Ich hab schon längere Zeit nicht mehr hier reingeschaut denn sonst hätte ich mich schon früher zu diesem Thema gemeldet.
Würde man die schriftlichen Quellen gänzlich außer Acht lassen und nur den archäologischen Befund in Kalkriese werten, dann käme man derzeit zu der Schlussfolgerung, dass hier römische Legionäre gegen ihresgleichen gekämpft haben müssen. Da wir aber schriftliche Überlieferungen über die römischen Germanenkriege kennen und uns das einstmalige Geschehen in groben Zügen rekonstruieren können, ist es äußerst Unwahrscheinlich dass sich die Römer an diesem Ort gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben. Aber der Befund steht. Ausschließlich (von dem einen Reitersporn abgesehen) römische Fundstücke. Dieses Ausgrabungsergebnis kann eigentlich nur den Rückschluss zulassen, dass hier zwei Heere mit identischer Bewaffnung und Ausrüstung aufeinander getroffen sind.
Die Streitmacht des Arminius vor der Varusschlacht benutzte sicherlich zum überwiegenden Teil ihre, im Gegensatz zur römischen Ausrüstung, minderwertigere traditionelle Bewaffnung. Sollte es sich bei Kalkriese um den Ort der Varusschlacht handeln, dann müssten sich auch massenweise Kleinteile dieser germanischen Ausstattung im Grabungshorizont wieder finden. Das trifft in Kalkriese nicht zu.
Nach der Varusschlacht fielen den Germanen unvorstellbare Mengen römischer Waffen und Rüstungen in die Hände. Ein einfacher germanischer Krieger wird bestimmt seine Ausstattung mit den römischen Beutestücken ergänzt haben, wenn er sie nicht gar gänzlich ersetzt hat. Erst nach der Clades Variana war es möglich dass sich dem römischen Heer ein germanisches Heer mit vorwiegend römischer Ausrüstung entgegenstellte.
Zu dem Grabtumulus und den Knochengruben wären von meiner Seite auch noch einige Sätze zu sagen. Es gibt von drei verschiedenen Quellen Aussagen über die Bestattung der Varuslegionen. Zum einen sind es die allseits bekannten Äußerungen des Tacitus, Ann. I 62: „ Und nun setzte das hier befindliche römische Heer, sechs Jahre nach der Niederlage, die Gebeine von drei Legionen bei, in trauriger Stimmung und zugleich in wachsenden Zorn auf den Feind, ohne das jemand erkannte, ob er die Überreste von Fremden oder von seinen eigenen Angehörigen in der Erde barg. Und es war, als ob sie alle zusammengehörten, als ob sie Blutsverwandte seien. Das erste Rasenstück zur Aufschichtung des Hügels legte der Caesar als willkommensten Liebesdienst für die Toten und als Zeichen seiner Anteilnahme an den Schmerz der Anwesenden.“ Und Ann. II 7: „Jedoch hatten sie den erst kürzlich für die Legionen des Varus errichteten Grabhügel und einen früher für Drusus gebauten Altar zerstört. Diesen stellte der Princeps wieder her und veranstaltete selbst an der Spitze der Legionen einen Vorbeimarsch. Den Hügel zu erneuern hielt er nicht für angebracht.“
Weiterhin schrieb Sueton/ Caligula 3. „Wo immer er (Germanicus) Grabmäler berühmter Männer besuchte, brachte er den Geistern der Verstorbenen ein Totenopfer dar. Er wollte die alten, überall verstreut herumliegenden Überreste der in der Varusschlacht Gefallenen in einem Grabhügel bestatten, also machte er sich als erster daran, eigenhändig die Leichenteile zu sammeln und zusammenzutragen.“
Zu guter letzt schrieb Cassius Dio folgende Zeilen: Romanika Historia 57,18,1 „Germanicus noch immer in Sorge vor einer neuen Empörung, zog mit den Soldaten in Feindesland und hielt sich dort länger auf, weil er ihnen Beschäftigung und zugleich reichlichen Proviant auf fremde Kosten geben konnte. Germanicus drang auf seinem Feldzug gegen die Kelten erfolgreich bis an den Ozean vor, errang über die Barbaren einen überwältigenden Sieg, ließ die Gebeine der unter Varus Gefallenen sammeln und bestatten, und erlangte auch die verlorenen Feldzeichen wieder.“
Quellenkritik hin oder her, aber die fast identischen Schilderungen dieses Sachverhaltes bei drei verschiedenen Autoren lässt doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Gebeine der Gefallenen Römer in einem einzigen Tumulus bestattet wurden, geradezu in die Höhe schnellen. Sollte bei Kalkriese tatsächlich das Zentrum der Varusschlacht gewesen sein, dann kann der Tumulus nicht sehr weit von diesem Ort entfernt gewesen sein. So wären dann wahrscheinlich gerade hier an diesem Brennpunkt des Geschehens, mit sicherlich vielen Opfern, die Gebeine aufgesammelt und in den Grabhügel verbracht worden. Will man den einen Tumulus jedoch immer noch ablehnen, so müsste im Gegenzug die Niewedder Senke bei einer Opferzahl von 15000 – 20000 gefallenen Legionären mit Knochengruben übersäht sein.
Auch die Bestattungen in den Knochengruben an sich passen nicht für eine würdevolle Grablegung von Legionär zu Legionär. Menschliche Gebeine gemeinsam mit Maultierknochen zu begraben entsprach meines Wissens nicht dem römischen Bestattungsritus für einen gefallenen Legionär. Das Argument der Verwechslung kann nicht ziehen, denn der antike Mensch war mehr als heute mit einem Elementarwissen ausgestattet, welches ihn in die Lage versetzte menschliche von tierischen Knochen zu unterscheiden. Ich habe den Eindruck dass es sich bei den Knochengruben nicht um eine ehrenvolle Bestattung von menschlichen Gebeinen handelt, sondern dass wir es hier mit einer Beseitigung von störenden Skelettresten zu tun haben.