Wenn wir "historisch gewachsene Vorurteile gegenüber dem Islam" diskutieren, dann möchte ich noch kurz auf zwei, drei kleinere Aspekte hinweisen.
Vorurteile sind nur allzu menschlich und keiner von uns kann für sich in Anspruch nehmen, gänzlich frei davon zu sein. Psychologisch ist das nicht so einfach zu erklären (es gibt zumindest keine in sich geschlossene, akzeptierte psychologische Theorie des Vorurteils). Es gibt aber deutliche Hinweise darauf, dass Vorurteile besonders dann ausgeprägt gebildet werden, wenn bestimmte Informationsdefizite bestehen.
Wir versuchen, uns Meinungen und Ansichten zu bilden, jedoch sind unsere Informationen lückenhaft. Deshalb sind wir gezwungen, diese Lücken zu füllen. Dies machen wir meistens durch Analogieschlüsse mit bisherigen Erfahrungen und durch das, was wir im Rahmen unserer Sozialisation "gelernt" haben. I. d. R. geschieht dies unbewusst. Fremdes ist aber nicht nur wegen unseres Wissensdefizits anfällig für Vorurteile, sondern auch deswegen weil es fremd ist. D. h. Der Mensch fühlt sich prinzipiell wohler wenn er die Kontrolle hat und das ist in einer vertrauten Umgebung mit vertrauten Menschen einfacher, als mit Fremden.
Aber zurück zur Geschichte.
Ich beziehe mich mal auf das 15. und 16. Jahrhundert. Nach der Eroberung Konstantinopels waren die Türken "auf einmal" in den Köpfen des christlichen Europa präsent, wobei die "fremdartige" Religion zur Entwicklung des "Türkenbilds" noch "erschwerend hinzukam". Reisende in islamischen Ländern wie dem osmanischen Reich gab es kaum. Man muss sich also fragen, welche Quellen stehen uns (bzw. standen den Europäern damals) zur Verfügung, um sich ein Bild vom Islam zu machen?
Wenn Reiseberichte im Wesentlichen ausfallen, bleiben noch die Berichte derer übrig, die in offizieller Mission islamische Länder aufsuchten (Gesandte), Handel trieben oder schlicht und einfach unfreiwillig dorthin gelangten, wie z. B. Kriegsgefangene. Vor allen die Berichte letzterer sind, durch persönliche Erfahrungen von Kriegsgefangenschaft und Sklaverei geprägt, oftmals nicht gerade schmeichelhaft für die Muslime (auch wenn teilweise die schlichte und ehrliche Lebensart und ihre Frömmigkeit anerkannt werden.
Des weiteren liegen Berichte von Gesandten und Kaufleuten vor. Im Bezug auf das osmanische Reich waren hierzu die Venezianer führend. Diese steckten in dem Dilemma, mit den Osmanen öfters im Krieg zu liegen (und dabei meistens zu verlieren und große Gebietsverluste hinnehmen zu müssen) und andererseits aber ihr Handelsmonopol im Mittelmeer aufrecht erhalten zu wollen. Die Berichte der Venizianer (bzw. ihrer Spione) sind meistens etwas objektiver, jedoch wurden sie seinerzeit für politische Zwecke benötigt und deshalb nur selten veröffentlicht.
Die verbreiteteren Berichte der Kriegsgefangenen konnten sich also viel eher auf die Ausbildung eines Islambilds auswirken, wie die besser "recherchierten" Berichte der offiziellen Gesandtschaften. Dazu kam, dass die Osmanen durchaus daran interessiert waren, Angst und Schrecken unter ihren Gegnern zu verbreiten und deshalb bei ihren Eroberungen Brutalität und Grausamkeit manchmal gezielt als Werkzeug eingesetzt haben dürften.
Was bisher noch nicht angesprochen wurde, sind die Türkensteuern. Unter dem Deckmantel realer oder auch nur behaupteter Türkengefahr bzw. eines Szenarios der Bedrohung des christlichen Abendlands durch die Türken konnten zusätzliche Steuern erhobern werden, die nicht immer für ihren eigentlichen Zweck verwendet wurden. Die Aufrechterhaltung der (nicht ganz grundlosen) Behauptung der Türkengefahr erfolgte mit einiger Sicherheit auch aufgrund handfester finanzieller Interessen bestimmter Kreise (z. B. waren einige Habsburger dabei ganz tüchtig mit von der Partie, wenn es galt, Türkensteuern zu erheben).
Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich in den Köpfen der Europäer ein eher negatives Bild des Islam festsetzte.
Viele Grüße,
Bernd
Empfehlen würde ich dazu: Höfert, Almut: Den Feind beschreiben. „Türkengefahr“ und europäisches Wissen über das osmanische Reich 1450 – 1600.