Günter Guillaume

Mir will bis heute nicht einleuchten,warum die Guillaume-Affäre der Grund für den Rücktritt des Bundeskanzlers Brandt war.

Rückwirkend hat Brandt es selber als nicht notwendig erkannt. Aber zu dem Zeitpunkt war es das Gefühl der mangelhaften Unterstützung durch Wehner, das dubiose Agieren der Bundesbehörden, wie von Nollau, und das Antizipieren weiterer Medienkampagnen - vor allem aus dem Springer-Umfeld - gegen ihn.

Diese Sicht bestätigt auch Bahr (Erinnerungen an Willy Brandt).

Heute wird häufig davon gesprochen seine Frauenaffären und die Erpressbarkeit des Bundeskanzlers eine Rolle gespielt haben sollen.

In den "Notizen zum Fall G" von Brandt, die V. Zastrow der Autobiographie angefügt hat (Erinnerungen, S. 513ff) gibt es wohl in der Tat ein "Dossier" von Nollau, in dem angeblich die "Frauengeschichten" von Nollau dargestellt worden sind. Die Umstände, unter denen dieses Dossier erstellt worden sind und wie es instrumentalisiert worden ist, auch von Wehner, sind dubios, folgt man der Darstellung von Brandt.

Günther Nollau ? Wikipedia

In diesem Kontext wurde ihm auch immer eine Beziehung zu W. Bruhns angedichtet, als Teil einer Rufmord-Kampagne, die vor allem durch die "Bild" inszeniert worden ist.

Dieser Vermutzung hat Bruhns deutlich widersprochen. Für sie war Brandt als Mann unattraktiv und lediglich ein "journalistisches Objekt" (vgl. Beitrag)

Google-Ergebnis für http://polpix.sueddeutsche.com/bild/1.1296974.1355403602/640x360/wibke-bruhns-willy-brandt.jpg

Angeblich sagte Helmut Schmidt sogar, die Affäre sei kein Grund für einen Rücktritt. Es scheint somit denkbar, dass sich Wehner und Schmidt einig waren, die Affäre zum Anlass zu nehmen, die Macht neu zu verteilen. - Allerdings haben das alle Beteiligten stets weit von sich gewiesen, was auch nicht anders zu erwarten war.

H. Schmidt wird von Brandt zwar skeptisch beurteilt, aber eher wegen "lockerer Sprüche" über die SPD, aber durch ihn erhält Brandt Unterstützung. In diesem Sinne kann man keinen Vorwurf bei Brandt gegen Schmidt erkennen und benennt ihn sofort zum Kanzler bzw. Kanzlerkandidaten an seiner Stelle. Zumindest an diesem Punkt gab es keinen Machtkampf zwischen den beiden, folgt man Brandt.

Das ist deutlich anders in Bezug auf Wehner, dem er ein "konspiratives" Verhalten, in Kooperation mit Honecker" vorhält. Brandt kann es nicht direkt beweisen, allerdings verweist er auf ein Telegramm von Honecker an Wehner, in dem Schmidt - als antizipierter Bundeskanzler - eingeladen worden ist. Hinter dem Rücken des amtierenden Bundeskanzlers Brandt.

Dieses Telegramm ist formuliert und abgeschickt worden an Wehner noch bevor Brandt seinen Rücktritt formal erklärt hatte. Es ist ein indirekter Beleg dafür, dass Wehner mit Honecker eine gemeinsame Zielsetzung gegen Brandt verfolgt haben. Und das bildet einen Teil der "dubiose" Machenschaften im Rahmen der Auffäre Guillaume.

Diese Sicht wird durch Bahr deutlich wiederholt und er schiebt Wehner die Verantwortung zu und somit ist vor allem Wehner die treibende Kraft im inneren Machtzirkel gewesen, der auf den Rücktritt hin gearbeitet hat.

Unklar ist für mich im Moment, welche Motivation Wehner dabei hatte. Da fehlt mir derzeit das Wissen.
 
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Eine mögliche Antwort bieten Raschke & Tils, die einen Verlust der Führungsstärke bei Brandt erkennen (S. 476).

Der Analytiker, der die Schwächen in 1972 aufgedeckt hatte war wohl Schmidt und operativ umgesetzt hat es Wehner. Schmidt hielt sich im Hintergrund und wartete ab.

Ohne auf einen erhöhten Widerstand von Brandt zu treffen.

Politische Strategie: Eine Grundlegung - Joachim Raschke, Ralf Tils - Google Books

Die Andeutungen von Brandt zu Kontakten von Wehner und Honecker sollen wohl als Information via geheime Kanäle aus Moskau von Breschnew gekommen sein.

Unter dem Strich war es wohl doch eher ein interner Machtkampf, vermutlich auch als Intrige zu verstehen, und ein Brandt, der durch die harten Widerstände, auch teilweise in der Medienlandschaft, nicht mehr die Kraft fand, weiter zu machen.
 
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Unter dem Strich war es wohl doch eher ein interner Machtkampf, vermutlich auch als Intrige zu verstehen, und ein Brandt, der durch die harten Widerstände, auch teilweise in der Medienlandschaft, nicht mehr die Kraft fand, weiter zu machen.

Entschuldige, wenn ich darauf herumreite, aber wie passt das alles zur Entspannungspolitik, die ja vornehmlich von Brandt ausging. Wurde hier auch innerhalb der SPD eine Erwärmung des Kalten Krieges torpediert?
 
Wehner hatte für eine Fortsetzung der Großen Koaltion nach der Bundestagswahl 1969 plädiert. In der Wahlnacht entschlossen sich Willy Brandt und Walter Scheel, eine SPD/FDP-Koaltion anzustreben, obwohl diese nur eine hauchdünne Mehrheit im Bundestag hatte, die dann durch Parteiübertritte im Laufe der Legislaturperiode auch verloren ging. Dies mündete in das konstruktive Mißtrauensvotum gegen Brandt vom April 1972.

Nach dem Scheitern des Mißtrauensvotums gab es im November 1972 vorgezogene Neuwahlen, die einen klaren Sieg der Regierungskoaltion brachten. Bald mehrten sich aber die kritischen Stimmen, die Brandt Entrücktheit und Führungsschwäche vorwarfen. Die Umstände des gescheiterten Mißtrauensvotums führten zu einem Skandal und einem Untersuchungsausschuß, nachdem der CDU-Abgeordnete Steiner öffentlich erklärt hatte, von Wehners "Mann für heikle Fälle" Karl Wienand 50.000 Mark für seine Stimme bekommen zu haben. Nach späteren Informationen u.a. von Markus Wolf soll die Stasi Steiner dagegen direkt bezahlt haben; wer hier zahlte und wer davon wieviel wußte ist nie endgültig geklärt worden.

Im Laufe des Jahres 1973 sank Brandts Popularität deutlich ab:

"Im fünften Kanzler-Jahr ist Willy Brandt an die Grenzen seiner Führungskunst geraten: Die Ostpolitik stagniert. Das Programm der inneren Reformen kommt kaum voran. In der Partei hat die integrierende Kraft des Vorsitzenden nachgelassen. In der Regierung laßt der Kanzler nach dem Geschmack vieler Genossen der FDP zuviel Freiheit, und der Gedanke an seinen Sturz ist nicht mehr tabu."

DER SPIEGEL*50/1973 - Willy Brandt 60: Das Monument bröckelt

Im Frühjahr 1974 konnte die ÖTV zudem nach einer harten Streikauseinandersetzung eine drastische Lohnerhöhung durchsetzen. Vor diesem Hintergrund muß Wehner zu der Überzeugung bekommen sein, dass die nächste Bundestagswahl mit Brandt als Kanzler für die SPD nicht mehr zu gewinnen sei. Dem entsprach eine tiefe Amtsmüdigkeit Brandts. Die Guillaume-Affäre wird für beide dann nur noch der Anlaß gewesen sein.
 
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Dass es letztlich ein Machtkalkül war, um die Regierungsfähigkeit der SPD nicht zu gefährden, dafür spricht einiges.

Brandt hatte vor der Ostpolitik hervorragende Kontakte zur Presse, u. a. zur Springer-Presse. Als sich das drehte, bot er schon mit seinen Ecken und Kanten Angriffsfläche. Vieles ging da bereits unter die Gürtellinke, so zur Rolle im Exil (Anfeindungen als "Verräter" und Drückeberger), oder die familiären Hintergründe. Die zT angedichteten Frauengeschichten kamen hinzu, wobei Brandts Wirkung auf Frauen wohl unbestritten war. Aus Wehner-Sicht dürfte außerdem kaum kalkulierbar gewesen sein, was die DDR mit möglichen Berichten aus Brandts Umfeld anfangen würde, wenn sie denn. Im Besitz von Berichten sein würde.

Man kann eine Schlussfolgerung nachvollziehen, dass Brandt als Kanzler nach der Affäre jederzeit durch gestreute Gerüchte aus der DDR (Wahrheiten hin oder her) abschießbar gewesen wäre. Wenn man die Ostpolitik als Gratwanderung begreift, auch innenpolitisch eine Zerreißprobe, dann war es mit Brandt nicht weiter zu machen.
 
Danke für diesen Link!

Guillaume haben wir damals nur als Anlass/Vorwand gesehen.

Hier wurde auch von möglichen Intrigen und einer möglichen Müdigkeit geschrieben.
Ich glaube das könnte zu den Ursachen, vielleicht sogar ausschlaggebenden Ursachen gehören.

H. Schmidt als Nachfolger.
Die Dummen Gesichter im Haus am Werderschen Markt hätte ich damals allzu gern gesehen.
Weil, ich erinnere mich, es gab anfangs der 70iger von offizieller Seite der DDR eine Art Kampagne gegen H. Schmidt.
Und ich erinnere mich auch, das W. Brandt, ich glaube (bin mir aber nicht sicher) es war im Zusammenhang mit seinem Besuch in Erfurt, sich in der DDR öffentlich schützend vor H. Schmidt stellte.
War dann etwas propagandistische Ruhe eingekehrt was nicht heißt, es hätte da ein Umdenken eingesetzt.
Vielleicht gibt es dazu was im Netz, ich finde nichts oder es kann sich da jemand auch erinnern.
 
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