Die Diskussion wurde also von einem Geschichtslehrer ausgelöst, der anscheinend seine Ideologie auf seine Schüler losgelassen hat. Chapeau Zoki55 dass Du Dich davon nicht einvernehmen hast lassen, es zeigt aber doch auf was im so heiklen Bereich Geschichtsunterricht geschehen kann.
Man muss sich also die Gegnerschaft des habsburgischen Österreichs anschauen um die Wurzel dieser Aussagen zu finden. Ansonsten durchläuft die Habsburger Monarchie die gleichen Entwicklungen wie die anderen europäischen Staaten auch - vom aufgeklärten Absolutismus zur Reaktion, über die 48er Revolution zum konstitutionellen Staat bis hin zum allgemeinem gleichen Wahlrecht 1907 etc.
Zwei Unterschiede gibts:
1.) Das Verschwinden des Staates 1918 und die unterschiedschlichen Kontinuitäten zu den Nachfolgestaaten. Die Republik Österreich ist ein Nachfolgestaat unter vielen, Hauptunterschied ist dass Österreich NICHT unter die kommunistische Knute kam (unter jene des Dritten Reiches kam ganz Mitteleuropa, die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung betraf daher alle Nachfolgestaaten) und Teil der freien Welt blieb.
2.) Die Heterogenität des alten Österreichs. Die Habsburger veruschens zwar, aber nie gelingt ihnen der zentralisierte Einheitsstaat. Es ist immer eine Gemengelage aus Wiener Hof und Landesständen, ab 67 ergänzt um Dualismus und Parlament. Die Kunst der Balance ist das faszinierende daran. Gerne focussiert man dabei auf das Scheitern von Initiativen - berüchtigt das Fiasko der Badenischen Sprachenverordnung 97/98. Aber sich jetzt die oftmals genialen Lösungen wie die diversen unterschiedlichen Ausgleichsversuche in Mähren oder Galizien, die auf Landesebene unternommen wurden, treten in der Betrachtung in den Hintergrund. Von der genialen österreichischen Religionspolitik mit dem Konzept der "staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften" die es schaffte, Konfessionen durch die Gewährung von Privilegien unter staatliche Aufsicht zu bringen, ganz zu schweigen.
Aber wer hat denn Nutzen davon das Gerücht des "unaufgeklärten Österreichs" in die Welt zu setzten? Der größte Feind des alten Österreichs war der Deutschnationalismus der das Habsburgerreich als "unerlösten Teil" des vereinten Deutschlands sah. In Österreich gab es zwei (ohne da jetzt zu sehr ins Detail zu gehen) deutschnationale Strömungen die beide den österreichischen Staat ablehnten. Die einen sind die "nationalen" Deutschnationalen, also was man heute als "Rechte" bezeichnen würde, die anderen waren die Sozialdemokraten die in Österreich erst nach 45 einen Österreich-Patriotismus entwickelten, aber teilweise sogar noch heute einen radikalen Schnitt mit der Zeit vor 1918 herbeisehnen (das geht sogar in die Tagespolitik hinein).
Es ist alles fürchterlich kompliziert - gleichzeitig aber sehr faszinierend! Nochmals daher meine Empfehlung für den Judson, ein sensationelles Buch über den mitteleuropäischen Raum der den verbreiteten Topos des zum Untergang geweihten Reich entsorgt.
Habsburg | Judson, Pieter M. | Verlag C.H.BECK Literatur - Sachbuch - Wissenschaft