Hellerzinsen "an den Heiligen"?

Renardo

Neues Mitglied
Hallo zusammen;

in einem Text aus dem Jahr 1901, in dem der Verfasser die Lebensumstände und Gepflogenheiten in einer württembergischen Gemeinde beschreibt, findet sich im Kapitel „Beim Handwerk“ der folgende Satz, aus dem ich nicht schlau werde:

„Das Brennrecht der Mühle hörte anno [18]48 auf. Die Hellerzinsen an den Heiligen, die auch die Mühle seit undenklichen Zeiten als ewig unablösbar zu entrichten hatte, wurden aufgehoben.“

Ich habe hierzu folgende Fragen:

Hellerzinsen waren - so wie ich es verstehe - „auf den Heller genau“ festgelegte Abgaben, die Bauern oder Bürger - in diesem Fall die Betreiber einer Mühle - jährlich an den Grundbesitzer (Feudalherr oder Kloster) zu entrichten hatten. Die Hellerzinsen waren also im Gs. zum „Zehnten" vom Ertrag unabhängig.
Der Betrag wurde also irgendwann "in grauer Vorzeit" ganz exakt festgelegt und war dann (jedenfalls in der Theorie) „als ewig unablösbar“, also „bis in alle Ewigkeit“, in gleicher Höhe zu entrichten.
Ist das soweit korrekt?

Irritierend ist für mich, dass diese Abgaben „an den Heiligen“ gingen:

Was hat es mit dieser seltsamen Verklausulierung auf sich?

Bedeutet diese Steuerentrichtung „an den [oder irgendeinen] Heiligen“, dass die Gelder an eine bestimmte Kirche oder an ein bestimmtes Kloster gingen?
Ist mit "dem Heiligen" der Schutzheilige der betr. lokalen Kirche / des lokalen Klosters gemeint?

Vielen Dank für Eure Mühe - ich bin sehr gespannt auf Eure Antworten!

Es grüßt
Renardo
 
Deine Vermutungen klingen schlüssig, aber gibt es noch mehr zur Fundstelle? Um welche Gemeinde handelt es sich? Wenn die hiesige Kirche der Jungfrau Maria geweiht war, wäre Deine Vermutung ja schon mal ausgeschlossen.
 
Wer war denn der Grundbesitzer, an den diese spezielle Mühle den Zins zu zahlen hatte? Wenn man das nicht weiß, bleibts bei Vermutungen. ZB dass der Grundherr eine nach einem Heiligen benannte oder mit einem assoziierte kirchliche Institution war. Wobei es 1848 nur noch um reine Grundrechte gehen kann, landesherrliche Rechte gabs da nicht mehr für die Kirche.
 
Ich habe beim Googlen folgendes Dokument gefunden:

Die in der Reichsstadt Gmünd für den Heiligen zu Lorch ausstehende Hellerzinsen (Lorch) - Deutsche Digitale Bibliothek (deutsche-digitale-bibliothek.de)

(Mit Link zu Original-Dokument)

Hier waren die Hellerzinsen also für den Heiligen zu Lorch bestimmt, ohne dass dieser namentlich genannt wird. Ähnlich könnte es sich bei Deinem Text verhalten. Konkreter Empfänger wird irgend Kloster, Stift oder Bistum etc. gewesen sein, die freundlicherweise im Namen des jeweiligen Heiligen Zahlungen in Empfang genommen haben.
 
Das Zitat stammt aus einem sog. "Konferenzaufsatz", erstellt 1901 vom Dorflehrer des Dorfes Glems (heute kleinster Stadtteil von 72555 Metzingen, Landkreis Reutlingen in Württemberg).
Weitere Einzelheiten über die Mühle, die lokalen Kirchen, über Besitzverhältnisse etc. sind mir bisher nicht bekannt.
 
Hallo Sepiola,
vielen Dank für diesen interessanten Hinweis!
Gab es die Bezeichnungen "Heiligenpfleger", "Heiligenrechnung" etc. nach der Reformation weiterhin auch in protestantischen Gebieten?
 
Hallo Sepiola,
vielen Dank für diesen interessanten Hinweis!
Gab es die Bezeichnungen "Heiligenpfleger", "Heiligenrechnung" etc. nach der Reformation weiterhin auch in protestantischen Gebieten?
Ja, klar. Auf jeden Fall noch bis ins 19. Jahrhundert, siehe z. B.:

Der Heilige“
Gemeint ist hier nicht ein Kirchendiener, der sich durch besonders vorbildlichen und frommen Lebenswandel hervorgetan hat, sondern das Kirchengut, das von der „Heiligenpflege“ und von der bürgerlichen Gemeinde bis zum Jahr 1890 gemeinsam verwaltet wurde.

Die Heiligenpflege umfasste das schon vor der Reformation errichtete Kirchengebäude, sowie den Kirchplatz auf dem die Toten vieler Generationen ihre letzte Ruhestätte fanden, ferner die verschiedenen Stiftungen der Armenpflege.

Aufgrund einer Verfügung des königlichen Innenministeriums vom 23. 03. 1889 ist es zu einer Trennung des Kirchenguts gekommen. In den Alleinbesitz der Kirchengemeinde wurde das Kirchengebäude samt Kirchplatz und das Vermögen der Almosen- und Stiftungspflege (1827 gegründet) übertragen. Im Besitz der Kirchengemeinde blieb die auf das Jahr 1703 zurückgehende Wiesenstiftung im Glemstal des Christof Friedrich Truchseß, deren Erhalt nach dem Willen des Stifters an die Armen der Kirchengemeinde verteilt wurde.

Die bürgerliche Gemeinde, der das Mitbenutzungsrecht am Kirchturm, an den Glocken und an der Kirchturmuhr erhalten blieb, verpflichtete sich zur Übernahme der Hälfte der am Turm und an dessen Ausstattung anfallenden Unterhaltskosten. Auch die Unterhaltung des Friedhofs an der Ditzinger Straße wird nunmehr von der bürgerlichen Gemeinde übernommen. Der Kirchengemeinde wurde die Unterhaltung des Pfarrhauses zugewiesen. (…)
Die Höfinger Pfarrei - Zeitreise BB
 
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