Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Das ist ein Irrtum, den wir hier im Thread schon mehrfach aufgeklärt haben: Der Text lautet: "Danach verbrannten sie die meisten Wagen (πλείους ἁμάξας) und ließen anderes, das sie nicht besonders benötigten, zurück". Es ist also nicht die Rede davon, dass der ganze Tross verbrannt wurde. Die Angabe ist ungenau, man könnte unterstellen, dass nur 55 % der Wagen verbrannt wurden und 45 % derselben weiter mitgeführt worden seien, dann wäre die Angabe theoretisch erfüllt. Wenn, dann müsstest du anders argumentieren, nämlich über die mitgeführten Luxusgüter.

Spätestens wenn sich abzeichnet, dass es ums nackte überleben geht, wird ALLES (bis auf Teile der Bewaffnung) zurückgelassen. Heute wie auch vor 2000 Jahren. Punkt.
Naja, ich hatte ja darauf hingewiesen, dass man wenn, dann über die Luxusgüter argumentieren müsse, nicht darüber, dass alle Wagen verbrannt worden seien, denn das steht so nicht im Text. S.o.

Es gibt im Übrigen auch den Fehler der versunkenen Kosten: Wenn man eine Fehlinvestition gemacht hat, buttert man immer mehr Geld rein, weil man das ursprünglich verlorene Geld wieder rausholen möchte. Stattdessen verliert man immer mehr. So funktionieren einarmige Banditen und Schneeballsysteme. Wir Menschen sind vernunftbegabte aber nicht notwendigerweise vernünftige Wesen. Es ist durchaus vorstellbar, dass auch damals, im nackten Überlebenskampf manche sich gesagt haben "jetzt haben wir das ganze Zeug durch den ganzen Schlamassel geschleppt, das haben wir doch nicht 'umsonst' gemacht und lassen es jetzt hier liegen..." - ich sage nicht, dass dem so war, sondern dass ich das für prinzipiell möglich halte. Die Sunken Cost Fallacy hat bei Isonzo im Ersten Weltkrieg Zehntausenden Italienern Leben oder Gesundheit gekostet.

Im Übirgen möchte ich aber noch mal daran erinnern, dass ich bekanntermaßen Cassius Dio sowieso nicht so vertraue, mir geht es hier also nur um die korrekte Wiedergabe dessen, was er sagt, überhaupt nicht so sehr darum, dass ich darauf bestünde, dass es genauso gewesen sei.
 
"das sie nicht besonders benötigten, zurück". Wie bewertet jemand das "nicht Benötigte?Mit Sicherheit aus der vorliegenden Situation heraus. Der Händler benötigt seine Waren, der Soldat Waffen und Proviant.Aus Sicht eines privaten Eigentümers würden seine Waren benötigt, aus Sicht eines Soldaten Verteidigungswaffen, pauschal gesagt.Und wer hat die Notwendigkeit entschieden?Und was heißt "besonders"?
Ich kann daraus einen Roman machen, angefangen mit dem Inhalt des Trosses; weiterhin mit gefundenen geflügelten Cappucinotassen, deren Menge ich dann hochrechne(allerdings weiß ich nicht ,wie der Anfangsbestand war).darüber hinaus argumentieren, daß die Menge der gefundenen Luxusartikel dafür spricht, daß Kalkriese nur ein Zwischenlager war. Nur müßte der Blick dann westwärts gehen, um irgendwann das zerdepperte Porzellan zu finden.
bin immer dafür, Lücken in den Quellen zu füllen,ohne daß der Gesamtsinn leidet. Allerdings finde ich persönlich den Ansatz Luxusgüter nicht so erfolgversprechend, vielleicht auch nicht weiterführend, aber immerhin interessant.
Meine Ansätze können diese Prädikate auch für sich beanspruchen:)
 
"das sie nicht besonders benötigten, zurück". Wie bewertet jemand das "nicht Benötigte?Mit Sicherheit aus der vorliegenden Situation heraus. Der Händler benötigt seine Waren, der Soldat Waffen und Proviant.Aus Sicht eines privaten Eigentümers würden seine Waren benötigt, aus Sicht eines Soldaten Verteidigungswaffen, pauschal gesagt.Und wer hat die Notwendigkeit entschieden?Und was heißt "besonders"?
Ich kann daraus einen Roman machen, angefangen mit dem Inhalt des Trosses; weiterhin mit gefundenen geflügelten Cappucinotassen, deren Menge ich dann hochrechne(allerdings weiß ich nicht ,wie der Anfangsbestand war).darüber hinaus argumentieren, daß die Menge der gefundenen Luxusartikel dafür spricht, daß Kalkriese nur ein Zwischenlager war. Nur müßte der Blick dann westwärts gehen, um irgendwann das zerdepperte Porzellan zu finden.
bin immer dafür, Lücken in den Quellen zu füllen,ohne daß der Gesamtsinn leidet. Allerdings finde ich persönlich den Ansatz Luxusgüter nicht so erfolgversprechend, vielleicht auch nicht weiterführend, aber immerhin interessant.
Meine Ansätze können diese Prädikate auch für sich beanspruchen:)
Die Notwendigkeit entscheidet der, der es kann!
 
Ich bin auch der Meinung, dass Kalkriese einen Punkt darstellt, der zeitlich eher zum Ende der Schlacht einzuordnen ist. Der Zug der Römer kam grobe Richtung Osten, aber verwunderlich ist die Fundarmut auf dem Weg Richtung Kalkriese. Es sind ja anfänglich so zwischen 10 und 18 Tausend Mann gezogen.

Leider konnte das 3 Legionenlager auch noch nicht gefunden werde. Wieviel km konnten unter Angriffsdruck der Germanen noch zurückgelegt werden?

Erstaunlich für mich ist die Koordinierung der einzelnen germanische Stämme, die so als Großverband vorher nie zusammengekommen sind.
Sicherlich hatten einige als Sölder Erfahrung mit Militärdisziplin und Planung gemacht, auf der anderen Seite waren aber auch viele "Rekruten", die keine Erfahrung hatten. Dazu kommt noch der Nachteil der langen äußeren Linien für die Germanen, und lässt man sich von einem stammesfremden Fürsten einfach so Befehle erteilen?

Allein schon die Bestimmung z.B., wo ein Wall geschaufelt werden soll, braucht doch sowas wie einen Oberbefehl.

Ging bei den Römern ja zum Nachteil aus, dass durch die Länge des Heerhaufen die Befehlskette schwer durchgeführt werden konnte, obwohl sie die innere Linie hatten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Erstaunlich für mich ist die Koordinierung der einzelnen germanische Stämme, die so als Großverband vorher nie zusammengekommen sind.
Sicherlich hatten einige als Sölder Erfahrung mit Militärdisziplin und Planung gemacht, auf der anderen Seite waren aber auch viele "Rekruten", die keine Erfahrung hatten. Dazu kommt noch der Nachteil der langen äußeren Linien für die Germanen, und lässt man sich von einem stammesfremden Fürsten einfach so Befehle erteilen?

Zuerst muss man mE davon ausgehen, dass es das allgemeine und gemeinsame Interesse gab, gegen die Römer vorzugehen. Ohne das hätte es einen Aufstand von dem Ausmaß, dass notwendig war, um isch gegen drei Legionen zu stellen, gar nicht geben können. Die grundsätzlich Motivation muss also vorhanden gewesen sein, sei es nun Widerstandsgeist, wegen Beute oder beidem.

Für eine Guerilla-Kriegsführung, die die römischen Truppen auf ungünstigem Verhältnis in Bedrängnis bringen konnten, war grundsätzlich auch keine so große Koordination und Subordination notwendig, wie sie bspw eine offene Feldschlacht dieser Größenordnung gebraucht hätte. Plötzliche Überfälle mit danach folgendem schnellen Rückzug kann auch kleineren Gruppen gelingen, die nicht von einer zentralen Kommandogewalt koordiniert werden.

Dass die Armee des Varus so zerschlagen wurden, wie sie es offensichtlich der Fall war, braucht es allerdings mindestens einen, evtl mehrere entscheidende Schläge mit einer einigermaßen großen Truppenstärke. Hierfür würde ich vermuten, es war sehr hilfreich, Leute wie Arminius (und vielleicht noch andere) in der Kommandospitze gehabt zu haben, die dank der römischen Ausbildung wussten, wie so etwas zu organisieren ist. Hätten sich andere dieser Führung nicht zumindest für eine solche Aktionen nicht untergeordnet, wäre das schwierig gewesen. Es spricht mE einiges dafür, dass dahinter einiges an Vorbereitung und diplomatischem Geschick nötig war. Längerfristig hat es dann ja auch nicht funktioniert, wenn die weitere überlieferte Geschichte des Arminius glaubwürdig ist.

Allerdings hat es vorher auch schon Ariovist geschafft, eine größere Zahl Germanen irgendwie zusammen zu halten, um Gallien zu belästigen, wenn auch unter anderen Bedingungen.
 
Ich habe keine Zeit mir alle 318 Seiten durchzulesen und meine Frage wurde darüber hinaus gewiss schon häufig besprochen,
aber warum schließt man für Kalkriese ein Gefecht im Zuge des "Immensum bellum" aus?
Die Schlussmünzen würden grundsätzlich passen und die Nachrichten über diesen Krieg sind mehr als spärlich, sodass es sich hier auch um eine nicht überlieferte Kampfhandlung zwischen Römern und Germanen handeln könnte.
Grundsätzlich wäre das doch auch eine Möglichkeit, oder etwa nicht?
 
Ich habe keine Zeit mir alle 318 Seiten durchzulesen und meine Frage wurde darüber hinaus gewiss schon häufig besprochen,
aber warum schließt man für Kalkriese ein Gefecht im Zuge des "Immensum bellum" aus?
Die Schlussmünzen würden grundsätzlich passen und die Nachrichten über diesen Krieg sind mehr als spärlich, sodass es sich hier auch um eine nicht überlieferte Kampfhandlung zwischen Römern und Germanen handeln könnte.
Grundsätzlich wäre das doch auch eine Möglichkeit, oder etwa nicht?
Wie ich das sehe spricht die Numismatik dagegen.

Die Schlussmünze der kalkriser Funde, scheint kurz vor der Varusschlacht zu datieren.
Das ist kein Beweis dafür, dass es sich nicht um ein späteres Ereignis gehandelt haben kann, aber wenn unter einigen hundert Münzen nicht eine darunter ist, mit einem spätere Prägedatum oder einem nach Varus datierenden Gegenstempel, legt das nah, dass das Ereignis mit der Varusschlacht jedenfalls zeitlich eng korrespondiert.

Mach zum Spaß einfach mal ein Experiment und schau mal in deinem Geldbeutel nach, welches das späteste Prägejahr ist. dass du auf deinem Münzgeld findest. Es ist bei einigermaßen frequentierten Geldumlauf recht unwahrscheinlich. dass sich in einem solchen Sammelsurium keine Münzen jüngeren Datums finden.
 
Zum Immensum Bellum passt auch nicht die Tatsache, dass die Knochen jahrelang an der Oberfläche lagen, bevor sie bestattet wurden.

Der Immensum Bellum war ja offensichtlich ein Sieg auf ganzer Linie(Schließlich war alles bis zur Weser befriedet), da hätte man keine gefallenen Legionäre unbestattet rumliegen lassen.
 
Zum Immensum Bellum passt auch nicht die Tatsache, dass die Knochen jahrelang an der Oberfläche lagen, bevor sie bestattet wurden.

Der Immensum Bellum war ja offensichtlich ein Sieg auf ganzer Linie(Schließlich war alles bis zur Weser befriedet), da hätte man keine gefallenen Legionäre unbestattet rumliegen lassen.
Möglicherweise schon, wenn die Bestattung und der Aufwandt von Zeit dafür. die Verfolgung eines geschlagenen Gegners verhindert hätte o.ä.
 
Naja, unabhängig von Kalkriese, können nicht auch während des immensum bellum einzelne, vielleicht abgeschnittene römische Einheiten besiegt worden sein, ohne das wir davon wissen?
 
Naja, unabhängig von Kalkriese, können nicht auch während des immensum bellum einzelne, vielleicht abgeschnittene römische Einheiten besiegt worden sein, ohne das wir davon wissen?

Keine Primärquelle, aber eine Argumentation aus numismatischer Sicht, aus dem Jahr 2017:
Die Gegenstempel VAR sprechen dagegen.

"Vier Asse trugen den Gegenstempel VAR für Varus, viele andere die Gegenstempel IMP oder AVG. Die Gegenstempel beweisen, dass es Geld von Legionären war, denn zu besonderen Anlässen (wie etwa die Übernahme des Statthalteramtes durch Varus im Jahre 7 n. Chr.) wurden diese Gegenstempel aufgebracht und das Geld an die Legionäre als Geschenk oder Prämie verteilt. Vor allem der hohe Anteil der Schlussmünze in zwei Hortfunden und bei den Einzelfunden deutet darauf hin, dass alle Münzen im Jahre 9 n. Chr. in den Boden gekommen sind."

Auch wenn Varus vielleicht schon in Dangstätten Legat der XIX. Legion war, hätte er während des Immensum Bellum (1 n.Chr. bis 5 n.Chr.) keine Münzen mit VAR-Gegenstempel ausgegeben.

 
Zuletzt bearbeitet:
Marcus Vinicius wurde als Statthalter abgelöst. In Wikipedia steht lapidar:
"und bekämpfte einen germanischen Aufstand (Immensum bellum), dessen Niederwerfung erst seinem Nachfolger, dem Legaten Gaius Sentius Saturninus, und Augustus’ Stiefsohn Tiberius gelang."
 
Für mich das stärkste Argument für Varusereigniss/ Kalkriese ist die nachgewiesene Liegezeit der Knochen an der Oberfläche, bevor sie in die Gruben abgelegt wurden.
 
Naja, unabhängig von Kalkriese, können nicht auch während des immensum bellum einzelne, vielleicht abgeschnittene römische Einheiten besiegt worden sein, ohne das wir davon wissen?
nunja, wir wissen kaum etwas über den immensum bellum,aber Reinecke, warum nicht? Als ich mit dem Thema Rom 12 v - 16 n begann, hat mich diese Lück von ca. 1 bis ca. 5 gewundert, weil ich absolut nichts gefunden habe. Ich liege nicht völlig abwegig, wenn die Römer die kleinen Geplänkel oder kleine Siege nicht hervorgehoben haben, weil nur große Siege von Interesse waren. Die Niederwerfung erst 5 deutet darauf hin, daß es doch nicht so einfach war.Natürlich mußte erst Tiberius kommen, um tabula rasa zu praktizieren......aber nun lasse ich den immensum bellum lieber.
 
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