Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Und wieso sollte sich der Verlauf des Walles durch Erdbewegungen nicht verändert haben ? Eine Gründung auf Fels gab es ja nicht. In einer Hanglage mit angrenzendem Sumpf kann schon mal was wegrutschen.

Zunächst einmal gibt es einen Archäologenspruch der lautet: Nichts ist so dauerhaft wie ein Loch. Der gilt auch für Kalkriese. Der Befund von Kalkriese ist eindeutig, dass da nichts abgerutscht ist, alles befindet sich in situ. Nur der Wall ist erodiert. Seinen Verlauf kann man aber anhand der Spitzgräben und der Drainagegräben genau nachvollziehen, weshalb es eben auch möglich war, seine ungefähre Höhe zu ermitteln.
 
An den Knochen ist frappierend, dass diese zwischen zwei und zehn Jahren nach dem Ableben ihrer "Besitzer" bestattet wurden, also zu einem Zeitpunkt bei dem etwa Verwesungsgestank niemanden mehr gestört hätte. Die Aktion des Germanicus auf dem Varusschlachtfeld passt perfekt dazu.

Zu diesem Punkt gibt es endlich etwas Neues zu berichten:

Wenn es sich in Kalkriese um die Knochen der Varuslegionen handeln würde, so müssten sie nach genau sechs Jahren unter die Erde gekommen sein.
Die Liegezeit der Knochen an der Oberfläche (also vor ihrer Verbergung) wurde laut einem Gutachten der Universität Göttingen mit „zwischen zwei und zehn Jahren“ angegeben. Diese Aussage stützt sich im Wesentlichen darauf, dass nach zwei Jahren eine vollständige Skelettierung stattgefunden hat, nach zehn Jahren die organischen Überreste vergangen seien.
Soweit passte alles bestens. Bislang.



Besonders wichtig war die minimale Liegezeit von zwei Jahren, da sie als ein wichtiges Argument gegen die Pontis-Longi-Theorie angeführt wurde. Da diese Schlacht 15 n.Chr. stattfand, hätten die Knochen also erst 17 n.Chr. unter die Erde kommen müssen, als die römischen Germanienfeldzüge bereits beendet waren.



Diese minimale Liegezeit muss nun wohl nach unten korrigiert werden.
Es wurden nämlich in einer größeren Knochengrube mehrere Konvolute, also zusammengehörende Knochengruppen, gefunden.

Dr. Achim Rost schreibt dazu:
„Erstaunlich sind deshalb einige Knochenensembles aus einer großen Knochengrube, in der sich neben mehreren Hand-bzw. Unterarmstrukturen auch ein Schädel mit dazugehörigem Unterkiefer und den beiden obersten Halswirbeln sowie, als weiteres Konvolut, Schulterblattfragmente und Brustwirbel fanden, die der Beobachtung einer kompletten Zerstörung der Skelettverbände widersprechen. Natürliche Erklärungen scheiden für die Erhaltung etwa der kleinen Hand- und Fingerknochen weitgehend aus.“

Rost, Achim: Alesia, Kalkriese, Little Big Horn, in: Varusschlacht im Osnabrücker Land, Mainz 2009

Dr. Achim Rost vermutet, die Knochen könnten durch Wundverbände auch noch im skelettierten Zustand zusammengehalten worden sein. (Allerdings fanden sich keine nachweisbaren Spuren dieser möglichen Verbände.) Außerdem ist es schwer vorstellbar, wie ein Wundverband mehrere Halswirbel am Schädel gehalten haben soll.



Wahrscheinlicher ist:
Die Körperteile waren vor ihrer Verscharrung noch nicht vollständig verwest, sondern wurden, wie z.B. die Handknochen, noch teilweise durch Gewebereste zusammengehalten.

Demnach kann es nicht die „Bestattungsaktion“ des Germanicus (Tac. I,61) gewesen sein, die diese Knochen unter die Erde brachte, denn nach sechs Jahren ist, laut Gutachten der Universität Göttingen, die Skelettierung einer Leiche vollständig abgeschlossen.




Wenn die Leichen noch nicht vollständig verwest waren, so lagen sie eventuell nur wenige Monate an der Oberfläche, auf jeden Fall weniger als zwei Jahre.
Aus Sicht der Pontes-Longi-Theorie ergibt sich dagegen ein schlüssigeres Bild:
Als Germanicus 16 n.Chr. (nach der Schlacht von Idistaviso und am Angrivarierwall) von der Weser Richtung Ems zurückzog, passierte er Kalkriese und ließ die halbverwesten Überreste der Legionen des Caecina in Knochengruben verscharren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wobei das ja eigentlich zwei Befunde nebeneinander sind. Manche kamen rascher, die meisten, wie ich den Anfangsteil des Beitrags von Cato d. Ä. verstehe, später unter die Erde.
Würde das nicht eher wieder mehr Fragen aufwerfen als lösen? Warum wurden aus einer großen Knochengrube manche später verscharrt und manche früher? Wie, wenn beide gleichzeitig vergraben wurden, erklären sich die Unterschiede in dem Zustand, den Rost anführt?
 
Nein, Brissotin, am Anfang wird die bisherige Sichtweise zu den Knochen noch einmal zusammengefasst.

Der Befund ist auf jeden Fall interessant. An der grundlegenden Problematik ändert er aber auch nichts. Sowohl Befürworter von Varus als auch pontes longi können beim Befund von Kalkriese Punkte für sich verbuchen, die Gegner können bei beiden Theorien Punkte finden, die nicht passen.
 
Nein, Brissotin, am Anfang wird die bisherige Sichtweise zu den Knochen noch einmal zusammengefasst.

Der Befund ist auf jeden Fall interessant. An der grundlegenden Problematik ändert er aber auch nichts. Sowohl Befürworter von Varus als auch pontes longi können beim Befund von Kalkriese Punkte für sich verbuchen, die Gegner können bei beiden Theorien Punkte finden, die nicht passen.
Ist mir schon klar, aber die bisherige Sichtweise ist ja damit nicht ausgehebelt, wenn es heißt, dass bestimmte Stellen auffällig sind. Auffällig ist ja das Gegenteil von - passt ins Bild.

Aber wie Du weißt, habe ich davon eh keine Ahnung und kann auch alles missverstanden haben.:red:



:angsthab:
 
Dr. Achim Rost vermutet, die Knochen könnten durch Wundverbände auch noch im skelettierten Zustand zusammengehalten worden sein. (Allerdings fanden sich keine nachweisbaren Spuren dieser möglichen Verbände.)

Mit der Erhaltung von Stoffen ist das so eine Sache. Textilien erhalten sich nur unter sehr begrenzten Bedingungen. Dass z.B. die Knochen in Kalkriese sich erhalten haben, liegt ja daran, dass der Boden hier recht kalkgesättigt ist und einige der Knochengruben mit Kalksteinen ausgekleidet waren. In wie weit die Bedingungen für die Erhaltung von Textilien in Kalkriese günstig oder ungünstig sind, wäre zu ermitteln.

Außerdem ist es schwer vorstellbar, wie ein Wundverband mehrere Halswirbel am Schädel gehalten haben soll.

Atlas und Dreher können durchaus auch ohne Gewebereste, also im skelettierten Zustand noch am Schädel hängen.

Wahrscheinlicher ist:
Die Körperteile waren vor ihrer Verscharrung noch nicht vollständig verwest, sondern wurden, wie z.B. die Handknochen, noch teilweise durch Gewebereste zusammengehalten.

Demnach kann es nicht die „Bestattungsaktion“ des Germanicus (Tac. I,61) gewesen sein, die diese Knochen unter die Erde brachte, denn nach sechs Jahren ist, laut Gutachten der Universität Göttingen, die Skelettierung einer Leiche vollständig abgeschlossen.

Das ist bei genauerer Betrachtung der Dinge eben noch gar nicht wahrscheinlicher. Im Gegenteil, es müsste erklärt werden, warum auch die Konvolute nur Fragmente sind und nicht ganze Leichenteile. Demnach ist auch die Schlussfolgerung, dass es nicht die literarisch bezeugte Bestattungsaktion sein könne zum bisherigen Zeitpunkt zu verfrüht.

Wie es archäologisch aussieht, wenn man nur teilweise verweste Körper zu beerdigen gezwungen war, lässt sich in Gelduba ablesen:

Bei Krefeld Gellep, das seit über 2000 Jahren durchgängig besiedelt ist und bei Tacitus als Gelduba vorkommt, [...] Eine weitere 'vergessene' Schlacht am gleichen Ort, die um 260 stattfand, hinterließ 150 römische Tote, die später verscharrt wurden (offensichtlich einige Wochen nach dem Ereignis, wohl im fortgeschrittenen Verwesungszustand, jedenfalls sind die meisten Toten in nur sehr flach ausgehobene Gräber mehr oder weniger hineingerollt worden (verdrehte Körper, Schuhe noch an den Füßen, was eher untypisch ist, mit Kalk bedeckt). Einige wenige wurden in Särgen bestattet, was so interpretiert wird, dass sie noch zu erkennen waren und hier Verwandte oder Freunde die Bestattung übernommen haben.
 
Atlas und Dreher können durchaus auch ohne Gewebereste, also im skelettierten Zustand noch am Schädel hängen.
Das mag durchaus sein. Die 27 Einzelknöchelchen einer menschlichen Hand bleiben allerdings bei einer Bergung nicht zusammen, außer sie werden noch von Geweberesten zusammengehalten. In Kalkriese fand man drei menschliche Hände in den Gruben.



Das ist bei genauerer Betrachtung der Dinge eben noch gar nicht wahrscheinlicher. Im Gegenteil, es müsste erklärt werden, warum auch die Konvolute nur Fragmente sind und nicht ganze Leichenteile.
Auch darauf hat Dr. Rost eine Antwort. Er geht davon aus, dass nach der Schlacht die Leichen der getöteten Legionäre verstümmelt und zerstückelt wurden, so wie es ähnlich mit den getöteten Soldaten von General Custer nach der Schlacht am Little Big Horn geschah.
 
Zunächst einmal gibt es einen Archäologenspruch der lautet: Nichts ist so dauerhaft wie ein Loch. Der gilt auch für Kalkriese. Der Befund von Kalkriese ist eindeutig, dass da nichts abgerutscht ist, alles befindet sich in situ. Nur der Wall ist erodiert. Seinen Verlauf kann man aber anhand der Spitzgräben und der Drainagegräben genau nachvollziehen, weshalb es eben auch möglich war, seine ungefähre Höhe zu ermitteln.

Danke erstmal. Kam mir nur so nebenbei die Frage. Hatte nichts Besonderes damit auf sich.

Ansonsten bin ich immer noch der Meinung, daß man mit der Liegezeit der Toten an der Oberfläche (als Argument für oder gegen die Varusschlacht) so gut wie nichts anfangen kann, da es wohl nach fast jeder größeren Schlacht so gewesen sein muß. Es sei denn, die Römer gewannen und kümmerten sich drum. Aber in dieser Zeit mußten sie sich wohl eher ums Rennen kümmern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch darauf hat Dr. Rost eine Antwort. Er geht davon aus, dass nach der Schlacht die Leichen der getöteten Legionäre verstümmelt und zerstückelt wurden, so wie es ähnlich mit den getöteten Soldaten von General Custer nach der Schlacht am Little Big Horn geschah.

Wäre durchaus eine mögliche Erklärung. Ich denke, daß auch bei den Plünderungen nicht gerade zimperlich zu Werke gegangen wurde. Wenn beim entfernen der Brustpanzerung ein Arm im Weg war, dann wurde er eben entfernt (deutlich gesprochen). Vieleicht kann man hier auch anmerken, daß bei eingesetzter Totenstarre daß ausziehen eines Kettenhemdes oder einer Rüstung garnicht so einfach war.
So hat wohl der römische Feldherr Lucullus vor einer Schlacht gegen schwergerüstete Feinde geprotzt, daß es für seine Soldaten nicht so schwer sei diese zu töten, als ihnen anschließend die Rüstungen auszuziehen.
 
Diese minimale Liegezeit muss nun wohl nach unten korrigiert werden.
Es wurden nämlich in einer größeren Knochengrube mehrere Konvolute, also zusammengehörende Knochengruppen, gefunden.

Dr. Achim Rost schreibt dazu:
„Erstaunlich sind deshalb einige Knochenensembles aus einer großen Knochengrube, in der sich neben mehreren Hand-bzw. Unterarmstrukturen auch ein Schädel mit dazugehörigem Unterkiefer und den beiden obersten Halswirbeln sowie, als weiteres Konvolut, Schulterblattfragmente und Brustwirbel fanden, die der Beobachtung einer kompletten Zerstörung der Skelettverbände widersprechen. Natürliche Erklärungen scheiden für die Erhaltung etwa der kleinen Hand- und Fingerknochen weitgehend aus.“

Rost, Achim: Alesia, Kalkriese, Little Big Horn, in: Varusschlacht im Osnabrücker Land, Mainz 2009

Dr. Achim Rost vermutet, die Knochen könnten durch Wundverbände auch noch im skelettierten Zustand zusammengehalten worden sein. (Allerdings fanden sich keine nachweisbaren Spuren dieser möglichen Verbände.) Außerdem ist es schwer vorstellbar, wie ein Wundverband mehrere Halswirbel am Schädel gehalten haben soll.



Wahrscheinlicher ist:
Die Körperteile waren vor ihrer Verscharrung noch nicht vollständig verwest, sondern wurden, wie z.B. die Handknochen, noch teilweise durch Gewebereste zusammengehalten.

Demnach kann es nicht die „Bestattungsaktion“ des Germanicus (Tac. I,61) gewesen sein, die diese Knochen unter die Erde brachte, denn nach sechs Jahren ist, laut Gutachten der Universität Göttingen, die Skelettierung einer Leiche vollständig abgeschlossen.

Gerade die gefundenen Fingerknochen widersprechen Deiner Interpretation. Die sind außergewöhnlich, weil ihr Vorhandensein so unwahrscheinlich ist.

Wären die Gefallenen zu einem Zeitpunkt bestattet worden, zu dem die Knochen noch von Geweberesten zusammengehalten wurden, dann müssten gerade die großen Knochen noch zusammengehangen haben. Die sind von viel Gewebe umgeben. Das vergeht langsamer als das bisschen Haut und Sehnen, von dem Fingerknochen umgeben sind. In den Knochengruben müssten sich demnach zumindest einige Wirbel und einige Hüft- und Oberschenkelknochen finden, die erkennbar zusammengehören. Das ist aber nicht der Fall. In den Gruben lag alles so durcheinander, dass die Wissenschaftler anhand der Gleichartigkeit von Knochenfragmenten rückschließen mussten, wie viele Individuen dort MINDESTENS! bestattet wurden. Sprich: Wenn man fünf Unterkiefer findet, müssen es mindestens fünf Todesopfer sein. Die anderen, nicht mehr identifizierbaren Knochenfragmente flossen in diese Zählung nicht mehr ein.

Anderseherum gilt: Wenn die Bestattung zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, als die Körper schon völlig verwest waren und der Knochenverbund vollständig aufgelöst war, dann ist es praktisch unmöglich, dass kleine zusammengehörige Knöchelchen einer Hand zusammen in ein Grab gelangen. Die Bestattenden hätten ganz sicher "bevorzugt" große Knochen gesammelt. Niemand hätte sich die Mühe gemacht, winzige Fingerknochen aufzusammeln und zusammenzupuzzeln. Vermutlich wären diese kleinen Knochen nicht einmal mehr erkennbar gewesen. Das meint Rost, wenn er sagt, dass es keine natürliche Erklärung für die Fingerknochen gibt.

Die Idee, dass die Knochen zusammen ins Grab kamen, weil sie in Wundverbänden zusammenhingen, ist bestechend. Das ist die einzig logische Erklärung. Dass heute, 2000 Jahre später, keine Spuren dieser Verbände mehr vorhanden sind, kann nicht verwundern. Die Knochen selbst sind ja schon völlig zerbröselt. Wie soll da ein bisschen Mull überdauert haben? Dass die Verbände aber einige Jahre soweit intakt blieben, dass sie Knochen zusammenhalten konnten, kann man annehmen.

Noch ein Argument: Die Kämpfe damals wurden mit Hieb- und Stichwaffen geführt. Die Soldaten trugen Körperpanzer und Helme. Hände und Gesichter hingegen mussten frei sein. Hände und Gesichter sind deshalb die wahrscheinlichsten Körperteile, die von einer gegnerischen Waffe getroffen werden können. Dass Soldaten nach einer Schlacht Kopfverbände getragen haben oder verbundene Hände hatten, ist also sehr wahrscheinlich.

Insgesamt betrachtet, weisen die überraschenden Knochenfunde deshalb auf folgendes hin: Dort hat eine Schlacht stattgefunden, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt hat. Die unterlegene Partei hatte nach dem Beginn der Kämpfe noch genug Zeit, sich um ihre Verwundeten zu kümmern. Im weiteren Verlauf der Kämpfe sind diese Verwundeten dann aber doch noch getötet worden. Das passt nicht zu pontes longi, denn dort wurde nur einen Tag lang gekämpft und Caecina wird kaum Verwundete in die Schlacht geschickt haben.

MfG
 
Wären die Gefallenen zu einem Zeitpunkt bestattet worden, zu dem die Knochen noch von Geweberesten zusammengehalten wurden, dann müssten gerade die großen Knochen noch zusammengehangen haben. Die sind von viel Gewebe umgeben.
Du solltest nicht vergessen, dass nach der Schlacht von Verstümmelungen der Toten auszugehen ist, sowie in den nächsten Wochen und Monaten von Tierfraß.
Das vergeht langsamer als das bisschen Haut und Sehnen, von dem Fingerknochen umgeben sind. In den Knochengruben müssten sich demnach zumindest einige Wirbel und einige Hüft- und Oberschenkelknochen finden, die erkennbar zusammengehören. Das ist aber nicht der Fall.
Das ist nicht richtig. Nicht nur die Knochen von drei Händen lagen noch in richtiger Ordnung beieinander, sondern auch Teile von Schädel, Kiefer und Genick, sowie Schulterblatt und Wirbelknochen.
Es ist wahrscheinlich, dass damals zum Teil skelettierte, zum Teil halbverweste Körperteile auf dem Feld lagen und in die Gruben gelegt wurden.
Anderseherum gilt: Wenn die Bestattung zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, als die Körper schon völlig verwest waren und der Knochenverbund vollständig aufgelöst war, dann ist es praktisch unmöglich, dass kleine zusammengehörige Knöchelchen einer Hand zusammen in ein Grab gelangen.
Genau so ist es. Und eben dieser Befund liegt in Kalkriese vor.



Die Bestattenden hätten ganz sicher "bevorzugt" große Knochen gesammelt. Niemand hätte sich die Mühe gemacht, winzige Fingerknochen aufzusammeln und zusammenzupuzzeln. Vermutlich wären diese kleinen Knochen nicht einmal mehr erkennbar gewesen.
Absolut richtig. Die Knöchelchen der Hand waren nicht komplett skelettiert, sondern wurden noch von Geweberesten zusammengehalten. Die Hand wurde aufgesammelt und in die Grube gelegt.



Die Idee, dass die Knochen zusammen ins Grab kamen, weil sie in Wundverbänden zusammenhingen, ist bestechend. Das ist die einzig logische Erklärung.
Das sehe ich anders. Die oben erwähnten Schädel-,Kiefer- und Wirbelknochen können schwerlich durch einen Verband im Verbund gehalten worden sein. Gleiches gilt für Schulterblatt und Brustwirbel.
Dass die Handknochen in einem Wundverband waren, der, nach Rost, beim Aufsammeln wie ein Beutel wirkte, klingt zunächst interessant. In der Praxis würde das allerdings kaum funktionieren. Es müsste sich schon um einen Komplettverband gehandelt haben, da von den Fingerkuppen bis zur Handwurzel alle Knochen vorhanden sind.
Die 27 skelettierten Fingerknöchelchen wären bei der Bergung in dem Beutelchen durcheinander gewürfelt worden. Sie in der Grube wieder in die richtige Ordnung zu bringen ist selbst für einen Mediziner ein äußerst schwieriges Geduldsspiel.
Zudem wäre eine verbundene Hand während der ausgiebigen Plünderungen sicher ausgewickelt und auf Ringe untersucht worden.




Die Schlussfolgerung lautet deshalb:
Wenn an manchen Knochen in den Gruben von Kalkriese zum Zeitpunkt der Verbergung noch Gewebereste waren (und darauf weisen die Konvolute hin), so lagen diese weniger als zwei Jahre an der Oberfläche. Damit können sie nicht als archäologische Quellen der sechs Jahre später stattgefundenen Bestattungsaktion des Germanicus betrachtet werden.
 
Die Schlussfolgerung lautet deshalb:
Wenn an manchen Knochen in den Gruben von Kalkriese zum Zeitpunkt der Verbergung noch Gewebereste waren (und darauf weisen die Konvolute hin), so lagen diese weniger als zwei Jahre an der Oberfläche. Damit können sie nicht als archäologische Quellen der sechs Jahre später stattgefundenen Bestattungsaktion des Germanicus betrachtet werden.

Donnerwetter, da lehnst Du dich ja ganz schön aus dem Fenster.:winke:

Allerdings muß ich sagen, daß ich Deiner Argumentation durchaus folgen kann. Dies ist ein ganz neuer und hochinteressanter Aspekt.

Gibt es bezügl. dieser Sache eigentlich schon andere Veröffentlichungen? Ich höre hier zum ersten Mal davon. Und normalerweise stürzen sich die Gegner der Varus-These doch geradezu auf solche Geschichten.
 
Das ist nicht richtig. Nicht nur die Knochen von drei Händen lagen noch in richtiger Ordnung beieinander, sondern auch Teile von Schädel, Kiefer und Genick, sowie Schulterblatt und Wirbelknochen.

Lagen die Knochen von den Händen denn in richtiger Ordnung beieinander? In dem von dir zitierten Artikel Alesia, Kalkriese, Little Big Horn steht, in dem Kommentar zur beiliegenden Abbildung:
"Die einzelnen Knochen lagen relativ dicht beieinander in der Grube, so dass die drei auf dem Foto dargestellten Hände rekonstruiert werden konnten."
Im Artikel selbst liest man, wie du es auch schon wiedergegeben hast, die Interpretation, dass es sich um verbundene Hände gehandelt habe und die Verbände nach der Verwesung des Gewebes als "Beutel" gewirkt hätten. Tatsache ist doch, dass es schon - wie auch Maelon festhält - alles Einzelknochen sind, die gefunden wurden, was für eine vollständige Zerstörung der Skelettverbände spricht(!!!) - und es schon verwunderlich ist, dass ausgerechnet Kleinteile wie Handknochen "zusammen" gefunden wurden, was dann aber eben einer anderen Erklärung bedarf, als dass die Hände noch unverwest gewesen wären und eher für eine Interpretation á la Rost oder Großkopf (in demselben Band, Artikel Knochenarbeit) spricht, die sich beide für einen Verband bzw. für eine Umwicklung der Hände aussprechen.

Das sehe ich anders. Die oben erwähnten Schädel-,Kiefer- und Wirbelknochen können schwerlich durch einen Verband im Verbund gehalten worden sein.

Das ist, wie oben schon erklärt, auch nicht notwendig: Kieferknochen, sowie die beiden obersten Wirbel Atlas und Dreher sind beim Menschen so angelegt, dass es nicht notwendig ist, dass die Ligamente und Sehnen zwischen den Knochen bzw. di Knochen und dem Muskelgewebe noch bestehen, sie sind ineinander verhakt.

Die 27 skelettierten Fingerknöchelchen wären bei der Bergung in dem Beutelchen durcheinander gewürfelt worden. Sie in der Grube wieder in die richtige Ordnung zu bringen ist selbst für einen Mediziner ein äußerst schwieriges Geduldsspiel.

Wie gesagt, genau das steht dort eben nicht, dort steht, dass die Anordnung der Knochen rekonstruiert sei.


Zudem wäre eine verbundene Hand während der ausgiebigen Plünderungen sicher ausgewickelt und auf Ringe untersucht worden.
Du trägst keine Ringe, oder? Sonst kämst du sicher nicht auf die Idee, eine Hand mit Ringen zu verbinden bzw. eine verbundene Hand auf Ringe zu untersuchen.
 
Ich kann mir vorstellen, daß man ein Skelett (nach der vollständigen Verwesung) in gewissen Teilen zusammengehörig heben und ablegen kann. Ich denke da z.B. an Kopf-Halswirbel-Brustkörper-Schulterblatt.
Dann wurde man stutzig, weil man Fingerknochen gefunden hat, die dann auch noch zusammen passen.
Also die lagen nicht in Form einer Hand zusammen, sondern eher durcheinander, aber in relativer Nähe. So verstehe ich das bisher.
Ich es denn nicht möglich, das Skelett einer Hand (mitsamt Laub und Erdreich) auf ein Tuch zu werfen?
Für mich sagt das alles gar nicht so viel aus, denn es hängt zu viel davon ab, in welcher Art und Weise die Skelette und Einzelknochen geborgen wurden. Ich vermute aber, daß man darüber so gut wie nichts weiß.

 
Im Artikel selbst liest man, wie du es auch schon wiedergegeben hast, die Interpretation, dass es sich um verbundene Hände gehandelt habe und die Verbände nach der Verwesung des Gewebes als "Beutel" gewirkt hätten..

Wie schon geschrieben, von dem ominösen "Beutelverband", der Schulterblätter und Brustwirbel, Schädel-und Kieferknochen, sowie komplette Handknochen zusammenhielt, fehlt jede archäologische Spur.
Er ist eine reine Vermutung, da man sich sonst nicht erklären könnte, warum Knochenkonvolute nach sechs Jahren noch zusammenhängen können.
Die andere Erklärung wären Gewebereste. Diese Deutung halte ich für plausibler.

Du trägst keine Ringe, oder? Sonst kämst du sicher nicht auf die Idee, eine Hand mit Ringen zu verbinden bzw. eine verbundene Hand auf Ringe zu untersuchen.

Na ja, ein römischer Legionär wird sich bei der Wundversorgung während eines Gefechts wohl kaum von seinem Schmuck getrennt haben.
Außerdem werden die plündernden Germanen damals von den heutigen hygienischen Bestimmungen keine Kenntnis gehabt haben.
 
Wie schon geschrieben, von dem ominösen "Beutelverband", der Schulterblätter und Brustwirbel, Schädel-und Kieferknochen, sowie komplette Handknochen zusammenhielt, fehlt jede archäologische Spur.

Textilien sind archäologisch nur unter ganz besonders günstigen Bedingungen nachzuweisen, etwa bei Moorleichen.

Noch mal zur grundsätzlichen Fundsituation:
"In der Großen Knochengrube lassen sich deutlich mehr Hand- als Fußknochen nachweisen. Besonders auffällig ist dies bei den Mittelhand und Mittelfußknochen. Sie liegen im menschlichen Skelett in derselben Anzahl und vergleichbarer Größe vor und weisen dadurch auch eine vergleichbare Überlieferungswahrscheinlichkeit auf. Es lassen sich jedoch nur fünf Mittelfußknochen gegenüber 19 Mittelhandknochen und neun Fragmenten von Mittelhandknochen nachweisen [also 5 : 28. EQ]. Weiterhin befanden sich 30 Handwurzelknochen und nur 20 Fußwurzelknochen in der Grube, obwohl Fußwurzelknochen wesentlich größer und somit leichter zu finden und einzusammeln wären als die kleinen Handwurzelknochen. Eine mögliche Erklärung für diese Diskrepanz kann das Auffinden von Handknochen im anatomischen Verband sein."
Aus Birgit Großkopf: Die menschlichen Überreste vom Oberesch in Kalkriese, S. 166, in: Kalkriese 3. Interdisziplinäre Untersuchungen auf dem Oberesch in Kalkriese (Römisch-Germanische Forschungen 65, 2007)


Aber ich muss anhand dieses Beitrags auch meine vorherige Anmerkung korrigieren: Offensichtlich sind die Handknochen doch im anatomischen Verband gefunden worden. Großkopf (S. 166): "So sind z.B. unter der FNr. 18959 mehrere Handwurzel- und Mittelhandknochen in anatomischer Anordnung im Sediment eingebettet."


Er ist eine reine Vermutung, da man sich sonst nicht erklären könnte, warum Knochenkonvolute nach sechs Jahren noch zusammenhängen können.
Die andere Erklärung wären Gewebereste. Diese Deutung halte ich für plausibler.

Dem widerspricht aber, dass die Knochen insgesamt sehr fragmentiert sind und es eben keine größeren Konvolute gibt. Außerdem der Vgl. mit den Fußknochen. Großkopf spricht auch von Handschuhen, allerdings ohne große Überzeugung: "Für das Tragen von Lederhandschuhen gibt es bislang keine archäologischen Belege." (S. 167) Auf Gemmen, Reliephs etc. sieht man römische Soldaten auch immer nur ohne Handschuhe.

Na ja, ein römischer Legionär wird sich bei der Wundversorgung während eines Gefechts wohl kaum von seinem Schmuck getrennt haben.
Außerdem werden die plündernden Germanen damals von den heutigen hygienischen Bestimmungen keine Kenntnis gehabt haben.

Wer redet denn von hygienischen Bestimmungen?! (Im Übrigen sollte man da "die Alten" nicht unterschätzen!) Es tut schlicht sauweh, wenn man einen Ring unter dem Druckverband trägt!
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber ich muss anhand dieses Beitrags auch meine vorherige Anmerkung korrigieren: Offensichtlich sind die Handknochen doch im anatomischen Verband gefunden worden. Großkopf (S. 166): "So sind z.B. unter der FNr. 18959 mehrere Handwurzel- und Mittelhandknochen in anatomischer Anordnung im Sediment eingebettet."

Und was könnte das jetzt bedeuten?:confused:
 
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