Das Potential, göttliche und übernatürliche Wesen zu gebären hat auch - mythisch gesehen - das Meer. Das Meer kann aber keinesfalls resp. höchstens als Gegensatz in Verbindung zur Erde (und damit zur "Muttergöttin") gebracht werden. Damit ist aber die Analogie von Felsgeburt zur Erdgöttin / Muttergöttin kein 100prozentiger Beweis mehr.
Natürlich ist das Wasser (wovon das Meer ein Spezialfall ist) in der Mythologie mit Abstand die Nr. 1 aller geburtsfähigen Naturelemente, was ich selbst in bezug auf Anahita und mit Verweis auf das mütterliche Fruchtwasser betonte:
Dafür spricht auch Anahitas enge mythologische Verbindung mit dem Wasser, das in der Antike – auch mit Bezug auf das mütterliche Fruchtwasser - als Quelle des Lebens galt.
Ob das Meer mit dem Wasser mythologisch in Verbindung gebracht werden kann? Du zweifelst, ich nicht.
Die antiken Göttinnen können zu einem großen Teil in drei Kategorien eingeteilt werden: Erdgöttinnen, Wassergöttinnen und Himmelsgöttinnen. In manchen Fällen überschneiden sich die Kompetenzen, wie z.B. bei der sumerischen Inanna, die ursprünglich wohl eine reine Erdgöttin war und gegen Ende des 4. Jt. BCE zusätzlich auch astrale (himmlische) Funktionen annahm. Gemischte Erd- und Wassergöttinen gab es zwar hie und dort, aber kulturell so unbedeutend, dass ich sie als Argument nicht heranziehen möchte, zumal das gar nicht nötig ist.
Es reicht, darauf hinzuweisen, dass es viele klassische Muttergöttinnen mit Erdbezug und viele ebensolche mit Wasserbezug gab. Aus naheliegenden Gründen wurde die Fruchtbarkeit von Erde und Wasser mit Muttergöttinnen assoziiert, wobei regionale Zufälle den Ausschlag gaben, wie die Wahl ausfiel. Da hast du also eine Verbindung, dazu noch eine sehr tragfähige.
Am Beispiel von
Anahita lässt sich ebenfalls ein Bezug herstellen. Zunächst zu ihrer Herkunft:
Entstanden war sie vermutlich als Synthese aus zwei Göttinnen:
(1) die indische Flussgöttin ´Sarasvati´, auch ´Maha-nila-saras-vati´ genannt, die möglicherweise als Namenspatin des ägyptischen Nil fungierte (´nila´ = blau) und deren Wasser bei Inthronisationsritualen dem König Göttlichkeit verlieh. Ähnliches geschah auch im Kult ihres Spin-offs Anahita. In Persien wurde Sarasvati ´Harah-vati´ genannt und als ein vom Berg ´Hara´ herabfließender Fluss imaginiert, der die Quelle allen irdischen Wassers ist.
(2) die in vor-zoroastrischen Zeiten von den Medern und Persern verehrte elamitische Fruchtbarkeitsgöttin ´Anahiti´ (die Reine), die der sumerisch-akkadischen Ischtar nachgebildet war und wie diese mit dem Planeten Venus assoziiert wurde.
In der persischen Avesta-Mythologie wurde der Sarasvati-Mythos um den Berg Hara übernommen und auf Anahita übertragen. Avestisch heißt der Berg ´Hara Berezaiti´, ein Gigant, dem alle anderen Berge und Gebirge entspringen, auch der Hindukusch. Dem Gipfel des Hara entspringt auch alles Wasser der Welt in Form des Flusses ´Aredevi Sura Anahita´ (Fließende mächtige Reine), wovon der letzte Teil, die ´Reine´, der kultisch gebräuchliche Name der Göttin Anahita war, zu deren Erscheinungsformen dieser Fluss gehörte, d.h. sie wurde im Avesta mit ihm gleichgesetzt und daneben auch anthropomorph beschrieben (im Avesta) und anthropomorph ikonographiert (in ihren Kulten).
Was ergibt sich daraus? Dass ein gigantischer Felsen (der Hara) die Quelle des lebenswichtigen Wassers ist - und nicht nur das: Er ist auch die Quelle der mit dem Fluss gleichgesetzten Wassergöttin, er ´gebiert´ sie gewissermaßen.
Das ist neben der oben genannten eine zweite starke Verbindung von Erde/Fels. Vielleicht kann das deine Bedenken zerstreuen.
Noch zwei Takte zur Felsgeburt des Mithra:
Dieses Mythem war Teil der Mythologie des römischen Mithra-Kultes, der überwiegend von römischen Soldaten ausgeübt wurde, die auf das weibliche Geschlecht mit großer Verachtung herabblickten. Dafür spricht auch die Frauenfeindlichkeit ihres Gottes Mithra. Kann es da wundern, wenn auch die Geburt des Mithra die Misogynie der Soldaten und ihres Gottes wiederspiegelt, indem auf eine Frau als gebärende Mutter des Gottes verzichtet wird und stattdessen die Felswand einer Höhle - eine typische Location des Mithrakultes - die Rolle der Vulva spielt?
Die Felsgeburt ist also das logische Produkt einer misogynen Mythologie. Entsprechend zeugt Mithra seinen Sohn Diorphus nicht mit einer Frau, sondern einem Berg.
Natürlich kehrt das Verdrängte (das Weibliche) symbolisch wieder.
Höhlen symbolisieren psychoanalytisch gesehen den Mutterleib, worauf auch der bekannte Psychoanalytiker Otto Rank hinweist:
(The Myth of the Birth of the Hero)
The "box" in certain myths is represented by the cave, which also distinctly symbolizes the womb.
Ich muss aus Zeitgründen abbrechen, mehr folgt demnächst.