Dir ist aber durchaus bekannt, dass Darstellungen dieser Art nicht unbedingt die tatsächliche Realität wiedergeben?
Man würde tatsächlich kaum Bauern gefunden haben, die Getreide in Bodennähe im 19. oder 20. Jahrhundert mit Schicheln geschnitten haben würden, dazu hätte man selbstredend Sensen eingesetzt, um sich nicht völlig unnötig den Rücken zu verrenken.
Sicheln waren sicherlich in Gebrauch, bei Feldfrüchten, bei denen man aus welchen Gründen auch immer keinen Wert auf die Aberntung von Halmen legte und es von dem her Sinn ergab diese nicht in Bodennähe, sondern unmittelbar unterhalb der ähren zu kappen.
(Machte sicherlich auf wenig gepflegten Äckern Sinn, auf denen möglicherweise auch relativ viel Unkraut dazwischen stand, wenn dieses nicht die entsprechende Höhe erreichte. Dann machte Aberntung des Getreides direkt unterhalb der Ähren Sinn um das nicht mitabzuernten und dazwischen zu haben, was der Fall gewesen wäre, hätte man eine Sense benutzt und in Bodennähe geschnitten. Aber das dürfte vor allem ein Phänomen früherer Jahrhunderte gewesen sein, als des 20.)
Und jedenfalls auf einem solchen Feld, wie dem im unteren Bild dargestellten, bei dem, wie auf dem Bild zu sehen auch Wert auf die Aberntung des Strohs gelegt wurde, würde man keine Sicheln als Hauptarbeitsmittel gesehen haben.
Das wurde hier sehr wahrscheinlich eher aus stilistischen Gründen gewählt, weil das Herunterbeugen bis weit zum Boden hin, die harte Arbeit auf den Feldern sicherlich mehr veranschaulicht, als wenn da jemand mit aufrecht stehend mit der Sense drübergegangen wäre.
Letzteres wäre aber wesentlich wahrscheinlicher der Fall gewesen.
Ich bin nun weder in der Kunstgeschichte sonderlich kompetent, noch kenne ich mich mit Landwirtschaftsgeschichte gut aus. Natürlich hat man in der Genre-Malerei des 19. Jahrhunderts das Landleben verklärt. Ich komme aus einer sehr ländlichen Gegend in Nordhessen, und auf einem Dorf etablierte sich im 19. Jahrhundert eine Malerkolonie. Emil Ludwig Grimm und Gerhard von Reutern waren Mitbegründer. Reutern hatte in der Völkerschlacht von Leipzig die Hand verloren, und wie die damalige Freiin von Schwertzell stammte er aus dem Baltikum und verbrachte bei den von Schwertzells einen Urlaub.
Im Zeitraum von 70-80 Jahren haben eine Reihe von sehr unterschiedlichen Malern die Bewohner der Region gemalt. Die waren recht angetan von der Region, von den farbenprächtigen Trachten. Das war sozusagen eine unberührte vormoderne Gesellschaft.
Es gibt eine Menge von Malern, die Dorfszenen, die farbenprächtigen Trachten und Bauern der Region gemalt haben, natürlich gab es Stilisierungen, Idealisierungen besonders nach 1933 zeigte sich, dass nun in Deutschland nur noch ein Kunstgeschmack akzeptiert war.
Wenn da auch Künstler stilisiert haben, ein ländliches Idyll heraufbeschworen haben, das es so in der Realität nie gegeben hat, so waren diese Maler aber auch gute Beobachter. Sie waren sehr detailversessen. Die Entwicklung der Schwälmer Tracht lässt sich recht gut anhand der Chronologie der Bilder aus der Malerkolonie Willingshausen rekonstruieren. Bei Ackergeräten, bei der Kleidung bei Fahrzeugen da waren die Maler sehr detailversessen, haben das mit großer Detailgenauigkeit gemalt.
Es wäre auch in der Region aufgefallen, wenn die Maler da etwas gemalt hätten, was der Realität nicht entsprach, wenn man Pferde- oder Ochsengespanne gemalt hätte, während auf den Dörfern die Bauern sich längst schon Traktoren und Mähdrescher angeschafft hätten.
In Mitteleuropa hat im 19. 20. Jhd. kein Mensch mehr mit der Sichel gemäht. In Russland würde ich dafür aber nicht die Hand ins Feuer legen. Es sind doch aus verschiedenen russischen Regionen Bildquellen und Fotografien erhalten, auf denen das Korn noch mit der Sichel gemäht wurde.
Immer wieder wird in zeitgenössischen Quellen die Rückständigkeit und die Notwendigkeit von Investitionen erwähnt. Dass ländliche Genreszenen oft zu einer gewissen Stilisierung und Idealisierung neigten, kann man sicher konstatieren. Ich würde aber auch durchaus ländlichen Genreszenen einen gewissen Realitätsgehalt zubilligen. Bei vielen Malern war durchaus ein Anspruch vorhanden, die Realität detailgetreu abzubilden, und bei vielen war geradezu eine Detailverliebtheit festzustellen.
Die Künstler haben sicher Szenen idealisiert, haben ein ländliches Idyll heraufbeschworen, sie hatten aber vielfach einen scharfen Blick für Details, und wenn sie in ihren Bildern eine Realität abgebildet hätten, die es in Wirklichkeit gar nicht (mehr) gab, wenn es völlig der Realität widersprach, hätten sie sich völlig unglaubwürdig gemacht.