Danke für die ganzen interessanten Antworten!:winke:
Ich habe mir auch kursorisch Euren "Seelöwe"-Thread reingezogen und mal versucht, mir einen "Qualitätsunterschied" der Situationen Juni 1940 bzw. später vorzustellen.
Milch spricht zunächst mal von einer reinen Luftlandung in England, die spätestens Ende Juni oder in den ersten Julitagen stattzufinden hat. Tatsächlich gibt es nur bei diesem Szenario einen Überrumpelungseffekt, bzw. nur dann kann man überhaupt von einem entscheidenden Schwächezustand des britischen Heeres ausgehen. So kann auch von der Situation zur See zunächst mal komplett abgesehen werden.
Göring hätte das mit vier Divisionen gemacht, hat er gesagt. Eine Luftlandedivision hätte er zur Verfügung gehabt. Drei Infanteriedivisionen hätten sich vielleicht noch irgendwo im Reich auftreiben lassen. Gab es jetzt aber überhaupt (noch) genügend Ju 52, um vier Divisionen innerhalb kurzer Zeit über den Kanal zu setzen?
Diese Divisionen sind außerdem weitgehend immobil. Mit Ju 52 kriegt man keinen Panzer, keinen Lastwagen, wohl noch nicht mal ein Kettenkrad transportiert. Militärische Großtransporter bzw. Schwerlastensegler gibt es noch nicht. Die Truppe kämpft also zu Fuß.
Ganz abenteurlich denke ich auch ist es, dass die Luftwaffe gleich von Flugplätzen in Kent aus kämpfen soll. Die Plätze wären wohl kaum zu sichern gewesen. Aller Nachschub muss außerdem von Ju 52 eingeflogen werden. Der Abnutzungskampf wird ganz schnell ganz gewaltig.
Silesia hat im "Seelöwe"-Thread für September 1940 in Großbritannien + Nordirland 27 Divisionen und noch jede Menge Brigaden aufgezählt. Dass davon 16 zwischen Juni und November 1940 neu aufgestellt worden sind, kann ich mir kaum vorstellen (in diesem Thread war die Rede von ca. 11 britischen Divisionen). Wenn doch, umso schlimmer. Denen hätten die vier deutschen Divisionen dann gegenübergestanden.
Dass diese zahlreichen Verbände der Briten kaum Ausrüstung hatten, kann ich mir nicht vorstellen. Außerdem, Pak brauchen sie erstmal nicht, denn bei einer reinen Luftlandung bringen die Deutschen zunächst keine Panzer rüber.
Was können also vier Divisionen in England ausrichten? Wenn Vorrücken nicht ist, können sie sich erst mal halten. Sozusagen als körperliche Aufforderung an Heer und Marine, umgehend zu reagieren. Vielleicht auch den einen oder anderen Hafen in den Griff bekommen, um die Anlandung von Panzern, schwerem Gerät und Nachschub zu ermöglichen.
Dafür gibt es aber, wie bekannt, keinerlei Vorbereitungen. Manstein hatte sicher keine Ahnung von amphibischen Operationen, die hätte er sich aber nach dem Krieg aneignen und die entsprechenden Überlegungen in sein Werk einfließen lassen können. Um nochmal auf sein "sofort" zurückzukommen, ich denke, er widerspricht sich selbst, wenn er den "optimalen" Zeitpunkt dann im August sieht. Dann sind die Briten längst auf eine Invasion eingestellt, jedenfalls viel besser, als im Juni, als man Verwirrung und Chaos hätte ausnutzen können.
Es ist immer dasselbe Problem. Vermindert man den Druck auf den Gegner und gibt ihm die Möglichkeit, sich neu zu formieren, macht er das dann oft. Das passierte in der Luftschlacht um England, das gilt für die britischen Bodentruppen, das muss man auch Ziff in Bezug auf ein noch nicht vollständig besiegtes Frankreich im Juni 1940 entgegenhalten. Jeder Angriff lebt vom "momentum". Nimmt man den Schwung raus, ist oft die Luft raus. Ziffs Vorschlag hätte möglicherweise dazu geführt, dass der Fehler von 1914 im Jahre 1940 wiederholt wird...
Ohne eine Anlandung von See aus wird "Seelöwe" also weder im Juni 1940 noch später was. Ich möchte jetzt Repos Onkel nicht zu nahe treten, aber wenn man ihn einer passenden Hormonkur unterzieht, kriegt er Brust und wird trotzdem (noch) nicht seine Tante. Bei einer prophetischen Vorausschau (Motivation natürlich auch vorausgesetzt), hätte die Kriegsmarine vielleichtestens schon im Juli 1940 schwimmendes Material zum Transfer vor Ort haben können, um eine gewisse Zahl Heerestruppen (incl. Panzer incl. Artillerie incl. undundund) anzulanden. Bis die Royal Navy dann mit ihren großen Pötten im Kanal aufdampft, vergehen wenigstens ein paar Tage. Die Aktion entscheidet sich dann im Kampf der Luftwaffen über den Schiffen.
Geht man von einer ca. vierwöchigen Landungsphase in England aus und beachtet die Wettersituation im Kanal, ist Mitte August 1940 nicht der optimale, sondern der letzte sinnvolle Zeitpunkt für ein Übersetzen. Zu dieser Zeit gehen die Luftkämpfe allerdings erst richtig los. So gesehen macht die ganze Luftschlacht für die deutsche Seite überhaupt keinen Sinn. Der Abbruch von "Seelöwe" im September 1940 ist nicht nur gerechtfertigt, sondern schon um vier Wochen überfällig.
Grüße, Holger