auch Tacitus nennt.
- mit Kalkriese hat man den Ort einer großen Schlacht gefunden, dessen Merkmale in vielerlei Hinsicht zur Varusschlacht passen könnte - wenngleich es auch einige Punkte gibt, wo sich archäologischer Befund und die Berichte von Tacitus und anderen widersprechen.

Ich glaube, da kommen wir aber vom übrigen Thema ab...
 
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Ich habe auch nicht behauptet das so ein Gesamtwerk nicht den Tatsachen entspricht sondern Details über die sich Heute so oft gestritten wird. Wie schon aufgelistet gibt es Tatsachen die sich auch beweisen lassen aber die Schlacht selbst wird ja nun auch von den Schriftstellern unterschiedlich dargestellt. Paterculus Lobgesang auf Tiberius und Tacitus eher abgeneigte Haltung diesem gegenüber stellt allein schon ein Problem oder wem sollte man nun eher glauben, wer ist der glaubwürdigere?
Übrigens, an Verschwörungen glaube ich so wenig wie an Gespenster ...
 
Verschwörungen gibt es schon, aber nicht in dem Maße, den Dan Brown und Co. uns glauben machen wollen - jeder, der einmal in einem Großbetrieb gearbeitet hat, weiss, wie schwer die Lenkung und Organisation komplexer personeller Strukturen ist. Und nun versucht das mal im Geheimen. Es ist illusorisch. Aber andererseits, nur weil ich noch kein Gespenst gesehen habe, bedeutet das nicht, dass es keine gibt … ;)

Ich wäre sehr vorsichtig damit, den mittelalterlichen Mönchen Verfälschungen zu unterstellen. Ihr Arbeitsethos war bewundernswert - vor allem auch bei der Genauigkeit, mit der selbst "anstößige" oder explizit heidnische Schriftsteller getreu kopiert und weitergegeben wurden. Viel wahrscheinlicher sind Verfälschungen schon zu römischer Zeit: durch schlechtes Quellenstudium, Anpassungen an den kaiserlichen Geschmack oder durch mythische Verklärung.

Aber das gibt es heute auch. Man stelle sich vor, "Moby Dick" würde nachfolgenden Generationen nur in der Jugendbuch-Ausgabe überliefert ... oder "Der Herr der Ringe" nur als Peter Jackson-Film ...
 
Paterculus Lobgesang auf Tiberius und Tacitus eher abgeneigte Haltung diesem gegenüber stellt allein schon ein Problem oder wem sollte man nun eher glauben, wer ist der glaubwürdigere?
Genau deswegen gibt's ja historische, archäologische und philologische Forschung, um diese 'Widersprüche' zu klären. Und wahrscheinlich liegt die 'Wahrheit' irgendwo in der Mitte.
Neben den von Mummius Pictus genannten Gründen würde ich noch die Persönlichkeit des Autor anführen, die auch zu veränderten Sichtweisen geführt haben können.
 
... und die komplette Unmöglichkeit, zu jeder Zeit, an jedem Ort, von jedem Autor, Geschichte objektiv zu schreiben.
 
Ich wäre sehr vorsichtig damit, den mittelalterlichen Mönchen Verfälschungen zu unterstellen. Ihr Arbeitsethos war bewundernswert -
Ich habe mal im ZDF gesehen das die Mönche im Mittelalter z.B. Karl den Großen wie verrückt gefälscht haben allein schon aus Profitgier (vielleicht auf Anordnung?). Alles in allem bin ich ja froh das die was geschrieben haben sonst ging es uns noch schlechter mit dem Wissen von früher (siehe Germanen).
 
Ich habe mal im ZDF gesehen das die Mönche im Mittelalter z.B. Karl den Großen wie verrückt gefälscht haben allein schon aus Profitgier (vielleicht auf Anordnung?).

Damit meinst du wahrscheinlich die Praxis, Schenkungsurkunden u. ä. hervorzuzaubern, wenn es um Machtansprüche ging (siehe "Kontantinische Schenkung"). Das ist natürlich nur zu verlockend, wenn man als Kloster einzige Quelle und Bewahrungsstätte der Schriftkultur und Dokumentation ist. Angesichts dieser "Machtfülle" ist es eher erstaunlich, wie selten sie genutzt wurde. Und natürlich erst in zunehmendem Maße, als Schriftkultur auch im politischen Leben wieder eine Rolle spielte.
Wie gesagt, der Arbeitsethos: an der Bibel z. B. darf "kein Iota verändert werden", Ikonenmaler folgen einem strengen Formenkatalog, der Ikonen über Jahrhunderte hinweg so gleich aussehen lässt, dass der Name "Ikone" schon zum Begriff für "unveränderliches Sinnbild" wird. Aus der heutigen Sicht von Selbstverwirklichung und künstlerischem Ausdruck kaum mehr zu begreifende Tugenden, die in ihrer und für unsere Zeit aber überlebensnotwendig waren.
 
Die Veränderungen, die dann doch zwangsläufig vorgefallen sind, sind meist darauf zurückzuführen, dass der Abschreiber mit den Gedanken offenbar ganz woanders war. Der wohl schönste Fall findet sich bei Petronius, der eigentlich von einem Neureichen schreibt: "Ab asse crevit", "er hat mal mit nur einem As angefangen"; der Mönch hatte offenbar grade Stress mit seinem Abt und machte daraus "Abbas secrevit", "Der Abt hat geschi**en". :D
 
Der wohl schönste Fall findet sich bei Petronius, der eigentlich von einem Neureichen schreibt: "Ab asse crevit", "er hat mal mit nur einem As angefangen"; der Mönch hatte offenbar grade Stress mit seinem Abt und machte daraus "Abbas secrevit", "Der Abt hat geschi**en". :D

:rofl:
das ist aber auch wirklich schwer - schließlich haben ja die Mönche auch erst Wortzwischenräume, Punkt und Komma in größerem Stil eingeführt. vorhermusstemaneinentexteinfachlautlesenumhinterseinensinnkommenzukönnen.
 
Nun, auch Heute stimmt längst nicht alles was man liest. Die Frage ist doch aber in wie fern können wir uns Heute auf die alten Schriften verlassen, bisher dachte ich eher das so ein Tacitus doch ziemlich viel Warheit beinhaltet. Nun bin ich mir da aber gar nicht mehr so sicher und von den paar anderen heißt es ja meist eh das sie nicht so ernst genommen werden sollten (warum übrigens?). Von den Ägytern haben wir wenigstens die in Stein gehauenen Zeugnisse aber was bleibt von diesen Überlieferungen an Inhalt ? im Kindergarten gab es mal dies Flüsterspiel, komme auf den Namen nicht mehr, am Ende kam auf jedenfall immer was ganz anderes heraus. Es muß doch mehr geben als nur Kopien auf Fehler zu begutachten oder ? Wie stehen denn die Chancen noch Originale zu finden oder wenigstens ganz frühe Abschriften?

Hier wird ein Grundproblem jeglicher Quellen angesprochen.
Da geht es nicht nur um Schriften (und schon gar nicht nur um römische).
Es ist völlig gleichgültig, welche Überlieferung und Überlieferungsform wir nehmen, immer müssen wir die Quelle hinterfragen und auswerten, gleichgültig ob uns Xenophon einen Bericht hinterließ oder wir einen Zeitzeugen des Krieges befragen.
Darum unterscheidet die historische Wissenschaft ja auch verschiedene Formen der Überlieferung, z.B. Tradition und Überreste. Während also die traduierten Quellen, wie Tacitus Schriften, dazu dienten etwas der Nachwelt zu überliefern und somit eine ganz andere Intention haben, sind Überreste Dinge, die schlicht Überkommen sind, aber sicher nichts Aussagen sollten, also einem anderen Zweck dienten....
Dies mal als kleiner Ausblick.

Und genau da liegt die Problematik in der Geschichte im allgemeinen.
Jeder Mensch kann sich ein Relief ansehen und dann überlegen oder assoziieren, was er da sieht. So entstehen dann auch die interessantesten und / oder witzigsten Theorien und Interpretationen, die mitunter dann auch zu ewigen Diskussionen führen können.
Um eine Quelle aber richtig zu behandeln Bedarf es vor allem der Quellenkritik, und diese Methodik erscheint viel einfacher als sie wirklich ist und überarbeitet sich beständig selbst. Studenten der jeweiligen Wissenschaft lernen vor allem die ersten Semester kaum etwas anderes als Arbeiten mit der betreffenden Literatur und die Quellenkritik.
Wer sich mit diesen Problemen weiter auseinander setzen will, dem empfehle ich bspw. die beiden Bücher "Einführung in das Studium der Alten Geschichte" von Rosmarie Günther und "Proseminar Geschichte: Mittelalter" von Hans-Werner Goetz, beide im UTB Verlag erschienen.

Kehren wir zur Ursprungsfrage zurück und stellen zwei der wohl bekanntesten Autoren der frühen römischen Kaiserzeit nebeneinander:
Sueton und Tacitus. Legt der eine Wert auf hohen Unterhaltungscharakter seiner Biographien, betont der andere gerne und wiederholt seine informierenden Absichten.
Beide haben dabei also einen ganz unterschiedlichen Ansatz, Anekdoten steht vermeintlich genaue Überlieferung gegenüber. Bei genauerer Betrachtung und im Abgleich mit anderen antiken Autoren haben beide aber ihre "Stärken" und "Schwächen".
Zusammenfassend bleibt zu sagen: keine Quelle (gleich welcher Zeit) darf unkritisch übernommen werden.
Wer sehen will, was im schlimmsten Fall bei fragwürdiger oder fehlender Quellenkritik dabei rauskommt, möge sich einfach die Kalkriesediskussionen gerade auch hier im Forum durchlesen.

Ach ja, ein kleiner aber immer wieder auftauchender Fakt: gerade durch die Quellenkritik wird vieles von dem, was man gerne als gesichert ansieht wieder etwas "aufgeweicht" und somit extreme Relativierung beitrgetragen. "Vielleicht" "Möglicherweise" "könnte sein" sind dabei auftretende Wendungen, die verständlicherweise dem durstigen Menschen aber nicht befriedigen.

Auf die Frage wie die Chancen stehen noch Originale zu finden sei geantwortet: verschwindend gering was Bücher angeht.
Materialien wie Papyrus und das später verwendete Pergament sind natürlich deutlich anfälliger als etwa das mittlerweile auch aus der Mode kommende Papier, und so mußten bereits in der Antike, wie hier auch bereits gesagt, immer wieder Kopien angefertigt werden.

Dazu kommt der katastrophale Umgang mit Bibliotheken in verschiedenen Zeiten und die ein oder andere Katastrophe.
Trotzdem bekommen wir immer wieder Inschriften und Schriftreste in die Hände. Es gibt bspw. eine große Papyrussammlung im Seminar der Alten Geschichte Bonn.
Auch hier sei nochmal auf die Einführung in die Alte Geschichte verwiesen, die diese Themen sehr anschaulich behandelt.
Aber ganze Bände im Original zu finden, wie gesagt, diese Wahrscheinlichkeit ist verschwindend gering.
 
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Ach ja, ein kleiner aber immer wieder auftauchender Fakt: gerade durch die Quellenkritik wird vieles von dem, was man gerne als gesichert ansieht wieder etwas "aufgeweicht" und somit extreme Relativierung beitrgetragen. "Vielleicht" "Möglicherweise" "könnte sein" sind dabei auftretende Wendungen, die verständlicherweise dem durstigen Menschen aber nicht befriedigen.

Das halte ich für eine Kernaussage, die alles betrifft, was Geschichte ausmacht. Irgendwann einmal muss jeder zu dem Schluss gelangen, dass es keine Wahrheit gibt, und wenn doch, dann steht sie in keinem Buch der Welt.

Der Wissensdurstige hat dann vier Möglichkeiten:

1. Er wird bekloppt.

2. Er leugnet die Tatsache, dass es keine absolute Wahrheit gibt, entscheidet sich für eine Variante, die er für wahr deklariert und macht allen anderen das Leben schwer.

3. Er wird Historiker und zählt bis an sein Lebensende die Erbsen, losen Fäden, abweichenden Wahrheiten, die uns Geschichtsschreiber hinterlassen haben, und versucht sich an einer Rekonstruktion, von der er sich immer bewusst ist, dass sie höchstens eine Annäherung darstellen kann.

4. Er schreibt nen Roman, dann kann ihm keiner! ;)

Ein Ansatz, dem ich persönlich sehr zugeneigt bin, ist der des "New Historicism" oder auch "Poetics of Culture", des amerikanischen Literaturprofessors Stephen Greenblatt. Wohlgemerkt, Literatur, er ist kein Historiker. Er hat besser als jeder andere das in Worte gefasst, was mich schon immer an der Historie stark frustriert hat, weil ich ein zu oberflächlicher Mensch bin, um zur 3. Kategorie zu gehören. Seine Ansätze der Literaturkritik, die ohne weiteres auf Quellenkritik anzuwenden sind, sind sehr spannend und zugleich tatsächlich befriedigend.
 
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