Das "in dubio pro reo" gilt natürlich nicht für "zweifelsfreien" Blödsinn. Obwohl da natürlich wirklich die Frage auftaucht, wo man die Grenze zieht. Alle wundersamen Berichte per se von der geschichtlichen Betrachtung und Wertung auszuschließen, hielte ich allerdings für einen Fehler.
Niemand schließt sie per se von einer Betrachtung oder Wertung aus. Es ist immer die Frage, welche Frage man an die historische Quelle stellt. Etwa, welches Interesse ein Abt z.B. daran hatte, dass sein Vorgänger als wundertätig gälte, gerne wird auch nach dem "Wie?" der Darstellung gefragt. Das sind Fragen die man als Historiker an entsprechende Quellen stellen kann. Fragen nach dem göttlichen (oder teuflischen) Wirken, gehören ins Repertoire der Theologen und sollten dort auch bleiben.
Mit welchem Recht, nehme ich z.B. christliche Wunderberichte ernst, heidnische aber nicht?
Ist ein erfüllter Orakelspruch nun der statische Zufall, der irgendwann einmal eintreten musste, oder steckt vielleicht doch mehr dahinter? Wie auch immer man so eine Frage persönlich beantwortet oder vielleicht auch gar nicht erst zu erklären versucht, kritisch wird es dann, wenn man sagt: "Die Beschäftigung mit dem Phänomen erfüllter Orakelsprüche ist generell irrelevant, kein Gegenstand geschichtlicher Betrachtung." Oder etwas drastischer formuliert: "Esoterischer Unsinn!"
Du kannst an dem Orakelspruch durchaus verschiedene Dinge untersuchen:
- Wann wurde er aufgezeichnet? Vor oder nach dem eingetretenen Ereignis?
- Wie offen oder geschlossen ist er formuliert? In Delphi soll man Kroisos vorhergesagt haben, dass, wenn du in die Schlacht ziehe, ein großes Königreich untergehen werde: Freudig zog er in die Schlacht, doch dummerweise war es sein eigenes Königreich, das unterging. (das Kroisos-Bsp. bringst du ja selbst, ich finde es eigentlich für das, was du "beweisen" willst, schlecht gewählt.)
- Themistokles riet das Orakel von Delphi angeblich, sich hinter hölzernen Mauern zu verschanzen. Er interpretierte dies als Schiffe und konnte die Seeschlacht von Salamis für sich entscheiden. Ob Pythia dies wirklich gemeint hat? Wir werden es nicht erfahren. Außerdem wurde diese Geschichte ja auch wieder erst nachher aufgezeichnet. Aber vielleicht meinte sie ja eigentlich, dass man den athenischen Mauerring durch eine zweite Mauer, die in der Kürze der Zeit allenfalls noch aus Holz errichtet werden konnte, erweitern sollte?
- Wie ist es um die Vorhersehbarkeit mit dem gesunden Menschenverstand beschieden? Wenn ich aus meinem Erfahrungswissen einem Freund zu etwas oder von etwas ab rate und am Ende tritt genau das ein, was ich ihm riet oder wovon ich ihm abriet, dann liegt das nicht etwa an meiner ausgeprägten prophetischen Gabe, sondern an einem Erfahrungswissen, über das ich verfüge, so dass ich Wahrscheinlichkeiten abwägen kann.
Hier greift auch wieder das Kroisos-Bsp.: Kroisos kämpfte in einer Zeit, in der vom König noch erwartet wurde, dass er an der Schlacht, und zwar nicht etwa vom Feldherrenhügel aus, teilnahm. Dass also er oder sein Gegner verlieren würden, war abzusehen. Eine wahrscheinliche Folge davon war, dass auch das entsprechende Königreich von der Landkarte getilgt würde.