Also, die Zeit ist mir für eine Rezension zu 'Der Herr der Bogenschützen' zu schade, darum nur so viel …
1. Mac P. Lorne vertritt eine Linie, die man von einem englischen Nationalisten erwartet hätte – einem des 18. Jahrhunderts, vor der breiten Verfügbarkeit historischer Quellen. Bei ihm ist der Hundertjährige Krieg so gut wie beendet, Frankreich ist unter den Engländern besser dran, und der Dauphin ist bloß ein Rebell gegen den Vertrag von Troyes. Fällt Orleans, so fällt auch er, und die verblendete Johanna hätte es besser geschehen lassen, anstatt ihren Glaubenskrieg auf englisches Gebiet zu tragen.
Würde die Geschichte nur aus der Perspektive der Engländer erzählt, könnte man diesen liberalen Umgang mit den Fakten für ein Merkmal eines unzuverlässigen Erzählers halten. Wird sie aber nicht. Und, ehrlich gesagt, der Anspruch des Romans ist dafür auch nicht hoch genug.
2. Der Protagonist John Holland ist ein Paragon erster Güte: klug, stark, heroisch, liberal, ritterlich, kirchenkritisch, der ideale Schwiegersohn, den schon als Heranwachsender alle respektieren. Johanna ist eine ewig lächelnde Wahnsinnige, bestärkt von ihren frömmelnden Helikopter-Eltern. Das hat selbst Luc Besson mit drei Drehbuchseiten Dialog besser hinbekommen als Lorne auf 562 Seiten Roman.
Ähnlich funktionieren die Charakterisierungen der Engländer und Franzosen: Mit Ausnahme William de la Poles, Hollands englischem Gegenspieler, sind alle Engländer zumindest in der Summe positiv besetzte Charaktere, und mit Ausnahme der Waffengefährten Johannas sind alle Franzosen Feiglinge und Snobs.
3. Der Autor beleidigt immer wieder die Intelligenz des Lesers mit Passagen wie diesen (Unwesentliches gekürzt durch meine Wenigkeit):
Der Plan [den Fluss zu überqueren] war gut, nur schien er an einer einfachen Tatsache zu scheitern. [Der Wind blies] schon seit Tagen beständig von West nach Ost, und es sah nicht danach aus, dass sich das demnächst ändern würde. Da man ständig befürchten musste, von den Engländern entdeckt und aufgebracht zu werden, wollten de Dunois, La Hire und de Rais schon zum Rückzug blasen lassen. Doch Jehanne lächelte sie nur an, begab sich zu der kleinen Kirche des Ortes, kniete nieder und begann zu beten. Und das Wunder geschah – der Wind drehte, und der Fahrt flussabwärts nach Orléans unter Segeln stand nichts mehr im Wege.
Die Feldhauptleute bekamen vor Staunen den Mund nicht mehr zu und begannen, […] an Jehanne und ihre göttliche Mission zu glauben. Hätten sie sich allerdings der Mühe unterzogen, einmal ein paar Worte mit den Bauern der Umgebung zu wechseln, wäre ihnen das Wunder schnell erklärt worden. In letzter Zeit war es recht trocken gewesen, da blies der Wind meist von Norden oder Westen her. Jetzt zogen dunkle Wolken im Landesinneren auf, die in Richtung Meer trieben, und es würde bald regnen. Da musste der Wind schließlich drehen, das war doch sonnenklar. Aber den Soldaten, die Bauern nur abschlachteten […], blieb diese Logik natürlich verborgen, und so hatte die Jungfrau ihr erstes Wunder vollbracht.
Was soll das? Hatte Lorne Angst, der Leser könnte am Ende glauben, die Lothringern hätte wirklich ein Wunder gewirkt? Das ist in meinen Augen ein völlig untauglicher Versuch, sich in Romanform mit dem mystischen Elementen von Johannas Legende auseinanderzusetzen. Überhaupt spricht aus vielen Passagen der Autor mit einer dediziert modernen Perspektive, dem Grundsatz 'show, don't tell" zuwider.
Insbesondere ist Lorne mit diesem Virus der zeitgenössischen Unterhaltungsliteratur infiziert, alles, was irgendwie mit Glauben und Kirche zu tun hat, als abergläubischen Unfug abzutun, sodass man sich fragt, wie das Christentum bloß im Mittelalter zum Angelpunkt des öffentlichen wie privaten Lebens werden konnte, und warum Reformation und Aufklärung nicht schon 1429 begann. Und zwar mit John Holland!
4. Der Autor leidet noch an einer zweiten Berufskrankheit: Mir fällt zunehmend störend auf, dass männliche Autoren historischer Romane zu denken scheinen, in ihren Büchern müssten Ströme von Blut fließen (wogegen ihre Kolleginnen offenbar glauben, ausschließlich für Romantik und Intrigen zuständig zu sein). Aber Lorne übertreibt es für meinen Geschmack mit den Gewaltdarstellungen. Wer jedoch eine in allen Details geschilderte Vergewaltigung eines Kindes miterleben will, ist bei ihm gut aufgehoben.
Also, es mag sein, dass seine anderen Bücher besser sind, aber das werde ich erst herausfinden, wenn man mir eines schenkt. Nochmals gebe ich kein Geld aus für diesen Schund.