Hallo Forumsfreunde
Mir ist durchaus Bewusst, dass es sich bei der von mir vertretenen Theorie um eine Variante handelt, welche mit all dem bricht was zur Zeit über die Varusschlacht gedacht und geschrieben wird. Bei dieser Theorie, die ich trotz massivem Störfeuer an diesem Ort versuche vorzustellen, fallen die meisten Fragestellungen weg die bisher die gesamte Varusforschung hin und her gerissen haben. Kein Alisoproblem, kein Asprenasproblem, kein Drususaltarproblem, kein Grabtumulusproblem, kein Valaproblem, kein Grenzwegeproblem, kein Tacitusproblem, kein Paterculusproblem. „Nur“ das relativ kleine und erklärbare Problem mit Cassius Dio.
Ich muss erst mal einige Fragestellungen abarbeiten. Die ganze Thematik ist reichlich kompliziert, deswegen wird mein Beitrag einen größeren Umfang haben.
@ El Quijote
120 Kilometer in drei Tagen, von Kalkriese nach Haltern, durch Sümpfe und dichtbewachsene Wälder, über Flüsse und Bäche, ohne Ortskenntnis und zusätzlich Wege meidend müssend, noch dazu durch feindliches Territorium schaffen höchstens Hochleistungssportler mit einer Horde von Schutzengeln in Begleitung. Unter diesen Gesichtspunkten ist selbst eine Marschleistung von zwanzig Kilometern am Tag äußerst fraglich.
Es ist klar, dass nicht alle Stämme der Cherusker an der Varusniederlage beteiligt waren. Segestes, der Varus vor dem Aufstand warnte, war ein Fürst der Cherusker und hat sich mit seinem Teilstamm sicherlich nicht gegen Varus gewandt. Auch Cheruskerfürst Igoumerus, der Oheim des Arminius, schloss sich erst im Jahr 15 dem Heer des Arminius an und stand vordem bei den Römern in hohem Ansehen. Deine Frage müsste anstatt : „
Warum auch sollten die an der Weser sitzenden Cherusker im Gelderland Aufstände anzetteln?“ folgendermaßen lauten: Wo siedelte der Teilstamm der Cherusker dem Arminius vorstand, und wie konnten sie im Gelderland einen Aufstand anzetteln.
Es ist nicht geklärt ob Arminius an der Weser „saß“. An der Varusschlacht waren aller Wahrscheinlichkeit nach Brukterer, Marser, möglicherweise Chatten, sowie Teile der Cherusker, und meine zusätzliche Vermutung, die Restbestände der Sugambrer, die sich nicht auf die linke Rheinseite umsiedeln ließen, beteiligt. Die Verteilung der drei Legionsadler, von denen keiner bei den Cheruskern aufgefunden wurde, zeigt zusätzlich die Prioritäten bei der Verteilung der Beute des Varusheeres. Die Siedlungsgebiete dieser Stämme zeigen wo sich in etwa das Schlachtfeld befunden haben könnte. Die Brukterer siedelten zwischen Rhein und Ems, die Marser südlich der Lippe in der Nähe des Rheines, die Sugambrer vor ihrer Vertreibung beidseitig der Lippemündung und nördlich von ihr, in Rheinnähe. Nachdem das Stammesgebiet der Sugambrer weitgehend entvölkert wurde, errichteten die Römer auf deren ehemaligen Territorium an der rechten Rheinseite eine siedlungsfreie Zone, die unter römischer Kontrolle gehalten wurde. Das war in etwa der Stand der germanischen Siedlungsgebiete vor der Clades Variana. Es ist Wahrscheinlich, dass Arminius mit seinem Teilstamm ein Bündnis mit seinen geographischen Nachbarn schmiedete um Varus zu besiegen. Ein Territorium dieser Cherusker am Oberlauf der Ems scheint demnach wirklichkeitsnah zu sein.
Ich vermute, dass sich Varus vor seiner Niederlage in Haltern oder Anreppen aufgehalten hat. Was sollte ihn unter diesen Gesichtspunkten ein Aufstand kümmern, der weitab vom römischen Interessengebiet (Kalkriese) liegt. Es hätte in seiner Situation gereicht wenn er zur Bereinigung einer Rebellion zuerst kleinere bewegliche Einheiten zum Aufstandsgebiet gesandt hätte um sich einen Überblick zu verschaffen, und nicht ein gewaltiges Heer von drei Legionen. Es war schließlich schon Spätsommer, also keine gute Zeit für die Römer, um einen langwierigen Feldzug anzufangen.
Einen Aufstand jedoch, der im Römischen Glacis vor der Rheingrenze lag, und dort römische Einrichtungen bedrohte, musste Varus bekämpfen. Der Aufruhr wurde nach meiner These von den vermeintlich besiegten Suambrern „angezettelt“ , deren ununterworfene Restbestände noch in und um der Hoogen Veluwe siedelten. Die Auflehnung selber ging nicht von den Cheruskern aus. Um an dieser Stelle ein Missverständnis auszuräumen. Ich schrieb nicht, dass die Varusschlacht in der Hoogen Veluwe stattgefunden hat, sondern dass Varus und seine Legionen auf dem Weg dorthin niedergemacht wurden (um noch mal ein Gebiet zu nennen: der Niederländische Achterhoek). Im Grunde war das Unternehmen welches Varus plante um die vermeintlich schwachen Sugambrer zu besiegen kein aufwändiges Wagnis. Zwei große Heere von zwei Seiten, Asprenas von Westen aus, Varus von Nordosten aus, Klappe zu - Affe tot. Nur soweit kam es nicht.
Der Bericht des Tacitus über den Feldzug des Germanicus im Jahr 15 zeigt ganz klar die taktische Intention dieses Feldzuges. Nachdem im Jahr vorher schon die Marser abgestraft wurden, sollten nun auch die an der Varusschlacht beteiligten Brukterer zur Rechenschaft gezogen werden. Um zu vermeiden, dass sich die Brukterer von einem Vorstoß vom Rhein aus über die Ems zurückziehen konnten, und sich dadurch ihrer angestrebten Vernichtung entziehen, hat das Germanicusheer eine Umfassungsstrategie angewendet. Die drei von mir genannten Angriffspitzen, Caecina, Pedo und Germanicus, kesselten das gesamte Gebiet zwischen Rhein und Ems ein, um so einen Rückzug der Brukterer zu verhindern. Von der Ems aus wurde dann das ganze Territorium der Brukterer in Richtung Westen zum Rhein ziehend zerstört, denn Tacitus schreibt nichts von einer Emsüberquerung, Dass er dabei nicht nur das relativ kleine Gebiet zwischen den Oberläufen von Ems und Lippe gemeint haben kann liegt auf der Hand. Dabei fanden die Römer den Legionsadler der neunzehnten Legion wieder. Anschließend erreichte das Heer des Germanicus die äußerste Grenze der Brukterer. Nach meiner Theorie war das die Grenze zwischen münsterländischer Mitteltrasse und niederländischer Niedertrasse, in relativer Rheinnähe. Hier schlossen sich die ausgedehnten Sumpfgebiete an, die eine Eignung besaßen drei Legionen einzuschließen und durch die geschilderten Vorraussetzungen untergehen zu lassen. Der vermutete Marschweg des Varus und der Ort in dem sich Germanicus während seiner Vergeltungsaktion erreicht hatte, würden sich so überschneiden.
Wie ihr während meiner Abwesenheit feststellt habt, stolpert man über das Lager Aliso wenn man die Varusschlacht in Kalkriese oder im heutigen Teutoburger Wald befürwortet. Meine Aussage, dass weder Oberaden, noch Haltern, noch Anreppen archäologisch nachgewiesen mit Aliso zu vereinen sind, wurde von euch auch schon teilweise bestätigt. Dazu ist noch zu erwähnen, dass bei denen am gründlichsten untersuchten Lagern in Haltern der Grabungshorizont im Jahr 9 abrupt abbricht und keine Belegungsspuren für spätere Jahre erkannt wurden. Rudolf Asskamp, Museumsleiter in Haltern, hat medienwirksam versucht mit den Gebeinen in den Töpferofen die Enddatierung um einige Zeit nach der Varusschlacht zu verlegen, um so eine Alisowahrscheinlichkeit für Haltern hervorzuheben. Doch diese Argumentation steht auf tönernen Füßen. Dazu dieser Link mit Kommentaren:
Funde in Haltern untersucht ? Archäologische Nachrichten ? [Archäologie Online] ? ?
Es steht nach wie vor der archäologische Befund: Gewaltsames Ende der Lager in Haltern im Jahr 9.
Die gleiche Enddatum welches für als höchstwahrscheinlich für Haltern gilt, scheint auch für das Lager Anreppen zu gelten. Ende der Belegung im Jahr 9. Im Gegensatz zu Haltern wurde Anreppen vermutlich aufgelassen und nicht gewaltsam erobert, das deuten Tierkadaver in den aufgefundenen Brunnen an. Diese Fundsituation lässt sich im Übrigen sehr gut mit der Überlieferung des Paterculus in Einklang bringen, der davon schrieb, dass von den zwei Lagerpräfekten der eine, Eggius ein heldenhaftes Beispiel zeigte, wohl weil er sich vermutlich bis zum bitteren Ende in Haltern gegen die Germanen zur Wehr setzte, und der andere, Ceiunius ein erbärmliches Beispiel abgab, weil er sein Lager in Anreppen den Germanen kampflos preisgab.
Es muss aber noch ein weiteres Lager auf der rechten Rheinseite existiert haben, nämlich das berühmte Lager Aliso. Denn Paterculus schrieb zusätzlich von einem weiteren Lagerpräfekten Caedicus der sich in Aliso den Germanen erwehrte und sich später zu den seinen durchschlagen konnte. Die Annahme dass dieses Lager östlich von Haltern gelegen haben könnte ist aus den angeführten Gründen eher nicht wahrscheinlich. So müsste man eigentlich von einem Standort für Aliso noch näher am Rhein ausgehen.
El Quijote, du hattest nachgefragt ob es so etwas wie einen inschriftlichten Beleg für ein Lager Aliso gäbe. Ich hätte da etwas:
www.clades-variana.com/images/Ortelius.jpg
Gruß Maelo