Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Hallo zusammen,

nimmt man den numismatischen Aspekt, so fehlen bisher ganz klar zwischen Ems und Lippe die Münzen des Germanicus-Horizont 10 - 14 n. Chr. Da lohnt es auch nicht zu diskutieren, ob Haltern Aliso war oder nicht.
 
Aus einer einzelnen Belegstelle, in der amnes im Kontext mit größeren Flüssen genannt wird, kannst Du keine Regel ableiten, daß keine kleineren Gewässer gemeint sein können.
Zwar jetzt nicht Tacitus, aber von Livius' Römischer Geschichte kennen wir sogar die Diminutivform amniculus. Was er damit wohl gemeint haben könnte? Ein Strömchen?

Hallo Alfirin,

das der Begriff amnis schon älter ist steht außer Frage, jedoch gibt es mehrere Belegstellen, wo Tacitus den Rhein amnis nennt. Beispiel gefällig?

Tacitus Ann II - 6: "Nam Rhenus uno alveo continuus aut modicas insulas circumveniens apud principium agri Batavi velut in duos amnis dividitur, servatque nomen et violentiam cursus, qua Germaniam praevehitur, donec Oceano misceatur: ad Gallicam ripam latior et placidior adfluens (verso cognomento Vahalem accolae dicunt), mox id quoque vocabulum mutat Mosa flumine eiusque inmenso ore eundem in Oceanum effunditur."

"Der Rhein nämlich, der bis dahin in einem durchgängigen Bett fließt oder nur mäßig große Inseln einschließt, teilt sich beim Eintritt ins Batavergebiet in zwei Ströme, von denen der eine, der Germanien streift, Namen und Heftigkeit der Strömung bis zur Einmündung in den Ozean beibehält. Der andere – dem gallischen Ufer entlang – fließt breiter und in sanfterer Strömung, von den Anwohnern dort nicht mehr Rhein, sondern Waal genannt; bald vertauscht er auch diesen Namen mit dem der Maas, und ergießt sich durch deren ungeheuere Mündung in denselben Ozean."

Da Tacitus für unsere Varus-Textstelle der Gewährsmann ist, scheiden alle anderen aus.
 
Hallo Marcus Antonius,

eine Spur führt vom Oberrhein (Mainz) in den Raum Warburg-Höxter, die andere nach Mitteldeutschland in Richtung Aschersleben-Bernburg.

Grüße
Salve, danke für die Info!
Ohne es zu wissen hatte ich mir so etwas ähnliches bereits gedacht. Als alter Soldat kann ich nicht davon lassen, die Sache strategisch zu betrachten. Das würde - zumindest für mich - Sinn machen, wenn ich eine Provinz Germania magna erobern will:
Militärische Vorstöße durch Hessen, Thüringen, Sachsen_Anhalt, dort, wo ich mögliche Widerstandsnester der Barbaren erwarten würde, in unzugänglicheren Gebieten, mitten ins Herz der zukünftigen Provinz, vielleicht bei Halle, vielleicht auch woanders. Versorgung dann über längst befriedete Gebiete entlang der Lippe bis Richtung Hedemünden oder nördlich des Harzes, zur Orientierung immer den Brocken im Blick.
Es sei denn ich bin nicht so ein starker Römer und werde immer direkt neben meinen Verwaltungsstätten und Lagern verhauen:S, fast in Rufweite meiner Garnisonsstandorte.
Und komisch, irgendwie passt die Spur auch besser zu den Orten Amisia und Luppia des Ptolemäus als Ems und Lippe?:grübel:
Wer weiß?
So, und jetzt wieder Feuer frei für die Kalkriese - Fans.....
 
Hallo Marcus Antonius,

eine Spur führt vom Oberrhein (Mainz) in den Raum Warburg-Höxter, die andere nach Mitteldeutschland in Richtung Aschersleben-Bernburg.

Grüße

Was denn?
Münzen, welche dem Germanicus Horizont zuzuordnen sind?
Wäre mir neu. Was ist denn das für eine Spur hinsichtlich eines Germanicus Horizonts?
 
@ Hermundure:
Auch Tacitus verwendet den Ausdruck "amnis" nicht nur für Ströme:
In Annales 1,79 nennt er den Fluss Arno in der Toskana amnis - zwar kein ganz kleines Flüsschen, aber doch kein ordentlicher Strom. An derselben Stelle nennt er dann sogar den Nar (heute Nera, einen Nebenfluss des Tiber) amnis - und der ist nun wirklich alles andere als ein Strom.
Außerdem ist er selbst in der Verwendung der Begriffe amnis und flumen uneinheitlich: Die Lupia bezeichnet er in Annales 1,60 als amnis, in Historiae 5,22 als flumen.
 
das der Begriff amnis schon älter ist steht außer Frage, jedoch gibt es mehrere Belegstellen, wo Tacitus den Rhein amnis nennt.

Es gibt auch Belegstellen, wo Tacitus den Rhein flumen nennt:

"Rheno et Danuvio fluminibus" (Germania 1)

Flumen oder amnis ist bei Tacitus offensichtlich dasselbe: Ein Fluss.


Das zeigt auch Dein Textbeispiel:

Die Vahalis oder Mosa wird erst als amnis, dann als flumen bezeichnet.


Mitunter bezeichnet Tacitus mit amnis sogar einen Bach:

"Primi omnium Ephesii adiere, memorantes non, ut vulgus crederet, Dianam atque Apollinem Delo genitos: esse apud se Cenchreum amnem" (Tac.ann. 3,61)

Kenchreios - Brill Reference
 
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Was denn?
Münzen, welche dem Germanicus Horizont zuzuordnen sind?
Wäre mir neu. Was ist denn das für eine Spur hinsichtlich eines Germanicus Horizonts?

Hallo Salvus,

es sind die unter Augustus spätest geprägten Nominale.

Denar RIC 220 (13 n. Chr.)
As RIC 469 (10-11 n. Chr.)
As RIC 471 (11-12 n. Chr.)
As RIC 233 (10-14 n. Chr.) - besser als Lugdunum II Asse bekannt

Grüße
 
Da Tacitus für unsere Varus-Textstelle der Gewährsmann ist, scheiden alle anderen aus.
In dieser Absolutheit würde ich das nicht gelten lassen.

Tacitus schreibt ja nicht im luftleeren Raum, soll heißen: er schreibt kein rein persönliches Tagebuch, das niemand außer ihm je zu Gesicht bekommen soll und in dem er deshalb sich Konventionen, Vokabular, Sprachgebrauch frei festlegen könnte wie er wollte. Seine Zielgruppe verstand unter amnis bereits irgendwas. Deutet der Autor den Begriff nun um oder schränkt ihn in seiner allgemeinen Bedeutung auf eine besondere Teilmenge ein, sollte er schon explizit darauf hinweisen, um Mißverständnisse beim Leser zu vermeiden.

Wir haben also zwei Möglichkeiten: Du nennst uns eine Belegstelle, in der Tacitus explizit diese Begriffsfestlegung für amnis trifft. Oder Du weist nach, daß keine explizite Umdeutung seitens Tacitus' erforderlich war, weil amnis schon im allgemeinen Sprachgebrauch im Regelfall als "Strom, großer Fluß" verstanden wurde. Ersteres ist Dir bisher nicht gelungen, die Zitate könnten höchstens für eine implizite Ableitung herangezogen werden. Und für Letzteres ist eben durchaus relevant, wie andere Autoren den Begriff amnis verwendet haben.
 
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Hallo Alfirin,

Zitat: "Sometimes Latin is capable of greater precision than English: in book 3 on rivers, Seneca can exploit the difference between amnis, which is normally a very large, grand river, and flumen and fluuius, which normally denote rivers of more average size; but while English has various words for smaller streams, it has no word like amnis to denote a large river."

Quelle: Harry M. Hine - Lucius Annaeus Seneca "Natural Questions", S. 17; Druck 2010 Universität von Chicago

Harry M. Hine ist Professor an der School of Classics der Universität von St. Andrews in Schottland.

https://www.st-andrews.ac.uk/classics/staff/emeritus/profharryhine/

https://www.st-andrews.ac.uk/classics/archaeology/

Grüße
 
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Was denn?
Münzen, welche dem Germanicus Horizont zuzuordnen sind?
Wäre mir neu. Was ist denn das für eine Spur hinsichtlich eines Germanicus Horizonts?

Nachtrag zu den Münzfunden:

As Nemausus Serie III (10-14 n. Chr.) RIC 159
Semis Lug Altar-Serie (10-14 n. Chr.) RIC 363
Semis Lug Altar-Serie (12-14 n. Chr.) RIC 246

Grüße
 
Zu den Münzfunden:

Da scheint sich ja durchaus zumindest durch die Münzen auch ein rechtsrheinischer Germanicus-Horizont herauszubilden.

Auffällig ist nach wie vor, daß sich solche Münzen (insbesondere auch die der zweiten Altarserie) in Kalkriese nicht finden.

Das spricht doch eher für die Varusthese in Kalkriese.
 
@ Hermundure:
Eine Definition der drei Begriffe nimmt Seneca nicht vor, zumal "fluvius" von ihm nur einmal verwendet wird. Er verwendet die Begriffe auch keineswegs so konsequent wie suggeriert. Z. B. schreibt er im 25. Kap. von zwei "amnes" in Böotien, von denen einer der Melas sei. Schau doch mal auf einer Karte nach, wieviele Ströme Du in Böotien findest. Kleiner Tipp: Der Melas ist ein Nebenfluss des Kephissos.

Hast Du übrigens die Beiträge von mir und Sepiola zur Verwendung von "amnis" durch Tacitus gelesen?

Ich habe übrigens noch etwas für Dich, wenn auch von Vergil: Im 4. Gesang der "Aeneis" beschreibt er u. a. eine Jagd während Aeneas' Aufenthalt bei Dido. Dabei gerät die Jagdgesellschaft in ein Unwetter. In V. 164 heißt es bei der Beschreibung: "ruunt de montibus amnes", also "von den Bergen stürzen die ..." Ströme oder doch eher Wildbäche?
 
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Zu den Münzfunden:

Da scheint sich ja durchaus zumindest durch die Münzen auch ein rechtsrheinischer Germanicus-Horizont herauszubilden.

Auffällig ist nach wie vor, daß sich solche Münzen (insbesondere auch die der zweiten Altarserie) in Kalkriese nicht finden.

Das spricht doch eher für die Varusthese in Kalkriese.

Vergiss nicht, Germanicus war 15 n. Chr. auf dem Schlachtfeld der Varusniederlage.
 
@ Hermundure:
Eine Definition der drei Begriffe nimmt Seneca nicht vor, zumal "fluvius" von ihm nur einmal verwendet wird. Er verwendet die Begriffe auch keineswegs so konsequent wie suggeriert. Z. B. schreibt er im 25. Kap. von zwei "amnes" in Böotien, von denen einer der Melas sei. Schau doch mal auf einer Karte nach, wieviele Ströme Du in Böotien findest. Kleiner Tipp: Der Melas ist ein Nebenfluss des Kephissos.

Hast Du übrigens die Beiträge von mir und Sepiola zur Verwendung von "amnis" durch Tacitus gelesen?

Ich habe übrigens noch etwas für Dich, wenn auch von Vergil: Im 4. Gesang der "Aeneis" beschreibt er u. a. eine Jagd während Aeneas' Aufenthalt bei Dido. Dabei gerät die Jagdgesellschaft in ein Unwetter. In V. 164 heißt es bei der Beschreibung: "ruunt de montibus amnes", also "von den Bergen stürzen die ..." Ströme oder doch eher Wildbäche?


Gegenfrage - was passiert bei einem Unwetter mit einem Bachlauf ? Er kann zu einem größeren reißenden Fluss werden.
 
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