Hammer und Sichel – warum?

Zu den besitzenden Bauern hatten die Bolschewiki ja eher ein schlechtes Verhältnis, hier mag eher an die landlosen Landarbeiter gedacht worden sein, die kaum mehr als eine Sichel als Arbeitsgerät selbst bessesen haben dürften.
Die Sichel als Symbol für Landwirtschaft, Ernte und Widerstand gab es bereits vor dem Bolschewismus. Im Mittelalter finden wir das bereits bei der Heiligen Notburga -- das könnte sich bis ins 20. Jahrhundert weiterentwickelt haben. Etwas bereits Vertrautes zu übernehmen bzw. zu adaptieren, ist gewöhnlich einfacher, als das Rad neu zu erfinden.
Beide Erklärungen zusammen - von mir hier fett hervorgehoben - scheinen mir den Kern der Sache zu treffen.
 
Es wird mir persönlich immer ein Rätsel bleiben, wie man es schafft die мир/община zu romantisieren, gleichzeitig die Kollektivierung die die Sowjets betrieben aber zu verteufeln, jedenfalls was den grundsätzlichen Gedanken angeht (die Ausführung der Zwangskollektivierung und die unnötigen Opfer sind natürlich ein anderes Thema.
Die мир war keine freiwillige Produktions/Lebensgemeinschaft, sondern sie war in der Regel ein Produkt des Feudalsystem bei dem die Dorfgemeinschaft für die an den Grundherren (nach der "Baueernbefreiung dem Staat) zu leistenden Abgaben kollektiv verantwortlich war.

Wo bitte habe ich die traditionelle Dorfgemeinschaft romantisiert?

Peter Arkadewitsch Stolypin war ein reaktionärer Politiker, und er hat Maßnahmen mit großer Härte, ja Brutalität durchgesetzt. Stolypin hat aber immerhin eine Landreform in Angrigg genommen, und viele seiner Maßnahmen und Reformen waren aber durchaus bedenkenswert.
Stolypins Agrarreform erlaubte den Bauern privaten Landbesitz und den Ausstieg aus der Mir, die die Bauern an den Grund und Boden band. Ziel von Stolypins Reformen war der Aufbau eines bäuerlichen Mittelstands, und zu Stolypins Reformen gehörten umfassende Subventionen und Agrarkredite mit günstigem Zinssatz und umfassende Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung. Im Rahmen der Agrarreformen wurden auch bäuerliche Genossenschaften gegründet, und durch den kollektiven Besitz von Landmaschinen sollte die Produktion gesteigert werden.

Ähnliche Maßnahmen und Reformen wie die Gründung von bäuerlichen Genossenschaften hätten sich durchaus auch in der Sowjetunion angeboten, und sie wären langfristig der Mehrheit der Bevölkerung zugute gekommen und hatten hohe Akzeptanz bei der Bauernschaft.
 
Die Sichel als Symbol für Landwirtschaft, Ernte und Widerstand gab es bereits vor dem Bolschewismus. Im Mittelalter finden wir das bereits bei der Heiligen Notburga -- das könnte sich bis ins 20. Jahrhundert weiterentwickelt haben. Etwas bereits Vertrautes zu übernehmen bzw. zu adaptieren, ist gewöhnlich einfacher, als das Rad neu zu erfinden.
Es fragt sich halt, ob auch in der russisch-orthodoxen Tradition dieses Symbol verbreitet war.

Allerdings war die Pflugschar keine neue Zutat zur bäuerlichen Symbolik. Sie taucht, wie gesagt, bereits seit dem Mittelalter in der Heraldik und Sphragistik auf. Besonders in Ungarn und Polen ist sie als Symbol für das Bäuerliche sehr verbreitet, und ich würde annehmen, dass sie durch die nicht-russischen Teile des Zarenreiches selbst dann ins eigentliche Russland gelangt sein dürfte, wenn sie dort vorher keine Verwendung fand. Auch in den Wappen und Symbolen ukrainischer Kommunen ist die Pflugschar häufig.

Woran ich nicht gedacht hatte, das ist die Darstellbarkeit bei entsprechender Skalierung. Da überzeugt mich @Naresuan's Einwand vollauf. Insbesondere bei unsauberer Darstellung kann eine Pflugschar schon mal wie das Blatt eines Speers aussehen.
 
M.W. gab es schon Diskussion bei den Bolschewiki.

Es gab da mehrere Varianten was das Symbol „Sichel“ anbelangt.

Man diskutierte im Vorfeld:

Hammer und Sichel,
Hammer und Harke,
Hammer und Strohgabel und man diskutierte auch
Hammer und Pflug.

Aus meinen Unterlagen geht hervor, im April 1918 hat man sich dann zu einer endgültigen Variante für das Emblem geeinigt.
Entworfen wurde dies von den russischen Künstler Ewgeni Kamzolkin (* Feb. 1885/Moskau - † März 1957/Puschkino).
Der 5. Sowjetkongress stimmt dann für das Symbol „Hammer und Sichel“.

Bei so einigen machte dann in Moskau das Wort „Thron“ die Runde. Man sagte nicht „Hammer und Sichel“, man sagte „Sichel und Hammer“.

Erstaunlich ist dabei, man nahm die Darstellung eines Künstlers der nicht unbedingt in den Ruf stand ein Kommunist zu sein. Er war ein zutiefst gläubiger Mensch aus einer wohlsituierten Familie. Mehr als zehn Jahre lang war er Mitglied im mystisch-künstlerischen Verband „Leonardo da Vinci“ und er verstand sich hervorragend auf die Bedeutung von Symbolen.
 
@Scorpio wenn du damit nicht die traditionelle Dorfgemeinschaft, sondern Stolypins Politik meintest, habe ich dich missverstanden und dann entschuldige bitte den Anwurf.

Der ging vor allem gegen Einlassungen, die dann Kritik am Modell der Bolschewiki (nicht an den Methoden, dass ist ein anderes Thema) derartig übertreiben, dass sie schon fast eine Apologie der zarischen Autokratie und ihrer Ausprägungen darstellen.
Sowas ließt man nämlich leider erstaunlich oft.
 
Erstaunlich ist dabei, man nahm die Darstellung eines Künstlers der nicht unbedingt in den Ruf stand ein Kommunist zu sein. Er war ein zutiefst gläubiger Mensch aus einer wohlsituierten Familie. Mehr als zehn Jahre lang war er Mitglied im mystisch-künstlerischen Verband „Leonardo da Vinci“ und er verstand sich hervorragend auf die Bedeutung von Symbolen.

Hilf mir auf die Sprünge. Warum sollten persönliche Glaubensüberzeugungen oder eine Herkunft aus einer wohlsituiertenn Familie ein Hindernis sein, um für den Kommunismus adaptionsfähig zu sein?

Lenin selbst kam aus dem russischen Nieder/Amtsadel, sein Vater war Schulinspektor im Gouvernement Simbirsk in Diensten des Zaren gewesen, was automatisch mit dem Sprung in den erblichen Adelsstannd verbunden war, so das Lenin selbst diese Würde durchaus zukam und begütert war die Familie durchaus.

Stalin war, auch wenn das wahrscheinlich vor allem auf die Initiative seiner Mutter zurück ging, ein abgebrochener orthodoxer Priesterseminarist und wenn man sich aus späterer Zeit die Massenparaden in Moskau ud andernorts ansieht, bei denen die übergroßen Portraits von Marx/Engels und den kommunistischen Parteiführern präsentiert wurden, wird man eine gewisse Nähe zu christlichen Heiligen/Reliquien/Ikonenprozessionen, was die Ausdrucksform angeht, nicht verleugnen können.

Auch wenn man sich mit Marx/Engels näher beschäftigt, wird man unweigerlich feststellen, dass das durchaus keine Personen waren, die ein angenehmes Leben in Wohlstand persönlich verschmäht oder in ihren Schriften irgendwie abgelehnt hätten.
Liest man sich das "Kapital" und andere Schriften einmal näher an, wird man bei aller Kritik, die M./E. an der Religion äußerten durchaus aber feststellen, dass sich darin diverse Rekurse auf Bibelstellen finden.
Nicht um die Theorie zu untermauern, sondern eher um Analogien zu ziehen und Dinge zu beschreiben, weil Marxens Sprache mitunter sehr bildhaft ist.
Aber das findet man da.


Nun wird man sagen können, dass wenn die Begründer dieser politischen Theorie, wie auch ihre aktuellen Anführer selbst nie was gegen persönlichen Wohlstand hatten und die Begründer des theoretischen Gedankengebäudes sich selbst geistiges Eigentum diverser Mitautoren der Bibel in Form von Analogien für ihre eigenen Texte aneigneten, die Hürde dafür das Symbol eines eher wohlhabenden persönlich Gläubigen Künstlers/Designers zu übernehmen, keine große gewesen sein dürfte, jedenfalls nicht, so lange das Symbol nicht explizit Religion protegierte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Thron – eine Pointe in der damaligen Zeit...

Offensichtlch war damit der Thron des Russischen Zaren gemeint.

Man spielte da wohl an die diktatorischen Methoden der Bolschewiki an, weil sie sich nicht vom Machtanspruch der Zaren Rußlands unterschieden. Zumindest kam dies in der damaligen Zeit bei vielen so an.
Siehe hierzu auch „Beschluss des „Rates der Volkskommissare von 05.09.1918“.
Beschluß des Rates der Volkskommissare über den Roten Terror, 5. September 1918

Und die vielen gläubigen Russen und Sympathisanten sahen auch im „Hammer“ den Gott „Swarog“ und in der Sichel die Göttin „Mara“ oder auch „Marena“.
 
Mehr als zehn Jahre lang war er Mitglied im mystisch-künstlerischen Verband „Leonardo da Vinci“
An der Leonardo da Vinci Gesellschaft war nichts "mystisches".
Sie war eine renommierte künstlerische Vereinigung, die von 1906 bis 1911 in Russland bestand.
Der Zweck des Vereins bestand darin, Kunstausstellungen zu organisieren, Vorträge über Kunstgeschichte zu halten sowie das öffentliche Interesse an Malerei, Grafik und Skulptur zu wecken.
1917 gab es nochmals eine Leonardo da Vinci Gesellschaft um Arseni Awraamow. Bei der ging es aber um Musik.

"Mystisch" wird sie erst, wenn man versucht vom Kamsolkin eine Verbindung zu den Freimaurern u.a. herzustellen, wie es auf ein paar dubiosen Webseiten geschieht. Dort wird er dann auch gleich Großmeister der Prieuré de Sion.
 
@Scorpio wenn du damit nicht die traditionelle Dorfgemeinschaft, sondern Stolypins Politik meintest, habe ich dich missverstanden und dann entschuldige bitte den Anwurf.

Der ging vor allem gegen Einlassungen, die dann Kritik am Modell der Bolschewiki (nicht an den Methoden, dass ist ein anderes Thema) derartig übertreiben, dass sie schon fast eine Apologie der zarischen Autokratie und ihrer Ausprägungen darstellen.
Sowas ließt man nämlich leider erstaunlich oft.

Der Hinweis, dass die Bauernschaft ja gerade aus der traditionellen Dorfgemeinschaft herauswollte, dass ihnen eigenes Land ja gerade nicht zugesprochen wurde im System der klassischen Dorfgemeinschaft ist ja schon absolut zutreffend, und es wäre ja tatsächlich falsch, die Dorfgemeinschaften oder auch die Agrarverfassung in den Kosakengebieten zu romantisieren.

Stolypins Agrarreformen setzten ja auf sozialen Aufstieg, auf Leistungsbereitschaft, und sie förderten gerade die Schicht der Kulaken, denen die Sowjetunion später geradezu den Krieg erklärte.

Worauf ich eigentlich hinauswollte, das ist die These, dass etwa die Gründung von Genossenschaften in Russland nicht etwas völlig Neues, völlig Fremdes gewesen wäre, dass in der Sowjetunion durchaus die Möglichkeit bestanden hätte, an Ideen der Stolypinschen Agrarreformen anzuknüpfen und so etwas unter sozialistischen Vorzeichen zu organisieren. Man hätte Genossenschaften mit Gemeinbesitz an Landmaschinen und basisdemokratischen Strukturengründen können ähnlich den Kibbuzen in Palästina.

Auf dem Gebiet der Landwirtschaft gab es in Russland einen riesigen Reformstau. Eine sowjetische Landreform, die Rücksicht genommen hätte auf die Bedürfnisse der Bauernschaft, die den Wunsch nach eigenem Landbesitz und sozialen Aufstieg ermöglicht hätte, wäre bei der Bevölkerung auf große Akzeptanz gestoßen, und es hätte eine Agrar-Reform die Lebensverhältnisse von Millionen Menschen verbessern können.

Das wäre allerdings ideologisch auf Schwierigkeiten gestoßen, wäre "bürgerlicher Individualismus", ""reaktionär", "bourgeois" und was nicht alles gewesen.
 
Hilf mir auf die Sprünge. Warum sollten persönliche Glaubensüberzeugungen oder eine Herkunft aus einer wohlsituiertenn Familie ein Hindernis sein, um für den Kommunismus adaptionsfähig zu sein?

Lenin selbst kam aus dem russischen Nieder/Amtsadel, sein Vater war Schulinspektor im Gouvernement Simbirsk in Diensten des Zaren gewesen, was automatisch mit dem Sprung in den erblichen Adelsstannd verbunden war, so das Lenin selbst diese Würde durchaus zukam und begütert war die Familie durchaus.

Stalin war, auch wenn das wahrscheinlich vor allem auf die Initiative seiner Mutter zurück ging, ein abgebrochener orthodoxer Priesterseminarist und wenn man sich aus späterer Zeit die Massenparaden in Moskau ud andernorts ansieht, bei denen die übergroßen Portraits von Marx/Engels und den kommunistischen Parteiführern präsentiert wurden, wird man eine gewisse Nähe zu christlichen Heiligen/Reliquien/Ikonenprozessionen, was die Ausdrucksform angeht, nicht verleugnen können.

Auch wenn man sich mit Marx/Engels näher beschäftigt, wird man unweigerlich feststellen, dass das durchaus keine Personen waren, die ein angenehmes Leben in Wohlstand persönlich verschmäht oder in ihren Schriften irgendwie abgelehnt hätten.
Liest man sich das "Kapital" und andere Schriften einmal näher an, wird man bei aller Kritik, die M./E. an der Religion äußerten durchaus aber feststellen, dass sich darin diverse Rekurse auf Bibelstellen finden.
Nicht um die Theorie zu untermauern, sondern eher um Analogien zu ziehen und Dinge zu beschreiben, weil Marxens Sprache mitunter sehr bildhaft ist.
Aber das findet man da.


Nun wird man sagen können, dass wenn die Begründer dieser politischen Theorie, wie auch ihre aktuellen Anführer selbst nie was gegen persönlichen Wohlstand hatten und die Begründer des theoretischen Gedankengebäudes sich selbst geistiges Eigentum diverser Mitautoren der Bibel in Form von Analogien für ihre eigenen Texte aneigneten, die Hürde dafür das Symbol eines eher wohlhabenden persönlich Gläubigen Künstlers/Designers zu übernehmen, keine große gewesen sein dürfte, jedenfalls nicht, so lange das Symbol nicht explizit Religion protegierte. bekannten "Volkstribunen" der Geschichte stammten die meist
Viele der bekannten Volkstribune" der Geschichte - von den Grachen bis Che Guevara- stammten viele, wenn nicht die meisten aus begüterten Verhältnissen. Friedrich Engels Familie besaß Fabriken. Lenins Familie gehörte zum russischen Dienstadel. Lenins älterer Bruder war wegen Teilnahme einer Verschwörung zum Tode verurteilt worden. Maximilien Robespierre war Anwalt und Absolvent des College Louis Le Grand. Napoleons Eltern Carlo und Letizia stammten aus dem niederen Adel, Francois Babeuf war Journalist, Che Guevara hatte Medizin studiert, und auch Fidel und Raul Castro stammten aus begüterten Verhältnissen.
 
Das wäre allerdings ideologisch auf Schwierigkeiten gestoßen, wäre "bürgerlicher Individualismus", ""reaktionär", "bourgeois" und was nicht alles gewesen.
Aus Sicht der Parteilinken unter den Bolschewiki um Trotzki und Sinowjew, wäre es das gewesen. Die Parteirechte um Bucharin war demgegenüber so weit mir bekannt allerdings etwas anderer Meinung, was Entgegenkommen gegenüber den Interessen der Bauern und deren Einbindung betrifft.

Jedenfalls scheint es mindestens auf dem Rechten Flügel der Kommunistischen Partei (jedenfalls vor Stalins Alleinherrschaft) Überlegungen gegeben zu haben, die darauf hinausliefen die Zugeständnisse, die man an marktwirtschaftlichen Praktiken im Zuge der NEP gemacht hatte in ein dauerhaftes System zu überführen.

Ich denke nicht, dass das in den frühen bis mittleren 1920er Jahren ein ideologisches Tabu gewesen wäre über so etwas grundsätzlich nachzudenken oder sich für die Förderung dessen stark zu machen. Danach ja.
 
Die Sichel war seit der Steinzeit das Werkzeug bei der Ernte von Getreide – und war das auch bis ins 20. Jahrhundert hinein – kein anderes Gerät würde den Bauernstand besser repräsentieren als sie:

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Darstellung des Monats Juli im „Stundenbuch des Herzogs von Berry“ aus dem 15. Jahrhundert.


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Darstellung der Ernte mit Sichel aus Russland im Jahr 1910.
 
Die Sichel war seit der Steinzeit das Werkzeug bei der Ernte von Getreide – und war das auch bis ins 20. Jahrhundert hinein – kein anderes Gerät würde den Bauernstand besser repräsentieren als sie:
Dir ist aber durchaus bekannt, dass Darstellungen dieser Art nicht unbedingt die tatsächliche Realität wiedergeben?

Man würde tatsächlich kaum Bauern gefunden haben, die Getreide in Bodennähe im 19. oder 20. Jahrhundert mit Schicheln geschnitten haben würden, dazu hätte man selbstredend Sensen eingesetzt, um sich nicht völlig unnötig den Rücken zu verrenken.

Sicheln waren sicherlich in Gebrauch, bei Feldfrüchten, bei denen man aus welchen Gründen auch immer keinen Wert auf die Aberntung von Halmen legte und es von dem her Sinn ergab diese nicht in Bodennähe, sondern unmittelbar unterhalb der ähren zu kappen.

(Machte sicherlich auf wenig gepflegten Äckern Sinn, auf denen möglicherweise auch relativ viel Unkraut dazwischen stand, wenn dieses nicht die entsprechende Höhe erreichte. Dann machte Aberntung des Getreides direkt unterhalb der Ähren Sinn um das nicht mitabzuernten und dazwischen zu haben, was der Fall gewesen wäre, hätte man eine Sense benutzt und in Bodennähe geschnitten. Aber das dürfte vor allem ein Phänomen früherer Jahrhunderte gewesen sein, als des 20.)
Und jedenfalls auf einem solchen Feld, wie dem im unteren Bild dargestellten, bei dem, wie auf dem Bild zu sehen auch Wert auf die Aberntung des Strohs gelegt wurde, würde man keine Sicheln als Hauptarbeitsmittel gesehen haben.

Das wurde hier sehr wahrscheinlich eher aus stilistischen Gründen gewählt, weil das Herunterbeugen bis weit zum Boden hin, die harte Arbeit auf den Feldern sicherlich mehr veranschaulicht, als wenn da jemand mit aufrecht stehend mit der Sense drübergegangen wäre.
Letzteres wäre aber wesentlich wahrscheinlicher der Fall gewesen.
 
Dir ist aber durchaus bekannt, dass Darstellungen dieser Art nicht unbedingt die tatsächliche Realität wiedergeben?

Man würde tatsächlich kaum Bauern gefunden haben, die Getreide in Bodennähe im 19. oder 20. Jahrhundert mit Schicheln geschnitten haben würden, dazu hätte man selbstredend Sensen eingesetzt, um sich nicht völlig unnötig den Rücken zu verrenken.

Sicheln waren sicherlich in Gebrauch, bei Feldfrüchten, bei denen man aus welchen Gründen auch immer keinen Wert auf die Aberntung von Halmen legte und es von dem her Sinn ergab diese nicht in Bodennähe, sondern unmittelbar unterhalb der ähren zu kappen.

(Machte sicherlich auf wenig gepflegten Äckern Sinn, auf denen möglicherweise auch relativ viel Unkraut dazwischen stand, wenn dieses nicht die entsprechende Höhe erreichte. Dann machte Aberntung des Getreides direkt unterhalb der Ähren Sinn um das nicht mitabzuernten und dazwischen zu haben, was der Fall gewesen wäre, hätte man eine Sense benutzt und in Bodennähe geschnitten. Aber das dürfte vor allem ein Phänomen früherer Jahrhunderte gewesen sein, als des 20.)
Und jedenfalls auf einem solchen Feld, wie dem im unteren Bild dargestellten, bei dem, wie auf dem Bild zu sehen auch Wert auf die Aberntung des Strohs gelegt wurde, würde man keine Sicheln als Hauptarbeitsmittel gesehen haben.

Das wurde hier sehr wahrscheinlich eher aus stilistischen Gründen gewählt, weil das Herunterbeugen bis weit zum Boden hin, die harte Arbeit auf den Feldern sicherlich mehr veranschaulicht, als wenn da jemand mit aufrecht stehend mit der Sense drübergegangen wäre.
Letzteres wäre aber wesentlich wahrscheinlicher der Fall gewesen.
Ich gebe dir in Teilen Recht, gerade die frz. Kalenderblätter waren für den spätmittelalterrlichen frz. Adel gedacht und idealisierten das Landleben durchaus. Jedoch sollten wir bei Realien (eben den Sicheln) davon ausgehen, dass sie in Gebrauch waren. Sichelfunde gibt es seit dem Neolithikum, ohne jetzt zu tief ins bäuerliche hineingehen zu können, sollte man schon unterscheiden zwischen Getreideernte und Heuernte.

Die Blätter der Les très riches heures du Duc du Berry zeigen durchaus nicht nur Sicheln, sondern eben auch Sensen.

Les_Tr%C3%A8s_Riches_Heures_du_duc_de_Berry_juin.jpg


Aber auch in früheren, klösterlichen Monatsbildern finden wir bereits für verschiedene Monate die Sichel und die Sense:

800px-Monatsbilder_Salzburger_Handschrift_818.jpg


In den Les très riches heures finden wir die Sense im Monat Juni und die Sichel im Monat Juli, in der Salzburger HS einen Monat nach hinten verschoben, die Sense im Juli und die Sichel im August. Das mag an klimatischen Unterschieden in Frankreich und den Alpen liegen.
 
1819 war das im "Allgemeinen Handbuch für Land- und Hauswirthschaft" noch ein Streitfall. Es war offenbar auch eine Frage des Körnerverlusts.

Man ist sich noch streitig darüber: Ob der Sense oder der Sichel der Vorzug gebühre. Sobald es darauf ankommt, die Ernte zu beschleunigen, woran allerdings sehr viel gelegen sein muss, weil sehr oft die Witterung zur Erntezeit nicht ganz günstig oder sehr abwechseln zu sein pflegt, so sind die Vorzüge der Sense vor der Sichel oder des Mähens vor dem Schneiden nicht zu verkennen, und der etwaige Verlust an ausspringenden Körnern, welchen man der Erschütterung der Halme durch die Sense zuschreibt, wird von der Gefahr, das Getreide dem Verderben der Witterung länger auszusetzen, bei weitem überwogen. Dieser Körnerverlust kann ohnedies noch vermieden werden, wenn man das Getreide nicht bis zur Todreife auf dem Halme stehen lässt, sondern es in der Gelbreife mähet. Es ist aber überhaupt erst noch zu erweisen: Ob beim Mähen wirklich so viel Körner ausspringen und verloren gehen, dass dadurch die fast dreifach höhern Erntekosten bei der Sichelarbeit gedeckt werden könnten. Immer wird die Sense den Sieg über die Sichel davon tragen, wo nicht Vorurtheile, alte Rechte, und herkömmliche Eigenthümlichkeiten eingewurzelt sind.
In Sachsen herrschte sonst die Sichel, ist aber schon häufig gegen die Sense vertauscht. In den meisten preußischen Provinzen wird die Sense vorzüglich gebraucht, in einzelnen Gegenden aber scheinen Sense und Sichel noch um das Uebergewicht zu streiten. In Brabant und Belgien überhaupt ist die Sense gewöhnlich; im Oesterreichischen und andern Gegenden wird das Getreide noch meistens mit der Sichel geschnitten.

 
Jedoch sollten wir bei Realien (eben den Sicheln) davon ausgehen, dass sie in Gebrauch waren.
Dem wiederspreche ich ja nicht, ich sage nur, dass ich die Darstellung im unteren Bild nicht für besonders authentisch halte.

Nicht, an und für sich wegen der Abbildung von Sicheln, sondern weil es nicht zur Darstellung der geschnittenen auf dem Feld liegenenden Getreidebündel passt, bei denen man offensichtlich Wert darauf gelegt hat das Stroh mit abzuernten und die deswegen nah am Boden geschnitten wurden und deswegen entsprechend lang sind.

Ich wiederspreche nicht dem Umstand, dass die Sichel noch einigermaßen häufig im Gebrauch gewesen sein wird, sondern nur @Dion s Argumentationsweise "Weil das auf dem Bild so gezeigt wird, ist dass so."

Wenn man so argumentieren wollte, sollte man sich jedenfalls Bilder heraussuchen, die nicht unbedingt ein großes Fragezeichen an die Authentizität zwingend vorraussetzen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu den Sicheln...

Historisches Heidesheim – inzwischen ja zugeordnet der Stadt Ingelheim am Rhein/heutiges BL RP.

Da hatte mal die Verbandsgemeinde Heidesheim anlässlich ihrer 1250 Jahrfeier eine Ausstellung zu ihrem Kulturdenkmal – Alltagskultur - vorgenommen. Auf der Web-Seite dazu findet man die Abbildungen von Gerätschaften sowie Rodungsgeräte und Pflugscharen vom Mitelalter bis zu Neuzeit.

Rodungsgeräte ... vom Mittelalter bis zur Neuzeit
 
Ich wiederspreche nicht dem Umstand, dass die Sichel noch einigermaßen häufig im Gebrauch gewesen sein wird, sondern nur @Dion s Argumentationsweise "Weil das auf dem Bild so gezeigt wird, ist dass so."
Wer sich meinen Beitrag #33 durchliest, wird feststellen, dass ich nirgendwo so argumentiere, was du uns hier suggerierst. Auch in dem gelöschten Beitrag sagte ich das nicht, sondern ungefähr "die Darstellung auf dem Bild aus dem Jahr 1910 entspricht der Realität, weil die Arbeit mit der Sichel Frauenarbeit war, die Arbeit mit der Sense aber etwas für Männer" – siehe auch das Bild für Juni aus Les très riches heures du Duc du Berry, das El Quijote in #35 gepostet hat. Da sieht man auch die Arbeitsteilung – Männer mähen Gras, Frauen rechen das Heu zusammen -, die man noch heute z.B. bei Bergbauern beobachten kann.

Du dagegen hast dir was mit „sehr wahrscheinlich“, „sicherlich“ und „wesentlich wahrscheinlicher“ zusammenfantasiert:
Das wurde hier sehr wahrscheinlich eher aus stilistischen Gründen gewählt, weil das Herunterbeugen bis weit zum Boden hin, die harte Arbeit auf den Feldern sicherlich mehr veranschaulicht, als wenn da jemand mit aufrecht stehend mit der Sense drübergegangen wäre.
Letzteres wäre aber wesentlich wahrscheinlicher der Fall gewesen.

Aber nun genug davon, hier geht es nicht um Bilder, sondern warum Hammer und Sichel als Symbole für Arbeiter und Bauern genommen wurden. Und das wurde, zumindest für mich, geklärt. Danke für die Aufmerksamkeit.
 
Dir ist aber durchaus bekannt, dass Darstellungen dieser Art nicht unbedingt die tatsächliche Realität wiedergeben?

Man würde tatsächlich kaum Bauern gefunden haben, die Getreide in Bodennähe im 19. oder 20. Jahrhundert mit Schicheln geschnitten haben würden, dazu hätte man selbstredend Sensen eingesetzt, um sich nicht völlig unnötig den Rücken zu verrenken.

Sicheln waren sicherlich in Gebrauch, bei Feldfrüchten, bei denen man aus welchen Gründen auch immer keinen Wert auf die Aberntung von Halmen legte und es von dem her Sinn ergab diese nicht in Bodennähe, sondern unmittelbar unterhalb der ähren zu kappen.

(Machte sicherlich auf wenig gepflegten Äckern Sinn, auf denen möglicherweise auch relativ viel Unkraut dazwischen stand, wenn dieses nicht die entsprechende Höhe erreichte. Dann machte Aberntung des Getreides direkt unterhalb der Ähren Sinn um das nicht mitabzuernten und dazwischen zu haben, was der Fall gewesen wäre, hätte man eine Sense benutzt und in Bodennähe geschnitten. Aber das dürfte vor allem ein Phänomen früherer Jahrhunderte gewesen sein, als des 20.)
Und jedenfalls auf einem solchen Feld, wie dem im unteren Bild dargestellten, bei dem, wie auf dem Bild zu sehen auch Wert auf die Aberntung des Strohs gelegt wurde, würde man keine Sicheln als Hauptarbeitsmittel gesehen haben.

Das wurde hier sehr wahrscheinlich eher aus stilistischen Gründen gewählt, weil das Herunterbeugen bis weit zum Boden hin, die harte Arbeit auf den Feldern sicherlich mehr veranschaulicht, als wenn da jemand mit aufrecht stehend mit der Sense drübergegangen wäre.
Letzteres wäre aber wesentlich wahrscheinlicher der Fall gewesen.

Ich bin nun weder in der Kunstgeschichte sonderlich kompetent, noch kenne ich mich mit Landwirtschaftsgeschichte gut aus. Natürlich hat man in der Genre-Malerei des 19. Jahrhunderts das Landleben verklärt. Ich komme aus einer sehr ländlichen Gegend in Nordhessen, und auf einem Dorf etablierte sich im 19. Jahrhundert eine Malerkolonie. Emil Ludwig Grimm und Gerhard von Reutern waren Mitbegründer. Reutern hatte in der Völkerschlacht von Leipzig die Hand verloren, und wie die damalige Freiin von Schwertzell stammte er aus dem Baltikum und verbrachte bei den von Schwertzells einen Urlaub.

Im Zeitraum von 70-80 Jahren haben eine Reihe von sehr unterschiedlichen Malern die Bewohner der Region gemalt. Die waren recht angetan von der Region, von den farbenprächtigen Trachten. Das war sozusagen eine unberührte vormoderne Gesellschaft.

Es gibt eine Menge von Malern, die Dorfszenen, die farbenprächtigen Trachten und Bauern der Region gemalt haben, natürlich gab es Stilisierungen, Idealisierungen besonders nach 1933 zeigte sich, dass nun in Deutschland nur noch ein Kunstgeschmack akzeptiert war.

Wenn da auch Künstler stilisiert haben, ein ländliches Idyll heraufbeschworen haben, das es so in der Realität nie gegeben hat, so waren diese Maler aber auch gute Beobachter. Sie waren sehr detailversessen. Die Entwicklung der Schwälmer Tracht lässt sich recht gut anhand der Chronologie der Bilder aus der Malerkolonie Willingshausen rekonstruieren. Bei Ackergeräten, bei der Kleidung bei Fahrzeugen da waren die Maler sehr detailversessen, haben das mit großer Detailgenauigkeit gemalt.

Es wäre auch in der Region aufgefallen, wenn die Maler da etwas gemalt hätten, was der Realität nicht entsprach, wenn man Pferde- oder Ochsengespanne gemalt hätte, während auf den Dörfern die Bauern sich längst schon Traktoren und Mähdrescher angeschafft hätten.

In Mitteleuropa hat im 19. 20. Jhd. kein Mensch mehr mit der Sichel gemäht. In Russland würde ich dafür aber nicht die Hand ins Feuer legen. Es sind doch aus verschiedenen russischen Regionen Bildquellen und Fotografien erhalten, auf denen das Korn noch mit der Sichel gemäht wurde.

Immer wieder wird in zeitgenössischen Quellen die Rückständigkeit und die Notwendigkeit von Investitionen erwähnt. Dass ländliche Genreszenen oft zu einer gewissen Stilisierung und Idealisierung neigten, kann man sicher konstatieren. Ich würde aber auch durchaus ländlichen Genreszenen einen gewissen Realitätsgehalt zubilligen. Bei vielen Malern war durchaus ein Anspruch vorhanden, die Realität detailgetreu abzubilden, und bei vielen war geradezu eine Detailverliebtheit festzustellen.

Die Künstler haben sicher Szenen idealisiert, haben ein ländliches Idyll heraufbeschworen, sie hatten aber vielfach einen scharfen Blick für Details, und wenn sie in ihren Bildern eine Realität abgebildet hätten, die es in Wirklichkeit gar nicht (mehr) gab, wenn es völlig der Realität widersprach, hätten sie sich völlig unglaubwürdig gemacht.
 
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