heiliges römisches Reich dt. Nation und europäische Einheit

Ich habe gehört, dass es in der Forschung eine Diskussion gibt, ob es einen Zusammenhang zischen heiligen römischen Reich dt. Nation und europäischer Einheit gibt. Was meint ihr dazu?

Einen solchen Zusammenhang sehe ich nicht, denn die Regierungs- und Herrschaftsverhältnisse waren völlig unterschiedlich.

Das Heilige Römische Reich bestand bekanntlich aus drei großen Teilen, nämlich dem deutschen Königreich (regnum teutonicum), dem Königreich Italien (Reichsitalien) und dem Königreich Burgund. Die Herrschaft über diese drei Teile lag beim deutschen Königreich bzw. dem Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, der stets deutschen Geblüts war.

Schon mit dieser Konstruktion ist z.B. die Europäische Union (EU) nicht vergleichbar, denn alle 27 Staaten bilden mit gleicher Stimmzahl den Europäischen Rat, den Ministerrat und die Kommision. Alle Teile sind also gleichberechtigt und keine Nation übernimmt die Oberherrschaft wie beim Heiligen Römischen Reich, das seinem Namen im 16. Jh. noch den Zusatz "deutscher Nation" hinzufügte.

Was ähnlich erscheint, ist der föderalistische Charakter des Heiligen Römischen Reichs, doch ist hinzuzufügen, dass auf den Reichstagen fast nur deutsche Reichsfürsten und Städte vertreten waren, nicht jedoch die Territorien bzw. Stadtrepubliken Italiens oder Burgunds.

Dennoch erstreckte sich das HRR über weite Gebiete Mittel- und Südeuropas und alle Herrschaften, Grafschaften, Herzogtümer und Reichsstädte zusammen bildeten das "Reich mit seinen Gliedern". Doch sind die Institutionen des Reichs wie z.B. Kaiser, Reichstag, Reichskammergericht usw. hinsichtlich ihrer Befugnisse und Zusammensetzung nicht mit den Institutionen der EU vergleichbar. Auch ein "Europagedanke" mit dem Ziel eines "vereinten Europa" war der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Vorstellungswelt eher fremd.
 
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Fremd war die Vorstellung eines vereinten Europas in dieser Zeit schon. Im Kontext mit dem mittelalterlichen Feudalismus kann man sowieso nicht gut mit modernen Begriffen arbeiten.
Das Kaisertum (als einzige immer sichtbare Instanz des HRR) jedoch verstand sich nominell gern als oberste weltliche Instanz der rechtgläubigen Christenheit (also ohne die Orthodoxen die ja einen eigenen Kaiser hatten) und hätte bei dieser Sichtweise auch europäisches Format. Insofern sah sich dieses Kaisertum selbst als eine ähnliche Klammer an wie das katholische Papsttum in Rom während des gesamten Mittelalters. An Orthodoxe, gar Lutheraner oder gar nichtchristliche Staaten hat man damals nicht gedacht.
 
Das Kaisertum (als einzige immer sichtbare Instanz des HRR) jedoch verstand sich nominell gern als oberste weltliche Instanz der rechtgläubigen Christenheit (also ohne die Orthodoxen die ja einen eigenen Kaiser hatten) und hätte bei dieser Sichtweise auch europäisches Format.

Gewiss verstand es sich so, doch klafften Anspruch und Wirklichkeit zunehmend auseinander, bis spätestens nach dem 30jährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden kaum etwas davon übrig blieb.

Das erinnert mich eher an den Titel des "Königs von Jerusalem", der noch heutzutage existiert, und beim spanischen König liegt. Schall und Rauch!!!

Insofern sah sich dieses Kaisertum selbst als eine ähnliche Klammer an wie das katholische Papsttum in Rom während des gesamten Mittelalters.
Mit der geistlichen Oberhoheit der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs war es nach dem Investiturstreit und dem Wormser Konkordat 1122 endgültig vorbei. Die geistliche bzw. kirchliche Macht lag von nun an beim Papst und den Bischöfen, die weltliche beim Kaiser. Der hatte sich zuvor als "Priester Gottes" verstanden - was er nun nicht mehr war - und unter anderem auch daraus seine sakralen Ansprüche abgeleitet.

Ein Europa umfassender weltlicher Anspruch wird seit dem späten Mittelalter nicht mehr oder kaum noch sichtbar. Einen Ehrenvorrang hatte der Kaiser vor den anderen europäischen Herrschern zweifellos, aber als "ideeller Oberherr" wurde er nicht mehr betrachtet. Dafür waren Frankreich, Spanien oder England einfach zu selbstbewusste Nationen.
 
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Gewiss verstand es sich so, doch klafften Anspruch und Wirklichkeit zunehmend auseinander, bis spätestens nach dem 30jährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden kaum etwas davon übrig blieb.


Keine Frage, damit hast du Recht. Ist ja auch nur ein Anspruch, der aber bei den relativ souveränen Feudalgebieten des MA mehr Parallelen zur EU hat, als etwa zum klassischen Römischen Reich oder anderen größeren politischen Einheiten der europäischen Geschichte. Die Verbindung zur EU ist natürlich minimal.
 
@ Demoiselle

Was willst du uns mit diesem klugen Beitrag eigentlich sagen?

Daß der Discurs an der Wirklichkeit scheitern muß. Was in der Geschichte bleibt, sind große Gesten und große Worte. Und Laien wie Historiker citieren gerne daraus.
Auch Europa könnte ohne verklärende Gedanken nicht wachsen. Weil die meisten Menschen Motivation daraus schöpfen wollen.
 
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